Joseph roth - von gabriel maresch im jänner 1997, bad goisern/ischl
Verwendete Literatur:
[1] Radetzkymarsch, Joseph Roth
[2] Joseph Roth - Leben und Werk in Bildern, Heinz & Victoria Lunzer
[3] Deutsche Prosadichtungen des XX. Jahrhunderts, Werner Zimmermann
[4] Historische Ereignisse im österreichischen Roman, Alfred Doppler aus:
Geschichte in der österreichischen Literatur, Hrsg. Institut für Österreichkunde
[5] Neuer Romanführer, Paul Wimmer
Joseph Roth
[2] Abb. 391
[2] Seite 10, Absatz 1-2
Jene Stadt, seine Geburtsstadt, von der Moses Joseph Roth hier spricht war Brody, das heute in der Ukraine Liegt. Damals aber, als Joseph Roth geboren wurde, gehörte es noch zu Österreich, und da im Kronland Galizien. Galizien, noch schlimmer Ostgalizien, nahe an der russischen Grenze, das bedeutete Rückständigkeit und Armut.
Die unglaublich weite Entfernung vom Zentrum des Reiches ließ einen manches mal zweifeln, ob man sich überhaupt noch in Europa befand.
[2] Seite 18, Absatz 2 (Sätze 1-2), dann erst Absatz 1
In Brody, was nichts anderes als “Furt” bedeutet, kam also Roth im September des Jahres 1894 auf die Welt. Seine Eltern waren jüdisch und lebten in vergleichsweise wohlhabenden Verhältnissen. Joseph besuchte Volksschule und Gymnasium, wo er mit Auszeichnung maturierte in seiner Heimatstadt. Bereits in seiner Jugend machte Roth erste schriftstellerische Versuche, was ihn dann dazu bewog in Wien ein Studium der Germanistik zu beginnen.
Im Mai 1916, der “große” Krieg hatte bereits vor knapp zwei Jahren begonnen, meldeten sich Roth und ein Studienkollege als Freiwillige.
Über sein Schicksal im Krieg ist wenig bekannt, obwohl diese Jahre prägend für ihn als Schriftsteller sein sollte. Angeblich in russische Gefangenschaft geraten, kehrt er im Dezember 1918 nach Wien zurück. Fest steht aber, daß in dieser Zeit Roths journalistische Anfänge zu finden sind: Gelegenheitsgedichte ebnen ihm den Weg und bringen ihn über Umwege zu durchaus bedeutenden Zeitungen und Zeitschriften, für die er Artikel und Reportagen in erstaunlicher Qualität verfaßt.
1920 sieht sich Roth gezwungen nach Berlin zu gehen, da die Tageszeitung “Neuer Tag”, sein wichtigster Arbeitgeber, die Auflage eingestellt hat. Er veröffentlicht nun hauptsächlich in deutschen, später aber auch wieder in tschechischen und österreichischen Blättern. Ebenfalls in den frühen 20er-Jahren nimmt er seine ersten Romanprojekte, unter ihnen “Das Spinnennetz” und “Hotel Savoy”, in Angriff.
Der hohe literarische Wert seiner Veröffentlichungen macht Roth schnell berühmt und verhilft ihm zu lukrativen Verträgen bei der “Frankfurter Zeitung” und den “Münchner Nachrichten”.
Roth entwickelt sich zum regelrechten Starjournalisten und verlegt seinen Wohnsitz nach Frankreich. In den nächsten Jahren bringen ihn Reisereportagen nach Italien, Albanien, Jugoslawien - und Rußland. Wichtig zu erwähnen ist, daß Joseph Roth bis zu seiner Rußlandfahrt eher mit dem Sozialismus sympathisierte (teilweise hatte er sogar unter dem Namen der “rote Joseph” publiziert). Diese Reise aber änderte seine Einstellung grundlegend. Er erkannte das Scheitern der Revolution und wandte sich ernüchtert ab.
Roth, der sein Honorar stets sofort ausgibt, kommt durch eine teilweise Loslösung von der “Frankfurter Zeitung” in ernstliche finanzielle Schwierigkeiten. Er wendet sich nun neuen Roman zu, schreibt unter ständigem Zeitdruck, um die erhaltenen Vorauszahlungen zu rechtfertigen.
Von Herbst 1930-32 schreibt er an jenem Roman, den man später als eines seiner Hauptwerke bezeichnen sollte, und der auch im Mittelpunkt dieses Referates steht: den Radetzkymarsch. Obwohl noch weitere, ausgezeichnete Werke folgen, ist jenes das packendste und charakteristischste. Denn in ihm spiegelt sich fast gleichnishaft die Jugend seines Autors wieder. Bevor ich mich nun dem eigentlichen Thema zuwende, möchte ich noch die Lebensgeschichte Joseph Roths beenden, die, wie ich meine, ebenso wichtig für das Wissen um die historischen Fakten die diesem zugrunde liegen.
Der große Verkaufserfolg des Radetzkymarsches ließ Roth auf die Sanierung seiner Finanzen hoffen, die unter seinem sehr aufwendigen Lebensstil stark gelitten hatten. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden seiner Bücher verboten und er zur Emigration gezwungen. Roth setzt seine literarische Arbeit zwar fort, leidet aber nunmehr unter ständigem Geldmangel, den er nie überwindet, zumal er sich nun noch stärker seiner Trunksucht hingibt. Im niederländischen Exil versucht sein Freund Stephan Zweig vergeblich ihn vom Alkohol abzubringen. In seinen späten Lebensjahren engagiert er sich immer mehr für Habsburg und die Wiedereinsetzung der Monarchie. Roth lebt in bitterster Armut wie folgender Text verdeutlicht.
[2] Abb. 354
Die Amerikareise kam allerdings nie zustande; ob aus Roths finanziellem Unvermögen oder seiner Krankheit, wissen wir nicht. Das Erscheinen seines letzten Buches, das den bezeichnenden Titel “Die Legende vom heiligen Trinker” trägt, erlebt er nicht mehr. Der Schluß, [2] Abb. 345, erfüllte sich für ihn nicht. Roths Zustand verschlechtert sich aufgrund seines ungehemmten Alkoholkonsums, ohne den er nicht schreiben konnte.
In einem Pariser Café bricht er zusammen und stirbt im Mai des Jahres 1939 in einem Armenspital, völlig unzureichend behandelt und mit Lederriemen ans Bett gefesselt.
Doch es wäre nicht jener Joseph Roth gewesen, den ich anfangs gezeigt habe, wenn sein Begräbnis reibungslos und ohne Skurilität abgelaufen wäre. In einer Gedenkschrift ist zu lesen:
[2] Seite 274, Absatz 3
Ich hoffe nun die nötige Vorbereitung zum besseren Verständnis des Radetzkymarsches erbracht zu haben und möchte mich nun dessen Inhalt zuwenden.
Radetzkymarsch
Der von slowenischen Bauern abstammende Leutnant der k.k. Armee Joseph Trotta rettet in der historischen Schlacht von Solferino anno 1859 dem jungen Monarchen Kaiser Franz Joseph das Leben.
Er wird dabei verwundet und nach seiner Genesung zum Hauptmann befördert und in den Adelsstand erhoben.
Jahre später stößt er beim Durchblättern des Lesebuches seines Sohnes auf das Textstück Nr. 15, in welchem seine Heldentat dargestellt wird. Doch so glorifiziert und übertrieben verklärt wird erzählt, daß Trotta bis zum Kaiser geht, um das Stück zu streichen.
[1] Seite 19
Joseph von Trotta nimmt daraufhin Abschied von der Armee und zieht sich auf das schwieger- elterliche Gut zurück. Seinem Sohn Franz verbietet er eine militärische Laufbahn und bestimmt statt dessen für ihn den Beruf eines Juristen.
Zwei Jahre vor der Ernennung seines Sohnes zum Bezirkshauptmann stirbt der alte Herr von Trotta.
[1] Seite 27
Als Bezirkshauptmann versieht sein Sohn untadeligen Dienst und fühlt sich als treuer Diener seines Kaisers. Für seinen Sohn wiederum, Carl Joseph, hat er die Karriere als Berufsoffizier gewählt. Die erste Liebe des jungen Kadetten ist tragisch umschattet: von der Frau des Gendarmeriewachtmeisters verführt stirbt sie bei der Geburt des Kindes. Bereits Leutnant bei der Kavallerie, den Ulanen, verschuldet er ein Duell zwischen seinem einzigen Freund, dem jüdischen Regimentsarzt Max Demant und dem Rittmeister Trattbach. Beide Gegner kommen dabei ums Leben.
[1] Seite 124/125
Carl Joseph verläßt zutiefst erschüttert die Kavallerie und läßt sich mit dem Einverständnis seines Vaters in eine entfernte galizische Garnisonsstadt versetzen, wo er nun bei der Infanterie dient. Er und seine Kameraden entfliehen der Langeweile durch den Genuß von sogenanntem Neunziggrädigem, den Roth folgendermaßen beschreibt:
[1] Seite 185/186
Als der alte Herr von Trott nach dem Tod des langjährigen Hausdieners seine Sohn in der Grenzstadt besucht, trifft man sich bei Graf Chojnicki, der etwas obskur aber immens reich ist. Dort fallen die prophetischen Worte:
[1] Seite 180-182
Der Bezirkshauptmann nimmt diese Rede zwar nicht ernst, doch Carl Joseph ahnt bereits ihr “finsteres” Gewicht.
Als Carl Joseph mit seinem Zug gegen streikende Arbeiter der heimischen Borstenfabrik eingesetzt wird, verliert er in Panik die Nerven und erteilt den Schießbefehl.
[1] Seite 233
Der Schieber und Menschenhändler Kapturak, eine Figur, die in Joseph Roths Romanen immer wieder auftritt, eröffnet im einzigen Hotel der Stadt ein Spielcasino und tritt dabei gleichzeitig auch als Kreditgeber auf. Carl Joseph übernimmt für zwei seiner Kameraden die Bürgschaft, außerdem leiht er immer mehr Geld um die kostspieligen Wienaufenthalte mit seiner neuen Geliebten zu finanzieren.
Als sich einer der beiden erschießt und der andere als Spion verhaftet wird, verlangt Kapturak sein Geld, inzwischen mehr als 7.000 Kronen, binnen einer Woche zurück.
Verzweifelt schreibt Carl Joseph seinem Vater. Doch auch er kann diese gewaltige Summe nicht auftreiben. So entschließt sich Franz Freiherr von Trott in einer eiligst organisierten Audienz beim Kaiser um Gnade zu bitte. Nur ihm ist die Rettung vor dem Skandal, den eine unehrenhafte Entlassung aus dem Militär für die Familie Trotta bedeutet hätte zu danken.
Die Meldung vom Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajewo trifft Carl Joseph und seine Kameraden völlig unvorbereitet. Bei einem eiligst einberufenen Treffen der Offiziere und höheren Gäste verliert Carl Joseph die Nerven als einige ungarische Adelige den Toten lauthals beschimpfen. Dann artet die Situation ins Groteske aus.
[1] Seite 333/334
Carl Joseph reicht am nächsten Morgen seinen Abschied beim Militär ein; doch einen Monat später wird er wieder zu den Waffen gerufen. Der erste Weltkrieg hat begonnen. Er fällt noch im ersten Jahr, bei dem Versuch während eines Kosakenangriffs Wasser für seine Kameraden zu holen.
Auch sein Vater erlebt den Zusammenbruch des Vielvölkerstaates nicht mehr. Der Roman endet mit dem Tod Franz von Trottas, der im Jahre 1916, wenige Tage nach dem Ableben Kaiser Franz Josephs stirbt.
Deutung
Einen Roman vollständig zu deuten ist sehr langwierig, deshalb will ich mich auf die wichtigsten Möglichkeiten, die sicher auch die interessantesten sind, beschränken.
Der Titel Radetzkymarsch scheint, zumindest nach der Inhaltsangabe keinen Bezug zum Text zu haben. Doch kommen im Roman drei Textstellen vor, die auf dieses Leitmotiv zurückgreifen.
Zu Beginn der Erzählung bedeutet das Erklingen des Radetzkymarsches, gespielt von der örtlichen Militärmusik, für den Knaben Carl Joseph Begeisterung für den Heldentod, den er für die Mitglieder des Kaiserhauses, die er in kindlicher Ergebenheit liebt, zu sterben bereit ist.
Als Leutnant kehren die Kindheitserinnerungen wieder als er einer Parade beiwohnt. Er denkt noch immer an die heilige Aufgabe und wünscht sich durch Hingabe seines Lebens für Kaiser und Vaterland ebenso ein Held zu werden, wie sein Großvater.
Traum und Wirklichkeit vermischen sich vollends als Carl Joseph den Radetzkymarsch zu hören glaubt, während er von den Feinden unter Beschuß genommen im Kugelhagel sein Leben läßt.
Diese drei Stellen, an denen der Radetzkymarsch erklingt, könnte man mit Aufbau-Bewahrung-
Zusammenbruch bezeichnen. Diese Dreiheit kommt in Roths Roman immer wieder vor. Genau so gut könnte man nämlich auch die Mitglieder der Familie Trotta damit beschreiben.
Der Held von Solferino stünde für den Aufstieg seines Geschlechtes, der Bezirkshauptmann für die Bewahrung des Ruhmes und unter Carl Joseph erfolgte der Zusammenbruch. Auch aufgrund der Kapitelaufteilung, die dem Enkel am meisten, dem Großvater am wenigsten Platz einräumt, wird klar, daß das vorherrschende Thema Zusammenbruch und Verfall ist. In der Literaturwissenschaft bezeichnet man den Radetzkymarsch daher auch als Dekadenzroman.
Die Dekadenz, das heißt der Verfall, ist sowohl innerhalb der Familie Trotta als auch in der Monarchie als Staatengebilde unübersehbar. Die alte, feudale Gesellschaftsordnung steht einer neuen, dem Sozialismus gegenüber - und es ist unübersehbar daß die alte der neuen Platz machen muß. Ebenso ist es in der Familie Trotta, denn alle Charaktere, auch Carl Joseph, werden als alte, oder vorzeitig gealterte Personen gezeigt, die ihre Prinzipien und Weltanschauungen nicht mehr ändern wollen und können.
Die Vertreter des Sozialismus kommen in vielerlei Gestalt vor: seien es die streikenden Arbeiter oder die neuen Hausdiener, die dem Bezirkshauptmann v. Trotta allesamt nicht passen. Von Trotta ist nicht einmal bereit die Möglichkeit eines Umbruches in Betracht zu ziehen. So bessert er in seinen Protokollen stets die Worte “revolutionärer Agitator” in “verdächtiges Individuum” aus, da er fest überzeugt ist, daß es keine Revolution geben werde.
Das Symbol für die noch herrschende alte Ordnung und als Garant für deren Weiterbestehen ist der Kaiser. Franz Joseph, mit 68 Jahren Regierungszeit jener Monarch Mitteleuropas mit der längsten Amtszeit, verdeutlicht durch seine Greisenhaftigkeit die “alte” Zeit.
Wenn Roth von ihm spricht, findet sich stets auch ein Bezug zu Gott. Ebenso wie Franz Josephs Untertanen ihrem Kaiser ergeben sind, sieht auch dieser Gott wie einen Vorgesetzten dem man zu gehorchen hat.
Historiker sind sich heute einig, daß der Bestand der Monarchie in den letzten Jahren allein durch eine dem Kaiserhaus ergebene Armee und ein pflichtbewußtes Beamtentum gesichert worden ist. Franz von Trotta repräsentiert dieses Beamtentum. Er ist ein altehrwürdiger Hauspatriarch und Anhänger der monarchistischen Weltordnung. Seine Identifikation und Loyalität zu Österreich geht so weit, daß er sich im Alter immer mehr dem Kaiser angleicht.
Am Ende der Erzählung spricht Roth von “zwei Brüdern, von denen der eine Kaiser, der andere Bezirkshauptmann geworden war.”
Carl Joseph wirkt hilflos und verloren. Der Verlust seines Freundes Max Demant und der Tod seiner ersten Geliebten, an der er Schuld trägt machen ihn zu einem gebrochenen und alten Mann, obwohl er noch jung ist. Stets fühlt er eine gewisse Todessehnsucht und tröstete sich mit Hochprozentigem. In der galizischen Grenzstadt sieht er den Untergang und Verfall noch schneller auf sich zukommen, als der Vater, der in Mähren wohnt.
Carl Joseph sieht sich vor allem als Enkel des Helden von Solferino.
So schildert auch Roth in erstaunlicher Synchronität den Anfang und das Ende der Familie Trotta: die Heldentat des Großvaters und den kläglichen Tod des Enkels. Überhaupt zieht sich das Enkel-Motiv durch den gesamten Roman. Auch Max Demant, jener jüdische Intellektuelle, der wissend in seinen sinnlosen Tod gegangen ist und mich von allen Figuren am meisten beeindruckt hat, erzählt in einem Gespräch mit Carl Joseph von seinem Großvater. Ich möchte dazu ein Bild von Roths Großvater zeigen, der ja ebenfalls jüdisch war.
Mit dem Enkel Joseph Roth, dem Schnapstrinker Joseph Roth und dem Monarchisten Joseph Roth, der seiner Zeit stets kritisch gegenüberstand und dem Vergangenen nachtrauerte sei der Bogen zu seiner Biographie geschlossen. So möchte ich mein Referat mit seinen Worten beschließen:
[2] Seite 197
Gabriel Maresch, im Jänner 1997 Bad Goisern/Bad Ischl
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