Antje müller, 10c 24
Antje Müller, 10c 24.9.2000
Literarische Figurencharakteristik
Ingeborg Bayer: „Die vier Freiheiten der Hanna B.“
Die Autorin des 1990 herausgegebenen Jugendromans „Die vier Freiheiten der Hanna B.“, indem es um Drogen, Jugendkriminalität und Strafvollzug geht, heißt Ingeborg Bayer. Die Hauptperson Hanna B.
, die mit 15 Jahren erstmalig straffällig wird, macht im Gefängnis verschiedene Erfahrungen. Nach ihrer Entlassung versucht sie den Einstieg in ein neues „normales“ Leben.
Die Zentralfigur Hanna Bogner wird am 14.11.1957 als Tochter von Karl Bogner, Wäschevertreter und Malermeister, und Dorothea Bogner geboren (S.12; Z.
5ff.). Sie ist ein schlankes junges Mädchen, welches aus der Mittelklasse stammt (S.22; Z.22). Ihre Sprache ist hochdeutsch und sie verwendet keine auffälligen Wortphrasen.
Hanna ist oft mit ihren Gedanken woanders und stellt Vergleiche an. „Ich lag in meinem Bett und konnte nicht schlafen. Zu Hause konnte ich immer schlafen,“ ist nur ein Beispiel von vielen (S.20; Z.12f.).
Die Gefangene Gisela bezeichnet sie als „ein Klugscheißer“, was bedeuten könnte, dass Hanna Brillenträgerin ist, aber das ist sie nicht (S.13; Z.31). Falls der Leser sie sich so wie auf dem Titelbild abgebildet vorstellen soll, dann trägt sie kastanienbraunes, leicht gewelltes, bis zur Schulter reichendes Haar, braune Augen, eine schmale Nase, normalgeformte Lippen und ein schmales Gesicht, mit gut erkennbaren Wangenpartien. Hanna ist nicht wie es eigentlich sein sollte in einer harmonischen Familie aufgewachsen. Für sie ist es aber noch akzeptabel, dass es keine richtig glückliche Beziehung zwischen den Eltern ist.
Die einzige Bindung, die zwischen ihnen besteht ist Hanna. Die folgende Scheidung, der tödliche Verkehrsunfall der Mutter, die ihr einziger Zufluchtsort ist, und die neue Freundin des Vaters Evelyn, welche Hanna nicht ausstehen kann, hinterlassen tiefe Narben und unauslöschbare Spuren. Wahrscheinlich sucht sie deswegen Trost, Geborgenheit und Halt bei Jan. Am Anfang ihrer heimlichen Beziehung zu Jan ist sie eine durchschnittliche Schülerin, aber von ihm lässt sie sich so sehr beeinflussen, dass die Schule immer nebensächlicher und Jan wichtiger werden. Das wird an ihrem Schulabschluss, der eher ein besserer Rausschmiss mit schlechten Zensuren und zwei Ehrenrunden ist, und mit Jans Aussage: „Wozu überhaupt Beruf, (..
.) ein Abitur oder die mittlere Reife?“, deutlich (S.41; Z.28ff.). Für Hanna klingt Jans hinzugefügtes „Du hast mich, genügt dir das nicht?“ unsagbar schön, für Außenstehende eher naiv.
Während einer Reise nach Arles lernt sie seine Drogendealerfreunde Ali, Hiob und Knut und zu Weihnachten Raoul, Chris und Do kennen (S.60-61; Z.36,1f.). Dass Hanna beim Verteilen des Haschischs mitmacht, liegt an ihrer unglücklichen Kindheit, am Einfluss Jans, an der Haushälterin Frau Bär und besonders an Evelyn. Alles führt dazu, dass sie nur noch den einen Gedanken hat: Weg von zu Hause (S.
63; Z.8f.). Dadurch dass die Dealer und Hanna innerhalb von zwei Monaten ungefähr 500 Kilogramm Haschisch umsetzen, kann sie diesen Wunsch verwirklichen. Zu diesem Zeitpunkt denkt sie nicht einmal daran, was passiert wenn sie erwischt werden. Jan behalten und Geld verdienen, das ist ihr wichtig (S.
64; Z.16ff.). Dass sich Hanna durch ihre Leichtfertigkeit ihre Zukunft verbaut, ist ihr egal und die Talfahrt durch das Rauschgift beginnt. Diese endet mit ihrem letzten Bruch in einer Apotheke, wobei sie eigentlich nicht dafür ist, aber die fehlende Sendung mit Rohopium und die Tatsache, dass Jan, inzwischen beim Fixen gelandet, dringend einen Schuss braucht, gibt den Ausschlag (S.79; Z.
8ff.). Der Einbruch geht gut, aber die Folgen sind verheerend: Jan stirbt an einer Überdosis Heroin und der Rest muss sich vor Gericht dem Gesetz stellen. Knut und Hiob, dessen elf Monate werden zur Bewährung herabgesetzt, haben anfangs weniger Glück. Hanna weiß, dass Alis Feigheit an Jans Tod schuld ist, jedoch teilt das Gericht nicht ihre Ansicht und spricht ihn frei (S.79; Z.
17ff.). Hanna fühlt sich bei ihrer Verhandlung von oben herab, zu zwei Jahren fünf Monate Gefängnis, behandelt: „Sie haben mich zermatscht. Wie die Hand eines Riesen einen Käfer zermatscht“ (S.10; Z.20f.
). Der Riese ist für Hanna stellvertretend der Richter, der Staatsanwalt und die Zeugen und sie selbst der Käfer, wobei der Riese nur ihre Hülle, mehr nicht, erhält (S.10; Z.34). „..
., weil mir ... in dieser Sekunde klar (wird), dass es von jetzt ab nicht mehr viel geben wird, was ich entscheiden darf. Es wird für mich entschieden werden.
(...) Andere, die ...
besser wissen, was für mich gut ist oder nicht“, stellt sie bei ihrem Einzug ins Gefängnis daran fest, dass die Beamten ihre Kleidung vorschreiben, beispielsweise ein Nachthemd entweder mit kurzem oder langen Ärmeln (S.6; Z.10,13ff.). Sie zeigt damit deutlich, dass sie sich nicht gerne unterordnen lassen möchte, aber sie resigniert, weil sie keine andere Wahl hat. Sie ist nur noch eine Akte.
Nicht mehr als eine Nummer 324 (S.95; Z.17). Aus dem Stoß von Sachen sucht sie sich ein blaukariertes Kleid, schwarze Schuhe und ein Nachthemd mit kurzen Ärmeln aus. Beim Blick auf das Kleid stellt sie fest, dass sie es ein Einheitslook und „ein halber Maxilook“ ist, was ihren Galgenhumor erkennen lässt (S.6; Z.
12,22,26). Hanna ist verblüfft und teilweise schockiert als sie in ihre Zelle zum ersten Mal blickt: „Große Katzen, kleine Katzen, teure, struppige, magere, (Siamkatzen) ... und ..
. ein Ekseption-Gruppenbild ... ein Schrank, ein eisernes Bett, ein Tisch, ein Stuhl und ein Kübel“ (S.7; Z.
11ff.). Sie beschließt vieles in der Stunde: Den Kübel nicht zu benutzen, die Katzen herunterzureißen, weil sie diese nicht leiden kann, keine Bergromane ins Regal zu stellen, nicht zu schreien, nicht zu heulen und viele andere nicht erwähnte Sachen, die sie aber alle nicht einhält (S.7; Z.35f., S.
8; Z.1ff.). Nach einer gewissen Eingewöhnungsphase hat sie ersten Kontakt zu ihren Mitinhaftierten Gisela, Heidi, Gerdi, Frau Greenhorn, Helga, Ingrid, Susi, Erika, Hannelore und Gertrud, die feststellen, dass sie das typische Verhalten einer Neuen zeigt, da sie beispielsweise die Zeit bis zur Entlassung zählt (S.9; Z.12ff.
). Dabei scheint sie sich aber nicht ganz wohl zu fühlen, weil sie sich bei der Sozialarbeiterin Frau Mollenhauer erkundigen will, ob sie hier abends mit dabeisitzen muss oder darf (S.14; Z.14f.). Nach und nach gewöhnt sie sich aber an die abendlichen Gesprächen oder während der Arbeit über Tabak, Pflegestellen, den Etat des Gefängnisses und über die Zukunft des Einzelnen und lernt die anderen Häftlinge doch noch näher kennen.
Am Besten versteht sie sich mit Gertrud, welche stets nach ihrem Kübeldienst riecht. Gisela, die der Chef der Clique ist und wie „der Anführer eines Rudels Wölfe aussieht“, ist Hanna ein Dorn im Auge (S.13; Z.33). Das liegt vorallem am Gertrudspiel: „Es (beginnt) immer mit den gleichen Worten, sobald eine Neue (kommt). Und es (wird) stets mit den gleichen Worten gespielt.
Gertrud (kann) nichts dagegen tun. Wer petzt, ist tot“ (S.16; Z.34, S.17; Z.1f.
). Im Laufe der Zeit baut sie eine Art Hassliebe zu dem Katzenposter auf, welches sie an Ägypten erinnert und sie es deswegen Kleopatra nennt. Es ist die, die wie eine heilige Katze der Ägypter aussieht, aschgrau mit leichten braunen Streifen und glitzernden Augen, sobald Licht darauffällt (S.10; Z.8ff.).
„Friss ihn, lass seine Federn flattern und stör dich nicht an seinem Piepen, das niemand versteht. Du bist mächtig, Kleopatra, so mächtig wie -“ (S.10; Z.14ff.). Es verdeutlicht die Liebe zu der ägyptischen Katze.
Dieses „...wie –„ sagt aus, wie beeindruckt Hanna von Kleopatra ist, da sie nichts mit der Schönheit und Anmutigkeit jener heiligen Katze vergleichen kann. Zu sehr vielen Dingen hat sie stets den richtigen Vergleich, nur beim Katzenposter nicht. Es fehlen ihr einfach die Worte.
„Ich liege im Bett und kann nicht schlafen. Der Mond scheint zum Fenster herein. Er malt die Stäbe wie einen groben Fußraster auf ... das einzige Katzenbild, das ich nicht abrupfen würde, weil es die balgenden Jungkatzen zeigt .
.. Im Balgen schauen sie ... aus dem Gitter heraus.
Das ärgert mich so, dass ich aufstehe und ... Kleopatra hineinsperre in das Gefängnis. Kleopatra mit ihrem hochnäsigen Blick und ihren arrogant nach oben gezwirbelten Schnurrbarthaaren“ (S.68; Z.
6ff.). Dieses Ereignis zeigt ihren Hass auf diese Katze. Sie erträgt es nicht, wenn Kleopatra frei ist und Hanna eingesperrt im Gefängnis. Hanna braucht jemanden mit dessen Schicksal sie spielen kann, denn Vater Staat und die Justiz, dessen Verhalten und Vorgehen sie ablehnt, entscheiden über sie. „All das gibt (ihr) ein bisschen Lust, ein bisschen Rache, [.
..],“ etwas Abwechslung vom Knastalltag (S.68; Z.15f.).
Außerdem wird Hanna fröhlich und stark bei dem Gedanken an ihre vier Freiheiten. Sie kann sich entscheiden zwischen einer großen Tube Zahnpasta in einer gelben Schachtel oder einer kleinen in einer roten Schachtel. Zwischen einer Wochenillustrierten und einem Stück Pflaumenkuchen. Die dritte Freiheit besteht aus der Wahl zwischen einem Stück Seife und einem Päckchen Tabak. Das Nachthemd mit dem kurzen oder langen Ärmeln macht aus den drei Freiheiten vier an der Zahl (S.69; Z.
31; S.70; Z.4f.). Die Zeit vergeht wie im Flug. Sie übersteht die Wochenenden, Besuchstage und Feiertage geduldig, obwohl diese ihr am wenigsten gefallen, aber sie wartet auf die Freilassung und zählt die noch zu überstehende Zeit (S.
76; Z.33ff.; S.77; Z.3). Und eines Tages steht sie auf Bewährung unerwartet hinter den Toren des Gefängnisses.
Anderthalb Jahre Gefängnis haben äußerlich Spuren hinterlassen. Ihr rotgestreiftes Kleid ist an ihr viel zu weit. Sie kommt sich fast wie ein Kind vor, das laufen lernt, als sie erstmals wieder die Welt ohne Gitterstäbe erblickt. An diesem Tag beschliesst sie sich zu ändern. Sie schafft es ohne Zwang wie bei Mr. Supermann über sich nachzudenken (S.
95; Z.15ff.). Der Einstieg in ein normales und geregeltes Leben beginnt. Den Anfang macht sie mit dem Nachholen der mittleren Reife, jedoch mit viel Eifer und aus eigenen Antrieb, an einer Abendschule. In einem Blumengeschäft findet sie Arbeit zur Finanzierung (S.
101; Z.33; S.102; Z.8,19). Hannas Schulfreundin Thea Morgenthaler überlässt ihr die Wohnung, da sie selbst drei Monate in Äthiopien verbringt. Die Nachbarin von Thea Frau Wamsler ist zwar in Bezug auf Hannas Leben neugierig, aber trotzdem sympathisch und stellt keine unangenehmen Fragen oder geht ihr aus dem Weg.
Eine weitere sympathische Person ist die Bewährungshelferin Frau Kampe. Wie zwei Freundinnen unterhalten sie sich über Schule und Freundeskreis (S.103; Z.1,3). Hanna lernt Fred, der Raucher und ziemlich bequem ist, in der Abendschule, kennen. Er weiß nichts vom Knast bis beide Gisela in einer Bar treffen, die Hanna auf das Gefängnis anspricht.
Fred ist anfangs sehr schockiert über Hannas Vergangenheit, aber will ihr trotz allem helfen (S:112;Z.33). Ganz unerwartet erscheint Gertrud drei Mal. Sie findet in einer Fischfabrik Arbeit, jedoch erzählt sie ihren Kollegen nichts vom Knast. Es fliegt allerdings durch Frau Kampe auf. Aus Verzweiflung und Wut wendet sie sich an Hanna, die sie als eine echte Busenfreundin tröstet (S.
105; Z.6). Glücklich und mit einem Bauernsohn verlobt, bedankt sich Gertrud bei ihr, indem sie Hanna zur Trauzeugin ernennt (S.116; Z.13). Im Blumengeschäft steht ihr Vater eines Tages in der Tür.
Er bietet ihr in einem Café seine Hilfe an, die daraus besteht, dass sie kommen kann wann sie will (S.117; Z.33f.; S.118; Z.13).
Der einzige treffende Schlag geht von ihrem Klassenkameraden Modestus aus. Auf der Suche nach Hess‘ „Steppenwolf“ treffen sie in der Bibliothek aufeinander. Unter vier Augen setzt er sich kritisch mit ihrem Fehlverhalten und Charakter auseinander und sagt es Hanna direkt ins Gesicht, aber er akzeptiert sie so wie sie ist. „...
Du (hast) ... immer für alles einen Grund. Man (findet) dich nie ohne Erklärung [..
.], ist ein typischer Charakterzug, den er ihr an den Kopf wirft (S.124; Z.22f.). Modestus ist aber kein Unmensch und, weil er sie sehr mag, bietet auch er wie schon seine Vorgänger seine Hilfe an (S.
125; Z.14f). „Ich (bin) wirklich glücklich. Obwohl ich schlucken (muss) [...
]“ zeigt ihre Gefühle nach dem aufschlussreichen Gespräch (S.125; Z.22). Sie fügt sogar noch ein „Endlich“ dazu. Es bedeutet, dass sie endlich den Abschluss ihrer Vergangenheit geschafft hat. Hannas‘ Seele ist frei von Lasten, welche ihr die Menschheit und Umwelt im Laufe des Lebens auflastet.
Ihre neue Meinung über Mr. Superman und Modestus bringt sie folgendermaßen zum Ausdruck: „He, Mr. Superman , da gibt’s einen, dessen Tiefschläge besser sitzen als die ihren, gezielter [...].
Sie verpuffen nicht im Raum wie die Ihren. Sie treffen haarscharf an die richtige Stelle [...] (S.125; Z.
23ff.). Der Schlusssatz aus Hannas‘ Akte: „Wir dürfen hoffen, dass Hanna B. den Anschluss an ein normales und geregeltes Leben wieder finden wird,“ wird sie ein Leben lang verfolgen. Die Frage, die sie sich selbst stellt, können wir genauso als Schlusswort stellen: „Dürfen wir das?“ (S.126; Z.
21ff.)
Dieser Roman ist meiner Meinung nach nicht nur eine gute „Bettlektüre“ oder Unterrichts-stoff, sondern auch ein Nachschlagewerk, ohne Belehrungen, für Fachkräfte in der Sozialarbeit, Staatsanwälte, Richter und Verteidiger in Jugendsachen. Es dient als Nachschlagewerk in dem Sinne, dass diesen Menschen Einblick in die Empfindungen, erlebnismäßig gewonnenen Eindrücke und die Erkenntnisse des Betroffenen gewährt wird. Was mir persönlich gefällt ist, dass die Autorin Ingeborg Bayer an die darin behandelten Probleme (Drogen, Jugendkriminalität und Strafvollzug) nicht sachlich, wie in einer aufklärenden Erörterung, sondern direkt und individuell herangeht. Das offene Ende veranlasst den Leser zum Nachdenken. Wie sieht Hannas Zukunft aus? Schafft sie den Einstieg in ein normales Leben? Baut sie mit ihrem Vater wieder eine gute Beziehung auf? Es könnte auch ein Schluss der Geschichte geschrieben oder erdacht werden, der individuell verschieden sein wird.
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