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  Günter grass

Günter GrassKatz und Maus  Günter Grass wurde am 16.10.1927 in Danzing geboren. Als Schriftsteller und Grafiker interessiert er sich auch für Politik.   Ein typisch novellistisches Ereignis steht am Beginn des Schicksals, das dem Helden, Joachim Mahlke, zur Zeit des Zweiten Weltkriegs in Danzig widerfährt. Im Kreise seiner eigenen Schulkameraden nimmt Pilenz, der Erzähler, zum erstenmal Mahlkes Überdimensionalen, mit der Pubertät entstandenen Adamsapfel wahr, einen heftig bewegten, an eine Maus erinnernden „Knorpel“, an den Pilenz, einer tollen Eingebung folgend, plötzlich eine in der Nähe umhertreibende Katze setzt.

Aus diesem Ereignis geht das Bermanente Schuldgefühl des Erzählers hervor, das ihn zur Niederschrift der Biographie Mahlkes zwingt: Der abnorme Adamsapfel, auf den Pilenz ein für allemal den Blick der Leute gelenkt hat, macht Mahlke zum Helden wider Willen und führt seinen Untergang herbei. In dreizehn nur lose miteinander verknüpften Abschnitten vergegenwärtigt sich der Erzähler, immer wieder ins Episodische und Anekdotische schweifend, Mahlkes phantastische und verzweifelte Versuche, seine körperliche Mißbildung, die den Spott und die Neugier der Umwelt herausfordert, zu verleugnen. Er behängt sich mit einem Schraubenzieher, einen polnischen Orden, einem Medaillon, das von seiner bigotten Marienverehrung zeugt, vollbringt vor seinen Kameraden atemberaubende Tauchübungen und triumphiert am Reck mit zahllosen Kniewellen. Mahlkes unerhörte Taten sollen die Umwelt vom Adamsapfel „die ewige Katze von der ewigen Maus ablenken“. Sammelt Mahlke aber auch immer wieder außerordentlichen Beifall, so haftet den Leistungen, die er mühsam seinem schwächlichen Körper abzwingt, doch stets etwas Verkrampftes, Unnatürliches an, das die Groteske streift. Darin meldet sich seine fortschreitende, von der Umwelt ihm auferlegte Selbstentfremdung an.

Das Schuldgefühl des Erzählers reflektiert nur das Bewußtsein des Unrechts, das die Gesellschaft dem einzelnen antut. Der abnorme Adamsapfel Mahlkes wird zur bizarren Sinnfigur eines beschädigten Verhältnisses zwischen Ich und Außenwelt, das sich zur extremen Antithese von beklatschter Schauspielerei und „monumentaler Einsamkeit“, von öffentlicher Leistung und Introversion verzerrt. Denn der „Große Mahlke“, bezeichnenderweise stets mit einer „Leidensmiene“ behaftet, stößt bei einer seiner vielbewunderten Tauchübungen in einem abgesoffenen Minensuchboot auf eine (über der Wasseroberfläche liegende) Kabine, die er mit den wunderlichsten Dingen ausstattet und zum bewohnbaren, von der Umwelt abgeschnittenen und zugleich von ihr bestaunten Refugium macht - allegorisches Zeichen dafür, daß Beifall und Anerkennung der Gesellschaft durch Isolierung und Selbstverleugnung erkauft werden müssen. Unaufdringlich verknüpft Grass diese Antinomie mit der historischen Wirklichkeit, der die Novelle entstammt. Einem hoch dekorierten Kapitänleutnant, ehemaliger Schüler von Pilenz, stiehlt Mahlke das Ritterkreuz und bereitet damit die - novellistisch pointierte - Peripetie, den definitiven Umschlag seines Lebens in eine tödliche Emigration vor. Der vollkommen seinen Adamsapfel bedeckende Orden gewährt ihm für kurze Zeit Glück, unverkrampfte Identifikation mit sich selbst -“zum erstenmal bißchen albern, keine Erlösermiene“-, und ist zugleich Anlaß für den Ausschluß Mahlkes vom Gymnasium.

Die vom Oberstudienrat Klohse in schneidigem Nazijargon proklamierte Unantastbarkeit eines so läppischen Details wie des Ritterkreuzes ist Zeugnis für die in jener Zeit übliche Ästhetisierung des Kriegs, wie sie unmißverständlich in einer lyrischen, mit verstiegenem Metaphern besetzten Rede des Kapitänleutnants zum Ausdruck kommt. Zwar erobert sich Mahlke durch außerordentliche Taten erneut den Orden, wird in kurzer Zeit Panzerkommandant, aber sein Versuch, sich, hochdekoriert, durch einen Vortrag im Gymnasium zu rehabilitieren, scheitert am spießigen Pseudoethos des Oberstudienrats. Verzweifelt desertiert er; beim Versuch, in seine Schiffskabine zu tauchen, verunglückt er vermutlich. Mahlkes übergroßer Adamsapfel, die Objekte, die ihn kaschieren sollen, und die Versuche, diesen >Fehler< zu kompensieren, entspringen der exakten Phantasie des Autors, einer Phantasie, deren bizarre Produkte stets den Charakter praller Realität haben - dank der sinnlichen Kraft von treffend charakterisierenden Verben, von Appositions- und Adjektivreihen, die jedes Detail mit bedrängender Genauigkeit fixieren. Erst die mit provozierender Schärfe dingfest gemachten, phantastischen Eingebungen können die schematischen Wirklichkeitsvorstellungen des Lesers aufsprengen und die hintergründige Beispielhaftigkeit der Existenz Mahlkes ins Bewußtsein haben. Daher übt Grass sich in der Verknappung des Vordergründigen, in der Durchbrechung von Tabus - Anlaß und Ablauf einer ausgiebigen Onanieszene werden effektvoll als Chiffre für Mahlkes >heroische< Existenz präsentiert -, in der Reduktion banaler Fakten auf kleinste Erzählsplitter und im beunruhigenden Wechsel zeitlicher Perspektiven oder syntaktischer Gebilde: Vorausgriffe und Rückblenden überspielen das herkömmliche chronologische Erzählgerüst; weit ausgreifende, dynamisch fortdrängende Perioden kontrastieren mit lakonischen telegrammartig verkürzten Sätzen.


Kontrapunktisch zu solchem Wechsel wirkt die festgefügte, dicht verspannte Komposition, in der auch die scheinbar zufälligste Beobachtung, das scheinbar beliebigste Detail gewichtige Bedeutung gewinnt, indem Grass es. durch Reprise und Variation, in den Rang eines Leitmotivs, einer Sinnfigur erhebt. Ohne Zweifel liegt >sein Geheimnis in dem prekären und einzigartigem Gleichgewicht, das er zwischen seiner anarchischen Einbildungskraft und seinem überlegenen Kunstverstand herzustellen vermocht hat<

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