Kindheit und schulzeit - 1899 bis 1919
Kindheit und Schulzeit – 1899 bis 1919
"Dresden war eine wunderbare Stadt, voller Kunst und Geschichte und trotzdem kein von sechshundertfünfzigtausend Dresdnern zufällig bewohntes Museum. Die Vergangenheit und die Gegenwart lebten miteinander im Einklang. Eigentlich müßte es heißen: im Zweiklang. Und mit der Landschaft zusammen, mit der Elbe, den Brücken, den Hügelhängen, den Wäldern und mit den Gebirgen am Horizont, ergab sich sogar ein Dreiklang. Geschichte, Kunst und Natur schwebten über Stadt und Tal, vom Meißner Dom bis zum Großsedlitzer Schloßpark, wie ein von seiner eignen Harmonie bezauberter Akkord."
Dieses Porträt der sächsischen Stadt Dresden gibt Erich Kästner in seinem Buch "Als ich ein kleiner Junge war", welches er im Alter von achtundfünfzig Jahren verfaßte.
In vielen weiteren Büchern dieses deutschen Autors kann man ähnliche Textstellen beobachten, in denen er Eindrücke und Erfahrungen aus seiner Vergangenheit niederschreibt.
Erich Kästner kam nach siebenjähriger Ehe der Eltern am 23. Februar 1899 in der Königsbrücker Straße 66 in Dresden zur Welt. Er sollte das einzige Kind in dieser Familie bleiben. Sein Vater, der stille, arbeitsame, solide Emil Kästner, stammte aus einer Handwerker Familie. Mit seinen handgenähten Sätteln, Rucksäcken oder Taschen hatte er als Sattlermeister wenig Chancen gegenüber den vielfach billigeren Fabrikserzeugnissen dieser Zeit.
Erich Kästners Mutter Ida, geborene Augustin, kam aus einer sächsischen Familie, die sich mit einer Metzgerei und einem Pferdehandel halbwegs etabliert hatte. Schließlich heiratete sie am 31. Juli 1892 Emil Kästner in der protestantischen Kirche zu Börtewitz.
Trotz aller Erfolgswünsche der Verwandten und der strebsamen Tüchtigkeit der jungen Eheleute konnte sich das neu eingerichtete Sattlereigeschäft in Döbeln nur drei Jahre halten, bevor Emil Kästner alles verkaufen mußte und mit seiner Frau nach Dresden zu ziehen, um dort in einer Kofferfabrik eine Anstellung zu finden. Aber auch hier kam die junge Familie mit dem Lohn des Vaters alleine nicht zurecht. So begann Ida Kästner damit, zuhause Leibbinden im Stücklohn zu nähen, da sie ihren späteren Kindern eine halbwegs gesicherte Existenz bieten wollte.
Durch diesen kleinen Nebenerwerb konnte das Paar sowohl die vom Geschäft hinterbliebenen Schulden tilgen als auch ein halbwegs normales Leben führen.
1899 wurde schlußendlich der erste und einzige Sohn Erich geboren, und von diesem Zeitpunkt an ging es auch mit der Familie bergauf. Seine Mutter besorgte eine größere Wohnung und begann, als der Sohn schon in der Schule war, eine Lehre als Friseuse. Später konnte Ida Kästner dieses Gewerbe selbständig ausüben. Wie man sieht tat sie alles, um ihrem Sohn Erich bessere Startbedingungen fürs Leben zu schaffen und ihm eines Tages vielleicht den Besuch einer höheren Schule zu ermöglichen. Die Mutter dachte also schon über die Zukunft ihres Jungen nach, obwohl dieser noch nicht einmal das Alter von fünf Jahren erreicht hatte.
Interessant ist auch daß die Untermieter in der Wohnung der Familie Kästner immer Lehrer waren. Diese Welt der Schule mit Heften, Büchern und Tinte, wie er sie zuhause tagtäglich sah, gehörte zum vertrauten Alltag des Vier- und Fünfjährigen, der damals schon genau wußte, daß er einmal Lehrer werden wollte.
Ostern 1906 begann für Erich Kästner die Schulzeit. Er besaß einen starken Willen und war erfahren, was den Umgang mit Lehrern betraf. Der Wunsch der Mutter, daß ihr Sohn ein guter Schüler werden möge, erfüllte sich vom ersten Tag an. Dieser war wissenshungrig, eifrig und ging vor allem gerne in die Schule.
Außerdem unterstützte er seine Mutter oft im Haushalt, machte Einkäufe oder kümmerte sich um das Mittagessen. Durch diverse Botenaufgaben, die er von seinem reichen Onkel Franz August erhielt, verdiente sich Erich etwas Geld. Wieviel Zeit ihm nun eigentlich zwischen der Schule, dem Lernen, seinen vielen Jobs und seiner Leidenschaft dem Bücherlesen noch zum Spielen blieb, gibt Erich Käster in seinen Erinnerungen an die Jugend nicht an. Jedoch beschreibt er ausführlich, wie er mit Schulkameraden ausgiebig am Exerzierplatz der Dresdner Garnison spielt. Da dem Vater nach der Arbeit in der Fabrik nur wenig Zeit blieb, erfolgte die Erziehung des Sohnes in erster Linie durch die Mutter, die sich oft mit Lehrer Schurig, der als Untermieter im Hause Kästner wohnte, beriet. Der Vater mußte sich mit der hohen Autorität der Mutter abfinden und gab sich mit dem Unterschreiben von den Zeugnissen zufrieden.
Ansonsten hatte Emil Kästner eher wenig zu sagen, womit er sich offensichtlich auch abfand.
Eine andere schöne Kindheitserinnerung des Schriftstellers sind die ausgedehnten Wanderausflüge mit seiner Mutter. Als Erich acht Jahre alt war, beschloß die Mutter mit ihrem Sohn auf Wanderschaft zu gehen. In seinen Büchern beschreibt er gerne die Ausflüge in den Thüringer Wald und in das Böhmische Mittelgebirge. Die Wanderzeit lag in der Schulferien und dauerte unterschiedlich lang, einmal nur eine Woche, das andere Mal ganze drei Wochen. Die Schulferien waren jedes Jahr für Wanderungen reserviert.
Diese Unternehmungen in der Kindheit waren wohl die intensivsten Reiseerlebnisse Erich Kästners überhaupt. Er ist später, das gesteht er mehr als einmal, nur sehr ungern gereist und mußte deshalb auch die eine oder andere Einladung ablehnen. Auch bei diversen Kuraufenthalten zog es der Schriftsteller lieber vor, den Tag im Kaffeehaus zu verbringen als in der freien Natur. Eine andere Gewohnheit aus der Jugend behielt er jedoch bei, nämlich ins Theater zu gehen. Mit zehn Jahren begann er zusammen mit seiner Mutter allen möglichen Theateraufführungen der Dresdner Oper beizuwohnen, von Goethes "Faust" bis hin zu Stücken von Richard Wagner.
Insgesamt flossen die Schuljahre, wie er selbst meinte, still und friedlich dahin.
Da die Familie Kästner nicht besonders wohlhabend war und ein Studium kaum finanzierbar war, faßte man den im Vorschulalter gefaßten Berufswunsch Lehrer zu werden ernsthaft ins Auge. Für die begabten Kinder armer Leute gab es damals eine besondere Unterstützung von Seiten des Staates, die ihnen ein Studium an einem Lehrerseminar ermöglichte. Mit vierzehn Jahren, Ostern 1913, schaffte Erich ohne größere Probleme die Aufnahmeprüfung des Fletcherschen Lehrerseminars. Allein durch seine Intelligenz und seinen Eifer hatte er einen ersten sozialen Aufstieg geschafft, in dem auch die Mutter Bestätigung für ihre Mühen fand. So ausgezeichnet der Unterricht war, so sinnlos erschien an diesem Lehrerseminar der Disziplinierungsmechanismus. Die Schüler mußten sich stets korrekt und diszipliniert verhalten, jedes Vergehen wurde ernsthaft bestraft.
Erich Kästner betrachtete diesen Drill in der Kinderkaserne später sehr kritisch. Er meinte diese Erziehung diente dazu, den Kindern jegliche Eigenständigkeit, Selbstbestimmung und die Fähigkeit selbständig zu denken zu nehmen. Diesen Stoff hat er außerdem in einigen seiner Bücher verarbeitet.
Zu Beginn des ersten Weltkrieges im August 1914 veränderte sich das Leben für den Jungen Erich Kästner nur wenig. Zusammen mit seiner Mutter und seiner Cousine verbrachte er einen durch die Verwandtschaft ausreichend finanzierten Urlaub an der Ostseeküste. Diese Wochen waren durch Unbeschwertheit und Sorglosigkeit gekennzeichnet.
Obwohl der Jugendliche mit vielen positiven Eigenschaften ausgestattet war, interessierte er sich nicht für Politik, der Krieg war ihm schlichtweg egal. Jedoch nachdem der erste Weltkrieg auch nach mehreren Jahren nicht zu Gunsten Deutschlands entschieden werden konnte und die Todesnachrichten gefallener Kameraden im Lehrerseminar kursierten, wurde aus Erich Kästner schließlich ein kritischerer Mensch. Das Brett mit den Namen der Gefallenen im Klassenzimmer hinterließ Eindrücke, die er niemals wieder vergaß. Diese Jahre mit der Angst vor Sterben und der sinnlosen Züchtigung im Lehrerseminar brachten den Heranwachsenden erstmals in Konflikt mit sich selbst. Er distanzierte sich immer Mehr von seinem so geliebten Berufswunsch. Mit achtzehn Jahren erhielt Kästner seinen Einberufungsbefehl.
Der zuvor in der Schule durchgestandene Drill setzte sich nun in der Armee fort. Was Kästner sah und erlebte, grub sich tief in sein Gedächtnis ein. Der Haß auf den Kadergehorsam, seine unversöhnliche Haltung gegenüber Militarismus und Krieg haben auf dem Exerzierplatz ihre Wurzeln. Unter den Ausbildern gab es einen gewissen General Waurich, der ihn solange quälte bis er mit Herzbeschwerden ins Lazarett eingeliefert werden mußte. Diesen Ausbilder hat Kästner in seinen Gedichtbüchern festgehalten, wie ein Gedicht am Ende der Biographie zeigt. In der Erzählung "Duell bei Dresden" beschreibt er das Schicksal des jungen Helden Graff, der zusammen mit anderen Schülern unter das Kommando eines Kompanieführers namens Kinne gerät.
Wie Kästner damals bricht auch Graff unter der Tortur des Strafexerzierens zusammen und muß ins Hospital eingeliefert werden. Nach dem Krieg trifft sich der schwer herzkranke Soldat mit seinem ehemaligen Peiniger Kinne, um bei Dresden ein Duelle auszutragen. Bevor er jedoch schießen kann bricht Graff tot zusammen, und somit bleibt die Rache unvollstreckt.
Nach Ende des Krieges kehrte Kästner zu seinen Eltern in die Königsbrücker Straße zurück. Lehrer wollte er nicht mehr werden, weil ihm dieser Beruf als nicht ideal erschien. Seine Interessen hatten sich verschoben und er wollte anstatt Lehrer zu werden studieren.
Hingegen allen Befürchtungen erhielt er die Erlaubnis von seiner Mutter, 1919 an das Gymnasium zu wechseln. Ohne Probleme lernte er Englisch nach und beginnt im selben Jahr auch mit dem Schreiben. Er liefert Beiträge für die Schülerzeitung und verfaßt Gedichte für eine lokale Theaterzeitschrift. Das Abitur bestand er mit Auszeichnung, und von der Stadt Dresden erhielt er ein Stipendium für seine besonderen schulischen Leistungen. So fand sich Erich Käster im Herbst 1919 als Student der Germanistik, der Zeitungskunde, der Theaterwissenschaften, der Philosophie und der französischen Literatur in Leipzig wieder.
Studentenjahre in Leipzig – 1919 bis 1927
Mit zwanzig Jahren ging Erich Kästner nach Leipziger, wo er sich ein Zimmer mietete und mit seinem Universitätsstudium begann.
Bei seinen Professoren und Dozenten hatte er von Anfang an einen guten Stand, da diese seine logischen und scharfsinnigen Darlegungen in den Seminaren zu schätzen wußten. 1920 wurden drei seiner Gedichte in die kleine Anthologie mit dem Titel "Dichtungen Leipziger Studenten" aufgenommen. Jedoch sind diese Stücke sehr atypisch, was seinen späteren Stil betrifft. Kästner hatte damals noch kein eigenes Thema, nichts ist satirisch zupackend. Es waren mehr dichterische Versuche als dichterisches Anliegen. In diesen Jahren spielte der Student, der je nach finanzieller Lage mehr oder weniger oft das Theater besuchte, immer wieder mit den Gedanken, Regisseur oder Dramaturg zu werden.
In den Semesterferien machte er durch Zufall die Bekanntschaft mit dem damals sehr bekannten Regisseur Berthold Viertel, der ihn zu Proben an den Dresdner Bühnen einlud. Eine Schauspielerin fühlte sich aber durch die Anwesenheit eines Fremden bei den Proben gestört, und so nahmen die Theaterambitionen Kästners vorerst ein Ende. Er begnügte sich hingegen mit dem Schreiben von Theaterrezensionen.
Nach einigen Semestern an den Universitäten von Berlin und Rostock, wo er übrigens seine langjährige Freundin Ilse Beeks kennenlernte, zu Beginn der zwanziger Jahre ging er wieder zurück nach Leipzig. Durch die Inflation wurde sein Studium zunehmend erschwert, und nur durch Gelegenheitsarbeiten konnte sich der junge Mann über Wasser halten. In den letzten Wochen der Inflation fand er aber dann Dank seines Talents und seiner guten Verbindungen eine bessere Nebenbeschäftigung, die bald schon zum Beruf werden sollte.
Aufgrund einer Glosse zum Thema Geldentwertung, die er an das "Leipziger Tageblatt" schickte, kam es zu einem Gespräch mit dem Verlagsdirektor dieser Zeitung. Er bot Kästner eine Stelle als Redakteur an, die dieser auch sofort annahm. Nun war Erich Kästner sowohl Student als auch Redakteur. Tagsüber besuchte er die Vorlesungen, in der Nacht ging er seinem Nebenberuf nach. Offensichtlich hat ihm diese Abwechslung Spaß gemacht, als Streß hat er sie nicht empfunden. Im Gegenteil, er nahm sogar noch weitere Stellen bei anderen Zeitungen, wie der liberal eingestellten "Neuen Leipziger Zeitung" an.
Am 15. Oktober 1924 beendete er schließlich das Studium. Leipzig bot Kästner ideale Voraussetzungen. Das Studium war exzellent, und außerdem war diese Stadt auch das Zentrum des Druckerei- und Verlagswesens. Angehende Schriftsteller wie er konnten leicht ihre Werke in Zeitungen unterbringen. Ab 1921 arbeitete der junge Erich Kästner regelmäßig an drei Magazinen, zumeist unter dem Pseudonym Peter Flint, aber auch unter seinem richtigen Namen.
Außerdem arbeitete der junge Erich Kästner an dem populären, deutschen Familienblatt "Beyers für Alle" mit. Zusammen mit seinem Freund Erich Ohser gestaltete er Bildergeschichten mit Versen für den Kinderteil. Man wollte den Kindern Abwechslung und Spaß bieten und forderte diese auch zur eigenen Mitarbeit auf. Jeder konnte seine persönlichen Wünsche per Post übermitteln lassen. Ein Beispiel für eine Arbeit Kästners findet sich übrigens im Anhang. Neben der "Neuen Leipziger Zeitung" und den diversen Magazinen gab es in Leipzig noch weitere Möglichkeiten für Nebenarbeit, die einem talentierten Journalisten wie Kästner Spaß machten.
Für die republikanische, satirische Wochenzeitschrift "Der Drache", bei der Schriftsteller wie Joseph Roth oder Joachim Ringelnatz mitwirkten, schrieb er besonders politische Satiren, die sich meistens gegen den Kapitalismus richteten.
Obwohl er jetzt hauptberuflich Redakteur war und nur mehr selten zum Studieren kam, beendete er seine Tätigkeiten an der Universität mit der Promotion zum Dr. Phil. Am 4. August 1925. Auch diese Prüfungen bestand er mit Auszeichnung.
Kästner stand nun ganz auf seinen eigenen Füßen. Er hatte eine feste Anstellung, mit dem Studium war er fertig, er wohnte in einer größeren Wohnung und war vollkommen unabhängig von seinen Eltern. Er danke seine Mutter für die vielen Mühen mit einer Auslandsreise in die Schweiz und nach Oberitalien.
Die folgenden Jahre arbeitete er bei der Zeitung und fühlte sich anscheinend im Kreis seiner Kollegen sehr wohl. Er galt als freundlich, liebenswürdig und charmant. Einige Probleme hatte mit seinem Chef, der von seinen Mitarbeitern strikte Pünktlichkeit verlangte.
Kästner mochte ihn überhaupt nicht, was man auch in einigen Werken nachlesen kann. Beispielsweise rächte er sich an diesem Pünktlichkeitsfanatiker, indem er ihn in seinem Roman "Fabian" als "Herr ohne Blinddarm verewigte". Der Direktor hatte sich nämlich ebenfalls einer Blinddarmoperation unterzogen. Auf Verlangen des Verlages wurde diese Textstelle aber herausgenommen.
Um die Mitte der zwanziger Jahre verfaßte er Artikel für die Zeitungen "Tage-Buch" und "Weltbühne". Durch diese Veröffentlichungen wurde Kurt Tucholsky auf Kästner aufmerksam.
Die beiden führten einen angeregten Briefwechsel, und einige Briefe sind heute noch erhalten. Die zunehmend kritischeren Äußerungen des jungen Autors in seinen Artikeln führte in der folge zu einem Rauswurf aus der "Neuen Leipziger Zeitung, und Kästner war gezwungen nach Berlin zu ziehen, wo er einen neue Stelle bei einer Zeitung belegte.
Erich Kästner in Berlin – 1927 bis 1929
"Wenn ich 30 Jahr bin, will ich, daß man meinen Namen kennt. Bis 35 will ich anerkannt sein. Bis 40 sogar ein bißchen berühmt. Obwohl das Berühmtsein gar nicht so wichtig ist.
Aber es steht nun mal auf meinem Programm. Also muß es klappen. Einverstanden?" Erich Kästner hatte schon damals den festen Vorsatz berühmt zu werden, was er auch in einem Brief an seine Mutter 1926 schilderte. In Berlin war er auf dem besten Weg dazu. Im Herbst 1927 trat der Verleger Curt Weller an ihn heran und bat ihn, mehrere seiner Gedichte in einem eigenen Band zusammenzufassen. Für "Herz auf Taille" lieferte Erich Ohser die Illustrationen, und nach wenigen Woche wurde ein Heft mit insgesamt neunundvierzig Gedichten Kästners über Großstadtprobleme, Kaffeehausmilieu oder Hotelzimmererotik herausgegeben.
Bereits in diesem ersten Gedichtband kann man seine ablehnende Haltung gegenüber Militarismus, Krieg und Staat klar erkennen. Das konsequente Nein zum Krieg und die Warnung vor dem Wiederholungsfall sind auch in den folgenden drei Bänden Kästners nicht zu überhören, ebenso der Ruf zur Besinnung, die Mahnung zur Vernunft. Spätestens jetzt war er in Deutschland ein bekannter Autor geworden und erhielt viel Lob von den verschiedenen Zeitungen. "Endlich saß man wieder vor einem Gedichtbuch wie vor einem Abenteuerroman Londons oder wie vor einem Chaplin Film, gepackt, begeistert." Leipziger Volkszeitung. "Was er nüchtern und wahrhaftig feststellt, er wundervoll zu formulieren weiß, so treffsicher, daß der Leser seine helle Freude daran hat und rote Backen bekommt.
" Berliner Volkszeitung. Die übermütigen Zeichnungen Ohsers, dessen Art Kästner sehr schätzte, trugen auch wesentlich dazu bei, daß die Bände reißend Absatz fanden. Mit dem Verdienst von einigen hundert Mark aus dem ersten Werk machten die beiden eine Reise nach Paris.
Im Herbst 1928 begann Erich Kästner auf Anregung einer Verlegerin mit dem Schreiben von Kinderbüchern. Es galt ein gutes Werk für Kinder von einem Deutschen Autor herauszubringen, und nach einigen Wochen hatte er einen Band mit Kurzgeschichten und seinen ersten Roman für Kinder "Emil und die Detektive" geschrieben. In diesem Buch verarbeitet er viele der Erlebnisse aus seiner bewegten Kindheit.
So war er sebst einmal mit einer detektivischen Aufgabe konfrontiert gewesen. Dieses Buch wird im Anhang näher erläutert. "Emil und die Detektive" ist bis heute Kästners berühmtestes Kinderbuch geblieben. In den Jahren wurde es zahlreich verfilmt und verarbeitet. In einer präzisen und packenden Sprache wurden Themen der damaligen Zeit verarbeitet, was das Buch so interessant macht. Der Held dieses Buches Emil Tischbein ist eigenständig, klug aber auch kooperativ und zuvorkommend.
1930 begann die UFA mit der Verfilmung dieses Werkes. Die bekannten Illustrationen für Kästners Kinderbücher lieferte Walter Trier.
1929 übernahm er erstmals einen größeren Auftrag für den Rundfunk. Es entstand für den Sender Breslau ein aktuelles Sendemanuskript für ein Hörspiel mit dem Titel "Leben in dieser Zeit". Mit diesem ersten Theaterstück zeigt er die Existenzangst und Orientierungslosigkeit der Arbeiter in Zeiten des Kapitalismus auf und beschreibt die Weltwirtschaftskrise. Das Stück wurde ein großer Erfolg und wurde schließlich als Theaterstück in viele Bühnen aufgenommen.
Die Musik zu Kästners Hörspielen lieferte der musikalische Leiter des Senders Breslau Edmund Nick. Mit "Leben in dieser Zeit" wurde Kästner zu einem richtigen Bühnenautor. Zuvor war er ja nur Zuschauer und Kritiker gewesen. Bis dahin hatte Erich Kästner soviel Geld verdient, daß er sich zusammen mit seiner Freundin Pony eine eigene Wohnung in Berlin Charlottenburg leisten konnte. Die Zeiten der Untermieten waren nun vorbei. Die drei Jahre in Berlin waren zweifellos eine sehr produktive Zeit, in der Kästner auch seinen Durchbruch schaffte.
Außerdem belieferte er die bekanntesten Zeitungen Deutschlands und lernte immer mehr Künstler und andere Schriftsteller kennen. Er war ein gefragter Mann und vor allem unter der Bevölkerung sehr bekannt.
Am 26. April 1930 unternahm er mit seinem Freund Erich Ohser eine zehntägige Reise nach Rußland. Obwohl die gesamte Reise normal und ohne Probleme verlief, hat sie Kästner dennoch sehr geprägt. Er spricht von Zweimillionenstädten mit Sümpfen und kleinen Holzdörfern.
Seiner Meinung nach ist er einer ganz anderen Welt begegnet. Es blieb weiters seine erste und einzige Begegnung mit Sowjetrußland, jenem Land, in dem sein Emil längst Schullektüre für den Deutschunterricht geworden war und in dem seine Gedichte in hohen Auflagen gelesen wurde.
Für Kästner, der seine Sprechstunden und alles, was mit der Arbeit zusammenhing, konsequent ins Kaffee verlegt hatte, brachte das Jahr 1930 noch eine weitere wichtige Begegnung. Sein dritter Gedichtband "Ein Mann gibt Auskunft" war gerade in den Druck gegangen, als der aus Berlin stammende Regisseur Billy Wilders an ihn herantrat und die Verfilmung eines seiner Werke vorschlug. Trotz anfänglicher Skepsis, für Kästner war die Filmindustrie künstlerisch noch zu wenig fortgeschritten, willigte er ein. Sein erster Film hieß "Dann schon Lieber Lebertran", der von Kindern handelt, die auf ihren Wunsch in die Rolle ihrer Eltern geraten, da sie am Abend nicht mehr den zwar gesunden, aber bitteren Lebertran zu sich nehmen wollten.
Nach einem Tag in den vertauschten Rollen sehnen sie sich aber schon wieder nach der Kindheit. 1933 kam schließlich "Emil und die Detektive" in die Kinos, ohne Zweifel ein großer Erfolg. Dieser Film wurde auch noch weit nach 1933, auch als Kästner unter den Nazis verboten war, ausgestrahlt. In dieser Zeit wurde auch ein weiteres berühmtes Kinderbuch, nämlich "Pünktchen und Anton", geschrieben.
Die ablehnende Haltung gegenüber dem Krieg zeigt sich bereits zu Beginn der dreißiger Jahre, als die Nationalsozialisten immer mehr Stimmen gewinnen. Hier ein Auszug aus einem Weihnachtsgedicht von 1930 in der "Weltbühne" – eine Bitte an den Weihnachtsmann:
Und nach München lenk die Schritte,
wo der Hitler wohnen soll.
Hau dem Guten, bitte, bitte,
den Germanenhintern voll!
Komm, und zeige dich erbötig,
und verhau sie, daß es raucht!
Denn sie haben's bitter nötig.
Und sie hätten's längst gebraucht.
Kästner hatte die drohende Gefahr real erkannt, und seine Haltung würde ihm noch große Probleme mit den Nazis bereiten. In weiteren Gedichten warnt er vor einem Krieg und tausenden Toten.
Der streitbare Moralist – 1931 bis 1933
Kästners polemische Lyrik war nicht nur in großen Tageszeitungen und satirischen Zeitschriften zu finden, sondern auch auf den Podien der kleinen und großen Kabaretts. Die Verbindung entstand schon, als seine Gedichte noch gar nicht in Buchform erschienen waren.
Von einer ständigen Mitarbeit konnte aber die Rede sein, als er in engeren Kontakt zu den Schauspielern, Direktoren und Komponisten des Berliner Kabaretts trat. Um 1929 begann er mit dem Schreiben von Chansons. Ende der zwanziger Jahre gab es keine Diseuse von Rang, die nicht Kästner Chansons im Repertoire hatte oder sich welche wünschte. Für die Titelbilder der Programme der Stücke lieferte meistens Walter Trier die Vorlagen. Er zeigte, daß seine Bilder nicht nur für Kinderbücher geeignet waren, sondern auch satirisch sein konnten. Er kritisierte zum Beispiel die Untugenden der Boulevardpresse oder den Amerikafetischismus der zwanziger Jahre.
Kästner schrieb Chansons besonders für Trude Hesterberg oder Annemarie Hase, mit denen er viele Jahre zusammenarbeitete. Zwischen 1928 und 1933 gab es in Berlin eine beachtliche Zahl guter Kabaretts, die Kästner sehr schätzte, aber keines hat einen so nachhaltigen Einfluß auf ihn ausgeübt wie Werner Fincks "Katakombe. Hier ergaben sich die Kontakte zu Ernst Busch und Kate Kühl. Viele dieser Bekanntschaften nach er nach dem zweiten Weltkrieg wieder auf. Um 1931 waren Kästners Chansons auf Grund ihrer Bissigkeit und Witzigkeit ebenso populär wie die "Anna-Luise" von Tucholsky oder die "Kleptomanin" von Friedrich Hollaender. Neben den Chansons schätzte er aber auch Volksweisen und Epigramme.
Zwischen all diesen sehr zeitraubenden Tätigkeiten auf der Bühne fand er aber auch noch die Zeit einen weiteren Roman zu schreiben. Dieser sollte nicht für Kinder, sondern für Erwachsene sein. Den Plan einen satirischen Zeitroman für Erwachsene zu verfassen hat Erich Kästner wohl schon lange vorher gehegt, als er noch in Leipzig tätig war. Man erinnere sich an die vorher schon erwähnte Geschichte mit dem Direktor und dem Blinddarm, die in diesem Werk zu finden ist. Als das Skriptum aber in den Druck gehen sollte, intervenierte die Verlagsleitung, und zwei Kapitel mußten herausgestrichen und der Titel geändert werden. Der Titel "Der gang vor die Hunde" wurde abgelehnt, und so hieß sein erster Roman für Erwachsene "Fabian – die Geschichte eines Moralisten".
Fabian ist das Buch Kästners, das die moralischen Intentionen und weltanschaulichen Positionen seines Autors am stärksten zur Geltung bringt. In der Form einer schonungslosen Satire auf der Krise des bürgerlichen Gesellschaftssystems ist "Fabian" der Roman zwischen Hoffnung und Verzweiflung, verkörpert in den beiden Hauptgestalten Fabian und Labude. Stärker noch als die Gedichtbände präsentiert er sich als Zerrspiegel vom Untergang einer Gesellschaft, indem er den Zustand der Krise in Form fotografischer Nahaufnahmen schildert, deren Optik er absichtlich verzerrt, um das Chaos deutlicher zu machen. Mit dem ersten Titel wollte Kästner vor dem drohenden Untergang Deutschlands und Europas waren. Die Inhaltsangabe und die Interpretation finden sich im Anhang. Wegen der radikalen Haltung seines Buches wurde Kästner 1931 in den Kritiken von rechts maßlos attackiert als "Autor der nationalen Schande".
Es fielen Ausdrücke wie "zersetzend", "Schund und Schmutz", "Asphaltliteratur". Die kommunistische Partei lobte hingegen das Buch und feierte den Autor. Trotz Fürsprache angesehener Zeitschriften und namhafter Kritiker hat "Fabian" lange Zeit zu den umstrittenen Werken gehört. Das lag an der Brisanz des Themas und Kästners Mut. Bis Januar 1932 betrug die Auflagenhöhe bereits 20000 Exemplare. Und immer wieder war das Buch vergriffen.
Anderthalb Jahre nach der Veröffentlichung waren bereits Übersetzungen in über neun Sprachen vorhanden, von Englisch über Russisch bis Ungarisch. Die soziale Lage in Deutschland um 1931 glich genau den in "Fabian" beschriebenen Zuständen.
In den dreißiger Jahren spitzte sich die politische Situation immer mehr zu. Deutschland wurde geplagt von hohen Arbeitslosenzahlen und politischer Unordnung. Die Regierung der Weimarer Republik hatte das Land nicht mehr unter Kontrolle, und eine nach der anderen Notverordnung trat in Kraft. Die Demokratie geriet immer mehr in Bedrängnis.
Erich Kästner setzte zwar die mit den Verlagen vereinbarte Arbeit fort, fürchtete aber um seine Existenz als freier Schriftsteller.
Als verbotener Autor in Deutschland – 1933 bis 1945
Ein Jahr nach Erscheinen des Buches fand in Berlin einen Großkundgebung statt, die zu einer der eindrucksvollsten Aktionen gegen die Hitlerdiktatur werden sollte. Um ihrem Kampfwillen Ausdruck zu verleihen marschierten am 25. Januar 1933 über 150 000 Kommunisten, Sozialdemokraten und Parteilose in Berlin auf. Nachdem Hitler von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden war, rief man auch Künstler und Schriftsteller zum Protest auf. Mit der Hilfe prominenter Personen, wie beispielsweise Albert Einstein, Heinrich Mann, Käthe Kollwitz und zahlreichen anderen, wollte man die faschistische Diktatur verhindern.
Unter den Teilnehmern dieser Kampagne befand sich natürlich auch Erich Kästner, der einige Gedichte beisteuerte.
In den entscheidenden Wochen des Machtwechsels in Deutschland befand sich Kästner auf einer Urlaubsreise in der Schweiz. Als am 27. Februar 1933 der Reichstag brannte, hielt er sich in Zürich auf. Trotz allen Warnungen der in die Schweiz emigrierten Flüchtlinge und Freunde kehrte er dennoch in sein Heimatland zurück. In einem Epigramm gibt er später Gründe dafür an.
Es habe in zurück in seine Heimat gezogen, wo er, wenn es sein müsse, auch sterben wolle. Seine Zukunft in Berlin war zu dieser Zeit ungewiß. Er wußte nicht, ob und wann er sich einer Hausdurchsuchung unterziehen müßte. Es geschah aber vorerst nichts. Einige seiner engen Freunde waren entweder schon tot oder verhaftet worden. Er selbst stand ohne daß er es wußte bereits auf der Liste der Gegner der Nazis.
Von Kästner waren alle Werke verboten mit Ausnahme des Kinderbuches "Emil und die Detektive". Man wollte es nicht riskieren, dieses beliebte Buch zu verbieten, da man ansonsten auf Unverständnis gestoßen wäre. Schon bald waren alle Bibliotheken von Kästner Werken gesäubert. Nun gehörte er zu den verbotenen Dichtern.
Am 10. Mai 1933 wurden schließlich in einer groß angelegten Aktion in Anwesenheit der Presse und zahlreicher Zivilisten Bücher von insgesamt einundzwanzig Autoren in Berlin verbrannt.
Dies ging unter der persönlichen Anleitung von Propagandaminister Goebbels über die Bühne. Kästner war selbst Augenzeuge dieses Ereignisses. Er stand anonym unter der Menge der Schaulustigen und lauschte den Parolen gegen Publizisten und Schriftsteller.
Die Ereignisse des Jahres 1933 machten zweifellos eine Neuorientierung erforderlich. Kästner wollte auf jeden Fall in Deutschland bleiben, koste es was es wolle. Außerdem entschied er weiter zu arbeiten.
Jedoch konnte es sich in seinen Werken nicht mehr um kritische, politisch, akzentuierte Stoffe handeln, selbst wenn die Bücher im Ausland erschienen. Von den Nazis erhielt Kästner glücklicherweise dieses Privileg, weil er dadurch zum Devisenbringer wurde. Natürlich unterstand er der Zensur und konnte deshalb auch nichts gegen das Hitlerregime unternehmen. Er konnte in seiner Situation also nichts gegen das Dritte Reich schreiben, um so weniger, als er schon vor 1933 den Nazis verhaßt war, wie tausend satirische, pazifistische, humanistische oder konservative Autoren, die ins Exil gingen. In den Jahren bis 1938 wurden mehrere Werke im Ausland veröffentlicht, die aber mehr einen unterhalterischen Wert hatten als einen kritischen. Dafür erntete er heftige Kritik seiner ins Ausland geflohenen Kollegen, wie Klaus Mann, der sich über seine eher unpolitische Haltung erbost zeigte.
In der zeitlichen Abfolge: 1933 "Das fliegende Klassenzimmer", 1934 "Drei Männer im Schnee" sowie "Emil und die drei Zwillinge", 1935 "Die verschwundene Miniatur", 1936 "Doktor Erich Kästners lyrische Hausapotheke", 1938 "Georg und die Zwischenfälle" und im selben Jahr als letztes Buch "Till Eulenspiegel". In der Zeit nach Beginn des zweiten Weltkrieges schrieb Kästner keine Bücher, es entstanden lediglich Entwürfe für spätere Werke. Das Erscheinen seiner Bücher im Ausland sicherte Erich Kästner die materielle Existenz und bedeutete gleichzeitig einen gewissen Schutz für seine Person. Solange Werke von ihm immer wieder auf dem Buch- und Filmmarkt im Ausland präsent waren, war es komplizierter, seine Existenz anzugreifen. Jedoch sollte dies nicht mehr lange so sein, da die Nazis mit der Beschlagnahmung der Konten ihrer Feinde begannen. So saß der Autor nach einigen Monaten mehr oder weniger auf dem Trockenen.
In der Folgezeit mehrten sich die Angriffe auf Kästner von Seiten der Nazis. In Propagandaschriften ging man massiv gegen ihn und andere Autoren, wie Berthold Brecht, vor. In den Leihbüchereien verschwand sein Name allmählich und an die Stelle seiner Werke traten Bücher wie "Hitlerjunge Quex" von Aloys Schenzinger. Unter der Bevölkerung erfreuten sich seine Stücke aber ungetrübter Beliebtheit. Viele Leser beschafften sich auch Exemplare im Ausland. Man entzog Kästner ein weiteres Standbein, als die Nationalsozialisten 1935 die letzten zwei Kabaretts in Berlin schlossen, an denen Kästner bis zur deren Liquidation mitgearbeitet hatte.
Man rechtfertigte das Verbot beider Bühnen mit der angeblichen Gefahr, die sie für das Volk und den Staat darstellten. Kästner wurde von jetzt an sehr vorsichtig, beschränkte sich auf einen festen, ihm bekannten Personenkreis und vermied neue Bekanntschaften, mußte aber feststellen, daß viele seine alten Freunde auf die andere Straßenseite wechselten, wenn sie ihn kommen sahen. Der Kreis um Kästner lichtete sich immer mehr, und auch Trier wanderte nach London aus.
1936 erschien in Österreich und der Schweiz der Gedichtband mit dem Titel "Doktor Erich Kästners lyrische Hausapotheke", der auch ein großer Erfolg wurde. Er enthielt witzige, satirische Gedichte mit viel Humor, Übertreibung und Ironie und sollte eine Medizin zum Lesen gegen die alltäglichen Leiden sein. Obwohl auch dieses Werk in Deutschland verboten war, waren dennoch viele Exemplare im Umlauf.
In den Jahren der faschistischen Okkupation in Polen wurde dieser Band sogar in handgeschriebener Form verbreitet. Heute kann man eine solche Schrift im jüdischen Museum in Warschau betrachten.
In den letzten Monaten vor dem Krieg brachen nach und nach die Kontakte zu den Freunden im Ausland ab. Kästner geriet zunehmend in Einsamkeit, man sah ihn nur mehr im Kaffee oder auf dem Tennisplatz, wobei er aber diese Gewohnheiten auch mehr und mehr vernachlässigte, da die Qualität des Kaffees und des Bieres zu wünschen übrig ließ. In einem Brief an sich selber gesteht er sich diese Isolation ein. Man könnte sogar meinen, er hätte resigniert.
Seine Mutter brachte ihm auch während des Krieges regelmäßig frische Wäsche aus Dresden. Im Januar 1944 wird schließlich seine Wohnung durch Phosphorbomben in Schutt und Asche gelegt, und fast alles wofür er gearbeitet hatte war nun zerstört. Davor im Jahre 1942 erhielt er von der UFA den Auftrag, das Drehbuch für "Münchhausen" zu verfassen. Zu diesem Auftrag kam er unter Umständen, die bis heute nicht geklärt sind, war ihm doch ein Schreibverbot auferlegt worden. Durch besonderes Engagement eines Regisseurs konnte eine Sonderverordnung erwirkt werden, und Kästner konnte mit dem Schreiben beginnen. So entstand unter den widrigen Bedingungen einer desolaten Kriegswirtschaft, die bereits die letzten Reserven aufgebraucht hatte, ein aufwendiger Farbfilm mit Hans Albers in der Hauptrolle.
Danach widmete er sich den zwei weiteren Filmen "Der kleine Grenzverkehr" und "Das doppelte Lottchen", den er später auch in einem Buch verewigte.
Nachdem Kästner im Januar 1944 ausgebombt war, zog er in die Wohnung seiner Freundin Luiselotte Enderle, die er noch aus der Zeit kannte, als er für Beyers tätig gewesen war. Mit ihr blieb er die kommenden Jahre zusammen. Am 2. März wurde schließlich Erich Ohser verhaftet und zum Tode verurteilt. Kästner selbst hatte unglaubliches Glück, daß er die letzten Monate des Krieges unbeschadet überstand.
Als nach dem Stauffenberg Attentat auf Hitler die große Verhaftungswelle einsetzte befand er sich gerade in Dresden. Er ahnte die drohende Zerstörung seiner Heimatstadt und ging wenige Tage davor noch einmal die Wege seiner Kindheit ab, um sich an der barocken Schönheit dieser Stadt zu erfreuen. Außerdem entging er mehrmals der Rekrutierung. Den Wirrwarr der letzten Monate vor Kriegende vergleicht er mit einem aufgestörten Ameisenhaufen. Sich selbst sieht er auch als eine Ameise unter Millionen, nur mit einem kleinen Unterschied: "Ich war eine Ameise, die Tagebuch führte." Die letzten Tage des Krieges überstand er unbeschadet an mehren Orten.
Einmal hielt er sich mit den UFA Leuten in Mayrhofen auf, dann in einem Bauernhof am Schliersee. Der zweite Weltkrieg endete mit der Kapitulation Deutschlands 1944.
Die Nachkriegszeit – 1945 bis 1949
München, Herbst 1945, wie viele andere Städte ein nahezu anonymer Ort, voller Ruinen und Flüchtlinge, mit endlosen Schlangen vor den wenigen Geschäften und den patrouillierenden Jeeps der Besatzungsmächte. Kästner ist nach einem Zwischenaufenthalt in Oberbayern nach München gelangt, wo er eine provisorische Unterkunft gefunden hat. Seine Garderobe bestand nur mehr aus einem alten, schäbigen Anzug, den er sich stückweise auf seiner Fluch zusammengetragen hatte. In einem Koffer bewahrte er seine restlichen Fassungen auf, wie das Drehbuch zu "Das doppelte Lottchen", einige Epigramme und Lustspiele.
Bereits kurze Zeit nach dem Krieg stellte Kästner als potentieller Produzent von Text- und Bühnenmanuskripten eine Art Agenturbüro auf die Beine, in dem man über Neugründungen von Kabaretts und Zeitungen beriet.
Auf Anregung einiger US Offiziere, die den Auftrag hatten eine Zeitung in der amerikanischen Besatzungszone zu konzipieren, widmete er sich wieder dem Journalismus. Mit dem Eintritt in die Redaktion als Leiter der Feuilleton- und Kunstbeilage der "Neuen Zeitung" durfte er wieder ungehindert und frei schreiben. Er widmete sich vor allem der Aufgabe, die Leser moralisch zu unterstützen. Als ersten Mitarbeiter gewann er den Theaterkritiker Alfred Kerr, der von London aus das Manuskript eines größeren Essays an ihn schickte. Von Kästner selbst erschien in der ersten Nummer des Blattes unter der Überschrift "Münchner Theaterbrief" ein informativer Überblick über die Inszenierungen der Münchner Bühnen des Stückes "Macbeth".
Außerdem veröffentlichte man Texte von ebenfalls unter den Nationalsozialisten verbotenen Schriftstellern wie Berthold Brecht oder Heinrich Mann. Von den bildenden Künstlern publizierte man Werke von Carl Hofer oder Käthe Kollwitz. Erich Kästner versuchte, die schreckliche Vergangenheit aufzuarbeiten und stellte auf einige Mißstände an den Pranger. Für ihn ging die Entnazifizierung viel zu langsam vor sich. Kriegsverbrecher konnten auch nach dem Krieg ungestört auf die Straße gehen, was der Autor heftig kritisierte. Ein solcher Fall war die UFA Dokumentarfilm Regisseurin Leni Riefenstahl, über die er einige Zeit lang recherchierte.
Der Feuilletonteil der "Neuen Zeitungen" enthielt viele Abrechnungen von schillernden Personen der Nazi Zeit.
Im Januar 1946 übernahm Kästner dazu noch die Herausgabe der Jugendzeitschrift "Pinguin" und gründete ein Kabarett mit dem Namen "Schaubühne". Seine Tätigkeiten als Autor bekamen langsam wieder das Niveau der dreißiger Jahre. Das Fazit dieser zweieinhalb Jahre aktueller publizistischer Tätigkeit waren Glossen, Satiren, Polemiken, Chansons und Sketche – Material für ein neues Buch. Er nannte es "Der tägliche Kram". Diese kleine Chronik enthält brillante Artikel, die an die großen Berliner Jahre erinnern, beispielsweise an die "Weltbühne" oder an das "Tagebuch".
Der Kalender des Journalisten Kästner war mit so vielen Terminen angefüllt, daß er kaum Zeit für seine eigenen Interessen hatte. An einen neuen Roman oder eine Zusammenarbeit mit Verlagen war erst gar nicht zu denken. Er allmählich kam es wieder dazu, als er von Ernst Rohwohlt den Auftrag erhielt, zusammen mit Kurt Tucholsky einen gemeinsamen Band mit Arbeiten zu erstellen. Nach einiger Zeit kamen auch alte Werke wie "Drei Männer im Schnee" wieder in den Handel. Dadurch kam der Autor wieder zu bescheidenem Wohlstand und konnte schon bald eine eigene Wohnung beziehen.
In der folge gab er aber die Redaktuerstätigkeit auf, um sich an eine größere literarische Arbeit heranzumachen.
In einem Münchner Kaffee entstand der Roman "Die Konferenz der Tiere". Dieses Buch, 1949 erschienen, ist generell anderer Natur als die Geschichten, die Kästner bisher für Kinder geschrieben hatte. Die Akteure sind ausschließlich Tiere, die sich für eine Regelung und Lösung von Problemen auf der Ebene der Vernunft entscheiden, um den Kindern eine gesicherte Welt zu garantieren.
Die Zeit nach 1945 bis zu Kästners Tod 1974
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