Liebeslyrik
Liebeslyrik
vom Barock
bis zur Gegenwart
Spezialgebiet Deutsch
Eva Baumgartner
8A 2002/2003
Einleitung
Lyrische Wanderungen zwischen Sinnlichkeit und Sittlichkeit zur Zeit des Barock,
der alles umfassende Aspekt der Liebe in der Romantik, zur Jahrhundertwende Liebe, die ein ästhetisches Geschehen war, die Unsicherheit der Jahre zwischen den Weltkriegen, die sich auch auf die Liebesdichtung dieser Epoche auswirkte, und die „moderne“ Offenheit unserer Zeit sind nur einige Aspekte, die in die Lyrik der Liebe eingeflossen sind und diese beeinflusst haben.
Das Thema „Liebe“ beschäftigt und inspiriert wie kein zweites. Schon immer waren Lyriker und Schriftsteller bestrebt, ihre Wünsche, Sehnsüchte, Ängste, Träume und Erlebnisse zu Papier zu bringen und ihnen so besonderen Ausdruck zu verleihen. Liebeslyrik ist dabei nicht zwangsläufig ein Spiegel der Wirklichkeit, doch dies scheint gerade das Faszinierende, sogar Erstrebenswerte zu sein, sich aus der Realität hinaus in eine Welt zu begeben, wo alles möglich und nichts unmöglich sein kann.
Hier sollen die Gemeinsamkeiten, das Nebeneinander und Gegeneinander von aufeinander folgenden Zeitabschnitten und ihren fortdauernden und wechselnden „Liebeskonzeptionen“ beleuchtet werden, es soll gezeigt werden, wie unterschiedlich Menschen in verschiedenen Zeiten mit „Liebe“ umgehen.
Der Vergleich von Themen, Motiven, Bildlichkeit, Metrik und Reim könnte ein wichtiger Aspekt sein, um diese Unterschiede deutlich aufzuzeigen.
Die ausgewählten Gedichte aus den Epochen
Barock
Romantik
Jahrhundertwende Zwischenkriegszeit Gegenwart
dienen dazu, dies zu verdeutlichen.
I. Das Barock – ein barockes Liebesgedicht
Catharina Regina von Greiffenberg – [ Gegen Amor ], 1658
Der kleine Wüterich mag mit den Pfeilen spielen
und tändeln, wie er will: er gewinnet mir nichts ab, weil gegen seine Pfeile ein Demant Herz ich hab.Er machet mich nicht wund, ich darf nit Schmerzen fühlen.
Er mag mit tausend List auf meine Freyheit zielen.
Ihm ich, dem blinden Kind, ein Zucker-Zeltlein gab:Er meint’, es wär mein Herz.
O leicht-geteuschter Knab!Ich will mein Mütlein noch an deiner Einfalt kühlen.
Schau, wie gefällt dir das! trotz, spräng mir diesen Stein
mit deinem goldnen Pfeil. Der Lorbeer soll mich zieren,
nicht deine Dornen-Ros’ und Myrthen-Sträuchelein.
Du meinst es sey nur Scherz, ich wolle mich vexiren.
Nein! nein! die süße Ruh soll mir das Liebste seyn,
mein dapfers Herz soll nichts als Ruh und Freyheit spüren.
Zur Autorin
Catharina von Greiffenberg (1633 – 1694) entstammte dem protestantischen Landadel Österreichs.
Seinem am Geist der Renaissance orientierten Bildungsideal gemäß erhielt sie eine sorgfältige Erziehung durch die Mutter und vor allem den Onkel, Rudolph Freiherr von Greiffenberg, der ihr den früh verstorbenen Vater ersetzte. Er war es auch, der den Druck ihres ersten Buchs veranlaßte, damit sie sich später einmal, wie er im Vorwort schreibt, an den Zeitvertreib ihrer Jugend erinnern könne, wenn sie "in mehrerm Glück und Vergnügung leben/auch vielleicht mit anderen Sorgen und Geschäfften beladen seyn" würde.
Die Gedichte waren in den Jahren religiöser Erweckung entstanden, ausgelöst durch den Tod der jüngeren Schwester 1651, aber auch durch Gewissensnöte, denn ihr Onkel wünschte seit längerem, sie zu ehelichen. Zwei Jahre später gab sie schließlich ihren Widerstand auf und wurde seine Frau. Zu den inneren Spannungen kam die Ungunst der äußeren Verhältnisse. Der Druck der Gegenreformation hatte für die Protestantin wirtschaftliche, standes- und konfessionspolitische Konsequenzen.
Sie mußte nicht nur den Glauben, sondern auch ihr Gut und Recht verteidigen. Wie viele protestantische Adlige verließ sie schließlich den Stammsitz der Familie, Burg Seyssenegg, und ging 1680, nach dem Tod ihres Mannes, für immer ins Nürnberger Exil. Der Wohnungswechsel bedeutete für sie auch die Aufhebung der jahrelangen geistigen Isolation auf dem Land. Neben ihrer Sonett- und Liedersammlung veröffentlichte sie später die "Sieges-Seule", ein national
gefärbtes Epos, das während der Türkenkriege 1663/66 entstand und mehrere "Andachtsbücher", die besondere Anerkennung fanden und sie zu Lebzeiten berühmt machten. Sie gehörte Birkens "Pegnesischem Blumenorden" an und war das erste weibliche Mitglied in Zesens "Deutschgesinnter Genossenschaft".
Zum Werk
C.
R. von Greiffenberg schrieb das Gedicht [Gegen Amor] im Jahre 1658, im Alter von 25 Jahren.
In „Gegen Amor“, ein Anti-Liebesgedicht, spricht ein lyrisches Ich, das allem Anschein nach die Stimme der Poetin selbst darstellt, darüber, sich nichts von Amor, dem „kleinen Wüterich“ (Vers 1), abgewinnen lassen zu wollen.
Während das lyrische Ich in den ersten beiden Strophen zu je vier Versen über Amor spricht, wendet es sich in den letzten beiden Strophen zu je drei Versen direkt an ihn. Anfangs nennt das lyrische, weibliche (wie die Motive, sich gegen Amor (=Liebe) zu wenden, deutlich erkennen lassen) Ich seine Gründe, sich nicht verlieben zu wollen und auch, wie es gedenkt, den Pfeilen des Liebesgottes zu widerstehen: Liebe bedeutet für das lyrische Ich nur Schmerz, und es würde sein Herz die Ruhe und Freiheit kosten – mit Hilfe eines „Demant Herzens“, eines Herzens, das unempfänglich für eine so schmerzhafte Liebe sein will, versucht das lyrische Ich, den Gefühlen zu widerstehen.
Schon im Verlauf der ersten Verse wendet die Autorin Metaphern an, wobei die Metapher, die die Liebe als Amor, einen Menschen/Gott darstellt, eine deutliche Personifikation ist.
Die Liebe wird also von Amor verkörpert, die Gefühle, die einen genauso treffen können wie Pfeile, werden durch ebendiese dargestellt. Auch das „Demant Herz“ (Vers 3) ist eine Metapher, ein Herz so hart und undurchbohrbar wie ein Diamant soll ein Zeichen dafür sein, dass das lyrische Ich fest entschlossen ist, keine Gefühle in sein Herz vordringen zu lassen, die es verletzbar machen könnten.
Ob die Autorin aus Erfahrung spricht bzw. schreibt, geht aus dem Gedicht nicht deutlich hervor, doch es hat ohne Zweifel eine sehr persönliche Note.
Die bildreiche Ausdrucksweise passt zu der Zeit, in der Catharina Regina von Greiffenberg lebte, und gemäß dem Gebot von Sittlichkeit und Moral, das damals vor allem für Frauen galt und gemäß ihrer
religiösen Erziehung benutzt sie verharmlosende Umschreibungen und Metaphern für Ausdrücke wie Liebe (= Amor, ein blinder, „leicht-geteuschter Knab“, Vers 6 bzw. 7), Lorbeer (= Zeichen von Tugend?, Vers 11), Dornen von Rosen (= Synonym für Schmerz, Verletzungen, Qualen, Vers 12) – doch ihr Gedicht zeigt eine gewisse Offenheit, es macht deutlich, dass das lyrische Ich die Liebe durchschaut hat und Abstand von ihr halten will bzw.
Abstand zu halten versucht. In den Versen 7 (O leicht geteuschter Knab! Ich will mein Mütlein noch mit deiner Einfalt kühlen.) und 14 (...mein dapfers Herz soll nichts als Ruh und Freyheit spüren.
) wird dies besonders deutlich.
Allgemein ist das Werk eher sittsam, das lyrische Ich spricht nie direkt von Liebe und Gefühlen, diese treten, wie schon erwähnt, in Form von Amor und seinen Pfeilen in Erscheinung. Vielleicht scheint dieser Aspekt deswegen auf, weil C.R. von Greiffenberg das Gedicht zu einer Zeit verfasst hat, wo Frauen denkbar wenig zu sagen hatten und ihre Gedanken über Gefühle, Liebe und Sexualität nicht offen aussprechen und schon gar nicht ausleben durften.
Und trotzdem ist „Gegen Amor“ auf eine gewisse Weise trotzig, fast schon rebellisch – wenn das lyrische Ich, bzw.
die Autorin, mit dem falschen Mann verheiratet werden könnte oder sich in den Falschen zwangsläufig „scheinverlieben“ müsste, will sie gleich lieber ihre „Ruh und Freyheit“ haben, die sie mit falscher, unglücklicher Liebe nicht haben würde.
Durch das Versmaß, ein sechshebiger Jambus und den klingenden Vers wird das Gedicht, als umschließender Reim konzipiert, angenehm lesbar. Die einzelnen, abgeschlossenen Verse (Sätze) 4 und 8 drücken hierbei noch deutlicher die Entschlossenheit, von der Liebe Abstand zu halten, aus. Die Zäsuren, jeweils in Vers 2 und 7, 9 und 13, machen das Gedicht lebendig und lassen trotz der leisen Resignation eine gewisse Fröhlichkeit und Zufriedenheit über diese Entscheidung erkennen.
Ab inklusive Vers 9 wendet sich das lyrische Ich nun, wie schon erwähnt, direkt an Amor, es hält scheinbar ein Zwiegespräch mit dem kindlich dargestellten Liebesgott.
(Bsp.
Vers 9 : Schau, wie gefällt dir das! und Vers 12: Du meinst, es sey nur Scherz...)
Das lyrische Ich lässt sich nicht von Amor umstimmen, obwohl dieser offensichtlich dessen „Gelübde“ für einen Scherz hält; doch die negativen Aspekte der Liebe überwiegen. Der einzige Grund für das lyrische Ich, den „Attacken“ Amors zu verzeihen und sein Gemüt zu beruhigen, ist dessen – Amors – scheinbare Einfalt. Sie wird deutlich hervorgehoben, indem die Autorin den Liebesgott als einen blinden Knaben, also eher als einen Knaben ohne großen Scharfblick darstellt, der sich durch ein „Zucker-Zeltlein“ täuschen lässt.
Nonchalant gesagt, könnte dies als „Liebe macht blind“ bzw. „Liebe ist blind“ gedeutet
werden – für die Autorin vielleicht der einzige Grund, sich selbst oder anderen ungenügende Vorsicht und fehlenden Schutz vor seelischen Verletzungen zu verzeihen.
Auch der Vanitas–Gedanke, der in der Zeit des Barock eine relativ große Rolle spielte, lässt sich aus dem Gedicht herauslesen: Das lyrische Ich – und somit die Autorin – hält die Liebe für vergänglich und deshalb für etwas, das Schmerz bereitet und die Ruhe des Herzens stört; auf diese Weise fließt auch der Gedanke der Vergänglichkeit in „Gegen Amor“ ein.
Das Gedicht ist gänzlich im Präsens verfasst, was – gegenteilig zur Vergänglichkeit der Liebe - ein starkes Gefühl von Präsenz und Aktualität übermittelt. Allein schon der Titel macht deutlich, worum es geht: Abwendung von der Liebe in der Hoffnung, keine Enttäuschung und Schmerz (mehr) durch sie erleiden zu müssen, ein Thema, das auch in der heutigen Zeit war ein vielfach totgeschwiegenes, aber dennoch aktuelles ist.
Abschließend kann gesagt werden, dass das Werk trotz einiger Metaphern und typisch blumiger, bildreicher Ausdrucksweise leicht verständlich ist und eine deutliche Aussage trifft: Wer sich verliebt, kann leicht verletzt werden; eine Botschaft, die wohl nicht nur zur Zeit des Barock, sondern für alle Zeiten gelten wird.
Zur Epoche
In der Zeit des Barock findet man eine große Anzahl von Gedichten, die die irdische Liebe und die Sexualität sehr direkt und offen behandeln, z.B. von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau. Diese Liebesauffassung entspricht jedoch nicht dem damals herrschenden Gebot von Sittlichkeit und Moral. Dieses verlangt von Eheleuten weitgehende sexuelle Enthaltsamkeit und von unverheirateten Paaren
absolute Keuschheit. Alle sinnliche Lust gilt auch in der Ehe als „viehische Brunst“, als Seelengift und „höllische Glut“ (A.
Gryphius).
Man sieht also auch in der Liebeslyrik dieser Epoche den Widerspruch zwischen dem Ausleben irdischer Wünsche (Carpe-diem-Motiv) und dem Gedanken an das Jenseits (Memento-mori-Motiv = Vanitas-Gedanke), der von christlich-religiösen Forderungen geprägt ist.
Liebe wird im Barock als konventionalisiertes und gesellschaftliches Geschehen gesehen und beschrieben. Daneben schreiben Dichter, z.B. Paul Fleming oder Johan Christian Günther, im späteren Barock über reale Erfahrungen unglücklicher Liebe.
Ihre Gedichte zeigen Ansätze persönlich gestalteter Liebeslyrik.
II. Die Romantik – der alles umfassende Aspekt der Liebe
Karoline von Günderode - Ein Kuss im Traume, 1805
Es hat ein Kuss mir Leben eingehaucht, Der Tag ist karg an liebesüßen Wonnen
Gestillet meines Busens tifstes Schmachten, Es schmerzt mich seines Lichtes eitles Prangen
Komm, Dunkelheit! Mich traulich zu umnachten, Und mich verzehren seiner Sonnen Gluthen.
Dass neue Wonne meine Lippe saugt. Drum birg dich Aug’, dem Glanze irrd’scher Sonnen!
Hüll’ dich in Nacht, sie stillet dein Verlangen
In Träume war solch Leben eingetaucht, Und heilt den Schmerz, wie Lethes kühle Fluthen.
Drum leb’ ich, ewig Träume zu betrachten,
Kann aller andern Freuden Glanz verachten,
Weil nur die Nacht so süßen Balsam haucht.
"Schon oft hatte ich den unweiblichen Wunsch, mich in ein wildes Schlachtgetümmel zu werfen, zu sterben. Warum ward ich kein Mann! ich habe keinen Sinn für weibliche Tugenden, für Weiberglückseligkeit. Nur das Wilde Große, Glänzende gefällt mir. Es ist ein unseliges aber unverbesserliches Mißverhältnis in meiner Seele; und es wird und muß so bleiben, denn ich bin ein Weib, und habe Begierden wie ein Mann, ohne Männerkraft. Darum bin ich so wechselnd, so uneins mit mir."
Aus einem Brief an Gunda Brentano vom 29.
08.1801
Zur Autorin
Pseudonyme: Tian, Ion
geboren am 11. 2. 1780 in Karlsruhe,
gestorben am 26. 7. 1806 in Winkel am Rhein.
Karoline Friederike Louise Maximiliane von Günderode wurde am 11.02.1780 in Stuttgart geboren. Mit ihren fünf jüngeren Geschwistern und ihren Eltern, Hektor und Louise von Günderode, erlebte Karoline zunächst eine ruhige Kindheit. Mit dem Tod ihres Vaters wurde sie zum ersten Mal mit Tod und Verlust konfrontiert: Der Regierungsrat, starb als sie sechs Jahre alt war. Louise von Günderode zog in dieser Situation, die auch eine finanziellen Notlage darstellte mit ihren Kindern nach Hanau.
Doch der Tod sollte immer wieder Einzug in die Familie halten: drei der fünf Geschwister Karolines erkrankten und starben im Kindes- oder Jugendalter an Tuberkulose. Nach dem Tod Hektors von Günderode im Jahre 1797 wurde sie auf Drängen der Mutter aus Versorgungsgründen im Cronstetter-Hynspergischen Stift für adlige Damen in Frankfurt a.M. aufgenommen. Ihr missfiel das Stiftsleben sehr, sie reiste daher viel und besuchte Freunde, besonders Bettina von Arnim, die später eine Biographie über Günderode schrieb. Sie war fasziniert von den Ideen der Französischen Revolution, verliebte sich in den verheirateten Mythologen Friedrich Creuzer, interessierte sich ebenfalls für Mythen und beschäftigte sich mit dem Studium frühgesellschaftlicher, auch matriarchalischer Völker.
Sie entfremdete sich immer mehr von der Alltagsrealität und schuf in ihren Gedichten eine Phantasiewelt, in der Liebe und Tod die Hauptthemen sind. Als sie im wirklichen Leben ihr ersehntes Liebesglück nicht fand und ihre Beziehung mit Creuzer scheiterte, tötete sie sich am Rheinufer mit einem Dolch, den sie schon über längere Zeit bei sich getragen hatte.
Zur Epoche
Die Romantik – eine Epoche der antirealistischen Literatur, das Leben und die Liebe sollen erneuert, als Ideal gesehen werden. „Die Poesie ist das echt absolut Reelle...
Je poetischer, je wahrer.“ (Novalis) Die Frau und die Liebe sind die wichtigsten Erlebnisse im Leben der romantischen Dichter, und obwohl die Ehe der gültige Ausdruck jeder Liebesbeziehung ist, steht der Romantiker doch im Spannungsfeld zwischen irdischer und geistig-seelischer Liebe, also zwischen Sexualität und religiösem Aspekt der Liebe. Dieser nicht allzu oft unproblematische Gegensatz drückt sich in vielen Liebesgedichten aus der Zeit der Romantik aus.
Die Jahrhundertwende – Liebe als ästhetisches Geschehen
Hugo von Hofmannsthal – Die Beiden
Sie trug den Becher in der Hand Jedoch, wenn er aus ihrer Hand - ihr Kinn und Mund glich seinem Rand - Den leichten Becher nehmen sollte, so leicht und sicher war ihr Gang, So war es beiden allzu schwer: kein Tropfen aus dem Becher sprang.
So leicht und fest war seine Hand, Denn beide bebten sie so sehr, Er ritt auf einem jungen Pferde, Dass keine Hand die andre fand Und mit nachlässiger Gebärde Und dunkler Wein am Boden rollte. Erzwang er, dass es zitternd stand.
Zum Autor
Hugo von Hofmannsthal war Mitbegründer der "Salzburger Festspiele" und zählt als Lyriker und Dramatiker zu den bedeutendsten Vertretern des österreichischen Impressionismus und Symbolismus. Er wurde am 01. Februar 1874 in Rondau bei Wien geboren.
Sein Vater war der Bankier Hugo von Hofmannstahl und seine Mutter Anna Maria, geborene Fohleutner. Die Familie war österreichischer-jüdischer-lombardischer Herkunft.
Unter dem Decknamen "Theophil Morren" erschien 1891 sein erster Roman "Gestern", womit er Aufsehen in der Öffentlichkeit erregte.
In Stefan George’ s "Blätter der Kunst" veröffentlichte von Hofmannsthal viele seiner Gedichte unter dem Pseudonym "Loris".
1892 begann er an der Universität in Wien sein Jurastudium. In dieser Zeit entstand das lyrische Drama "Der Tod des Tizian". Für Arthur Schnitzlers Drama "Anatol" schrieb er einen lyrischen Prolog. Ein Jahr später verfasste von Hofmannsthal den Einakter "Der Thor und der Tod".
Kurz nach Ablegung seines juristischen Staatsexamens erschienen erste Veröffentlichungen von ihm in der Kunstzeitschrift „PAN“, herausgegeben von Paul Cassirer.
Die Promotion zum Doktor der Philosophie erlangte von Hofmannsthal 1898. In diesem Jahr wurde zum ersten Mal sein Drama "Frau im Fenster" in Berlin aufgeführt.
Von Hofmannsthal wandte sich von der Lyrik ab und schrieb immer mehr Opern für das Theater, dadurch endete die Freundschaft zu George.
Von Hofmannsthal verzichtete 1901 auf die Habilitation für romanische Philologie und ließ sich als freier Schriftsteller nieder. Er heiratete Gertrud Schlesinger, mit der er drei gemeinsame Kinder hatte. 1906 begann von Hofmannsthal die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Richard Strauss, der seine Operntexte vertonte.
Aus den Jahren 1909 bis 1912 stammten die Opern "Elektra", die Komödie "Der Rosenkavalier" sowie "Ariadne auf Naxos".
Zu Anfang des Ersten Weltkrieges widmete sich von Hofmannsthal kulturpolitischen Aufgaben im Kriegsfürsorgeamt.
1917 beteiligten sich Strauss und von Hofmannstahl an den Salzburger Festspielen. Das Trauerspiel "Der Turm" und das Drama "Der Schwierige" entstanden in den Jahren 1920 und 1921.
Der älteste Sohn von Hugo von Hofmannsthal nahm sich am 13. Juli 1929 das Leben.
Von Hofmannsthal starb zwei Tage danach, kurz vor der Beerdigung.
Zur Epoche:
Die Dichter der Jahrhundertwende, z.B. Stefan George, Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke, verwandeln die nüchterne Alltagsliebe in das rein Ästhetische. Dabei wird die Liebe oder der geliebte Mensch erhöht, vergöttlicht, quasi auf ein Podest gestellt. Die Erlebnisse und Liebesgefühle werden in formal gelungene Kunstwerke gefasst.
Die Zwischenkriegszeit – unbeständige Liebe
Erich Kästner - Sachliche Romanze
Als sie einander acht Jahre kannten Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
(und man darf sagen: sie kannten sich gut), Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
kam ihre Liebe plötzlich abhanden. und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut. Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter, Sie gingen ins kleinste Café am Ort
versuchten Küsse, als ob nichts sei, und rührten in ihren Tassen.
und sahen sich an und wußten nicht weiter. Am Abend saßen sie immer noch dort.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei. Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
Zum Autor
Der Schriftsteller Erich Kästner wurde mit seinen Kinderbüchern aus der Zeit der Weimarer Republik bekannt.
Darüber hinaus wurde er mit einigen Werken seiner satirischen Gebrauchslyrik, die von alltäglichen Problemen erzählen und die pazifistische Haltung des Dichters offenbaren, populär. In seinem Romanwerk nimmt er sich unter anderem dem Verfall der zeitgenössischen Gesellschaft an. In seinen Beiträgen nach dem Krieg mahnt er gegen das Vergessen . 1957 erhielt Erich Kästner den Georg-Büchner-Preis, Deutschlands renommierteste Literaturauszeichnung. Erich Kästner wurde als Sohn des Sattlermeisters Emil Richard Kästner und seiner Frau Ida am 23. Februar 1899 in Dresden geboren.
Er publizierte bereits als Gymnasiast in der Schülerzeitung des König-Georg-Gymnasiums erste lyrische Werke.
1919 absolvierte er das Abitur, im gleichen Jahr begann er an den Universitäten Leipzig, Rostock und Berlin die Fächer Germanistik, Philosophie, Geschichte und Theatergeschichte zu studieren. Bereits während seiner Studienzeit arbeitete er als Journalist bei der „Neuen Leipziger Zeitung“. 1925 promovierte er zum Dr. phil.
1927 wurde ihm ein erotisches Gedicht zum Stolperstein, er musste die journalistische Tätigkeit bei der „Neuen Leipziger Zeitung“ aufgeben.
Er übersiedelte nach Berlin und war für verschiedene Zeitungen tätig. Im Jahr 1929 kam sein bekanntestes Werk „Emil und die Detektive“ heraus, 1931 „Pünktchen und Anton“ und 1933 „Das fliegende Klassenzimer“. Diese Werke wurden in insgesamt 24 Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt.
Erste Gedichtbände wie „Herz auf Taille“ oder „Lärm im Spiegel“ veröffentlichte Erich Kästner in den Jahren 1928 und 1929.
Für das Kabarett schrieb er politische Gedichte in satirischem Ton und andere zeitkritische Texte. Große Popularität erlangte der Schriftsteller mit seinen Kinderbüchern.
Im Jahr der Machtübernahme der Nationalsozialisten, 1933, wurden einige Werke von Kästner verboten und öffentlich verbrannt, denn darin nahm der Schriftsteller die bürgerlichen Moralvorstellungen, Faschismus und Militarismus mit dem ihm eigenen Witz kritisch unter die Lupe. Kästner wurde von der Gestapo verhaftet, es folgten in den Jahren zwischen 1937 und 1940 weitere Festnahmen und Freilassungen. Im Jahr 1942 lieferte er das Drehbuch zum Ufa-Film „Die Abenteuer des Barons von Münchhausen“ ab.
Im gleichen Jahr wurde ihm ein Schreib- und Publikationsverbot auferlegt. Doch auch dies konnte den Schriftsteller nicht zur Emigration bewegen. Die Romane „Drei Männer im Schnee“ (1934) und „Georg und die Zwischenfälle“ (1938) wurden außerhalb Deutschlands publiziert.
Sein Stück „Zu treuen Händen“ wurde 1949 uraufgeführt. Die bekannten Kinderbücher „Das doppelte Lottchen“ und „Die Konferenz der Tiere“ wurden veröffentlicht. 1956 ehrte ihn die Stadt München mit dem städtischen Literaturpreis. Im Jahr darauf wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. In dieser Zeit wurde sein Sohn Thomas geboren; Kästners Vater starb.
Kästners Aufzeichnungen in seinem Tagebuch in der Zeit von März bis August 1945 erschienen im Jahr 1961 als Buchform aufbereitet unter dem Titel „Notabene 45“.
Zwei Jahre später erschien der Kinderroman „Der kleine Mann“.
1970 verlieh die Stadt München dem Schriftsteller den Ehrenpreis für Kultur.
Erich Kästner starb am 29. Juli 1974 in München.
Zum Werk
Im Gedicht "Sachliche Romanze" von Erich Kästner wird die Situation zweier Menschen behandelt, die plötzlich bemerken, dass sie sich nicht mehr lieben.
Kästner verfasste diesen Text in Form eines Kreuzreimes (abab) bzw.
eines vierhebigen jambischen Verses, und zwar gänzlich im Präteritum. Dies unterstützt und verdeutlicht eventuell den Umstand abhanden gekommener (= vergangener) Liebe.
Durch das ganze Gedicht zieht sich ein Gefühl der bedrückenden Starre und Ruhe, besonders auffällig ist allein schon der Gegensatz im Titel: Sachliche Romanze.
Wie kann eine Romanze sachlich sein? Sachlich ist das größte Gegenteil von Liebe. Liebe ist sehr persönlich und intim, niemals aber sachlich.
Damit wird eine gewisse Kühle und Routine angedeutet, die in der Beziehung mit den Jahren entstanden ist.
In der ersten Strophe beschreiben die ersten beiden Verse die bisherige Beziehung der Liebenden. Es ist eine längere Beziehung, wahrscheinlich eine Ehe. Der zweite Vers verdeutlicht die Vertrautheit des Paares, indem er zeigt, was der Beobachter denkt. Im vierten Vers "Wie anderen Leuten ein Stock oder Hut" wird der dritte belegt. Die beiden haben ihre Liebe sehr plötzlich verloren, wie andere Menschen einen sachlichen Gegenstand.
In der zweiten Strophe spüren beide, dass ihre Liebe nicht mehr so stark, sie verschwunden ist, wollen es jedoch nicht wahrhaben, da sie aus Gewohnheit nicht ohne den anderen leben können und den Tatsachen nicht ins Auge blicken wollen oder können.
Es wird gezeigt, wie das Paar sich selbst belügt, indem es versucht, sich zu benehmen, als ob nichts passiert wäre; die Fassungslosigkeit und aussichtslose Situation unterstrichen. Schließlich kann Frau ihre Gefühle nicht länger unterdrücken und lässt ihnen freien Lauf. Dadurch, dass der Mann nur daneben steht, wird deutlich, dass sie kein wirkliches Paar mehr sind, denn wären sie noch so unzertrennlich wie in den acht Jahren zuvor, würde er zumindest den Versuch machen, sie zu trösten.
Die Handlungen beider Personen stehen in separaten Sätzen. Auch das kennzeichnet eine Trennung, sie werden sozusagen durch den Punkt getrennt.
In der dritten Strophe wird zum ersten Mal "gesprochen“, jedoch nur mittels indirekter Rede.
Der Mann sagt etwas, anscheinend nur um die Leere und unangenehme Stille zu füllen; die Spannung zu lösen. Möglicherweise versucht er, dadurch die Situation zu retten. Was er sagt ist jedoch nur oberflächlich und hat keine Bedeutung mehr für die Beziehung.
Die erste und letzte Zeile dieser Strophe sind bildlich zu verstehen. Den Satz "Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken." könnte man so interpretieren, dass die Schiffe für das Vorankommen stehen.
Das Meer, in dem sie schwimmen, ist das Leben des Paares, die Schiffe, in welche die beiden einsteigen könnten bzw. müssten, damit ihr Leben vorankommt und sich ändert, lassen die beiden aber dennoch vorbeifahren.
Den Satz "Nebenan übte ein Mensch Klavier." kann man auf das Leben selbst beziehen. In einem Lied sind es die Töne die auf- und abgehen, genauso gibt es im realen Leben Höhen und Tiefen. Auch übt
dieser Mensch nur Klavier, er spielt nicht darauf.
Dies bedeutet, dass der Mensch zunächst einmal nur Teile eines Liedes spielt und mit Sicherheit Fehler macht. Jedoch sind die beiden Handelnden in diesen beiden Sätzen passiv. Sie unternehmen nichts für das Vorankommen ihres Lebens; die Höhen und besonders die Tiefen nehmen sie schweigend hin.
Nicht nur der Titel beschreibt eine gewisse Langeweile, auch durch die Konjunktion "und", welche sich ständig im gesamten Gedicht wiederholt und oft an Satzanfängen steht wird die Monotonie zusätzlich verdeutlicht. Dadurch wirkt der Text gewollt monoton.
In der letzten Strophe ändert sich die Umgebung, in der sich das Paar befindet.
Mit "und rührten in ihren Tassen" wird gezeigt, dass das Problem auch hier im Café weder angesprochen noch gelöst wird. Das Paar findet auch kein anderes Gesprächsthema, als hätten sie sich nichts mehr zu sagen. Aber es scheint, als würden sie sich im Café wohler fühlen, da sie am Abend immer noch dort sitzen. Möglicherweise gibt es zu Hause zu viele, teilweise traurige und schmerzhafte, Erinnerungen. Das Café ist eine neutrale Ebene – dort müssen sie sich ihren Problemen nicht stellen.
Mit "sie saßen allein" wird darauf hingedeutet, dass die beiden nicht mehr zusammengehören.
Das Ende des Gedichts zeigt, welche Fassungslosigkeit sich breit gemacht hat, über ein so schnelles Ende einer langen, eigentlich guten Beziehung.
Auch die Veränderung des Textes am Ende (5 statt 4 Verse) macht die Veränderung im Leben des Paares noch deutlicher. Ob der 5., hinzugefügte, Vers bedeutet, dass auch der Gefühlswelt wieder etwas hinzugefügt wird, geht aus dem Text nicht hervor – Kästner hätte auch 3 statt 5 Verse schreiben können, so hätte er dem Paar vielleicht zusätzlich durch die Form des Textes etwas abhanden kommen lassen können, wenn er es so gewollt hätte.
Grundsätzlich wird aber in diesem Gedicht das Ende einer Beziehung dargestellt. Beide Partner können es selbst nicht begreifen, dass ihre Zuneigung füreinander anscheinend grundlos verschwunden ist.
Dennoch schweigen sie lieber, als darüber zu sprechen. Durch ihre Unfähigkeit, zu kommunizieren bleiben beide in Ungewissheit zurück - als Fremde. All die Passivität und Handlungsunfähigkeit führte dazu, dass dies keine Liebe mehr ist, sondern eine Art sachliches, also gefühlloses und neutrales Zusammenleben zweier Menschen.
Zur Epoche
Typisch für die Lyrik der Zwischenkriegszeit ist eine realistisch orientierte Lyrik ohne viele Metaphern und mit einer einfachen, klaren Sprache. Der Begriff der Liebe wurde wirklichkeitsgetreuer dargestellt, auch die negativen Seiten wie Unbeständigkeit und Vergänglichkeit angesprochen. Dennoch wurden eine mögliche sinnliche Leidenschaft und die Intensität der Gefühle bejaht.
„Sachliche Romanze“ illustriert diese Aspekte allein schon durch den Titel, auch die Sprache, die Kästner angewandt hat ist typisch für seine Zeit: Das Gedicht ist metaphernlos, nur Vers 9 und Vers 12 sind sprachliche Bilder, die sich mit Vorgängen beschäftigen, die außerhalb des Raumes, wo sich das Paar befindet, geschehen – die Tatsache, dass nur außerhalb des Raumes, in dem sich das Paar befindet, Dinge wirklich geschehen, ist ebenfalls ein Zeichen für die Unfähigkeit beider, an ihrem Leben etwas zu ändern und so vielleicht wieder zueinander zu finden.
Auch das Thema des Werkes ist typisch für die Dichtung der damaligen Zeit: Liebe wurde wirklichkeitsgetreu dargestellt, mit Höhen, Tiefen, ihrer Vergänglichkeit – und genau dieses Thema, Vergänglichkeit, spricht Kästner in „Sachliche Romanze“ an.
Die Gegenwart – „Neue Subjektivität“
Jörn Pfennig – Gesprächstherapie
Als ich dich plötzlich
weniger liebte –
ich weiß nicht warum –
da durfte ich es dir sagen
du hast mich verstanden
und meine Liebe wurde größer.
Zum Autor
Jörn Pfennig wurde am 24. Juni 1944 geboren und lebt und arbeitet in Burghausen/Bayern. Seine Jugendzeit verbrachte er in Thübingen, später ging er nach München, um das Studium der Germanistik und der Theaterwissenschaften zu absolvieren.
Er textet und komponiert seit 1965, in der Zeit von 1974 – 78 betätigte er sich als freier Mitarbeiter beim Fernsehen. Jörn Pfennig sieht sich als freier Schriftsteller und Jazzmusiker, seine Arbeitsgebiete sind Gedichte, Erzählungen, Romane; er „verdichtet“ seine subjektiven Erfahrungen von Liebe in eher sachliche, mitunter auch provozierende lyrische Texte.
Jörn Pfennig ist - mit einer Gesamtauflage von fast einer Million Büchern - nicht nur ein äußerst erfolgreicher Lyriker, sondern auch Musiker und Komponist. In seinem Trio wahndreieck hat er beide Neigungen vereint und agiert als Klarinettist und als Sprecher seiner Gedichte. Seine Kompositionen sind atmosphärisch und rhythmisch auf die Texte abgestimmt und schaffen zwischen den einzelnen Gedichten musikalische Freiräume, in denen der Zuhörer die Worte in sich nachwirken lassen kann. Mit pointierten Texten und eingängiger Musik ein kulinarisches Gegenangebot zur üblichen Trockenlesung zu machen, das ist das Konzept von wahndreieck.
Bisher sind zahlreiche Gedichte und ein Fernsehfilm (1971) von Jörn Pfennig erschienen: Spuren im Schnee, Fernsehfilm (1971). Hand aufs Hirn, Gedichte (Heyne). Keine Angst dich zu verlieren, Gedichte (Heyne). Grundlos zärtlich, Gedichte (1979, Schneekluth/Goldmann TB/Heyne). Immer für dich/nie für dich immer, Gedichte (Heyne). Liebeslänglich, Gedichte (Heyne).
Zum Werk
Im Gedicht „Gesprächstherapie“ erzählt ein lyrisches Ich, das höchstwahrscheinlich (wie schon bei C.R. von Greiffenberg) die Stimme des Autors selbst ist, davon, seinen Partner plötzlich weniger und, durch dessen Verständnis, aber dafür nach einem „klärenden“ Gespräch wiederum mehr geliebt zu haben. Dadurch, dass das lyrische Ich seinem Partner, oder in diesem Fall Jörn Pfennig seiner Partnerin, sagen konnte, was in ihm vorging und der Partner dies vor allen Dingen mit Verständnis auffasste, wurde das Gespräch zu einer Art Therapie für die Liebe: Das Verständnis, das der Partner dem lyrischen Ich entgegenbrachte, als es ihm (dem Partner) gestand, weniger Liebe zu ihm zu empfinden, war quasi eine Erneuerungskur für die Gefühle der Person, um die es in „Gesprächstherapie“ geht – Reden als Therapie, nicht nur gebräuchlich bei Psychologen, auch in Partnerschaften können Gespräche viel bewirken. Man könnte dies auch als Kernaussage, neben der Tatsache, dass dieses Gedicht auch gleichzeitig eine Liebeserklärung ist, auffassen. Das lyrische Ich hat keine Erklärung für die Entdeckung, auf einmal seinen Partner weniger zu lieben.
Die Beziehung scheint sehr gut, harmonisch und vertraut zu sein, denn der „Sprecher“ kann seine Gefühle bzw. Gedanken seinem Partner anvertrauen, und dieser weiß, dass dies kein Grund ist, die Beziehung aufzugeben. Hier spielt mehr mit als „nur“ Liebe und eventuelles Zusammenleben, es ist eine tiefe Bindung, zu der beide bereit sind und in der das Gegenüber respektiert und so angenommen wird, wie es ist.
Jörn Pfennig schreibt „da durfte ich es dir sagen“ – dieser Vers verdeutlicht die Harmonie, die zwischen beiden herrscht; es heißt nicht „ da sagte ich es dir“, was einseitiger, nur auf die Gefühle/Gedanken des „Sprechers“ bezogen wäre. „du hast mich verstanden / und meine Liebe wurde größer“ : diese beiden Verse drücken die tiefe Dankbarkeit aus, die das lyrische Ich bzw. der Sprecher seinem Partner gegenüber empfindet, denn dieser zeigt Verständnis und Kommunikationsbereitschaft - vor allem deswegen, weil sich das lyrische Ich so fair verhalten hat, dem Gegenüber seine Gefühle mitzuteilen, ihm zu sagen, dass seine Liebe weniger geworden sei.
Und der Akt des Verzeihens bindet das lyrische Ich noch fester an sein Gegenüber, die Tatsache, dass der Partner Verständnis zeigt, lässt es (d. lyrische Ich) erkennen, wie wertvoll diese Bindung, diese Partnerschaft für beide ist. Dies führt wiederum zu einer Steigerung des Liebesgefühls. „Gesprächstherapie“ ist ein Gedicht ohne bestimmtes Reimschema, es besteht aus 6 Versen, die gleichzeitig einen einzigen Satz bilden. Jörn Pfennig verwendet eine Parenthese als Stilmittel ( - ich weiß nicht warum - ), die die Ratlosigkeit, die das lyrische Ich ob der Tatsache, dass es plötzlich weniger Liebe für seinen Partner empfindet, noch verdeutlicht. Die Offenheit, mit der der Sprecher das Thema behandelt, passt sehr gut in unsere heutige Zeit.
Wurden im z.B. zur Zeit des Barock Themen wie Liebe und Gefühl nur zurückhaltend und unter ganz anderen Betrachtungsweisen angesprochen, bringen Autoren wie Jörn Pfennig heutzutage offen und direkt ihre Gedanken dazu zu Papier („Neue Subjektivität“).
Zur Epoche
In der Liebeslyrik der Gegenwart ist das lyrische Ich bereit, in verständlicher Sprache über seine Gefühle offen zu sprechen („Neue Subjektivität“). Diese Gefühle haben aber nichts mit „romantisch“ (im Sinne von antirealistisch gemein, sie zeigen sich vielmehr wirklichkeitsnah und drücken auch Angst und Zweifel an der eigenen Liebesfähigkeit und der des Partners aus, die dadurch keineswegs selten entstehende Resignation wird ohne Beschönigung, mit neuer Offenheit, zu Papier gebracht.
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