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  Bundesgymnasium und bundesrealgymnasium bad ischl

             “Nur Sprache durch Erinnerung”     Untersuchung zur Poetik in Paul Celans Gedichten   “Todesfuge” und “Engführung”                 Fachbereichsarbeit aus Deutsch     vorgelegt von   Mathias Schenner     8c-Klasse des   Bundesgymnasiums und Bundesrealgymnasiums   Bad Ischl     bei   Prof. Mag. Dr. Dieter Glaßer                        Bad Goisern, im Februar 1998. Vorwort    Die vorliegende Arbeit versucht, sich in drei Schritten dem Rätsel der Celanschen Dichtung zu nähern. Nach einem Blick auf die biographischen und historischen Bedingungen, unter denen Celans Lyrik entstand, und auf die eigentlichen “Wurzeln” aller späteren Dichtung Celans, das Frühwerk, folgt eine Analyse der dichtungstheoretischen Schriften Celans und der Metapoesie seiner Gedichte.

Der dritte und wesentlichste Schritt besteht schließlich in der Interpretation zweier zentraler Gedichte Celans, “Todesfuge” und “Engführung”, zwischen deren Entstehung vierzehn Jahre liegen, die für die Entwicklung der dichterischen Sprache Celans besonders bedeutsam sind. Ein Abschnitt über die Rezeptionsgeschichte der beiden Gedichte beschließt die Arbeit.   “Nur Sprache durch Erinnerung” – damit ist ein Zusammenhang von Sprache und Geschichte angesprochen, dem Celan höchste Bedeutung beimißt; wie eng Sprach- und Geschichtsreflexion bei Celan tatsächlich zusammenhängen, zeigt am deutlichsten eine Analyse der metapoetischen Postulate in den Gedichten selbst, die aus diesem Grund in die Arbeit aufgenommen wurde.   Danken möchte ich Prof. Mag. Dr.

Dieter Glaßer für die vorzeitige Durchsicht der einzelnen Abschnitte sowie für seine Unterstützung und Beratung.                  INHALTSVERZEICHNIS        Vorwort 2   1. Biographische und historische Aspekte 4 1.1. Jugendjahre und Frühwerk 4 1.1.

1. Jugendjahre 4 1.1.2. Frühwerk 5 1.3.

Hintergrund zur Entstehung von “Todesfuge” 6 1.4. Hintergrund zur Entstehung von “Engführung” 7   2. Literaturtheoretische Reflexionen Celans 8 2.1. Lyrik nach Auschwitz – Adornos Thesen und Celans Standpunkt 8 2.

2. “Der Meridian” 9 2.3. Dichtung als Dialog 11 2.4. Metapoetische Reflexionen 12 2.

4.1. Linguistische Programmatik 12 2.4.2. Die historische Reflexion im Innern der linguistischen Programmatik 15   3.

Die Gedichte “Todesfuge” und “Engführung” 18 3.1. “Todesfuge” 18 3.2. “Engführung” 20 3.2.

1. Einführung 20 3.2.2. Interpretation 20 3.3.

Vergleich der Gedichte 30 3.3.1. Inhaltlich 30 3.3.2.

Formale Aspekte und Sprache 30 3.3.3. Zitate 31 3.3.4.

Semantik 32   4. Rezeption und Literaturkritik 35 4.1. “Todesfuge” 35 4.2. “Engführung” 36   5.

Zusammenfassung 37   Anmerkungen 38   Anhang Die Gedichte “ER” und “Todesfuge” 47   Literaturverzeichnis 48 1. Biographische und historische Aspekte 1.1. Jugendjahre und Frühwerk 1.1.1.

Jugendjahre“Krieger / stießen den Speer in den Mond.”  “[...] es war eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten.” (GWIII, 185) – so wird Paul Celan 1958 vor einem deutschen Publikum die Bukowina, seine Heimat, beschreiben.

Als Paul Antschel, Sohn deutschsprachiger Juden, wird er achtunddreißig Jahre zuvor, am 23. November 1920, in Czernowitz am Pruth (damals Rumänien) geboren. Er leidet in der Kindheit an der Strenge seines Vaters und hält sich stets mehr an die mildere Mutter, die bereits frühzeitig eine Liebe zur Lektüre entwickelt hat und mit der er später im Zitieren deutscher Klassiker wetteifert. Auf ihr Verlangen hin wird im Haus nur Schriftdeutsch gesprochen, während Celan in der Schule Rumänisch und bei einem Hauslehrer (auf Verlangen des Vaters) Hebräisch lernt. Celans Jugendjahre sind geprägt von ersten Erfahrungen mit judenfeindlichen Positionen; so klagt er bereits im Alter von dreizehn Jahren in einem Brief an seine Tante in Palästina: “[..


.] was den Antisemitismus in unserer Schule betrifft, da könnte ich ein 300 Seiten starkes Buch darüber schreiben.” 1934 wechselt er aus diesem Grund in ein Staatsgymnasium mit einer Mehrheit jüdischer Schüler. Zu dieser Zeit kennt er bereits Berichte über die nach der Machtübernahme Hitlers beginnenden Judenverfolgungen im Deutschen Reich. Nun beginnt Celan, sich mit den Schriften von Marx und Engels auseinanderzusetzen, entwickelt eine linksgerichtete Weltanschauung und beteiligt sich 1935 an einem illegalen Treffen der Antifaschistischen Jugend. Mit etwa sechzehn Jahren beginnt er, Lyrik zu schreiben, die er bei regelmäßigen Treffen eines Lesezirkels vorträgt.

Beeinflußt werden diese ersten Gedichte sowohl von Versen seines jüdischen Klassenkameraden Immanuel Weißglas, als auch von Celans damaliger Lektüre (Goethe und Schiller, aber auch Heine, Trakl, Hölderlin, Nietzsche, Verlaine, Rimbaud und später Hofmannsthal und Kafka). Wenige Monate nach der Matura bricht Paul Celan im November 1938 nach Frankreich auf, um in Tours Vorbereitungskurse für ein Medizinstudium zu absolvieren. Seine Ankunft in Berlin fällt genau auf den Tag nach der “Reichskristallnacht”. In Frankreich studiert er die Avantgarde nicht weniger aufmerksam als die Medizin und beginnt, nach seiner Rückkehr in die Heimat, in Czernowitz das Studium der Romanischen Philologie, da die Reise nach Frankreich durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 unmöglich geworden war. Nach dem Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin und dem Ausbruch des Krieges wird Rumänien gezwungen, die nördliche Bukowina an die UdSSR abzutreten. Im Juni 1940 besetzen russische Truppen Czernowitz.

Dadurch verschlechtert sich die Situation der Juden gravierend: Viele werden arbeitslos, viele verschleppt und zu Zwangsarbeit gezwungen. Paul Celan kann sich jedoch durch die Tätigkeit seines Vaters als Bauzeichner und durch das in der Sowjetunion übliche Gehalt der Universitätshörer noch sein Romanistik-Studium leisten. Völlig unmöglich wird das erst durch den Überfall von Hitlers Armeen auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Sofort nach dem Einmarsch in Czernowitz setzen systematische Liquidierungen durch die SS ein. Die Juden werden der Bürgerrechte für verlustig erklärt, zum Tragen des gelben Judensterns verpflichtet und müssen unbezahlte Zwangsarbeit leisten.

Es folgen die Umsiedelung der Juden in ein Ghetto und Wellen von Deportationen nach Transnistrien (in der Ukraine). Im Juni 1942 verliert Paul Celan auf diese Weise seine Eltern. Dieses Erlebnis bleibt dem Dichter ein lebenslanges Trauma; er wirft sich vor, seine Eltern im Stich gelassen zu haben. Der in der Ghettozeit zuvor apathische und energielose Celan wird jetzt zunehmend schwermütiger, leidet an tiefen Schuldgefühlen. Als er im folgenden Herbst vom Tod seines Vaters und im Frühjahr 1943 von der Ermordung seiner Mutter erfährt, verfinstert sich sein Leben völlig. Um wenigstens selbst der weiteren Gefahr der Deportation zu entrinnen, meldet sich Celan für den Arbeitsdienst.

In den folgenden neunzehn Monaten seiner Zwangsarbeit muß er vor allem bei Straßenarbeiten helfen, die mit primitivsten Mitteln (nur Spaten und Schaufel als Arbeitsgerät) ausgeführt werden. Er klagt niemals über die Arbeit, doch selbst spätere Gedichte zeugen noch davon, daß sie ihm in seiner Erinnerung lebendig geblieben ist. Wenn man ihn auf seinen kurzen Heimaturlauben in Czernowitz fragt, was er im Lager mache, antwortet er stets lakonisch: “Schaufeln!” 1.1.2. Das Frühwerk In den Jahren 1938-1944, also kurz vor der “Stunde Null”, schreibt Celan der deutschen Tradition entsprossene Gedichte, die gleichzeitig in sie zurückkehren und sich mit ihr auseinandersetzen, aber noch “unverstellt eigene Erlebnisse und Entwicklungen” spiegeln.

Seine Lyrik beginnt noch innerhalb der traditionellen lyrischen Sprechweise, sie tritt allerdings bereits in den Jugendgedichten den Weg an, den Celan später die “Absicht des Gedichts” nennt, die überlieferten “Tropen und Metaphern ad absurdum” (GWIII, 199) zu führen. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stehen Celans Gedichte allerdings noch unter dem Zeichen jugendlicher Romantik-Begeisterung; in traditionellen Formen beschwören sie den Nachtzauber, der “im Mondschein oder im Traum das Wunderbare offenbart.” In den folgenden Gedichten wechselt der Ton unter dem Einfluß des Kriegsgeschehens: Die zuvor noch besungene Nacht verwandelt sich in eine bedrohliche Finsternis, die Sprache wird dunkler und stockender, die gebundenen Formen lösen sich auf, Angst und Trauer bestimmen die Atmosphäre, es wird erstmals die Forderung nach einer Verweigerung der “Verklärung” gestellt. Damit wird die Dichtungstradition in Frage gestellt und die dort angelegte Tendenz zur falschen Beschönigung und zur ästhetisierenden Verharmlosung verworfen. Die Thematisierung des poetischen Sprechens erfolgt bereits sehr früh, die überlieferten Metaphern erfahren “durch das ‚Zerbröckeln‘ der Strophen, durch die unterbrochene Stimmführung, aber auch durch die häufig dunklen und undurchsichtigen Zusammenhänge eine gewaltsame Entfremdung.” Damit wird deutlich, daß nicht mehr in diesen Metaphern gesprochen wird, sondern über sie.

Erstmals kommt es in diesem Zusammenhang zu einer “Versprachlichung des Celanschen Verstummens” in “Mein Karren knarrt nicht mehr...”. In romantischen Bildern wird eine Nachtlandschaft entworfen, die zunehmend von einer Stille des Todes beherrscht wird. Das Ende des Gedichts - “Das Herz der Espe / setzt aus.

” - verweist auf das Erstarren des “überlieferte[n] Lied[es] von den Gräsern, dem Mond und den Wäldern.” “Mein Wagen knarrt nicht mehr...” ist damit Reflexion und Kritik auf die traditionelle Lyriksprache, poetisierendes Weltgefühl und spätromantisches Naturschwelgen werden negiert. In allen nachfolgenden Gedichten sind die Symbole der traditionellen Dichtung (z.

B. “Mond”, “Mohn”) zu Chiffren für die verklärende Sprechweise selbst geworden. So auch in “Aus dem Dunkel”: “Krieger stießen den Speer in den Mond.   Blutete. Auch Mohn blutet.   5 Und die Brücke, Schwester, zu dir, zerschlugen sie.

  Nicht mehr ist der Stunden Geflüster rings . .   Nicht mehr ist es dein treibender Zweig . .   10 Spät knie ich und ruf und zünd in die Spiegel das Traumbild.”  Verknappter und stockender Tonfall sowie unregelmäßige “Strophen” deuten auf Auflösung, Zerfall und Disharmonie hin.

Das eigene Stocken der Sprache wird mit den Bildern der verstummenden Natur verbunden, Negationen (“Nicht mehr” [6; 8]) beherrschen die Grundstimmung des Gedichts. Zum ersten Mal wird direkt die kausale Bestimmung des Verlusts angegeben: “Krieger / stießen den Speer in den Mond.” Die Worte “Krieger” und “Speer” vermitteln den Hintergrund des Krieges und der Gewalt, denen der “Mond” mit seinem ganzen Bedeutungsballast zum Opfer fällt, denn in früheren Gedichten war der “Mond” noch Symbol poetischer Verklärung, Begleiter der Liebenden und “wichtigstes Paraphernalium der nächtlichen Verklärung”. “Blutete. Auch Mohn / blutet.” (3f.

) kann als programmatische Aufforderung an die Dichtung, die Verletzung des Mondes am eigenen Leib zu vollziehen, verstanden werden. Die zerschlagene Brücke zur Schwester deutet auf die Zerstörung der herkömmlichen Zeichensprache der Liebesdichtung; das Verstummen des “Geflüster[s] rings” (7) meint Absage an das zauberhafte, phantastische Wesen der Natur, deren “treibender Zweig” (9) eben nicht mehr der “organische Ursprung des dichterischen Drangs, der blühenden poetischen Inspiration” ist, nicht mehr Zeichen der Erlösung. Die letzten beiden Verse beschreiben Celans Verständnis der Dichtung zu dieser Zeit. Der Mond kann nur noch als “Traumbild” (11) in das Gedicht eingebracht werden. Durch das Bewußtsein dieser Unwirklichkeit wird aber eine Distanz zur Poetisierung geschaffen; die Novalische Vorstellung “Der Traum wird Welt, die Welt wird Traum” wird zu einem “Traum vom Traum”.“Zwar kann das dichtende ‚Ich‘ die Welt nicht mehr unmittelbar beschreibend ‚widerspiegeln‘, es kann jedoch seine poetische Vision als ‚Traumbild‘, aus einer bewußten Distanz entwerfen.

[...] Als ‚Traumbild‘, das sich seiner ‚Wirklichkeitsferne‘ bewußt ist, bleibt Dichtung noch möglich, wenn sie auch den Gewaltakt der Krieger, die Verletzung des ‚Mondes‘ und des ‚Mohns‘ in sich trägt.”  Damit ist für Celan die Frage nach der Bedeutung und Rolle der Lyrik in “finsteren Zeiten” aber noch nicht geklärt. Die Infragestellung der Dichtung zieht sich in verschiedenen Konstellationen als Leitfaden nicht nur durch die Jugendgedichte, sondern durch das gesamte Werk.

Im Gedicht “Hieroglyphe” setzt sich Celan etwa mit der romantischen Sprachauffassung auseinander. Novalis‘ utopisches Ziel der Dichtung, Natur und Subjekt im magischen, poetischen Wort zu synthetisieren, wird direkt widerrufen. Die Verse “Harfe, dein Schrei!” und “Frier mit mir, Baum.” machen deutlich, daß erst im Schrei der Harfe und im Frieren des Baumes die Verbundenheit der lyrischen Sprache und der Natur mit der leidvollen menschlichen Existenz gewährleistet wäre. Paradoxerweise erfolgt in den nächsten Gedichten ein Rückgriff auf traditionelle Formen, zunächst allerdings als “Zitat”, “als impliziter Widerruf der darin anklingenden Gattungen [..

.], später als Ausdruck der inhaltlich reflektierten ‚Weltflucht‘ und als Bestimmung des Orts der Hoffnung und des Trosts in der Dichtung selbst.” 1942-1943 gelangt Celan, nach der Deportation seiner Eltern und seiner Internierung in ein Arbeitslager, zu einem Ton der Desillusionierung und Resignation, der den Sinn des Dichtens - und des eigenen Überlebens überhaupt - in Frage stellt. Die private Trauer um den Verlust der Mutter wird zentrales Thema, beginnend in “Mohn” über die erste Nennung des Wortes “Mutter” in “Winter” bis hin zu “Nähe der Gräber”; darüber hinaus wird diese Trauer auch im späteren Werk noch thematisiert. Wichtig sind diese Gedichte auch deshalb, weil sie versuchen, nicht nur die Ermordung der Mutter, sondern das gesamte damit verbundene Geschehen vor dem Vergessen zu bewahren. So wird das Bestreben, eine Sprache, eine Dichtung zu finden, die diesem Vergessen entgegenwirkt, zum bestimmenden Moment der Celanschen Lyrik.

Unmittelbar vor “Nähe der Gräber” steht das Gedicht “Russischer Frühling”, das ebenfalls von “jüdischen Gräbern” spricht. Zahlreiche literarische und zeitgeschichtliche Anspielungen dienen der Gegenüberstellung von romantischen Reminiszenzen und aktuellem Kriegsgeschehen. Damit zeigt sich auch hier eine Gegenposition zur Romantik, die in der Vermischung des Getrennten das starre Verstandesprinzip aufheben und einen Zustand allgemeiner Vermittlung herstellen wollte. Bei Celan betont die Zusammenfügung von Heterogenem (in diesem Fall romantische Verklärung und aktuelles Kriegsgeschehen) im Gegenteil die scharfe Dissonanz. Dieses Prinzip wendet er auch in “Todesfuge” an. 1.

2. Hintergrund zur Entstehung von “Todesfuge” Im Februar 1944 okkupieren die Sowjets im Zuge ihrer Offensive Czernowitz zum zweiten Mal. Celan bezeichnet die Zeit erneuter Unterdrückung später als “Antisemitismus in seiner sowjetischen Spielart”, kann aber der Zwangsrekrutierung entgehen, indem er als Arzthelfer in einer psychiatrischen Klinik arbeitet. Um Geld zu verdienen, fertigt er für eine Lokalzeitung Übersetzungen aus dem Rumänischen ins Ukrainische an. Im Herbst beginnt er Anglistik zu studieren und verfolgt erstmals das Ziel, einen Band mit Gedichten zu veröffentlichen. Als einige der nach Transnistrien deportierten Bukowiner nach Czernowitz zurückkommen, darunter Celans Klassenkameraden Immanuel Weißglas und Alfred Kittner, zwei Dichter, die mit ihren Familien die Umsiedlungen überlebt haben, wird dieser noch schwermütiger.

Kittner glaubt, Paul Celan müsse “einen schweren, nie überwundenen psychischen Schock erlitten und sein Gewissen schwer belastet gefühlt haben: Es war der Gedanke, daß er vielleicht die Ermordung seiner Eltern im Lager hätte abwenden können, wenn er mit ihnen gegangen wäre.” Ende April 1945 fährt Celan von Czernowitz nach Bukarest (“Die Hauptsache ist, von hier wegzukommen.”) - damit beginnt ein neuer Abschnitt in seinem Leben, er überschreitet “neben der politischen auch eine persönliche Grenze.” Arbeit findet er bei dem neuen Verlag Cartea Rusa (“Das russische Buch”), wo er Manuskripte lektoriert und russische Literatur ins Rumänische übersetzt. Seine Arbeiten werden gepriesen, er muß aber aufgrund des in Rumänien immer noch wirksamen Antisemitismus seinen Namen Antschel durch ein Pseudonym ersetzen und entscheidet sich letztlich für “Celan” (Anagramm zu Ancel). In Bukarest findet Celan, nicht zuletzt durch seine Verlagsarbeit, schnell Zugang zum dortigen literarischen Leben, in dem jüdisch-rumänische Schriftsteller einen wichtigen Faktor darstellen.

Er knüpft viele neue Freundschaften mit jüdischen Persönlichkeiten, gelangt zu neuer Freude am Leben und entwickelt eine Liebe zu Wortspielen. Dennoch betrachtet Celan die Jahre in Bukarest (April 1945 bis Dezember 1947) als Übergangszeit, in der er Geld verdient, um nach Wien übersiedeln zu können: “Das Erreichbare, fern genug, das zu Erreichende hieß Wien.” (GWIII, 185) Im Mai 1947 erscheint “Todesfuge” als erstes veröffentlichtes Gedicht Celans, zunächst allerdings nur in der rumänischen Übersetzung Petre Solomons unter dem Titel “Tangoul Mortii” (“Todestango”), in der Bukarester Zeitschrift “Contemporanul”. Folgende Notiz wird vorangeschickt: “Das Gedicht [...

] beruht auf der Beschwörung einer wahren Begebenheit. In Lubin wie in vielen anderen ‚nazistischen Todeslagern‘ zwang man eine Gruppe von Verurteilten, wehmütige Lieder zu singen, während andere Gräber schaufelten.” Tatsächlich hat ein SS-Leutnant im Lager Janówska in Lemberg, unweit von Czernowitz, jüdischen Geigern befohlen, einen Tango mit neuem Text namens “Todestango” zu spielen, der bei Märschen, Folterungen, Hinrichtungen und beim Gräberschaufeln erklungen ist. Aber auch in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern verwendeten die Häftlinge die Bezeichnung “Todestango” für jede Art von Musik, die gespielt wurde, wenn eine Gruppe zur Erschießung geführt wurde. 1.3.

Hintergrund zur Entstehung von “Engführung” In Rumänien sieht Celan als deutschsprachiger Dichter im Zeichen des Sozialistischen Realismus keine Zukunft für sich, weshalb er im Dezember 1947 aus Bukarest flieht und über Budapest nach Wien gelangt. Doch diese Stadt enttäuscht ihn aufgrund von immer noch spürbarem Antisemitismus so sehr, daß er bereits im nächsten Jahr (Mitte Juli 1948) nach Paris weiterfährt. In den folgenden Jahren (1948-1952) entstehen kaum Gedichte, Celan schreibt nur über sein “Schweigen, auferlegtes und in sich selber beschlossenes, Schweigen, das ein Nichtreden-können war und solches, das Nichtreden-müssen zu sein glaubte.” Um sein Studium der Philologie und deutschen Literatur finanzieren zu können, betätigt er sich als Fabrikarbeiter, Dolmetscher und Übersetzer, er gibt auch Deutsch- und Französischstunden. In Paris hat Celan vor der Bekanntschaft mit seiner späteren Ehefrau, Giséle Lestrange, kaum Freunde, unterhält aber Kontakte zu Freunden aus Wien, Bukarest und Czernowitz und besucht im Mai 1952 ein Treffen der Gruppe 47 in Hamburg. Dort trägt Celan auch die praktisch noch unbekannte “Todesfuge” vor, stößt damit aber auf Ablehnung.

Im Dezember 1952 wird mit dem Erscheinen von “Mohn und Gedächtnis” “Todesfuge” einem größeren Publikum zugänglich. Falsche Angaben zu Celans Leben und Fehlinterpretationen der Gedichte in vielen Rezensionen führen Celan zu dem Entschluß “niemals wieder ein Gedicht wie ‚Todesfuge‘ [zu] schreiben.” Das bedingt allerdings keinen thematischen Wechsel seiner Lyrik, sondern vor allem eine Änderung des sprachlichen Ausdrucks, wie (auch) in “Engführung” deutlich wird. Er versucht, seine poetische Formulierung über die bisherigen Grenzen hinaus zu treiben, sie, wie er sagt, an den Rand ihrer Selbstbehauptung zu bringen. 1953 bezichtigt Claire Goll Paul Celan des Plagiats von Wendungen und Bildern aus einem 1951 erschienenen Gedichtband ihres Mannes, was den Verfasser von “Mohn und Gedächtnis” zutiefst kränkt. Obwohl sich die Vorwürfe als haltlos erweisen, wird sich Celan noch lange mit Bitterkeit daran erinnern.

Spätestens ab 1951 beschäftigt sich Celan mit dem Werk Martin Heideggers, er liest auch Hegel, Nietzsche, Schlegel und Fichte, sowie Martin Buber und Gershom Scholem. Ferner kauft er Bücher über Zoologie, Geologie, Mineralogie, Kristallographie, Physik, Anatomie, Vögel, Botanik und insbesondere über Rosen. Wie immens wichtig die Lektüre für die Entstehung von Gedichten bei Celan ist, zeigt sich nicht zuletzt dadurch, daß Randbemerkungen teilweise direkt in seine Dichtung eingehen und er auf Seitenrändern öfters die Sigle “-i-” vermerkt, um erste Ideen für Gedichte zu kennzeichnen.  2. Literaturtheoretische Reflexionen Celans 2.1.

Lyrik nach Auschwitz – Adornos Thesen und Celans Standpunkt Jeder Künstler, der das Thema der Judenvernichtung im Dritten Reich aufnimmt, steht unter dem Zwang, dem Grauen “ästhetisch” gerecht zu werden und geht damit die Gefahr ein, geschichtliches Grauen zu beschönigen. Adorno formuliert deshalb 1951 seine vieldiskutierte These: “[...] nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, [..

.].” Entgegnungen, die darauf hinweisen, daß nach 1945 Kultur und Literatur in durchaus produktiver Weise weitergegangen seien, stützen sich oft auf ein “scheinheiliges Geschichtsbild purer Nützlichkeit” – eben diese Art der Vergangenheitsbewältigung nennt Adorno “barbarisch”. Es gibt gegenüber der Position Adornos aber auch durchaus berechtigte Einwände, etwa von H. M. Enzensberger (1959): “Der Philosoph Theodor W.

Adorno hat einen Satz ausgesprochen, der zu den härtesten Urteilen gehört, die über unsere Zeit gefällt werden können: Nach Auschwitz sei es nicht mehr möglich, ein Gedicht zu schreiben. Wenn wir weiterleben wollen, muß dieser Satz widerlegt werden.” Adorno entschließt sich daraufhin zu einer gewissen Einschränkung seines Urteils (1962); später (1966) schreibt er sogar: “Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein Gedicht mehr sich schreiben.” Er weist aber auf die Gefahren hin, die in der Darstellung des Leidens, im “ästhetischen Stilisationsprinzip” des “unausdenklichen Schicksals” liegen, weil auch jene Kunstwerke potentiell “Sinn” und “Genuß” für den Betrachter enthalten, die sich vermeintlich engagieren – und “damit allein schon widerfährt den Opfern Unrecht”. Gedichte nach Auschwitz – und hier stimmt seine Position mit der Celans überein – hält er für möglich, wenn sie dem Leiden Ausdruck verleihen und der Vergangenheit gedenken. Deshalb kommt er auch zu dem Schluß, daß heute “keine heitere Kunst mehr vorgestellt werden kann.

” Insgesamt sind die Thesen Adornos “Ausdruck einer negativ-dialektischen Denkbewegung zwischen der Möglichkeit und Unmöglichkeit von Kunst nach Auschwitz: keine positive Synthese wird angestrebt, die Situation der Kunst bleibt für ihn paradox”, weil sie zwar “der Aporie anheimfällt”, aber dennoch notwendig bleibt, um dem Grauen Ausdruck zu verleihen. 1995 wird erstmals eine Notiz Celans veröffentlicht, die sich direkt auf das Diktum Adornos von 1951 bezieht und in der Celan eine ironische Haltung gegenüber diesem Satz einnimmt:“Kein Gedicht nach Auschwitz (Adorno): was wird hier als Vorstellung von ‚Gedicht‘ unterstellt? Der Dünkel dessen, der sich untersteht hypothetisch-spekulativerweise Auschwitz aus der Nachtigallen- oder Singdrossel-Perspektive zu betrachten oder zu berichten [...].”  Daß Celan dem Verdikt Adornos dennoch sehr nahe steht, belegt das Gedicht “Ein Blatt”, in dem er auf Brechts Gedicht “An die Nachgeborenen” antwortet (“Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!”):“Ein Blatt, baumlos, für Bertolt Brecht:   Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch beinah ein Verbrechen ist, weil es soviel Gesagtes mit einschließt?” (GWII, 385)  Allein der Zugriff auf Wörter – in jeglicher Verwendung von Sprache – schließt demnach den Mißbrauch zwangsläufig ein.

Adorno, der plante, einen ausführlicheren Essay über Celan zu verfassen, schrieb über dessen Dichtung, sie sei “durchdrungen von der Scham der Kunst angesichts des wie der Erfahrung so der Sublimierung sich entziehenden Leids. Celan Gedichte wollen das äußerste Entsetzen durch Verschweigen sagen. Ihr Wahrheitsgehalt selbst wird ein Negatives.” 2.2. “Der Meridian” “Die Dichtung, [.

..] –: diese Unendlichsprechung von lauter Sterblichkeit und Umsonst!” (GWIII, 200) Marlies Janz bezeichnet den “Meridian”, Celans Rede anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises im Jahr 1960, als den “Versuch einer Theorie von Lyrik nach Auschwitz”. Diese Rede stellt die wichtigste und umfangreichste dichtungstheoretische Äußerung Celans dar. Jeder interpretative Umgang mit Celans Gedichten sollte mit der Deutung dieser Poetik beginnen, da ein Verständnis seiner Lyrik ansonsten zweifellos Glücksfall bleiben muß – wiewohl gewöhnlich zwischen dem Werk und dessen Rezeption durch den Autor selbst unterschieden wird. Der berühmt gewordene Satz “[.

..] sollen wir, [...] Mallarmé konsequent zu Ende denken?” (GWIII, 193) aus dem “Meridian” und ähnliche Strukturmerkmale der Poetiken Celans und Mallarmés veranlaßten frühe Interpreten Celans, in ihm einen “Nachfolge[r] des späten Mallarmé” zu sehen, was Celan selbst jedoch mehrfach und zu Recht bestritten hat.

Schon 1958 schreibt er: “Die deutsche Lyrik geht, glaube ich, andere Wege als die französische. [...] Ihre Sprache ist nüchterner, faktischer geworden, sie mißtraut dem ‚Schönen‘, sie versucht, wahr zu sein.” (GWIII, 167)  Im “Meridian” nimmt er einige der wichtigsten Postulate der poésie pure zurück und entwickelt in einem kritischen Durchgang durch deren Vorstellungen seine eigene Position: “Die Frage nach der Möglichkeit des absoluten Gedichts aufgreifend und den Anspruch darauf bekräftigend, gelangt er [.

..] im Namen einer gleichwohl nicht ästhetisch begründeten Utopie zu poetologischen Bestimmungen, die einerseits der poésie pure verbunden sind, andererseits aber deren artistische Beschränkungen zugunsten eines an jener Utopie orientierten Realismus überschreiten.”  Celans ambivalente Haltung gegenüber der poésie pure erklärt sich durch die außerästhetischen Bezugspunkte seines schriftstellerischen Schaffens; W. Menninghaus spricht von einer “geschichtliche[n] Erfahrung und Reflexion im Innern von Celans Intention auf die Sprache” – mit dieser Erfahrung ist die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten von Deutschland ausgehende Verfolgung und Vernichtung der Juden gemeint. Demnach ist Celans Auffassung der Sprache eng mit dem Erleben des Massenmords am jüdischen Volk verbunden.

Die Sprache trägt einerseits Mitverantwortung für das Geschehen (weil sie daran teilgenommen hat), ist andererseits aber selbst durch die Auslöschung der Namen der jüdischen Opfer verwundet worden und damit ihrerseits Opfer. Auf der Ebene der Struktur der sprachlichen Zeichen versucht Celan nun Momente aufzufinden, die er analog zu jenen historischen Geschehnissen als “Finsternisse todbringender Rede” (GWIII, 186) versteht. Im Einbringen dieser Momente in das Gedicht liegt die Chance, “die Sprache vom Makel der Duldung maßloser Verbrechen durch die Konfrontation mit ihrer eigenen ‚Dialektik der Vernichtung‘ (Vietta) zu reinigen” – hier erfolgt das bewußte Einbeziehen der Destruktion und des Schweigens. Es handelt sich also um den Versuch, die Sprache bis an ihre Grenzen zu treiben, wo die Voraussetzungen für ein lebendiges Sprechen gegeben sind, dem keine Schuld durch Verschweigen von Verbrechen anhaftet. Bei Mallarmé ist diese “Durchquerung des Nichts” eine Station auf dem Weg zum Erlangen von Schönheit. Für Celan ist es der Weg des Dichters, der “mit seinem Dasein zur Sprache geht, wirklichkeitswund und Wirklichkeit suchend.

” (GWIII, 186) Im Zentrum seiner Sprache und poetologischen Vorstellungen stehen die genannten historischen Bezüge – so ist seine Frage zu verstehen: “Aber schreiben wir uns nicht alle von solchen Daten her?” (GWIII, 196) Celan geht es um eine Reflexion der Strategien der Dichtung, wozu er im “Meridian” Kunst und Dichtung einander gegenüberstellt. Zuerst wird Kunst im Hinblick auf ihre artifiziellen Implikationen charakterisiert, wodurch sie den negativen Beigeschmack von “Künstlichkeit” erhält: “‚Nichts als Kunst und Mechanismus, nichts als Pappendeckel und Uhrfedern!‘” (GWIII, 188) “Die Kunst, das ist, Sie erinnern sich, ein marionettenhaftes, jambisch-fünffüßiges und [...] kinderloses Wesen.” (GWIII, 187)  Celan nimmt hier Bezug auf das Kunstgespräch zwischen Danton und Camille in Büchners “Dantons Tod” und bringt so dessen Urteil über eine entleerte, das Leben stilisierende idealistische Kunst ein.

Büchner setzt gegen den (kritisierten) klassizistischen Idealismus eine eigene “Ästhetik des Kreatürlichen”. Celan ortet hier ein allgemeines Dilemma der Kunst: Das künstliche Moment macht die Kunst generell fragwürdig. In “Dantons Tod” personifiziert Büchner diese Problematik. Auf der einen Seite stehen die Revolutionäre, die Gespräche über Kunst führen und am Ende ihren Tod auf dem Schafott kunstvoll für die Nachwelt inszenieren, auf der anderen Seite steht Lucile, die “Kunstblinde” (GWIII, 189), der alles Künstliche fremd ist und die für Celan die Dichtung repräsentiert. Sie sieht nur sprechen, achtet aber nicht auf den Gehalt des Gesagten und ist damit für Celan “[..

.] jemand, der hört und lauscht und schaut . . . und dann nicht weiß, wovon die Rede war. Der aber den Sprechenden hört, der ihn ‚sprechen sieht‘, der Sprache wahrgenommen hat und Gestalt, und zugleich auch [.

..] Atem, das heißt Richtung und Schicksal.” (GWIII, 188)  Der Satz “Es lebe der König”, den Lucile am Ende des Dramas nach der Hinrichtung ihres Freundes Camille ausspricht, führt zwangsläufig zu ihrer Verhaftung. Für Celan ist es das “Gegenwort, [..

.] das Wort, das sich nicht mehr vor den ‚Eckstehern und Paradegäulen der Geschichte‘ bückt, es ist ein Akt der Freiheit.” (GWIII, 189) Mit diesem “Gegenwort” spricht Lucile ihr eigenes Todesurteil, sie führt ihr Ende herbei, “indem sie lediglich ihrer individuellen, unverfälschten Neigung gehorcht, ohne Effekt oder Wirkung zu kalkulieren.” Im Gegensatz zu den Revolutionären, denen es nur um die Wirkung ihrer Worte geht, sie sind daher von “subjektfremden Zwecken bestimmt”, läßt sich Lucile nicht im Namen einer Idee niederzwingen, sondern behauptet ihre Subjektivität. Während die Äußerungen der Revolutionäre Bestandteil der entleerten Kunst geworden sind, weil sie die Vermittlung mit dem subjektiven Leben des einzelnen nicht mehr leisten können, substituiert Lucile deren künstlich gewordenes Pathos durch “ein Sprechen, in dem das Individuum als Atem und Schicksal präsent bleibt. Ihre Sprache ist [.

..] belebt. Zudem ist ihr subjektiver Protest gegen den Tod des Geliebten zugleich objektiv ein Protest gegen den herrschenden Terror; ihre sofortige Verhaftung belegt dies.” Lucile findet also eine Sprache für ihr subjektives Leiden, die zugleich objektiv Widerstand enthält. Diese Sprache bezeichnet Celan als “Dichtung”.

“Dichtung, wie sie in der Gestalt Luciles verkörpert ist, zeichnet sich dadurch aus, daß sie wandlungsfähig auf die Wirklichkeit reagiert und ein individuelles ‚Gegenwort‘ formuliert, in der Hoffnung, daß dieses auch über den Einzelnen hinaus Geltung besitzen kann.”  Nach Celan bezeugt Dichtung die “Gegenwart des Menschlichen” (GWIII, 190) besonders dort, wo physische und psychische Leiden das Individuum bedrängen. Obwohl Dichtung und Kunst bisher als Gegensätze behandelt worden sind, legt Celan in der Folge dar, daß Dichtung ohne Kunst nicht bestehen könne. Einerseits muß nämlich die ästhetische Dimension von Sprache im Gedicht künstlerisch entfaltet werden, andererseits muß sich die Dichtung auch einer gewissen künstlerischen Eigengesetzlichkeit unterwerfen, will sie von der Alltagssprache verschieden sein. Die Kunst bleibt aber ein “Hinaustreten aus dem Menschlichen” (GWIII, 192), das “ästhetische Stilisationsprinzip der idealistischen Kunst tötet durch Abbildung, indem es das Lebendige fixiert.” Celan vergleicht das künstlerische Vorgehen mit der mortifizierenden Wirkung eines Medusenhaupts in Anspielung auf Büchners Lenz: “‚Man möchte ein Medusenhaupt‘ sein, um .

. . das Natürliche als das Natürliche mittels der Kunst zu erfassen! [...] Das ist ein Hinaustreten aus dem Menschlichen, [.

..] in einen dem Menschlichen zugewandten und unheimlichen Bereich – denselben, in dem [...] die Automaten und damit .

. . ach, auch die Kunst zuhause zu sein scheinen.” (GWIII, 192)  Büchner, der “Dichter der Kreatur” (GWIII, 192), setzt der tötenden Kunst mit “unvergeßlichen Zeilen über das ‚Leben des Geringsten‘, die ‚Zuckungen‘, die ‚Andeutungen‘, das ‚ganz feine, kaum bemerkte Mienenspiel‘, [...

] das Natürliche und Kreatürliche entgegen.” (GWIII, 191) Celan sieht darin aber keinen Ausweg mehr, zumal er den mortifizierenden Charakter der Kunst mit der tatsächlichen Vernichtung von Leben verbindet. Damit verschärft sich nicht nur der Gegensatz zwischen Dichtung und Kunst, es stellt sich die Frage nach der Existenzberechtigung der Kunst – und somit auch der Dichtung.“Der Dichter, der in der gegenwärtigen Epoche, seinem künstlerischen Impuls entsprechend, in den auf der Ebene des Ästhetischen ehemals legitimen Bereich des Inhumanen eintreten will, um im Medium der Kunst ‚Leben um des Kunstwerks willen zu mortifizieren‘ (Janz), sieht sich im Gegensatz zu einem Dichter der Zeit Mallarmés mit der Tatsache konfrontiert, daß in unmittelbarer historischer Nähe eine gigantische reale Vernichtungsmaschinerie am Werke war.”  Celan kommt zur Frage: “Dürfen wir, wie es jetzt vielerorts geschieht, von der Kunst als von einem Vorgegebenen und unbedingt Vorauszusetzenden ausgehen, sollen wir, um es ganz konkret auszudrücken, vor allem – sagen wir – Mallarmé konsequent zu Ende denken?” (GWIII, 193)  Mallarmé vertritt die Position der Kunst, die Celan trotz aller Problematik nicht vollständig zurückweist und als Teil der Dichtung sieht:“Und Dichtung? Dichtung, die doch den Weg der Kunst zu gehen hat? Dann wäre hier ja wirklich der Weg zu Medusenhaupt und Automat gegeben!” (GWIII, 193)  Auf diesem Weg distanziert sich das Ich des Künstlers oder desjenigen, der Kunst aufnimmt, von sich selbst. “Wer Kunst vor Augen und im Sinn hat, der ist [.

..] selbstvergessen.” (GWIII, 193) Baudelaire und Mallarmé strebten eine Abspaltung des lyrischen Ichs vom Alltags-Ich an, forderten eine Trennung von Kunst und Leben. Für Celan bedeutet das: “Kunst schafft Ich-Ferne.” (GWIII, 193) Wie läßt sich nun diese “Ich-Ferne” der Kunst mit der geforderten Hinwendung zur Kreatur in der Dichtung vereinbaren?“Vielleicht – ich frage nur –, vielleicht geht die Dichtung, wie die Kunst, mit einem selbstvergessenen Ich zu jenem Unheimlichen und Fremden, und setzt sich – doch wo? doch an welchem Ort? doch womit? doch als was? – wieder frei? Dann wäre Kunst der von der Dichtung zurückgelegte Weg – nicht weniger, nicht mehr.

” (GWIII, 193f.)  Um zu vermeiden, daß Dichtung den “Weg zu Medusenhaupt und Automat” (GWIII, 193) geht, muß sie also durch die Position der Kunst reflektierend hindurchgehen. Dichtung muß sich im Durchgang durch die Kunst wieder freisetzen, d.h. sie geht zwar den Weg der Kunst, einen Weg des Unheimlichen und Inhumanen, gewinnt aber das Ich schließlich wieder zurück. Diese Freisetzung der Dichtung von der Kunst, die Freisetzung des Ich nennt Celan “Atemwende”: “Dichtung: das kann eine Atemwende bedeuten.

Wer weiß, vielleicht legt die Dichtung den Weg – auch den Weg der Kunst – um einer solchen Atemwende willen zurück? Vielleicht [...] schrumpft gerade hier das Medusenhaupt, vielleicht versagen gerade hier die Automaten – für diesen einmaligen kurzen Augenblick?” (GWIII, 195f.)  P. Lacoue-Labarthe definiert Celans “Atemwende” als “Konversion des Ich, das dem Dasein sich öffnet, und, in ihm, dem Menschlichen ‚statt‘ gibt.

” Sie ist mit einer subjektiven Entäußerung der Kreatur verbunden, die eine notwendige Reaktion auf eine bedrohliche Welt darstellt; Luciles “Gegenwort” etwa entspricht einer solchen Entäußerung. Deshalb vermutet L. Koelle den Ort der “Atemwende” dort, wo der Mensch unfreiwillig und unausweichlich seinem Tod ausgesetzt ist. Der Sinnlosigkeit solcher Situationen werden allein absurde Gesten gerecht. Die idealistische und mimetische Kunst muß beim Eingedenken an Schreckliches versagen, sie begibt sich stets in die Gefahr, die Todeszone zu ästhetisieren. Auch Adorno schreibt in einem Essay über Arnold Schönberg von “Erfahrungen, welche der Kunst schlechthin sich entziehen”.

Im Gegensatz dazu die Dichtung: “Vielleicht darf man sagen, daß jedem Gedicht sein ‚20. Jänner‘ eingeschrieben bleibt?” (GWIII, 196) Das Datum “20. Jänner” taucht am Beginn Büchners “Lenz” auf, es liegt aber nahe, daß Celan damit auch auf den 20. Jänner 1942 anspielt, den Tag der Wannsee-Konferenz in Berlin, an dem die Endlösung der Judenfrage beschlossen wurde. Celan stellt einen neuen, absoluten Anspruch an das Gedicht, der im Zusammenspiel von Kunst und Dichtung besteht. Aufgrund dieser inneren Widersprüchlichkeit sagt Celan vom absoluten Gedicht: “Das absolute Gedicht – nein, das gibt es gewiß nicht, das kann es nicht geben!” (GWIII, 199)  Die inneren Widersprüche der poetischen Sprache können nirgends zu einer endgültigen Auflösung gelangen, die Dialektik von Kunst und Dichtung bleibt bestehen.

Der Weg der Dichtung gleicht vielmehr einer Kreisbewegung – deshalb findet Celan schließlich das geeignete Sinnbild dafür: den Meridian.“Ich finde etwas – wie die Sprache – Immaterielles, aber Irdisches, Terrestrisches, etwas Kreisförmiges, über die beiden Pole in sich selbst Zurückkehrendes und dabei – heitererweise – sogar die Tropen Durchkreuzendes –: ich finde . . . einen Meridian.” (GWIII, 202)  2.

3. Dichtung als Dialog“Das Gedicht kann, da es ja eine Erscheinungsform der Sprache und damit seinem Wesen nach dialogisch ist, eine Flaschenpost sein, aufgegeben in dem – gewiß nicht immer hoffnungsstarken – Glauben, sie könnte irgendwo und irgendwann an Land gespült werden, an Herzland vielleicht.” (GWIII, 186)  Mit diesen Worten aus seiner “Ansprache anläßlich der Entgegennahme des Literaturpreises der freien Hansestadt Bremen” greift Celan ein Bild des russischen Dichters Ossip Mandelstamm auf, den Celan als Schicksalsverwandten ansah. In seiner poetologischen Schrift “Vom Gegenüber” schreibt Mandelstamm: “Der Seemann wirft im kritischen Moment eine versiegelte Flasche ins Wasser des Ozeans, welche seinen Namen enthält und die Aufzeichnung seines Schicksals. Nach langen Jahren, auf einer Dünenwanderung, finde ich sie im Sand; ich lese den Brief und kenne jetzt den letzten Willen des Verlorenen und den Zeitpunkt des Geschehens. [.

..] Der Brief, den die Flasche in sich barg, war an den adressiert, der sie findet.”  Nach Mandelstamms Lyrik-Verständnis ist das Gedicht an keine bestimmte Person gerichtet, hat aber dennoch einen Adressaten: den “Leser in der Zukunft”. Mandelstamm geht soweit, einen prinzipiellen Antagonismus zwischen dem Dichter und seinem konkreten Publikum zu konstatieren, eine Feindschaft zwischen Künstler und Gesellschaft. Der Dichter muß im Gedicht mit jemandem sprechen, den er weder kennt, noch kennenzulernen wünscht, um über die eigenen Worte ins Staunen zu geraten, um von ihrer Neuartigkeit verzaubert zu sein – wenn das Gegenüber bekannt wäre, wüßte der Dichter im voraus, wie es das Gesagte aufnehmen würde.

Daraus folgt: “[...] die Neigung zur Mitteilsamkeit ist umgekehrt proportional unserem faktischen Wissen vom Gegenüber und direkt proportional dem Bestreben, dieses Gegenüber an uns zu interessieren.”  Celan hilft die Lektüre Mandelstamms, der ausdrücklich behauptet: “Es gibt keine Lyrik ohne Dialog”, mit der Tradition deutscher Dichtung zu brechen, die seit der Romantik eindeutig monologische Züge trägt, besonders Gottfried Benn beharrt auf dem “unbestreitbar monologischen Charakter” der Lyrik. Im “Meridian” hingegen heißt es: “Das Gedicht ist einsam.

Es ist einsam und unterwegs. Wer es schreibt, bleibt ihm mitgegeben.” (GWIII, 198)  Das entspricht der “Flaschenpost” Mandelstamms, die die Aufzeichnung des Schicksals des “Seemanns” und seinen Namen enthält. Sprache ist also zunächst “gestaltgewordene Sprache des Einzelnen” (GWIII, 197f.). Celan meint weiter: “Das Gedicht will zu einem Anderen, es braucht dieses Andere, es braucht ein Gegenüber.

Es sucht es auf, es spricht sich ihm zu. Jedes Ding, jeder Mensch ist dem Gedicht, das auf das Andere zuhält, eine Gestalt dieses Anderen.” (GWIII, 198)  Damit wird die “Sprache des Einzelnen” zum “Gespräch” – “oft ist es ein verzweifeltes Gespräch.” (GWIII, 198) Einige Interpreten gehen davon aus, daß Celan im Gedicht den Kommunikationsakt in reiner Form ausdrücken möchte. Dafür spricht die Äußerung Celans in einem Brief an Hans Bender, er sehe “keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Händedruck und Gedicht.” (GWIII, 177) 2.

4. Metapoetische Reflexionen“Das Geschriebene höhlt sich, das Gesprochene, meergrün, brennt in den Buchten, [...]” (GWII, 75)  Dieser Abschnitt soll sowohl der theoretischen (und teilweise auch praktischen) Vorbereitung auf die Analyse des Gedichtes “Engführung” dienen als auch die praktischen Auswirkungen der im “Meridian” formulierten Poetologie Celans aufzeigen und den Zusammenhang zwischen seinen poetologischen und metapoetischen Reflexionen herstellen. Zur besseren Anschaulichkeit wurden auch Interpretationsansätze bestimmter Gedichte unter den jeweils in Frage kommenden Aspekten aufgenommen.

Weiters soll dieses Kapitel einen kurzen Überblick über die wesentlichsten Merkmale der metapoetischen Semantik Celans geben. 2.4.1. Linguistische Programmatik An der besonderen Stellung des Wortes “Name” in der Lyrik Celans (durch seine starke Geladenheit und auffallende Kontinuität) liest W. Menninghaus eine “Intention auf den Namen” ab, die er als “Intention auf die Sprache” versteht.

Dadurch ergibt sich eine Verbindung mit Walter Benjamins Sprachphilosophie, die mit dieser “Intention auf die Sprache” “keine bloße Absicht oder ein abstraktes Wollen [meint], sondern die die innere Form eines Sprechens ‚prägende Gewalt‘, die alles ‚Gemeinte‘ durchwaltende ‚Art des Meinens‘, das ‚Prinzip‘ von Sprachgestaltung, nach dem eine Rede (Text) in ihrer (seiner) inneren Form ‚gerichtet‘ ist.” Allgemein gesprochen zeigt sich also, daß es in Celans Gedichten in irgendeiner Weise um eine Motivation des sprachlichen Zeichens geht. Eine auf rein formale Schönheit ausgerichtete Lyrik im Sinn der poésie pure Mallarmés, der es um eine “absolute Motivation des materiellen signifiant jenseits und in bewußter Loslösung vom signifié” geht, kommt dabei schon aufgrund der poetologischen Äußerungen Celans im “Meridian” nicht in Frage. Die Gedichte scheinen daher auf eine Korrelation von Signifikant und Signifikat zu zielen, die gewöhnlich als arbiträr angesehen wird. “Das von ihm angestrebte ‚Sprechen‘ des ‚Gedichts‘ – so formuliert Celan in offenkundiger Anspielung auf Saussures Unterscheidung von langue und parole – sei grundsätzlich verschieden von dem allgemeinen, arbiträr-differentiellen System der ‚Sprache schlechthin‘. Es solle vielmehr eine ‚Individuation‘ des ‚Sprechens‘ realisieren, die ‚vermutlich auch nicht erst vom Wort her ‚Entsprechung‘‘ sei, also eine innere Beziehung zwischen der materiellen Form der signification und ihrer geistigen Bedeutung herstelle und damit auch das für gewöhnlich als abwesend (‚draußen‘) gedachte signifié nicht-signifikativ=unmittelbar in die materielle ‚Gegenwart und Präsenz‘ des Gedichts einwebe [.

..].”  Das Gedicht soll also eine Verbindung von Signifikant und Signifikat anstreben, um eine Unmittelbarkeit des Sprechens zu erreichen. Celan wendet sich gegen die “totzuschweigende Zeichen-Zone” (GWII, 91) und spricht ausdrücklich vom “zu versenkenden Zeichen” (GWII, 37) oder von bereits “zusammengetretenen / Zeichen” (GWII, 69) – sein erklärtes Ziel ist, mit W. Menninghaus gesprochen, das “Versenken der semiologischen Differenz”.

Zwei Aspekte dieser Differenz stören Celan besonders: die Arbitrarität des Zeichens und die damit verbundene Abwesenheit und Abstraktheit der Bedeutung, die beide durch ein lebendiges Sprechen im Gedicht überwunden werden sollen. Anhand von Beispielen soll vorgeführt werden, wie Celans Gedichte die angestrebte Indifferenz der “signification” thematisieren bzw. auch zu realisieren versuchen. W. Menninghaus gelingt es zu zeigen, daß sich Celans metapoetische Sprachreflexion einer optischen Metaphorik bedient, die von grell “blendendem Licht” über Zwischenstufen bis hin zum “Schatten” reicht. Das grell blendende Licht bildet durch seine schroffe “Differenz zum Wahrnehmungsapparat des von ihm Geblendeten” und seine “kommunikationsfeindliche Atmosphäre” den negativen Pol und entspricht damit der “in sich unvermittelten, nicht miteinander kommunizierenden” Differenz von Signifikat und Signifikant.

Den Gegenpol dazu bildet der “Schatten”.“Schwimmhäute zwischen den Worten,   ihr Zeithof - ein Tümpel,   Graugrätiges hinter 5 dem Leuchtschopf Bedeutung.” (GWII, 297)  Hier zeigen sich weitere Aspekte Celans metapoetischer Metaphorik. Die “Schwimmhäute zwischen den Worten” (1), ihr “Tümpel” (3) und die ‚Gräten‘ sind dem “Leuchtschopf / Bedeutung” (5f.) nicht nur farblich (“grau” – “leuchten”), sondern auch bildlich entgegengesetzt: “‚Häute‘ und ‚Gräten‘ als Gestalten des vermittelnden ‚Zwischen‘ versus unvermitteltes Herausstehen des ‚Leuchtschopfs‘, Vermischtheit der Materien bis zur Ununterscheidbarkeit im ‚Tümpel‘ versus scharfe Konturen des ‚Leuchtschopfs‘”. Diese Gegensätze entsprechen der Opposition von (vertikaler) Differenz und (horizontaler) Indifferenz der “signification”.

Den Vorgang des Überführens der semiologischen Differenz in die Indifferenz thematisiert das folgende kurze Gedicht: “Klopf die Lichtkeile weg:   Das schwimmende Wort hat der Dämmer.” (GWII, 268)  Durch das “Wegklopfen” der vertikalen “Lichtkeile” (2) Bedeutung kann die Differenz zwischen Signifikat und Signifikant aufgehoben werden. Der “Dämmer” (4) bewirkt ein Verschwimmen der scharfen Konturen. Sowohl der “Dämmer” als auch die Metapher des “Schwimmens” erscheint in mehreren anderen Gedichten Celans. Schon im Gedicht “Sprich auch du” aus dem 1955 erschienen Band “Von Schwelle zu Schwelle” heißt es:“[..

.] Beim Tode! Lebendig! 15 Wahr spricht, wer Schatten spricht.   Nun aber schrumpft der Ort, wo du stehst: Wohin jetzt, Schattenentblößter, wohin? Steige. Taste empor. Dünner wirst du, unkenntlicher, feiner! 20 Feiner: ein Faden, an dem er herabwill, der Stern: um unten zu schwimmen, unten, wo er sich schimmern sieht: in der Dünung wandernder Worte.” (GWI, 135)  Das Gedicht läßt sich als poetologisch-programmatische Selbstanweisung lesen.

Der Dichter soll zum “Faden” (20) werden, der den (hellen) “Stern” (21) mit der “Dünung / wandernder Worte” (23f.) verbindet. Die vertikale Differenz zwischen dem “Stern” und den wandernden “Worten” wird aufgelöst, der “Stern” “schwimmt” in einer horizontalen Ebene mit den “Worten”. Das erinnert an folgende Verse aus “Sprachgitter”:“Iris, Schwimmerin, traumlos und trüb: der Himmel, herzgrau, muß nah sein.” (GWI, 167)  Auch hier das Motiv des Schwimmens, ein “Himmel”, der “nah” ist (d.h.

es gibt keine vertikale Differenz), die Worte “trüb” und “herzgrau” als Gegensatz zum grellen Licht. Das Gedicht “Bakensammler” aus “Lichtzwang” (1970) spricht ebenfalls von der Aufgabe des Dichters: “Baken- sammler, nächtlings, die Hucke voll, am Fingerende den Leitstrahl 5 für ihn, den einen an- fliegenden Wortstier.   Baken- meister.” (GWII, 244)  “Baken”, Orientierungszeichen auf Verkehrswegen (auch Leuchtzeichen für Schiffe), stehen nach W. Menninghaus in diesem Gedicht für die arbiträren Zeichen, von denen der Dichter, der Bakensammler, “die Hucke voll” (3) hat. Der “Wortstier” (6) stehe für eine “besondere, einzigartige Sprachgestalt”, deren Anflug nicht durch die Baken selbst, sondern durch den Bakensammler geleitet werde.

Mit dem “Leitstrahl” (4) am Fingerende, möglicherweise dem Schreibmaterial, meistere er gleichsam durch eine Blendung des Blendenden die arbiträren Zeichen. Der “an-/fliegende[] Wortstier” (5f.) steht im Kontrast zu den arbiträren Zeichen, während allerdings der “Leitstrahl” (4), der den Landevorgang des “Wortstier[s]” (6) regeln soll, dieselben Eigenschaften wie die Baken selbst hat. Die Landung kann nur glücken, wenn dem “Wortstier” (6) die Funktionsweise der Baken – in Form des “Leitstrahl[s]” (4) – entgegengehalten wird. Menninghaus schreibt dazu:“Das Wort ‚Leitstrahl‘ markiert mithin sowohl die inhaltliche Funktion und die semiologische Form der Bake als auch – eine Art Mimikry – die Strategie dessen, der die arbiträr-instrumentelle Zeichen-Logik, bis zum Überdruß von ihr erfüllt (‚die Hucke voll‘), immanent durchbricht und aus einem Zeichen-Sammler zu ihrem Bewältiger, Überwältiger, kurz: ‚Meister‘ wird.”  Wenn der Dichter den “Wortstier” (6) so zur Landung bringt, schafft er aus arbiträren Zeichen etwas Neues und wird dadurch selbst vom Bakensammler zum Bakenmeister.

Die neuartige sprachliche Figur, der “Wortstier” (6), kann aber nur im Durchgang durch die Funktionsweise der “Baken” zur Landung gebracht werden – vergleichbar dem im “Meridian” beschriebenen Gang der Dichtung durch die Kunst hindurch. W. Menninghaus weist ein dichtes sprachliches Beziehungsgefüge nach, zeigt aber gleichzeitig, daß dessen “Vielstelligkeit” nicht mit seiner “Präzision” konkurriert. Das Gedicht aktiviert auf poetische Weise seine Metapoesie: Die Bake als Inbegriff der “zu versenkenden Zeichen” (GWII, 37), “Bakensammler” und “Bakenmeister” als neologische Metaphern für den Dichter. Der Landevorgang des “an-/fliegenden Wortstier[s]” (5f.) (als Einebnung der Differenz) zeigt ebenfalls sehr deutlich eine Opposition zur vertikalen semiologischen Differenz der Baken als arbiträre Zeichen.

  Es stellt sich allgemein die Frage nach der Intention des angestrebten “Versenkens” der semiologischen Differenz. Zunächst ließe es sich – rein theoretisch – als eine Intention auf eine “natürliche” Nomenklatur der Dinge verstehen, also auf onomatopoetische Relationen zwischen singulären Worten und singulären Dingen. Obwohl Celans metapoetische Gedichte (durch die Intention auf den “Namen”) das zu bestärken scheinen – weshalb viele Interpreten diese Intention nahegelegt haben –, widerspricht hier, nach Menninghaus, die Poetologie der “Meridian”-Rede, die auf ein “signifié sui generis” hindeutet, “das sich durch die Worte hindurch realisiert”. Menninghaus sieht das signifié, das im Gedicht zu unmittelbarer “Präsenz” gelangen soll, “statt auf der atomistischen Ebene singulärer signifiants in der inneren Form, in der strukturellen Bewegung der Worte [...

], in demjenigen, was Benjamin eine sprachliche ‚Mimesis‘ im ‚weiteren Sinn‘ nennt [...].” Das scheint viel eher der “Meridian”-Poetologie zu entsprechen, in der die angestrebte “Gegenwart und Präsenz” (GWIII, 198) des Gedichts nicht als Vergegenwärtigung von Dingen in einzelnen Worten definiert wird, sondern als Verbindung der “Gestalt” einer Person und des (historischen) “Neigungswinkels [ihres] Daseins” (GWIII, 197) mit “Gestalt”, “Richtung” und “Atem” (GWIII, 188) ihres Sprechens. Deshalb spricht auch Menninghaus von einer “‚magische[n]‘=nicht-instrumentelle[n] Ineinsbildung von (historischer, psychologischer) Subjektivität und der ‚Gestalt‘, der inneren Form ihres Sprechens.

” Im “Namen” sieht er den Inbegriff dieser “eigenen Gestalt” des Sprechens, das – “un-/berührt von Gedanken” (GWII, 15) – “Gestalt” und “Richtung” (GWIII, 188) der Subjektivität einer Person und ihrer historischen Bedingungen zum Ausdruck bringen soll. Da sich dieses Sprechen nur im Extremfall direkt in einem singulären Wort (“Name”) realisieren kann, hat es ihren “Ort” (GWIII, 199) in der inneren Gestalt des Sprechens. “Kleide die Worthöhlen aus mit Pantherhäuten, [...] und lausch ihrem zweiten und jeweils zweiten und zweiten Ton.

” (GWII, 198)  Die angestrebte Sprachform kann sich nicht in verbalen Inhalten der Worte verwirklichen, sondern nur im “zweiten / Ton” einer Sprachbewegung. Es handelt sich in vielen Gedichten um metapoetische Umschreibungen dieser Sprachdimension, “die Humboldt die innere Sprachform und Benjamin die ‚magische Seite der Sprache‘ nennt, ihren ‚physiognomischen Ausdruckscharakter‘ jenseits der ‚verbalen Inhalte‘, kurz: die ‚Sprache der Sprache‘.”   Aus all dem resultiert eine Paradoxie von Celans Metapoesie des “Namens”. Eine Sprachform jenseits von transportierten Inhalten wird gefordert, während die Gedichte selbst dennoch weitgehend der kritisierten (inhaltstransportierenden) Sprachlogik gehorchen. In nicht-metapoetischen Gedichten finden sich, nach Menninghaus, sogar “stark markierte ‚Bedeutungen‘ im traditionellen Sinn”. Anders betrachtet verwirkliche, so Menninghaus, zumindest die Metapoesie “in manchem bereits an sich selbst, was sie scheinbar nur postuliert”.

Das geschehe einerseits durch Parallelismen und Oppositionen der metapoetischen Metaphern (“Licht” – “Schatten”) und Motiven, andererseits in der Art der Verwendung des Wortes “Name”. Im Verhältnis zur nicht-metapoetischen Lyrik Celans finde hier wieder die Bewegung einer Vermittlung der Differenz in die Indifferenz statt. “Beide Momente – der Widerspruch zwischen dem metapoetischen Postulat des Transzendierens instrumenteller Signifikativität und der selbst noch in vielem der kritisierten Sprachlichkeit verhafteten Form sowohl des Formulierens als auch des ‚poetischen‘ Realisierens dieses Postulats einerseits, die immanente Poetisierung der metalingualen Sprachfunktion und damit die Ineinsbildung von Poesie und Metapoesie andererseits – werden [...] immer wieder als ein konstruktives Spannungsfeld von Celans ‚Sprechen‘ erkennbar [.

..].”  2.4.2.

Die historische Reflexion im Innern der linguistischen Programmatik Celan bezieht die Arbitrarität des Zeichens – wie die Sprachmystik – auf die Motive des Sündenfalls und der Sprachverwirrung von Babel. Babel wird zu einer Chiffre für die Arbitrarität des Zeichens, von dem sich das “lebendige Sprechen” des Gedichts abstoßen muß. Das Besondere an Celans Reinterpretation dieses theologisch-mystischen Erklärungsschemas besteht in dessen nahtloser Verknüpfung mit den historischen Erfahrungen des Faschismus und der Judenverfolgung. Durch diese Verbindung werden die sprachverwirrenden Folgen von Babel aktualisiert und dramatisiert. Die Formulierung “blutschwarz umbabelt” (GWII, 339), “blutschwarz” als Steigerung von “blutrot” bzw. als Beschreibung getrockneten Blutes, verknüpft deutlich die Katastrophe der Konzentrationslager mit der Sprachverwirrung von Babel.

Celan betreibt eine enge Parallelisierung von herrschaftsförmiger Abstraktion in Sprache und Realität:“Auseinandersetzung mit der ‚Verkrüppelung‘ gesellschaftlichen Lebens durch abstrakte politische Gewalt und mit der ‚Verkrüppelung‘ sprachlichen Lebens durch abstrakt-arbiträre Bedeutungsfunktionen sind für Celan zwei bis zur Indifferenz identische Seiten desselben Abstoßens von ‚huriger‘ und ‚umbabelter‘ [...] Abstraktion: [...

].”  Anhand zahlreicher Beispiele weist W. Menninghaus die Bedeutung des Wortes “Baum” (Baum des Lebens, Baum der Erkenntnis) in Celans Darstellung des “Sündenfalls” von Sprache (Babel) und Realität (Au

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