Der autor:
Oskar der Außenseiter:
„Damit es so eich gesagt sei: Ich gehörte zu den hellhörigen Säuglingen, deren geistige Entwicklung schon bei der Geburt abgeschlossen ist und sich fortan nur noch bestätigen muß. So unbeeinflußbar ich als Embryo nur auf mich gehört und mich im Fruchtwasser spiegelnd geachtet hatte, so kritisch lauschte ich den ersten spontanen Äußerungen der Eltern unter den Glühbirnen.“ (s.52)
„ich blieb der Dreijährige, der Gnom, der Däumling, der nicht aufzustockende Dreikäsehoch blieb ich, um Unterscheidungen wie kleiner und großer Katechismus enthoben zu sein, um nicht als einszweiundsiebzig großer, sogenannter Erwachsener einem Mann, der sich selbst vor dem Spiegel beim Rasieren mein Vater nannte, ausgeliefert und einem Geschäft verpflichtet zu sein, das, nach Matzeraths Wunsch, als Kolonialwarengeschäft einem einundzwanzigjährigen Oskar die Welt der Erwachsenen bedeuten sollte. Um nicht mit einer Kasse klappern zu müssen, hielt ich mich an die Trommel und wuchs seit meinem dritten Geburtstag keinen Fingerbreit mehr, blieb der Dreijährige, aber auch Dreimalkluge, den die Erwachsenen alle überragten, der den Erwachsenen so überlegen sein sollte, der seinen Schatten nicht mit ihrem Schatten messen wollte, der innerlich und äußerlich vollkommen fertig war, während jene noch bis ins Greisenalter von Entwicklung faseln mußten, der sich bestätigen ließ, was jene mühsam genug und oftmals unter Schmerzen in Erfahrung brachten, der es nicht nötig hatte, von Jahr zu Jahr größere Schuhe und Hosen zu tragen, nur um beweisen zu können, daß etwas im Wachsen sei.
Dabei, und hier muß auch Oskar Entwicklung zugeben, wuchs etwas - und nicht immer zu meinem Besten - und gewann schließlich messianische Größe; aber welcher Erwachsene hatte zu meiner Zeit den Blick und das Ohr für den anhaltend dreijährigen Blechtrommler Oskar?“ (s.
71)
„Mein Patient mißt einen Meter und einundzwanzig Zentimeter Er trägt seinen Kopf, der selbst für normal gewachse Personen zu groß wäre, zwischen den Schultern auf nahezu verkümmertem Hals, Brustkorb und der als Buckel zu bezeichnende Rücken treten hervor. Er blickt aus starklechtenden, klug beweglichen, manchmal schwärmerisch geweiteten blauen Augen. Dicht wächst sein leicht gewelltes dunkelbraunes Haar. Gerne zeigt er seine im Verhältnis zum übrigen Körper kräftigen Arme mit den - wie er selbst sagt schönen Händen. Besonders wenn Herr Oskar trommelt.“ (s.
563)
„Ich erinnerte mich der Herzjesu-Kirche noch von der Taufe her: ... Dann wollte er es noch einmal deutlich und laut hören, fragte: »Widersagst du dem Satan? Und all seinen Werken? Und all seinem Gepränge?«
Bevor ich den Kopf schütteln konnte - denn ich dachte nicht daran, zu verzichten -, sagte Jan dreimal, stellvertretend für mich: »Ich widersage.«
Ohne daß ich es mir mit Satan verdorben hatte..
. und als mich Jan vor das Portal der Herzjesu-Kirche trug, wo das Taxi bei heiterem bis wolkigem Wetter wartete, fragte ich Satan in mir: »Alles gut überstanden?«
Satan hüpfte und flüsterte: »Hast du die Kirchenfenster gesehen, Oskar? Alles aus Glas, alles aus Glas!«“ (s.174)
„Vierzehn war ich bald, liebte die Einsamkeit und ging viel spazieren. Meine Trommel ging mit, doch zeigte ich mich sparsam auf dem Blech, weil durch Mamas Abgang eine rechtzeitige Belieferung mit Blechtrommeln fraglich war und auch blieb.“ (s.218)
„Ich verließ meinen sicheren, fensterlosen, von drei Büroräumen und dem Korridor der ersten Etage eingeschlossenen Lagerraum für Briefsendungen, um nachjan Bronski zu schauen.
Wenn ich nach meinem mutmaßlichen Vater Jan Ausschau hielt, suchte ich selbstverständlich und fast mit noch größerer Begierde den invaliden Hausmeister Kobyella. War ich doch am Vorabend mit der Straßenbahn, auf mein Abendessen verzichtend, in die Stadt, zum Heveliusplatz und hinein in jenes mir sonst gleichgültige Postgebäude gekommen, um meine Trommel reparieren zu lassen. Wenn ich also den Hausmeister nicht rechtzeitig, das heißt vor dem mit Sicherheit zu erwartenden Sturmangriff fand, war an eine sorgfältige Befestigung meines haltlosen Bleches kaum noch zu denken.
Oskar suchte also den Jan und meinte den Kobyella.“ (s.286-287)
„Während der alte Heilandt die Kiste mit Matzerath und dem Parteiabzeichen in Matzeraths Luftröhre, mit der Munition einer russischen Maschinenpistole in Matzeraths Bauch mehr ins Grab stürzte als hinabließ, gestand Oskar sich ein, daß er Matzerath vorsätzlich getötet hatte, weil jener aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur sein mutmaßlicher, sondern sein wirklicherVaterwar; auch weil er es satt hatte, sein Leben lang einen Vater mit sich herumschleppen zu müssen.
So stimmte es auch nicht, daß die Nadel des Parteiabzeichens schon offen war, als ich mir den Bonbon vom Betonfußboden klaubte. Aufgemacht wurde die Nadel erst in meiner geschlossenen Hand. Sperrig und stechend gab ich denn klebenden Bonbon an Matzerath ab, damit sie den Orden bei ihm finden konnten, damit er sich die Partei auf die Zunge legte, damit er daran erstickte - an der Partei, an mir, an seinem Sohn; denn das mußte ein Ende haben!“ (s.531-532)
Es ist seine ungenierte, respektlose Art, mit der Grass an die Dinge herangeht, die neugierig macht, erschreckt, verstört, fasziniert. Mit diesem un-verschämten Blick nähert er sich allen Themen, bricht Tabus mit einer Leichtigkeit - man kann ihm nicht einmal Böswilligkeit vorwerfen: Die heile Familie, die heilige Kirche, den Krieg und die halbherzige Bewältigung desselben entzaubert, entmystifiziert er und entwickelt doch gleichzeitig wieder einen neuen Zauber, hinterlässt ein sehnsüchtiges Gefühl verlorener Heimat.
Auch die Figur den Oskar selbst bricht er immer wieder.
Man könnte sich ja ganz gut mit ihm identifizieren: der unbekümmerte Held, der den geraden Weg geht, sich nicht einwickeln lässt von Parolen. Doch kaum hat man sich als Leser auf seine Seite geschlagen - entwickelt er plötzlich so unangenehme Seiten - verrät seine Mitmenschen und schafft im Fronttheater Durchhaltestimmung.
Man schenkt ihm eine Blechtrommel, die sein lebenslänglicher Begleiter sein wird. Oskar hat nun die Freiheit des Narren. Er stört, er mahnt und kommentiert, einem Rufer in der Wüste gleich, mit seiner kleinen Blechtrommel die schlimmsten Jahre unseres Jahrhunderts.
Zur Erzählform des Buches sei noch zu bemerken, daß Oskar von sich sowohl in der ersten als auch in der dritten Person erzählt.
Die Übergänge sind fließend und ein Wechsel findet manchmal innerhalb des selben Satzes statt. Bei der Person Oskar Matzerath, handelt es sich um einen Ich - Erzähler mit auktorialen Zügen. Nachzuweisen ist dies unter anderem auf Seite 241*² wo Oskar berichtet: "Niemand hätte vom Strand aus sehen können, wie Greff das Fahrrad ablegte [...] Fragen sie mich bitte nicht, woher ich das weiß, Oskar wußte damals so ziemlich alles [.
..]"
Mit dem von Bruno Münsterberg verfassten Abschnitt der Memoiren und dem seitenlangen Zitat aus dem Protokoll über die Aussage Gottfried von Vittlars führt Grass zwei weitere Erzählperspektiven ein. Außerdem ist da noch der theatermäßige Dialog im Kapitel "Beton besichtigen -- oder mystisch barbarisch gelangweilt".
»DerDrejährig, der Gnom, der Däumling, der nicht aufzustockende Dreikäsehoch« ist eine brilliant erfundene Kunstfigur, mit der die Welt auf satirische und burleske Weise von unten, aus der tückischen Scheinnaivität gemustert wird. Ausgestattet mit einer Gabe einer durchdringenden Stimme und der Fähigkeit, zerspringen zu lassen, ist er ein raffinierter Simplicus, ein buckliger Zwerg und priapischer Vorwärtsdränger, ein Kind und Ausbund überblickenden Verstandes, der Winzling und der Frauenheld, ein zweiwertiger Außenseiter voller Protest und erotischer Fluchtphantasien.
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