Autor
Autor Robert Schneider wurde 1961 in Bregenz als uneheliches Kind geboren, wuchs in Meschach, einem Bergdorf in den rheintalischen Alpen auf, wo er heute als freischaffender Schriftsteller lebt. Er absolvierte von 1981-1986 das Studium der Komposition, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft in Wien.
1988 wurde ihm ein Dramatikerstipendium des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst/Wien für sein erstes Theaterstück „Die Strandgeher“ gewährt. Für die Arbeit an seinem ersten Roman „Schlafes Bruder“ erhielt er den Abraham-Woursell-Award, ein amerikanisches Privatstipendium zur Förderung junger europäischer Autoren.
Robert Schneider wurde mit dem Filmdrehbuchpreis des ORF für sein Filmdrehbuch „Die Harmonien des Carlo Gesualdo“ ausgezeichnet. Sein Theaterstück „Traum und Trauer des jungen H.
“ erhielt den Landespreis für Volkstheaterstücke des Landes Baden-Württemberg.
Im Herbst 1992 debütierte er bei Reclam Leipzig mit dem Roman „Schlafes Bruder“ und es wird ein literarischer Sensationserfolg.
1993 gab es die Uraufführung des dramatischen Monologs „Dreck“ über die Angst vor dem Fremden im Thalia Theater. Bei den Potsdamer Theatertagen wurde „Dreck“ von der Jury zum „besten zeitgenössisches Theaterstück“ gekürt und Schneider erhielt den Dramatikerpreis dafür.
Von der Stadt Wien bekam er den Robert-Musil-Preis für das bisherige Schaffen.
„Schlafes Bruder“, dessen Manuskript von 23 Verlagen abgelehnt worden war, wurde zu einem Stück Weltliteratur und von der in- und ausländischen Literaturkritik geradezu euphorisch gefeiert.
Das Buch wird derzeit in 24 Sprachen übersetzt, darunter Schwedisch, Dänisch, Norwegisch, Spanisch, Katalanisch, Französisch, Tschechisch, Englisch, Holländisch und Italienisch.
Robert Schneider erhielt für seinen Roman ein Vielzahl von Preisen, darunter den Literaturpreis des Salzburger Osterfestspiele, den Alemannischen Literaturpreis, den Marieluise-Fleißer-Preis der Stadt Ingolstadt, den französischen Prix Médicis und den italienischen Premio Grinzane Cavour für den besten ausländischen Roman. „Schlafes Bruder“ wurde von Joseph Vilsmaier für das Kino verfilmt, vom Pfalztheater Kaiserslautern als Ballett vertanzt und von Herbert Willi als Oper vertont.
Inhalt
Elias kommt unter betrüblichen Umständen 1803 zur Welt. Die Hebamme ist in Gedanken bei ihren Heiratsplänen, der wortkarge Vater Seff arbeitet auf dem Feld, die Mutter quält sich in der hochsommerlichen Schwüle. Johannes Elias Alders leiblicher Vater ist aber der Kurat Elias Benzer, der angeblich mit mehreren Frauen aus dem Dorf sexuelle Beziehungen hat.
Elias wird gleichzeitig mit seinem Cousin Peter Elias Alder getauft, die Väter der beiden, Seff und Nulf Alder sind aber Todfeinde. Elias, der zunächst eine „gläserne Stimme“ hat, erlebt als fünfjähriger in einer einzigen Nacht, wie sein Körper in erschreckender Weise die Pubertät völlig durchlebt. Von dieser Nacht an hat er eine Baßstimme, gelb-leuchtende Augen und vor allem ein übernatürlich feines Gehör. So hört er in dieser Nacht an dem wasserverschliffenen Stein, zu dem er sich hingezogen fühlt, den Herzschlag des Fötus, der seine spätere Geliebte sein wird.
Wegen seines abnormen Äußeren wird Elias zwei Jahre lang eingeschlossen und er entwickelt zu Peter, der regelmäßig vor sein Fenster kommt, eine liebevolle Zuneigung. In dieser Zeit wird auch Peters Schwester Elsbeth geboren.
Elias erprobt die Möglichkeiten seiner Stimme, spricht dabei, ohne sich dessen bewußt zu sein, sogar mit den Tieren und imitiert Stimmen der Dorfbewohner. Nachts bringt er sich selbst das Orgelspiel bei, da der Organist, Lehrer Oskar Alder, sich aus Angst vor dem Talent des Jungen weigert, ihn zu unterrichten. Eines Tages hat Nulf Alder seinem Sohn Peter aus nichtigem Anlaß den Arm gebrochen und daraufhin plant Peter das Verderben des Vaters.
Während der Christmette 1815 bricht ein Feuer aus, welches das halbe Dorf vernichtet - Peter legte das Feuer im väterlichen Stall. Elsbeth wird von Elias aus dem brennenden Haus gerettet. Dieser wird später Zeuge, wie eine Meute unter Anleitung seines Vaters den Schnitzer Lamparter lebendig verbrennt.
Einige Höfe werden wiederaufgebaut und Elias mongoloider Bruder Philipp wird geboren. Sowohl Seff Alder als auch Peter wissen, dass Elias ihre Schuld kennt, und beide vertrauen darauf, dass er sie nicht verrät. Kurat Friedolin Beuerlein wird dermaßen senil, dass er nicht weiß, ob Weihnachten oder Ostern ist und er verwechselt Requiem und Taufe.
Als Elias mit Elsbeth eines Tages spazieren geht, plant Peter deren Freundschaft zu hintertreiben.
Die beiden Freunde, Elias und Peter zerlegen, reinigen und reparieren die Orgel. Nachdem sich der Organist aus Kummer bewußtlos säuft und später erhängt, ergreift Elias seine Chance auf der Orgel.
So wird er Dorflehrer und Peter bekommt den Hof überschrieben. Peter, der seine sadistischen Neigungen immer hemmungsloser am Vieh ausläßt, zwingt Elias dazu, der Dorfhure Burga einen Streich zu spielen: Sie entkleidet sich (in der Annahme, sie tue es für ihren Geliebten Gottfried) und läßt lich sogar dazu treiben, sich die Haare abzuschneiden und sich nackt im Schlamm zu wälzen. In dieser Nacht wird auch Peters homosexuelle Neigung offensichtlich.
Eines Tages kommt der Domorganist Goller, entdeckt Elias Talent und lädt ihn zum Feldberger Orgelfest ein. Peter überredet ihn die Einladung anzunehmen. Im Dom muss er über das Lied „Kömm, o Tod, du Schlafes Bruder“ improvisieren.
Während seiner Improvisation - die Elias Zuhörer hypnotisiert und in Begeisterung versetzt - lässt er sein ganzes Leben in Gedanken an sich vorbeiziehen und verliebt sich dabei erneut in Elsbeth.
Beim Orgelspielen fasst er einen unglaublichen Entschluss. Elias wandert, nach der Ehrung als Sieger des Improvisationswettbewerbs, zum wasserverschliffenen Stein und verpflichtet Peter, ihm bei seinem Vorhaben zu helfen.
Geistig verwirrt zwingt sich Elias mit Hilfe von Drogen und kalten Bädern im Bach, später indem er sich an einem Baum binden lässt, sieben Tage und Nächte wach zu bleiben, in der Hoffnung, dass dieses wache, neue Leben ihm die Liebe Elsbeths bringen werde. Peter fühlt sich durch seinen Schwur verpflichtet, seinen Freund bei diesem qualvollen Selbstmord zu unterstützen. Er stirbt schließlich am achten Tag an Atemlähmung, durch eine Überdosis der Tollkirsche.
Peter begräbt seinen Freund; er ist von da an nicht mehr sadistisch, sonden mitfühlend, und Mensch und Tier finden allmählich Vertrauen zu ihm. Er stirbt sechzehn Jahre nach seinem Freund, mit 38, am „Sankt-Antonius-Feuer“, nachdem er die zweite Feuerkatastrophe in Eschberg überstanden hat, in der der gelähmte Seff Alder im Feuer umkommt. Die meisten Eschberger ziehen nach dem zweiten Feuer weg. 1892 fallen dem dritten Feuer zwölf Menschen zum Opfer, der einzige Überlebende ist Cosmas Alder.
Elsbeth unternimmt etwa neun Jahre nach Elias Tod mit ihren sechs Kindern einen Ausflug, um ihnen den vom Regen angeschwollenen Bachlauf der Emmer zu zeigen. Als sie erstaunt feststellt, dass der wasserverschliffenen Stein nicht mehr da ist, erzählt sie den Kindern von Elias, und beendet ihre Geschichte mit: „Vielleicht sei er nur deswegen von Eschberg weggegangen, weil er hier seine Liebe nicht habe finden können“.
Als sie ihr Älterster, Cosmas, fragt, was Liebe sei, wird sie verlegen.
Personen
Johannes Elias Alder
Elias ist ein besonders Kind. Es könnte sein, dass Gott sein gesamtes Schicksal bestimmt. Man sieht dies durch seine Liebe und sein Talent für die Musik, die Verfärbung seiner Pupillen, seine unglückliche Liebe zu Elsbeth und seinem Selbstmord. Vielleicht hätte sein Leben nicht so tragisch enden müssen, wenn er seine Gefühle gegenüber Elsbeth, aber auch sie ihre Gefühle ihm anvertraut hätte.
Aber so ist das Alderische Geschlecht, wenn nicht sogar das vorarlberische auch.
Für Peters Liebe zu ihm gibt es einige Faktoren: zunächst Peters Sensationslust, angesichts der gelben Augen und der ungewöhnlichen Stimme des Cousins, dann hauptsächlich das für Peter befriedigende Gefühl, jemanden zu haben, den er lenken und auch weitgehend beherrschen kann.
Peter Elias Alder
Peter hat seit seiner Kindheit einen verkrüppelten Arm. Er weisst sadistische Grundzüge auf und ist auch lieblos und kalt zur Familie. Zu Elias ist er aber immer liebevoll und treu, da er eine unterdrückte homosexuelle Orientierung besitzt. Er leidet unter der Langeweile des Bauerndaseins und empfindet Lebenslangeweile. Seit des Selbstmordes seines Freundes unterliegt er einem völligem Gesinnungswandel und ist von da an zuverlässig und vertrauenswürdig.
Elsbeth Alder
Elsbeth Alder ist Peters Schwester; dies ist deswegen von Bedeutung, da Peter deshalb in der Lage ist, Elsbeth von seinem Geliebten Elias fernzuhalten, indem er sie mit Lukas verkuppelt. Und Elsbeth, die von Elias keine offensichtlichen Zeichen seiner Zuneigung erhält, ist mit der Zeit damit einverstanden. Es ist für sie unmöglich aufhören Elias zu lieben.
Lesefrüchte
Welch prachtvolle Menschen, Philosophen, Denker, Dichter, Bildner und Musiker muss die Welt verloren haben, nur weil es ihnen nicht gegönnt war, ihr genuiales Handwerk zu erlernen.Seite 14
Zwischenzeitlich unterließ die Seffin alles, was einer günstigen Entwicklung ihres frühreifen Jungen hätte förderlich sein können. Sie sprach nicht mit ihm, stellte die Suppe vor die Gadentür, wie man einer Katze die Milch hinstellt.
Anfänglich vermied sie jede Berührung aus Angst, sich am Gelbfieber seiner Augen anzustecken. Zärtlichkeit, ein solches oder ähnlich lautendes Wort, war ihr und den meisten Eschberger Weibern unbekannt. Auch trug sie immer weniger Sorge um seine Reinlichkeit, weshalb es schließlich dahin kam, dass Elias verdreckte und verlauste. Seite 45
Das Kind sollte auf den Namen Elsbeth getauft werden. Und Elias schluchzte vor Freude. Er jubilierte.
Jubilierte an Leib und Seele. Denn er vernahm ein wundersames Pochen, und vom Klang dieses Pochens wurde ihm zumute, als schaute er das Paradies. Es war Elsbeths Herzschlagen. Es war der Klang der Liebe. Seite 52
Wenn einem Menschen von Anbeginn bedeutet wird, dass er zwar ein geniales Talent besitzt, es aber niemals wird vollenden dürfen, weil es die Gesetzmäßigkeiten eines verschwenderischen Planes will, so hätte sich an diesem Leben selbst in der Fremde, in der günstigen Umgebung einer musikliebenden Welt nichts geändert. Gott ist stärker, denn er liebt alles Unrecht unter der Sonne.
Seite 95
Obwohl sie einander in inniger Freundschaft zugetan waren, verheimlichten sie einander doch ihre bedeutsamen Gefühlsregungen. Das war ein ganz typischer Zug des Alderschen Geschlechts, und man darf billig hinzufügen, des vorarlbergischen überhaupt. Niemals hätte ein Alder einem Menschen anvertraut, daß er ihn liebhabe. Alles mußte ohne Worte geschehen, und wenn, nur in Andeutungen und Halbheiten. Sprachlos waren diese Menschen, ja sprachlos bis in den Tod.Seite 135 f.
Elias atmete die unerhört spannungsgeladene Täsur, griff siebenstimmig in die Tasten, spielte den Choral bis zum 3. Takt, riss ab, atmete, harmonisierte in unaufgelösten Dissonanzen bis zum 4. Takt, riss ab, .. Der Gestalt wollte er darlegen, wie man sich gegen den Tod aufzulehnen habe, gegen das Schicksal, ja gegen Gott.Seite 174
Deutung
Am Anfang dieses Romans geht es um unendeckte Genies.
Bereits im dritten Kapitel wird ausführlich erläutert, wie sehr der Erzähler bedauert, dass viele Menschen ihre Talente nicht entfalten können, da es die Bedingungen, unter denen sie leben nicht zulassen. Dieses Thema klingt immer wieder an, bis es fast wörtlich nach dem Tod des Elias wiederholt wird.
Die beeindruckende und bewegende Kraft der Musik spielt in dem Roman ebenfalls eine wichtige Rolle, denn neben der Liebe zu Elsbeth gibt sie Elias seine Lebenskraft. Als er in seiner Funktion als Blasebalgtreter mit seiner vollen Stimme das Orgelspiel des Lehrers Oskar Alder verbessert, wird es ersichtlich, dass es für Elias ein grundlegendes Bedürfnis ist, ein Musikstück schön und in der richtigen Tonart ohne Fehler zu hören und wenn möglich selbst zu singen oder zu spielen.
Diese Liebe zur Musik wird noch eindrucksvoller vermittelt, durch die bald erwachende Orgelspielkunst, denn sie wird so dargestellt, dass man sich die wandlungfähigen Klänge der Orgel beinnahe vorstellen kann.
Als eines der Grundprobleme der Bevölkerung dieses Bergdorfes wird der Mangel an Kommunikation bezeichnet.
Dieser Aspekt fällt zum erstenmal auf, als die Eltern Elias auf die Hebamme warten, die bei seiner
Geburt Hilfe leisten soll. Seff hat keine Worte, die er seiner Frau sagen könnte, die unter heftigen Wehen leidet. Diese Wortkargheit wird beschrieben mit: „Seff war kein Redner.“
Auch Elias gegenüber bleibt Seff meist stumm, vor allem wenn es um emotionale Dinge geht. Erst als Elias krank vor Liebeskummer wird und vier Tag nicht aus dem Bett kommt, tröstet ihn Seff. Er lügt, Elsbeth habe Elias in der Kirche vermisst und berichtet ihm schließlich seine Rolle am Mord an dem Schnitzer Lamparter.
Seit diesem geglückten, seltenen Gespräch ist Seff wieder voller Hoffnung und Ruhe.
Doch die Unfähgikeit, Gefühle auszudrücken, wirkt sich bei den anderen Personen, vor allem bei Elias fatal aus. Das Alderische Geschlecht ist unfähig einem andern Menschen anzuvertrauen, dass er ihn liebe. Sprachlos waren die Menschen, bis in den Tod. Diese Haltung führt auch zu der grotesken Situation, in der sich Elsbeth neben Elias sitzend ausmalt, wie es wäre, wenn er jetzt um ihre Hand anhalten würde.
Zur Sprache gebracht wird dieses Problem auch von Peter, Elias hält ihm jedoch entgegen, dass Peter seine homosexuelle Liebe zu ihm nie ausgedrückt habe.
In dem Roman wird Gott generell für alles Unheil verantwortlich gemacht. Gott soll es in seiner Verschwenderlaune gefallen haben, die so wertvolle Gabe der Musik an ein Bauernkind zu verschwenden, wo er doch wissen hätte müssen, dass es seine Anlage in dieser Gegend nie nützen und vollenden würde. Dieses Vorgehen Gottes wird als satanischer Plan hingestellt. Nach dem dritten Brand begreifen die Dorfbewohner schließlich, dass Gott die Menschen in Eschberg nie gewollt hat.
Gott wird z.B.
auch bei der unwirklichen Verwandlung des fünfjährigen Elias geradezu als sadistisch dargestellt. Besonders in Hinsicht auf die Liebe zu Elsbeth wird Gott als grundlos hartherziger Lenker des Schicksals beschrieben. Seit sich Elias in Elsbeth verliebt hat, nachdem er sie aus dem brennenden Haus rettet, heißt es immer wieder, dass Gott noch lange nicht mit ihm fertig war...
Andererseits heißt es, Gott habe Elias, durch Elsbeths Heirat mit Lukas, von seiner unglücklichen Liebe zu Elsbeth Alder befreit.
Auch vom Stein, der wie eine Fußsohle aussieht, als hätte vor grauer Zeit Gott selbst einen Schritt auf diese Welt getan, geht für Elias eine geheimnisvolle Anzeihung aus.
Gott wird auch als ohnmächtig gesehen, denn er kann den Selbstmord von Elias nicht verhindern. Es passt auch die Darstellung Gottes als kleines, zerlumpt gekleidetes, verwundetes Kind, das Elias in der Kirche erscheint - doch auch dieses Kind wird angeklagt: „... alles Aufbegehren nützt nichts.
Gott ist ein böses, nabelloses Kind.“
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