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Stephan Waba
Seminar-Arbeit
Alfred Polgar:
Der verlogene Heurige
25 Seiten
7945 Wörter
für das Seminar
„Literarische Streifzüge durch Wien“
bei O. Prof. Dr. Hedwig Heger
WS 1999/00
Wenn du diese Arbeit verwendest, schick bitte ein email an sjw@gmx.net!
Inhalt
Vorwort ..
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Das literarische Leben im Wien der Jahrhundertwende ....
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1 Phäakentum und Weltbühne ......
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2.2 Das Kaffeehaus als Nabel der Welt ..
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2.3 Künstler, Kritiker und Publikum – eine Hassliebe? ...
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Alfred Polgar – mittendrin und doch am Rand ...
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3.1 Alfred Polgars Stellung in der Wiener Kaffeehausgesellschaft .....
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3.2 Leiser Meister oder graue Maus? ....
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Der verlogene Heurige ...
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1 Die Geselligkeit des Einsamen ......
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4.2 Sozialkritik zwischen Wein, Weib und Gesang .
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4.3 Die Verlogenheit der Kultur .
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Didaktische Anwendbarkeit .....
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5.1 Erste Stunde .....
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5.2 Zweite Stunde ....
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3 Dritte Stunde ......
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Nachwort ..
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Bibliographie ....
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Vorwort
Als „feine, stille, silbergraue Maus“ wird Alfred Polgar in Franz Bleis Das große Bestiarium der Literatur beschrieben, als Autor und Kritiker, den die „große Menge“ für „harmlos“ hält.
Andere Lebensbeschreibungen Polgars drücken Ähnliches aus.
So bezeichnet Marcel Reich-Ranicki Polgar als „leise[n] Meister“, dessen „Platz am Rande“ sei. Dass er mit großem Aufwand versuchte, die Mühe, die ihm seine Arbeit bereitete, zu verheimlichen, hatte zur Folge, dass oberflächliche Beobachter bisweilen glaubten, Polgar sei zwar mit „Esprit, Humor und Anmut reichlich gesegnet, doch fehle ihm die Tiefe, wenn nicht gar der gehörige Ernst“.
Begibt man sich nun in Bibliotheken auf die Suche nach dem Künstler, als auch dem Menschen Alfred Polgar, spiegelt sich der oben angedeutete Mangel an Interesse an diesem Literaten in den Bibliographien wider, die Jahr für Jahr für Polgars Zeitgenossen wie Hugo von Hofmannsthal oder Arthur Schnitzler Dutzende wissenschaftliche Abhandlungen anführen, für ihn selber, den „leise[n] Schreiber“ jedoch manchmal auf Jahre hinaus kein Werk ausweisen.
Zwei Literaturwissenschaftler tauchen im Zusammenhang mit Alfred Polgar immer wieder auf. Zum einen ist dies Ulrich Weinzierl, der sich seit seiner Dissertation eingehend mit Polgars Werk auseinandersetzte und zum anderen Marcel Reich-Ranicki, der neben seiner biographischen Tätigkeit auch für einige von Polgars Ausgaben als Herausgeber verantwortlich zeichnet.
Diese Arbeit will versuchen, die Dichtung Alfred Polgars exemplarisch an seiner Erzählung „Der verlogene Heurige“ aufzuzeigen, aber auch hinter den Menschen Polgar zu blicken und die Umstände zu klären, unter denen dieser Zeuge seiner Zeit seine Kritiken und Werke verfasste.
Vielleicht kann auch die Frage geklärt werden, warum sich die Literaturwissenschaft mit dem Werk Polgars nicht eingehender beschäftigte. Eines soll diese Arbeit nämlich vermitteln; dass Polgar zwar ein leiser Kritiker war, der mit subtilen Mitteln arbeitete, aber längst nicht die langweilige Maus, als die er landläufig so gerne angesehen wird.
Das literarische Leben im Wien der Jahrhundertwende
2.1 Phäakentum und Weltbühne
Im Wien der Jahrhundertwende standen sich zwei, zunächst unvereinbare, Geisteshaltungen gegenüber; das heitere Genießen der Künste oder „Ästhetizismus“ einerseits und Indifferenz gegenüber politischen und gesellschaftlichen Reformen oder „therapeutischer Nihilismus“ andererseits.
Deutsche Dichter machten die Vorstellung populär, dass die Österreicher moderne Phäaken seien, die in Festivitäten, Schmaus und süßem Nichtstun miteinander wetteiferten. In der Tat ermöglichte die finanzielle Sicherheit in den Jahren von 1867 bis 1914 der gehobenen Bourgeoisie eine Jagd nach Vergnügen um ihrer selbst willen.
Ein oftmals dargestelltes Bild sind die „Ringstraßen-Dandys“, die Entscheidungen beharrlich aus dem Weg gingen und sich das tägliche Leben lieber durch Schauspiele und Belustigungen versüßten.
In solch einem Milieu wurde die Geselligkeit zu einer Kunst, die sowohl in den Adelskreisen als auch unter Bürgerlichen gepflegt wurde. Der Wiener pflegte seine Gabe, den Menschen Wohlbefinden zu vermitteln, indem er aus dem Genuss des anderen Vergnügen für sich selber zog.
Die ununterbrochen an den Tag gelegte „höfliche Fröhlichkeit, die amüsierte Selbstironie“ verlangte unausgesetztes Theaterspielen. Ganz nach der barocken Vorstellung des Welttheaters erfreute sich jeder daran, Rollen zu spielen und schlagfertige Antworten zu geben. Frustrationen begegnete man, indem man sie mit schauspielerischem Geschick ästhetisierte, anstatt Veränderungen anzustreben.
Dramatisch überhöhte Liebenswürdigkeiten waren durchaus keine glatte Lüge; vielmehr herrschte eine „allgemeine Unaufrichtigkeit mit vergleichsweise wenig Heuchelei“ vor.
In einer Gesellschaft, die die äußere Erscheinung so hoch bewertete, waren alle Menschen einer strengen Etikette unterworfen. Sei es der korrekte Eindruck, den man mit tadelloser Kleidung hervorrief, sei es das Verteilen von Trinkgeldern, was viel über den Stand des Betreffenden verriet, oder das Verhalten des Einzelnen in der Gesellschaft.
Besonders aber die Einstellung gegenüber dem Sexuellen reflektierte die „Doppelbödigkeit einer Gesellschaft, die sich der Tradition verpflichtet fühlt“. Während die Töchter in sexueller Unwissenheit belassen wurden und oft unter sexuellen Repressionen litten, genossen junge Männer weit größere Freiheiten. Man ermutigte sie sogar, in der Halbwelt zu verkehren, wenngleich deren Existenz in der guten Gesellschaft ignoriert wurde.
Die unvorstellbare Unterdrückung der Frauen hielt diese jedoch nicht davon ab, in kulturellen Dingen den Ton anzugeben. So bemerkte zum Beispiel Lou Andreas-Salome, dass die Wiener Intellektuellen ihre Genialität aus dem ständigen Umgang mit Frauen bezögen, ein Umstand, auf den im Laufe dieser Arbeit noch näher eingegangen werden soll. Von Frauen organisierte Salons inspirierten Musiker, Maler und Schriftsteller zu höchsten Leistungen.
2.2 Das Kaffeehaus als Nabel der Welt
Im gesamten Habsburgerreich blühte das Kaffeehaus als kulturelle Institution, als „literarisches Verkehrszentrum“. Es war eine Art öffentlicher Salon, in dem sich Männer und Frauen aller Klassen zusammenfanden, um zu lesen, ihren Überlegungen nachzuhängen oder Konversation zu treiben.
Just in den Kaffeehäusern stellte sich der Ästhetizismus des Jungen Wien dar, dessen Schriftsteller wie beispielsweise Arthur Schnitzler, Hermann Bahr oder Hugo von Hofmannsthal sich zunächst im Café Griensteidl am Michaelerplatz, später im Café Central beim Palais Ferstl versammelten.
Die Intellektuellen des Jungen Wien stammten meistens aus neureichen Familien, denen Ästhetizismus vor allem Flucht vor dem Müßiggang durch Konversation, Liebhabereien und Gelegenheitsschriftstellerei bedeutete.
Die Literatur der Jahrhundertwende ist gekennzeichnet durch ein krasses Missverhältnis zwischen dem Selbstbewusstsein ihrer Produzenten und der tatsächlichen öffentlichen Resonanz. Folge dieses Konflikts zwischen dem Bewusstsein, den eigentlichen fortschrittlichen Teil der Kultur zu bilden und der Tatsache, einer Gesellschaft gegenüberzustehen, die dafür keine entsprechende Würdigung findet, war der scheinbar apolitische Rückzug in die Harmonie einer „Subgesellschaft“. Und so unterhielten sich in Hunderten von Kaffeehäusern damals Intellektuelle miteinander, ohne an eine Veränderung der Realität auch nur zu denken.
Unzählige Beschreibungen, auch von Alfred Polgar, spiegeln in aufschlussreicher Weise die ambivalente, sich immer wieder selbstironisch artikulierende Situation der lebensfernen Literaten, die die Welt nur durch die Scheiben des Kaffeehauses sehen, wider.
In ihrer Ambivalenz waren sie sich ähnlich und gerade durch ihren selbstgewählten Ausschluss von der Gesellschaft, durch ihren Rückzug von dem, was man an der Realität ablehnte, besaßen sie auch ein positives Gruppengefühl.
Allerdings scheint auf Wiener Boden Persönliches seit jeher das Sachliche, auch die Beziehungen im Bereich von Literatur und Kunst zu überlagern. Gerade aus den Wiener Literaturcafés stammt die treffende Wendung „einander vom Wegschauen kennen“. Man lebte und arbeitete damals eben erheblich weniger nebeneinander als mit- und gegeneinander. Alfred Polgar selbst hat den Zustand der inneren und äußeren Verflechtung einer spezifischen Gesellschaft in der „Theorie des Café Central“ beschrieben: „Jeder weiß von jedem. Das Café Central ist ein Provinznest im Schoß der Großstadt, dampfend von Klatsch, Neugier und Médisance“.
Der Kaffeehauskameradschaft entsprach das literarische Genre, das als „Wiener Feuilleton“ bekannt wurde. Ursprünglich bezeichnete der Ausdruck den abtrennbaren unteren Teil der Titelseite einer Zeitung, der sich für gewöhnlich mit kulturellen Themen befasste. In Wien entwickelte sich das Feuilleton jedoch bald zu einer Art redefreudigem Essay über jedes beliebige Thema. Es wurde zu einem „Musterstück an Konversation, das sowohl dem Bedürfnis nach Neuigkeiten entsprach, als auch die Nostalgie befriedigte“. Die Feuilletonisten selber sahen ihre Kunst als diejenige an, über nichts etwas zu schreiben, als eine Fertigkeit, die weder beschrieben noch definiert werden könne; eine Haltung, die lückenlos in dieses Bild der auf den ersten Blick oberflächlichen Kaffeehauskultur passt.
Das Feuilleton war das natürliche Medium des Wiener Impressionismus.
Viele der Neuerungen Arthur Schnitzlers im Bereich der Novelle haben eine starke Ähnlichkeit mit der feuilletonistischen Technik. Als Forum für überspitzte Ansichten konnte das Feuilleton in einer von der Etikette regierten Gesellschaft deren Anstandsformen zum Gegenstand der Satire machen.
Der Verzicht auf Totalität, wie sie uns beispielsweise im modernen Roman begegnet, wurde durch eine umso größere Genauigkeit wettgemacht, um das Detail, in dem sich das Feuilleton sonst leicht verlieren hätte können, als Bild des Ganzen, das jedoch ein falsches Ganzes ist, erscheinen zu lassen. Dargestellt wird also quasi der „Mikrokosmos jenes Tropfens, der das Faß zum überlaufen bringt“.
Der schärfste Kritiker des Feuilletons war Karl Kraus, der es als die „Apotheose der Schlamperei in der Literatur“ erachtete. Er klagte die Journalisten an, mit ihrem Subjektivismus und ihrem luftigen, oberflächlichen und populären Stil der Verfall der bürgerlichen Welt zu beschleunigen.
Wie sehr die Kritik Popularisierungen auch herabsetzen mag, Meister des Feuilletons haben weit mehr die Stärke dieses Genres als seine Schwächen demonstriert. Das Feuilleton überbrückte Klassenunterschiede und Anschauungsdifferenzen, indem es eine Musik aus Sprache hervorbrachte. Es sprach Menschen an, die reichlich Muße und keinen Bedarf an praktischen Anregungen hatten. Gemeinsam mit dem Kaffeehaus schuf das Feuilleton eine Atmosphäre, in der geistige Erneuerung gedeihen konnte.
2.3 Künstler, Kritiker und Publikum – eine Hassliebe?
Das Wiener Publikum, vom Kunst richtiggehend übersättigt, zwang die Künstler, um seine Gunst zu werben.
Oft waren Komponisten und Autoren ob der Aufmerksamkeit, die sich auf einige glückliche Kollegen richtete, von vornherein entmutigt und standen so in einer ständigen Hassliebe zum Publikum, ihren Konkurrenten, aber auch den Kritikern.
Im Zentrum des kulturellen Lebens der großen Bühne Wien stand das Burgtheater. Es bot die hochgestochensten Aufführungen und die berühmtesten Künstler. Jeder Schauspieler oder Sänger dieses Theaters war stadtbekannt und erwartete jeden Augenblick, dass man ihn auf der Straße um ein Autogramm bat. Das Repertoire war in allen Salons Gesprächsthema Nummer eins und ein Autor, der ein Stück im Burgtheater untergebracht hatte, wurde umschwärmt.
„Der Politik gegenüber verhielt sich die Öffentlichkeit relativ unbeteiligt, der Moral gegenüber nonchalant“, von Schauspielern und Musikern aber verlangte sie das Letzte, bei ihnen erfüllte sie eine Aufsichtsfunktion, der selbst das kleinste Detail nicht entging.
Zugleich stellte das Burgtheater auch eine Schule des guten Benehmens dar, in der junge Leute durch Zusehen lernen konnten, wie man sich in der guten Gesellschaft verhält.
Alfred Polgar – mittendrin und doch am Rand
Suchen wir einen Zugang zur legendären Kaffeehausgesellschaft der „Centralisten“, ist es vermutlich gar nicht so wichtig, von wem wir uns einführen lassen. Wohl war der einzelne zunächst primär auf sich konzentriert und doch ist es wie mit Steinen, die dicht beisammen ins Wasser geworfen werden – jeder bildet Kreise und unzählig sind die Überschneidungen.
3.1 Alfred Polgars Stellung in der Wiener Kaffeehausgesellschaft
Am Anfang war das Café Griensteidl, wo ehemals alle zusammen kamen, die Rang und Namen im künstlerischen Wien hatten, aber auch die anderen, noch Namenlosen. Hierbei wurde streng zwischen den bereits anerkannten und den noch unbekannten Größen unterschieden.
Alfred Polgar, zu Beginn seiner Kaffeehauszeit noch den Tisch, an dem das Junge Wien Hof hielt, voller Bewunderung betrachtend, kam immer wieder in Gesellschaft von Peter Altenberg, einem in Wien geborenen Juden, dessen richtiger Name Richard Engländer war. Sowohl Karl Kraus als auch Thomas Mann bewunderten Altenbergs impressionistische Studien des Wiener Lebens. Bald entwickelte sich ein besonderes Verhältnis zwischen Altenberg und dem um 17 Jahre jüngeren Polgar. Schwärmend nahm sich Polgar vor, Altenbergs Jünger zu werden. Mehr wegen der Dinge, die er sprach, als wegen der Dinge, die er schrieb.
„Jünger“ ist eine Standarddefinition von Polgars Beziehung zu Peter Altenberg, bisweilen mit der abwertenden Nebenbedeutung des wenig selbstständigen Nachahmers behaftet.
Die Vermittlerrolle zwischen Altenberg und Polgar kam dabei Arthur Schnitzlers angeheiratetem Cousin Julius Gans von Ludassy zu. Was für eine Ironie des Schicksals, bedenkt man Schnitzlers „gesteigerte[n] Hass gegen Polgar“. Ist er doch „eigentlich der erste von [seinen] Feinden, der wirklich Talent hat“. Schnitzler, durch Kritik im allgemeinen leicht verletzbar, legte sich eine eigene psychologische Theorie über Polgars hämische Haltung ihm gegenüber zurecht. Das Ungenügen an sich selbst, die Unfähigkeit zur eigenen künstlerischen Leistung sei laut Schnitzler das Motiv, andere, Schöpferische mit perfider Bosheit zu verfolgen. Ein schwerer Schlag für den jungen Polgar.
Bei aller abwertenden Tendenz und negativer Einschätzung anerkannte Schnitzler jedoch wiederholt Polgars intellektuelle und stilistische Brillianz, weswegen ihn die Attacken ja so erbosten.
Bei Begegnungen, wo ein Ausweichen durch die Normen gesellschaftlichen Umgangs unmöglich war, beugte sich Schnitzler dem Gebot der Höflichkeit. Er war in der Auseinandersetzung mit Polgar jedoch von vornherein im Nachteil. Schnitzler konnte sich seinen Ärger bestenfalls im vertrauten Gespräch mit Gleichgesinnten von der Seele reden oder im Tagebuch begraben. Der Kritiker Polgar hatte hier die weit günstigere Position, da er es zudem verstand, die Lacher auf seine Seite zu ziehen.
Was auch immer diese tiefe Verstörung, die über das Maß der vielzitierten Urfeindschaft Künstler-Kritiker weit hinausging, hervorgerufen haben mag, es spricht laut Ulrich Weinzierl doch vieles für die Vermutung, dass es, wo so viel Ablehnung herrschte, auch das Gegenteil gegeben haben muss.
Heute kommt es so vor, als ob manches von dem, wodurch sich der Kritisierte vom „Lausbuben“ Polgar angegriffen glaubte, weniger ihm galt, als dem, was die herrschende Feuilletonkultur aus seinem Werk machte. Und schließlich hat Polgar selbst, als er seine Kritiken gesammelt herausgab, eine sehr durchgesehene Fassung seiner abfälligen Bemerkungen über Schnitzler präsentiert, als könne er sich mit seinen einstigen Äußerungen nicht mehr identifizieren.
Einen überaus genauen Einblick in das Café Central verdanken wir Alfred Polgars Tätigkeit bei der „Wiener Sonn- und Montags-Zeitung“. Rudolf K. Kommer aus Czernowitz, ein junger Autor, Journalist und Übersetzer, der sich von Polgar eine Förderung seines Talents durch Veröffentlichung seiner Werke in der „Sonn- und Montagszeitung“ erhoffte, beobachtete bei seinen zahlreichen Besuchen im Café Central Polgar und seinen Freundeskreis. Besonders ins Auge stach Kommer der „Märchenprinz“ Karl Adler, der jüngere Sohn Victor Adlers, der Centralist par excellence, zu bürgerlich arbeitsamer Existenz kaum geeignet.
Adler war die perfekte Verkörperung des „Literaten ohne Literatur“, einer im geistigen Klima des Café Central angelegten Schicksalsmöglichkeit. Auch für andere bedeutete der Umgang im Kaffeehaus die Gefahr, Anlagen zu verschütten, statt sie zu Tage zu fördern. Alfred Polgar steht im Ruf, wie kein zweiter die Kaffeehausbohème durchschaut zu haben: „Es ist der Platz des Hochstaplertums. [...
] Im Café handelt niemand, aber jeder spricht“. Besonders seine weniger geglücktem Texte haben viel von der Atmosphäre des Kaffeehauses eingefangen; die Falschheit, die Stickigkeit und auch die Verzweiflung.
Auch Alfred Polgar hatte Kontakt mit Frauen, die ihn inspirierten. In seinem Fall war das vor allem die legendäre Wiener Kaffeehausmuse Emma Rudolf, die sich nach einer gescheiterten ersten Ehe mit einem deutschen Buchhändler dem Leben unter Künstlern verschworen hatte. In ihr vielseitiges und überaus verwickeltes Intimleben waren nur wenige bedeutende Vertreter der Literatur nicht involviert. Mit der Lust zu seelischen Experimenten, ein Wechselspiel der Emotionen zu entfesseln, hat Rudolf einen ganzen literarischen Zirkel in erotische Unordnung gebracht und dabei die Projektionen eines entschieden dämonischen Frauenbildes auf sich gezogen.
Auch Alfred Polgar hat Rudolf jahrelang unglücklich geliebt. Aus den Jahren nach 1900 sind zahlreiche Briefe an die geliebte Frau erhalten, in denen man auf Anbetung, aber auch auf pathologische oder zumindest so empfundene Eifersucht und Unglück stößt. Es scheint fast, als wäre Polgar zum ersten Mal in einer menschlichen Beziehung hilflos gewesen, als hätte er sich zum ersten Mal vollkommen einem Menschen ausgeliefert. Die Abhängigkeiten in seiner losen Partnerschaft mit Emma Rudolf dürften sehr einseitig verteilt gewesen sein. Polgars Erwartungen, Wünsche und Hoffnungen waren kaum mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen.
Immer öfter finden sich in Polgars Aufzeichnungen Hinweise darauf, wie einsam sich dieser Autor in der Welt der Kaffeehäuser, Varietés und Stammtische – scheinbar ein Kosmos heiterer, unbeschwerter Geselligkeit – gefühlt haben muss.
„Ich habe doch wirklich keine menschliche Seele zum Freund“ schreibt er in einem Brief an die Angebetete. Eine besondere Rolle spielte dabei natürlich die Eifersucht, die er verspürte, wenn sich Emma Rudolf Polgars Freunden zuwandte.
Emma Rudolf blieb nicht die Einzige, um deretwillen Zwietracht herrschte. In allen Fällen schien dabei die Lust des einen das Leid des anderen gewesen zu sein. Meistens sorgten Frauen für Auseinandersetzungen, gelegentlich auch literarische Liebesobjekte. Das nur allzu menschliche Gefühl der Eifersucht gab es also auch in dieser Gemeinde.
Für Alfred Polgar waren die Jahre bis zum Untergang der alten Monarchie wohl keine sehr glücklichen. Die ewige Unzufriedenheit und das Ungenügen an seiner Person erscheinen als Symptome einer Übergangsphase, eines kritischen Zustands: „ein Mensch und Künstler auf der Suche nach sich selbst“. An der dargestellten Gesellschaft der Kaffeehausbohème hatte Polgar maßgeblichen Anteil, und doch hat sie ihn nie ganz besessen. Alfred Polgar – mittendrin und doch am Rand.
3.2 Leiser Meister oder graue Maus?
Es erweist sich im Allgemeinen als recht schwierig, Polgars Kunst zu charakterisieren.
Sie hat nicht etwa weniger deutliche Konturen als jene seiner damals und heute berühmteren Kollegen. Aber die Reize seiner Prosa sind in der Regel so unauffällig und still, dass sie sich kaum darstellen lassen.
In Polgars Leben wird man Dramatisches vergebens suchen. Standen Kollegen wie Kurt Tucholsky oder Karl Kraus gerne im Mittelpunkt, hatte Polgar seinen Platz am Rand. Bei ihm fallen nicht ein außerordentliches literarisches Temperament oder eine polemische Leidenschaft auf. Polgars Element war die Beobachtung, das Kontemplative; die Zurückhaltung und die künstlerische Ausgeglichenheit.
Er misstraute jeglichem Radikalismus, alles Extreme war ihm verdächtig. Polgar hielt es für seine wichtigste Aufgabe, Zeuge zu sein. Er wollte die Welt nicht verändern, sondern nur beschreiben.
Die Schriften Alfred Polgars, fast durchwegs kurze Prosastücke von nicht mehr als vier oder fünf Druckseiten, kann man grob in „Kritiken“ oder „Rezensionen“ und „Feuilletons“ oder „Skizzen“ einteilen. Polgar bietet uns, was in unserer Literatur schon Seltenheitswert besitzt: „geistreiche Idyllen und scharfsinnige Stimmungsbilder, weise Glossen und subtile Generalattacken, zarte Satiren und behutsame Pamphlete“. In sie brachte er sein enormes und vielseitiges Wissen ein.
Unvorstellbar ist jedoch, dass er je mit seiner Gelehrsamkeit geprotzt hätte.
Suchte Polgar für seine Kritiken das Leben im Drama, so stellte er in seinen Skizzen das Dramatische im Leben dar. Über die Figuren im Rampenlicht berichtete er oft wie über reale Menschen und über die Menschen, die er auf der Straße sah, wie über Geschöpfe großer Dichter. Er blieb ganz dicht am unmittelbaren Gegenstand seiner Betrachtung und wusste dennoch die Distanz zu wahren. Ein Leben lang versuchte Polgar, literarischen Kunstwerken und theatralischen Kunstleistungen mit den Mitteln der Sprache beizukommen, auch wenn sie sich jeglicher Beschreibung entzogen. Wissenschaftliche Ziele verfolgte er dabei jedoch nie.
Er habe nie den Ehrgeiz gehabt, hinter den Zauber der Bühne zu kommen, so Polgar, vielmehr wollte er immer nur diesem Zauber ein „empfängliches Objekt“ sein.
Worüber sich Polgar auch äußerte, er war eher ein Mann der besonnenen Reflexion als der lautstarken Entrüstung. Er protestierte, indem er sich wunderte. Den Mittelpunkt seines Schöpfens bildet ein großes Fragezeichen. Mit ebenso stiller Leidenschaft wie unstillbarer Neugier musterte er seine Umwelt.
Polgar ließ die Welt stets auf sich wirken, er setzte sich ihr aus; oder, wie es Marcel Reich-Ranicki formulierte: „Dieser Schriftsteller agierte nicht, er reagierte“.
Immer schrieb er für das Publikum, niemals für seine Kollegen. Polgar war ein Kritiker und dennoch ein Gentleman. Seine Bagatellen haben Format, seine Miniaturen haben Größe. Intellekt, Gewissen und Geschmack finden zu einer makellosen Einheit, oder, um noch einmal mit Reich-Ranicki zu sprechen, Polgars Prosa „erhellt, ohne je zu blenden“
Polgars brillante Feuilletons verdanken ihre Entstehung weniger dem Drang des Autors, zur Gerechtigkeit beizutragen, als vor allem dem, die Welt zu betrachten und sichtbar zu machen.
Seine Epoche war die Gegenwart und in ihr interessierte Polgar eigentlich nur ein Thema; die leidende Kreatur, ihre Lächerlichkeit und ihr Elend. Eines seiner Feuilletons betitelte Polgar „Die kleinen Leute“, ein anderes „Denkmal des unbekannten Menschen“.
„Ohne sie“, so schrieb er, „stürzte die Welt in Nacht und Kälte. Ich will lieber die Büste meines Briefträgers auf den Schreibtisch stellen als die des großen Napoleon“.
Skepsis und Klugheit haben Polgar vor den Enttäuschungen so mancher Mitmenschen bewahrt. Sein Werk ist besonders vom Bewusstsein der großen Vergeblichkeit gekennzeichnet. Polgar wollte dem Leser freundlich entgegenkommen, weswegen er sich stets deutlich und klar äußerte. Meistens genügten ihm klare und einfache Sätze sowie die Wörter und Wendungen der Alltagssprache.
Gleichzeitig bemühte er sich mit aller Kraft um den Anschein einer spielerischen Leichtigkeit. Er liebte eine scheinbar anspruchslose Ausdrucksweise, einen diskreten und unauffälligen Stil.
Dass Polgar das Grelle und Pompöse stets zuwider war und lieber als „leiser Schreiber“ sein literarisches Dasein fristete, hatte zur Folge, dass er bisweilen unterschätzt oder missverstanden wurde. Oberflächliche Beobachter sprachen ihm zwar Esprit, Humor und Anmut zu, glaubten aber bisweilen, dass Polgar die „Tiefe, wenn nicht gar der gehörige Ernst“ fehle.
Exemplarisch für dieses Missverständnis kann Franz Bleis Kommentar über Polgar in seinem Das große Bestiarium der Literatur, selbst ein Höhepunkt der feuilletonistischen Literatur, gelten. „Die [!] Polgar“, so Blei, sei „eine feine, silbergraue Maus, besonders artig anzusehen, wenn sie [.
..] über die verstimmte Leier der Zeit läuft, hierbei ein verstaubtes, sehnsuchtsvolles kleines Geklimper verursachend“. Lob also für Polgars subtile kleine Meisterwerke der Stimmungsbilder und Kritik, wenngleich es wenige Zeilen darunter heißt „Die große Menge hält das Polgar für harmlos“.
Von anderen wiederum wurde dieses Stille und Leise in Polgars Schriften hoch geschätzt. So bezeichnet etwa Helmut Arntzen Polgar als „Prototyp des Feuilletonisten“, der Bagatellhaftes in zierlicher Prosa schreibe.
Aus der großen Schar der Feuilletonisten gäbe es nur wenige, bei denen die Untertreibung und das Beiläufige von ähnlich starker Wirkung gewesen sei, wie bei Polgar.
Niemals hat Polgar ein ideologisches Programm unterstützt oder sich einer politischen Partei auch nur genähert. Indes war sein zeitkritisches Engagement unverkennbar und konsequent. Seine Attacken richteten sich vornehmlich gegen den Krieg und den Militarismus, gegen die Justiz, gegen jegliche Heuchelei und Ungerechtigkeit und gegen den Nationalsozialismus. So sind seine Helden die Erniedrigten und Beleidigten, die Opfer der Geschichte. Die geschichtlichen Ereignisse haben Polgar gezwungen, fast sein ganzes Leben lang dem Thema „Krieg und Frieden“ treu zu bleiben.
Auch von Literatur- und Theaterpolitik wollte Polgar nichts wissen. Ein Taktiker war er nicht und den Rezensenten, die taktisch vorgingen, misstraute er allemal. Aber gerade weil er sich unbeirrbar von seinem gesunden Menschenverstand leiten ließ, hat er mit seiner Kritik häufiger als seine damals berühmteren und einflussreicheren Kollegen ins Schwarze getroffen. In seiner Eigenschaft als „chronischer Laie“ konnte er zum „Wortführer aller Streitkräfte der passiven Restistence“ avancieren, zum „Obersten der Saboteure“.
Der verlogene Heurige
Alfred Polgars Skizze „Der verlogene Heurige“ ist typisch für das Schaffen dieses Autors. Es geht in ihr um die Einsamkeit einer gescheiterten Kreatur inmitten von anderen Menschen.
Der Zündstoff, eine gehörige Portion Sozialkritik, ist, kaum wahrnehmbar, in einen Wattebausch an Zurückhaltung und Beiläufigkeit verpackt. Gerade aber diese, für einen kritischen Text unübliche Stille macht auch den Reiz dieses Textes aus, bei dem man mit jeder neuerlichen Lektüre vorher nicht erkannte Facetten entdecken kann.
4.1 Die Geselligkeit des Einsamen
Beklagt wird in dieser Geschichte, die den Zeitraum von wenigen Stunden eines geselligen Abends beschreibt, eingangs das „Schicksal eines wirklich gerechten Mannes, der die Sache ernst nimmt“, der sich also der bürgerlichen Etikette, dem Welttheater nicht unterwirft, sondern sich für seine eigene Überzeugung einsetzt. Doch ist diese Überzeugung, wie wir im Laufe der Geschichte noch erfahren werden, in Wirklichkeit auch ein Zwang, ein kommerzieller nämlich.
Zunächst liefert uns Polgar aber eine eingehende Beschreibung des äußeren Zustandes des Protagonisten.
Der „riesig dick[e]“ Mann trägt ein „weiches Hemd, enorme, verhatschte Schuhe [und] einen schmierigen Filzhut“. Er hat „gewaltige, rote Hände und schnauft[e] wie eine überhitzte Maschine“. Auf seinem Antlitz „schimmert[e] eine undenklich gutmütige Fröhlichkeit“. Ob er schon betrunken den Heurigen, den Schauplatz der Skizze, betreten hat, dessen ist sich der Autor nicht sicher. Das ist nicht gerade die Beschreibung eines wohlhabenden Mitglieds der Gesellschaft, eher die eines harmlosen Bürgers, dessen Glück nicht in den exklusiven Vergnügungen der Oberschicht sondern einfach im Heurigen und im Wein liegt.
Diesen bestellt der Mann auch sogleich lautstark, indem er mit der Faust kräftig auf den Tisch schlägt.
Der Wein kommt und der Mann ist wieder ruhig. Zufriedengestellt, fast wie ein Baby, das nach langem Schreien endlich sein Fläschchen bekommt. Einsam, wie der Mann ist, experimentiert er mit dem Glas, das er so einstellt, „daß die Reflexlichter der Gasflammen möglichst breit übers Tischtuch züngel[te]n“.
Der Mann hätte sich mit seinem Wein wahrscheinlich noch stundenlang beschäftigen können, wenn nicht in diesem Moment die Sänger aufs Podium gekommen wären und ihre warmen, innigen und sehnsuchtsvollen Lieder angestimmt hätten. Hier erwacht unser Protagonist aus seiner Versunkenheit, „gleichgestimmte Saiten in des dicken Mannes Brust [geraten] ins Mitschwingen“. Titeln wie „Denn ich schwärm‘ nur für Bier und Wein .
..“ stimmt er lautstark bei und seine Arme folgen wild den Tempi der Lieder.
Während die rührselige Musik das Herz des Mannes rührt, sind die anderen Gäste des Heurigen eher peinlich berührt. Mehrere Herren im Zylinder sind da, und Damen mit flachen Strohhüten, die „wie ungeheure, gelbe, gerippte Palmblätter in einem Winkel von fünfundvierzig Grad an der Frisur kleb[t]en“. Hier sitzt sie also, die „gute Gesellschaft“, noch dazu ziemlich weit hinten, weil vorn, bei der Musik, bereits der dicke Mann den besten Tisch besetzt hat.
Dieser fühlt sich außerordentlich wohl und scheint die „Pst!“-Rufe der anderen Gäste zuerst gar nicht zu bemerken. Dann wehrt er sich mit dem Ausruf „Ich hab niemanden beleidigt!“, was er etwa vierzigmal wiederholt, bevor er wieder in die Lieder miteinstimmt.
Polgar überlässt den Mann im Heurigen nun kurz seinem Schicksal, um über diese Art von Lokalen, deren Geheimnis in den Worten „Keine Pause!“ läge, zu räsonieren. Die Musik, die bis auf die Straße hinaustönt, schleppe Passanten ins Innere des Lokals, wo die Stimmung der Gäste auf einen „soliden, fest aneinandergekitteten Unterbau von musikalischem Lärm“ gesetzt werde. Um den auszuhalten, müsse man entweder gleich weggehen, oder sich „mit Alkohol imprägnieren, bis man lärmdicht [sei]“. Die Fidelität, die in diesen Lokalen herrsche, sei künstlich.
Die erzeugte verlogene Emotion, so erkennt der Leser, ist nur Mittel zum Zweck, dem Gast das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Der Mann im Heurigen lässt das alles bereitwillig mit sich geschehen. Wie ein „gefügiges Pendel“ wird er vom Rhythmus der Musik hin- und hergestoßen. Manchmal fällt er vom Sessel, was seiner guten Laune aber keinen Abbruch tut. Vergnügt klatscht er weiter im Takt der Musik. Doch die Idylle trügt.
Immer häufiger werden die Zeichen, dass der Mann im Lokal nicht mehr erwünscht ist. Waren es zuerst die Herren mit Zylinder, so fragt nun schon der Wirt auf deren Geheiß, ob der Mann nicht schon nach Hause gehen wolle. Doch jegliches Bemühen ist zwecklos, ist unser Protagonist doch vollkommen dem „musikalischen Abguß seiner Natur“ verfallen.
Geschickt verwebt Polgar nun die Identität zwischen diesem Menschen und den Heurigenmelodien und kontrastiert die Lieder zu den tatsächlichen Geschehnissen, der durch den Rausch hervorgerufenen „Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“. Der Wirt wird immer verzweifelter, wie er diesen zuerst willkommenen, nun aber unerwünschten Gast, der ihm all die anderen Gäste zu vertreiben droht, loswerden könnte. Der Mann, langsam erkennend, dass man ihm die Musik und den Wein entziehen möchte, wird immer aggressiver.
Schließlich lässt er sich zu der Aussage „Rühr’n S‘ mi net an – i bin a Athlet“ hinreißen, was ihm zum Verhängnis wird. Der Wirt erklärt sich für „tätlich bedroht“ und der Gast wird von einem Polizisten, dem Wirt und zwei Kellnern aus dem Lokal geschafft. Noch auf dem Weg hinaus verfolgt ihn die Musik, nun das Geschehene freilich hämisch untermalend.
Nun, endlich, ist der Tisch frei und die „gute Gesellschaft“ kann nach vorn avancieren, die bürgerlichen Herren mit Zylinder und Zwicker und die feinen Damen in Samt und Seide. Sie geben sich in ausgelassener Heiterkeit und versuchen auch, sich von der Musik tragen zu lassen. Aber irgendwie bleibt alles künstlich, bleibt alles Staffage.
Kaum jemand lässt sich von der verlogenen Heurigenkultur so einnehmen wie der dicke Mann, das „personifizierte Wiener Volkslied“, der „sich mit naiver Genauigkeit an die Regeln der Lebensfreude hält“, die ihm in zahllosen Lokalen und Gärten Sommer und Winter unermüdlich eingebläut wurden. Und was ist sein Schicksal, so fragt sich Polgar. Er wird schmählich hinausgeworfen ...
4.
2 Sozialkritik zwischen Wein, Weib und Gesang
Alfred Polgar lässt seinen „Verlogenen Heurigen“ also mit dem Hinauswurf jenes Gastes enden, der wie kein Zweiter in die Umgebung des Heurigenlokals passt und dessen ureigenste Vergnügungsstätte der Heurige ist.
Dieses Ende ist ein gewaltiger Widerspruch, der sehr eindrucksvoll enthüllt, was in einer sich immer stärker verändernden Welt an Bedeutung gewinnt – das Geld. Denn der Heurige ist nicht geschaffen für reiche Bürger, die dort ihrem gepflegten Kulturgenuss nachgehen können, sondern gerade für die einfachen Leute, die dort bei Wein, Weib und Gesang entspannen und sich gehen lassen können. Gäste, die sich von der Musik einnehmen lassen und sich bei fortgeschrittenem Alkoholisierungsgrad auch aktiv an ihrer Erzeugung beteiligen, sind im Heurigen weder heute, noch zur Zeit Alfred Polgars eine außergewöhnliche Erscheinung. Bei den anderen Gästen sorgen solche Menschen oft für Belustigung und beim Wirt für eine volle Kasse. Ist einem Heurigenbesucher eine Erscheinung wie der im „Verlogenen Heurigen“ dargestellte Mann nicht genehm, so muss er das Lokal verlassen.
Solange der sich im Rausch amüsierende Gast nicht aggressiv wird oder andere Heurigenbesucher belästigt, ist gegen seine Anwesenheit nichts einzuwenden.
In Alfred Polgars Skizze sind es allerdings nicht die pikierten Gäste, die sich durch den Mann gestört fühlen, die das Lokal verlassen, nein, es ist der „Störenfried“, der hinausgeworfen wird. Der Wirt lässt sich einschüchtern von der offensichtlichen Macht und besonders der Finanzkraft der noblen Gäste und verleugnet damit nicht nur seinen treuen Stammgast, sondern den gesamten Geist seiner Institution.
Die Geschichte des Heurigen beginnt mit dem großen Aufklärer Joseph II., der es 1784 den Winzern erlaubte, ihre Eigenprodukte „unter dem Buschen, zu welchem Preise er will“ zu bestimmten Zeitpunkten auszuschenken. Das Wort „Heuriger“ wurde ursprünglich zur Bezeichnung eines diesjährigen Weins bezeichnet, doch in Wien wird das Wort hauptsächlich zur Bezeichnung des Orts seiner Ausschank benutzt.
Die authentischen Heurigen sind klein und schenken nur selbstangebauten Wein aus. Weil am Eingang traditionellerweise ein Föhrenbuschen hängt, werden sie auch „Buschenschank“ genannt. Dieser Buschen zeigt an, dass das Lokal geöffnet ist. Echte Heurige haben nicht das ganze Jahr geöffnet, kleine oftmals nur wenige Wochen, bis der eigene Wein leergetrunken ist. Zum Heurigen gehört nicht nur der Wein, sondern auch das Essen. Das Angebot an selbstgemachten Spezialitäten reicht von Liptauer und Grammeln bis zu Surschnitzel, Schweinsbraten und Stelze.
Zum Heurigen gehört auch Musik. Dort wurde immer Volksmusik gespielt und gesungen. Auch die legendären Gebrüder Schrammel und viele andere unbekannte Duos und Trios haben das getan und volkstümliche Stücke kreiert, die auf den Heurigenbetrieb zugeschnitten waren. Immer mehr überlagerte diese volkstümliche Musik das ursprüngliche Liedgut und wurde Mittel zum Zweck. Aber, so resümiert ein Reiseführer über Wien, „solange in dem Henkelglas noch ein Rest des goldgelben Lebenselixier ist und die leicht wehmütige Musik durch die laue Luft klingt, spielt das keine Rolle“.
Der Heurige ist seit jeher der Mittelpunkt der Trinkseligkeit in Wien, bei dem, so die allgemeine Annahme, die sozialen Unterschiede zu verschwinden scheinen.
„Beim Heurigen, da gibt’s kan Genierer, da sitzt der Bankdirektor neman Tapezierer“ sagt ein Wiener Volksreim. Außer vielleicht, der Bankdirektor ist nicht sehr volkstümlich, der Wirt dafür geldgierig und der Tapezierer macht Schwierigkeiten.
4.3 Die Verlogenheit der Kultur
Alfred Polgars Skizze bietet neben der offenkundigen Sozialkritik und der Sympathiekundgebung für den kleinen Mann auch einiges Zündmaterial bezüglich kommerzialisierter Kultur, das heute mehr Gültigkeit hat denn je.
Im Zentrum steht also der „tragisch“ endende Besuch eines einfachen Mannes in einem Heurigenlokal, wo er, vom Gemütlichkeitstrieb überwältigt, bald nicht mehr aus dessen mit Alkohol angereicherter Stimmung ausbrechen kann. Im Bild der Musik als „Plasmafortsatz einer organischen Zelle“, der den wehrlosen Passanten von der Straße packt und ins Innere des Lokals zerrt, sind die Fänge der gewerblichen Gemütlichkeit sehr gut dargestellt.
Immer mehr identifiziert sich der Mann mit dem Inhalt der schwachsinnigsten Lieder, deren Philosophie er für bare Münze nimmt. Dieses Phänomen können wir auch heute noch in den verschiedensten Ausformungen beobachten. Seien das die vergnügt mitklatschenden Gäste des „Musikantenstadels“, der in direkter Tradition zu Polgars „Verlogenen Heurigen“ steht, oder die kreischenden, vorwiegend weiblichen Fans von Boygroups, einer auf das jugendliche Publikum orientierte Variante der Ausbeutungskultur. Wie die Heurigensänger bei Polgar den Menschen die Gemütlichkeit verkaufen, werden auch in der heutigen Zeit mit den Gefühlen der Menschen Geschäfte gemacht. Geschickt wird selbst das verfälschte Privatleben der Sänger vermarktet. Wollen die Kunstkonsumenten getäuscht werden oder will die kommerzialisierte Kultur den Menschen weismachen, sie müssten sich täuschen lassen?
Der Wirt des Heurigen ist jedenfalls weniger gemütlich als geschäftstüchtig und als der anfangs ideale Gast dann immer lauter mitsingt und die sogenannte „bessere Kundschaft“ zu vertreiben droht, lässt er ihn gewaltsam entfernen.
Polgar lasse, wie Ulrich Weinzierl schreibt, seine Hauptfigur die ideale Phrase, das Wiener Volkslied beim Wort nehmen und als bewusst verdummende Lüge am eigenen Leib schmerzhaft erfahren.
Sprechen wir im Zusammenhang der Heurigenmusik vom „Volkslied“, so ist das nicht ganz korrekt. Zweifelsohne spielte die echte, traditionelle Volksmusik in den Heurigenbetrieben anfangs eine große Rolle. Es waren nicht einmal professionelle Sänger, die in den Anfangstagen der Buschenschank aufspielten, sondern musikalische Gäste, die der Wein zu künstlerischen Höchstleistungen beflügelte. Bald wurde die musikalische Untermalung beim Umtrunk allerdings als umsatzsteigernd erkannt und, wie alles, was sich als geschäftsfördernd erweist, einer Professionalisierung unterworfen. Was dabei herauskam, ist die schon im Zusammenhang mit den Gebrüdern Schrammel erwähnte volkstümliche Musik, die bis auf einige formale Gemeinsamkeiten mit der traditionellen Volksmusik nichts vereint.
Die volkstümliche Musik dient nun wirklich nur dem Zweck des Geldvermehrens, indem sie den Zuhörer mit vereinfachten und geschickt arrangierten Elementen emotionell zu fesseln versucht.
Ulrich Weinzierl erkennt, dass die gewerbliche Gemütlichkeit zwar nicht ihre Kinder fresse, aber dafür ausbeute und wegwerfe, wenn kein Profit mehr möglich sei. Auch diese Aussage trifft auf jegliche Art kommerzieller Musik zu. Die Frage ist nur, ob unser heutiger Kulturbetrieb nicht schon als Ganzes so kommerzialisiert ist, dass eine Unterscheidung zwischen Kunst und Kommerz nur mehr schwerlich möglich ist. Oftmals sind die Grenzen fließend. In Polgars „Verlogenem Heurigen“ ist es noch einfach; da dient die Musik offenkundig dazu, Gäste in das Lokal zu befördern und deren Trinkkonsum zu steigern.
Das gleiche Ziel verfolgen auch heute noch Wirte, die Musikgruppen in ihren Lokalen aufspielen lassen. Das ist eine gewissermaßen zweckorientierte Musik.
Aber ist nicht ein Opernkonzert der Superlative, bei dem drei Tage lang unzählige Opernsänger auftreten, das aber als hohe Kultur verkauft wird, nicht auch zweckorientiert? Nämlich auf den Zweck hin orientiert, die Taschen des Veranstalters zu füllen? Kann Kunst überhaupt in großem Rahmen stattfinden, ohne in den Verdacht zu kommen, Geschäftsinteressen zu verfolgen? Oder darf Kunst sich sogar verkaufen, darf offiziell Gegenstand des Marktes werden, denn Künstler müssen ja auch leben und wenn wir uns unterhalten wollen, müssen wir eben dafür zahlen.
Wie schon bei Polgar, ist es auch heutzutage nötig, sich mit seinen Darbietungen an das Publikum anzupassen, will man finanziellen Erfolg haben. In Zeiten, in denen es immer weniger Subventionen für kunstschaffende Institutionen gibt, wird es immer wichtiger werden, sich dem Massengeschmack anzupassen, um nicht unterzugehen. Im literarischen Bereich betrifft das besonders die vieldiskutierte Buchpreisbindung.
Fällt sie, was zu befürchten ist, werden die massenhaft verkauften Bestseller nicht mehr die, für einen kleineren Kreis bestimmten, literarischen Werke preislich stützen, sondern, im Wettbewerb der Kulturindustrie nur mehr ihre eigene Produktion finanzieren. Bücher, die keine Aussicht auf einen großen Absatz haben, werden dann entweder überhaupt nicht mehr hergestellt oder nur zu einem höheren Preis erhältlich sein.
Eine Menge an Fragen und Überlegungen ergeben sich, wenn man auch nur ansatzweise über das Verhältnis zwischen Kunst und Kommerz, wie das so oft als Schlagwort genannt wird, nachdenkt. Die Kunst zu kommerzialisieren, scheint verlockend. Man kann aber die Gesetze des Marktes nicht einfach auf die Kunst umlegen. Denn was im freien Markt größere Auswahl zur Folge hat und positiv für den Konsumenten ist, nämlich der Wettbewerb, führt in der Kunst zweifelsohne zu einer Reduktion des Angebots und zu einer Anpassung an immer ähnlichere Muster, deren Verkauf gesichert ist.
Wer darunter leidet, liegt auf der Hand. Aber selbst die, die zuerst beteuern, keinen Verlust zu bemerken, da sie ohnehin nie kulturell interessiert waren und lieber mit der Masse gehen, werden die verbraucherorientierte Kulturpolitik zu spüren bekommen.
Didaktische Anwendbarkeit
Schon unter 4.2 „Sozialkritik zwischen Wein, Weib und Gesang“ und 4.3 „Die verlogene Kultur“ ist zur Sprache gekommen, was im Zentrum der didaktischen Verwertung von Polgars Skizze stehen soll; der soziale Druck in allen Bereichen des täglichen Lebens und die Kommerzialisierung der Literatur.
Zielgruppe ist dafür die neunte oder zehnte Schulstufe.
Da in diesem Niveau der Literaturunterricht erst am Beginnen ist, soll vor allem das Verständnis der Problematik und die Umlegung der Thematik auf die heutige Zeit und den Erfahrungshorizont der Schüler im Mittelpunkt stehen. Der oftmals erzwungene Bezug eines literarischen Werks auf die Gegenwart ist zwar in der Literaturwissenschaft sehr umstritten, aber ist meiner Ansicht nach speziell bei den ersten Kontaktaufnahmen mit dem Literaturunterricht eine gute Möglichkeit, diesen zu erleichtern.
Die Behandlung des Textes ist auf den Zeitraum einer Woche, also dreier Stunden à 45 Minuten ausgelegt. In der Konzeption habe ich in den Stunden großen Wert auf gemeinsame Diskussionen gelegt, die schriftliche Ausformulierung der Ergebnisse soll als Hausübung erfolgen. Kursive Passagen in den folgenden Stundenskizzen sind Beispiele für mögliche Schülerreaktionen und Diskussionsbeiträge.
5.
1 Erste Stunde
Zunächst einmal ist die Überschrift Gegenstand von Überlegungen. Was könnte mit dem Titel „Der verlogene Heurige“ gemeint sein? Eine Fülle von Assoziationen und Vorschlägen werden sich auftun, die ein weites Spektrum abdecken, von der Thematik einer Kriminalgeschichte bis hin zu der einer Liebeserzählung.
In dem Heurigen könnten sich Gauner treffen und dort ihre nächsten Coups aushecken.
„Verlogen“ heißt ja, dass jemandem etwas vorgespielt wird. Vielleicht bezieht sich das auf die Urtümlichkeit, auf die Tradition. So wie heute beim „Musikantenstadl“.
Dort wird den Gästen sicher minderwertiger Wein und verdorbenes Essen aufgetischt.
Nun soll anhand der Lektüre des Textes festgestellt werden, wie weit Polgar die Erwartungshaltung der Schüler einlöst bzw. übertrifft, aber auch, wo er sie enttäuscht. Dazu muss die Erzählung zunächst gelesen werden. Je nach Geschmack der Klasse entweder laut oder leise, wobei ich das laute Vorlesen auch in höheren Schulstufen für eine wertvolle gemeinsame Erfahrung halte.
In einem kleinen Gedankenaustausch zu Ende der Stunde soll die Reaktion der Schüler formuliert werden.
Das Gespräch soll, so wie schon die Gedanken zum Titel, vom Lehrer nicht in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Hier soll den Schülern Freiraum für ihre Gedanken gegeben werden.
Typisch! Die Leute, die genug Geld haben, kommen überall weiter.
Warum war der Mann so einsam? Es hätte sich doch jemand um ihn kümmern können.
Die Musik und der Wein haben den Mann vollkommen eingenommen. Kein Wunder, dass der nicht mehr gewusst hat, was er macht.
Als Hausaufgabe bis zur nächsten Stunde werden die Schüler gebeten, sich über die Tradition des Heurigen zu informieren. Dazu sollen sie am Besten Reiseführer über Wien konsultieren oder auch mit ihrer Familie darüber sprechen. Die Ausarbeitung sollte schriftlich erfolgen, was aber auch in Form von Stichwörtern geschehen kann.
5.2 Zweite Stunde
Zu Beginn der Stunde werden einige Schüler gebeten, die Ergebnisse ihrer Nachforschungen über die Tradition des Heurigenbetriebs vorzustellen. Der Lehrer kann dabei korrigierend ergänzen.
Eine kurze Darstellung der Tradition des Heurigen findet sich in dieser Arbeit unter 4.2 „Sozialkritik unter Wein, Weib und Gesang“. Wenn gewünscht, kann der Lehrer die Stichwortzetteln auch absammeln und ansehen, aber in den meisten Fällen genügt wohl ein schneller Blick darauf im Laufe der Stunde.
Nun werden die Schüler mit zwei Hauptthemenbereichen des „Verlogenen Heurigen“ konfrontiert; der Sozialkritik und der Kritik an der Kommerzialisierung der Kunst. Gruppen werden gebildet, bei einer angenommenen Zahl von vierundzwanzig Schülern am Besten sechs Gruppen à vier Schülern. Drei der Gruppen sollen in einem gruppeninternen Austausch versuchen, aus dem Text Anhaltspunkte für die Sozialkritik herauszuarbeiten, die anderen drei Gruppen Belege für die Kommerzialisierung der Kunst.
In dieser ersten Phase der Textbetrachtung ist darauf zu achten, dass sich die Diskussion nicht allzu weit vom Text wegbewegt. Kommentare und Diskussionsbeiträge sollten, wenn möglich, anhand von Textzitaten belegt werden.
Der dritte Teil dieser zweiten Stunde soll dem Vorstellen der Ergebnisse in Form einer Diskussion dienen. Fragen und Feststellungen seitens des Lehrers, wie schon unter 4.2 „Sozialkritik zwischen Wein, Weib und Gesang“ und 4.3 „Die Verlogenheit der Kultur“ formuliert, sollen das Gespräch in Gang halten.
Sollten in diese Diskussion auch Erfahrungen aus dem eigenen Leben eingebracht werden, sind diese gut und wichtig und können sogar gefördert werden, um die Hausübung leicht bewältigen zu können.
Als Hausaufgabe werden die Schüler aufgefordert, die im „Verlogenen Heurigen“ dargestellte Problematik auf die heutige Zeit und ihr Leben umzulegen und dafür auch Belege wie Zeitungsausschnitte oder Videosequenzen zu sammeln. Die Ergebnisse sollen in ganzen Sätzen auf etwa einer A4-Seite schriftlich ausgearbeitet werden, sodass diese vom Lehrer angesehen und korrigiert werden kann.
5.3 Dritte Stunde
In dieser Stunde soll den Schülern zum Abschluss dieses kleinen Projekts zu Alfred Polgars Skizze Hintergrundinformation zu der Gemeinschaft der Kaffeehausliteraten, als auch zum Autor selbst gegeben werden.
Auch wenn diese Art der Wissensvermittlung didaktisch nicht unumstritten ist, halte ich in diesem Fall trotzdem ein etwa halbstündiges frontales Referat seitens des Lehrers für die effektivste Art, dieses Wissen an die Schüler weiterzugeben.
Umfangreiches Material dazu findet sich im fachlichen Teil dieser Arbeit. Und wenn dieses in einer lebhaften und ansprechenden Art und Weise präsentiert wird, werden die Schüler, die dabei möglicherweise auch Querverbindungen zum besprochenen Text ziehen, auch mit großem Eifer dabei sein.
Die letzten Minuten dieser Stunde sollten dazu genützt werden, in einer Klassendiskussion ein Resümee über den Text, seine Thematik und mögliche Parallelen zum vorangehend präsentierten Hintergrundwissen zu ziehen.
Vielleicht hat sich Alfred Polgar auch so einsam gefühlt wie der Mann im Heurigen.
Ist nicht der Heurige eine Bild für die Verlogenheit der Menschen? Ich meine, was Sie da vorher über das andauernde Schauspielen [Vgl. 2.
1 „Phäakentum und Welttheater“, Anm.] gesagt haben.
Die Erzählung ist sehr einfach und klar geschrieben, leicht verständlich.
Falls gewünscht, können als abschließende Hausübung zur schriftlichen Ausformung der Ergebnisse der Auseinandersetzung mit Alfred Polgars Skizze Themen nach untenstehendem Muster formuliert werden. Natürlich sind Themen wie diese auch geeignet für die nächste Schularbeit.
Schreibe eine Erzählung nach „Der verlogene Heurige“ von Alfred Polgar, die die dargestellte Thematik in der heutigen Zeit problematisiert.
In der Erzählung „Der verlogene Heurige“ von Alfred Polgar wird der Kunst eine ganz bestimmte Rolle zugeschrieben. Charakterisiere diese Rolle kurz und beschreibe dann den Stellenwert der Kunst in der heutigen Zeit.
Nimm Stellung zu folgender Feststellung: „Die Kunst ist in der Klemme. Entweder sie geht auf den Publikumsgeschmack ein und verkauft sich oder sie geht unter.“
Nachwort
Diese Arbeit wurde mit dem Vorsatz verfasst, etwas Licht in das noch wenig erforschte und heute kaum bekannte Leben des Feuilletonisten und Kritikers Alfred Polgar zu bringen. Im Zentrum der Überlegungen stand, den Künstler und Menschen Alfred Polgar zu portraitieren, etwas über die Umstände seines Lebens zu erfahren und seine Arbeit schließlich exemplarisch anhand seiner Erzählung „Der verlogene Heurige“ zu charakterisieren.
Bei allen Fragen, die es zu klären galt, klang im Hinterkopf immer das Motto dieser Arbeit mit, „Leiser Meister oder graue Maus?“. Nach Beendigung der Recherchen und nach eingehender Beschäftigung mit dem Literaten tendiere ich eindeutig zum „leisen Meister“, wenngleich ich Bleis Charakterisierung Polgars als „feine, stille, silbergraue Maus“ nicht ganz widersprechen kann.
Dass Polgar mit „Esprit, Humor und Anmut reichlich gesegnet“ sei doch dass ihm „die Tiefe, wenn nicht gar der gehörige Ernst [fehle]“, kann ich nicht bestätigen. Bei oberflächlicher Betrachtung stimmt es schon, dass Tiefen auf den ersten Blick nicht erkennbar sind, aber je öfter man sich mit Polgars Worten befasst und je bereiter man ist, sich auf ihn und den kleinen Teil der Welt, den er darstellt, einzulassen, so wird man mit tiefen Einblicken in die menschliche Seele und das menschliche Zusammenleben belohnt.
Viele faszinierte Erkenntnisse über Alfred Polgar wurden gefunden; die Frage, warum sich die Literaturwissenschaft mit dem Werk Polgars nicht eingehender beschäftigte, konnte jedoch nicht geklärt werden. Wahrscheinlich haben sich viele von Polgars bescheidenem Wesen und seinem unauffälligen Stil, aber auch seinen Bemühungen, die Mühen seiner Arbeit zu verschleiern, täuschen lassen und sich lieber grelleren und pompöseren Figuren des literarischen Lebens zugewandt.
Dagegen kann man nur noch einmal den Satz wiederholen, der schon das Ende des Vorworts bildete. Alfred Polgar war zwar ein leiser Kritiker, der mit subtilen Mitteln arbeitete, aber er ist längst nicht die langweilige Maus, als die er landläufig so gerne angesehen wird.
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Blei, Franz: Das große Bestiarium der Literatur. Berlin: Rowohlt Verlag 1924.
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Johnston, William: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte.
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Lukács, Georg von: Über Wesen und Form des Essays. In: Deutsche Essays. Hrsg. v. Ludwig Rohner.
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Reinbek: Rowohlt Verlag 1983, S. 11-17.
Reich-Ranicki, Marcel: “Alfred Polgar”. In: ders., Die Anwälte der Literatur. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1994, S.
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Reich-Ranicki, Marcel: Nachwort in: Alfred Polgar, Handbuch des Kritikers. Wien: Zsolnay Verlag 1980, S. 113-118.
Unger Karl, Wien. Köln: DuMont Buchverlag 1998.
Weinzierl, Ulrich: Er war Zeuge. Alfred Polgar. Wien: Löcker und Wögenstein Verlag 1978.
Weinzierl, Ulrich: “Wien, Jahrhundertwende. Der junge Alfred Polgar”. In: Alfred Polgar, Sperrsitz.
Wien: Buchgemeinschaft Donauland 1980, S. 197-243.
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