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  Sansibar oder der letzte grund

Sansibar oder der letzte Grund Von Alfred Andersch Autor Alfred Andersch wurde am 4.2.1914 in München geboren. Nachdem er 1928 das Wittelsbacher Gymnasium verlassen hatte, begann er eine Buchhandelslehre. Da er von seinem kleinbürgerlichen, nationalistisch gesonnenen Vater abgestoßen wurde, entwickelte er eine Freundschaft zu dem Pfarrer Johannes Krepple, der wohl als Vorbild für den in Sansibar auftretenden Pfarrer Helander diente. Nach dem Tode seines Vaters trat Andersch im Alter von 17 Jahren in den Kommunistischen Jugendverband (KJV) ein, wo er mit 18 Jahren sogar Organisationsleiter wurde.

Aufgrund seiner kommunistischen Tätigkeiten kam Andersch 1933 zweimal in das KZ Dachau, allerdings nur für kurze Zeit. Er mußte daraufhin bald feststellen, daß die kommunistische Bewegung gegen den Einfluß des Nationalsozialismus nichts ausrichten kann und somit mehr eine Idee oder Hoffnung blieb (auch bei dem Fischer Knudsen aus Sansibar ist die Idee nur im Kopf vorhanden). Deshalb löste er sich bald von dieser Partei. Über diese Erkenntnis war er sehr niedergeschlagen, wollte weglaufen, flüchten und alles hinter sich lassen. Die Flucht ist auch das Grundmotiv im Sansibar - Roman, der somit viele autobiografische Aspekte beinhaltet. 1943 wurde Andersch vom Militär eingezogen, er desertierte jedoch an der italienischen Front und kam so in amerikanische Kriegsgefangenschaft.

Andersch starb am 27.2.1980 an Nierenversagen in Berzona in der Schweiz.   Werk 1955 begann Andersch mit der Niederschrift des Romans Sansibar oder der letzte Grund, 1957 wurde dieser veröffentlicht. Die Hauptthemen dieses Romans sind Flucht und Freiheit (sowohl geistige als auch Meinungsfreiheit etc.), weitere Themen sind die Macht des Nationalsozialismus und die Verfolgung der Juden und Kommunisten, so wie die Stellung der Kirche in der Moderne und Kunst zur Zeit des Nationalsozialismus.

In Sansibar spiegelt sich Andersch in gewisser Weise in der Figur des Gregor wieder, der sich wegen seiner kommunistischen Weltanschauung auf der Flucht befindet, einen inneren Kampf führt und sich bald entscheidet, selbst, ohne Aufträge der Partei, zu helfen. Laut Andersch ist es wichtig, sich die Anlage zur Freiheit zu erhalten; dies ist in im Werk auch das Hauptmotiv fast aller dort auftretenden Personen. Durch seine KZ-Aufenthalte und seine Gefangenschaft in den USA lernte er die Notwendigkeit der geistigen Freiheit zu schätzen und erkannte, wie sie in der Gesellschaft unterdrückt wurde. Die Grundthemen Flucht und Freiheit in fast allen seinen Werken, so auch in dem autobiografischen Bericht „Kirschen der Freiheit“, „Die Rote“ oder auch in „Fahrerflucht“. Für „Sansibar oder der letzte Grund“ erhielt Andersch 1958 den Deutschen Kritikerpreis.   Handlung Im Herbst 1937 treffen in dem Ostseestädtchen Rerik mehrere Menschen zusammen, die aus politischen oder privaten Gründen fliehen müssen.

Am unmittelbarsten bedroht ist die Jüdin Judith Levin, deren alte, körperbehinderte Mutter wenige Tage zuvor Selbstmord beging, um ihrer Tochter die Flucht vor den Nazis zu ermöglichen. Judith hat die vage Hoffnung, daß ein schwedisches Schiff sie ins neutrale Ausland mitnehmen werde. In Rerik lernt sie den kommunistischen Instrukteur Gregor kennen, der einen Parteiauftrag ausführen soll, der KP aber mittlerweile skeptisch gegenübersteht, weil er ihren Terror auf der Lenin – Akademie in Moskau zu spüren bekommen hat und weil sie in seinen Augen versagt hat, als sie den „Anderen“, den Nazis 1933 widerstandslos die Macht überlies. Gregor nimmt Verbindung auf zu dem Fischer Knudsen, dem letzten noch aktiven Genossen in Rerik, der sich aber gleichfalls von der Partei und ihrer aussichtslosen Untergrundarbeit absetzen will. „Man mußte weg“ – denkt auch Knudsens fünfzehnjähriger Schiffsjunge, den das Leben in der kleine Stadt und bei seiner Mutter langweilt, und der von einer Flucht träumt, die der Huckleberry Finns auf dem Mississippi entspricht. Den stummen Mittelpunkt dieser Gruppe von Menschen aber bildet die Figur des „Lesenden Klosterschülers“, eine kleine Plastik in der Kirche von Rerik, die Knudsen auf Bitten von Pfarrer Helander nach Skillinge in Schweden bringen soll, damit sie nicht als „entartete Kunst“ abgeholt und vernichtet wird.

Widerwillig vereinbart Knudsen, für den die Plastik nur der „Götze“ aus Helanders Kirche ist, mit Gregor, der von der kleinen Figur, der Zartheit und liebevollen Konzentration in der Haltung des Klosterschülers fasziniert ist, einen Treffpunkt an einer verborgenen Stelle der Küste. Dorthin bringt Gregor in Begleitung von Judith Levin die Figur; nach anfänglichen Widerstand nimmt Knudsen sowohl die Jüdin als auch die Skulptur mit nach Schweden. Für Gregor und auch für den zunächst zögernden Knudsen war dies schon eine Tat, die mit der Partei nichts mehr zu tun hatte und in der sich ihre neu errungene menschliche Freiheit dokumentiert. Dem Schiffsjungen, dem ein erträumtes „Sansibar in der Ferne“ immer der wichtigste und „letzte Grund“ für eine Flucht war, gibt sich mit diesem – aus seiner Sicht kleinen Abenteuer zufrieden: Er kehrt mit Knudsen nach Deutschland zurück. Pfarrer Helander aber, ohnehin unheilbar krank, schießt, nachdem er von der Rettung der Plastik erfahren hat, auf einen der nationalsozialistischen Funktionäre, die ihn wegen des Verschwindens der Statue verhaften wollen, und wird von der SA liquidiert.  Figurencharakteristik Der Junge Schon am kursiv gedruckten Schriftsatz des Textes und der Anzahl der nach ihm benannten Kapitel (18 von 37) fällt auf, daß der Junge im Beziehungsgefüge der Personen eine besondere Rolle spielt.


Außerdem beginnt und beschließt Andersch den Roman mit einem solchen Kapitel - Diese Abschnitte geben die Gedanken und Fluchtphantasien des Jungen wieder. Der Junge ist fünfzehn Jahre alt, lebt bei seiner Mutter, von der er sich nicht verstanden fühlt, und arbeitet als Schiffsjunge beim Fischer Knudsen. Er leidet darunter, ohne Vater aufgewachsen zu sein. Dieser hat in der Stadt Rerik als unzuverlässiger Säufer gegolten und ist vor ca. zehn Jahren, als der Junge fünf Jahre alt war, auf offener See mit seinem Boot havariert und in der Ostsee ertrunken. Der Junge ist von der Vorstellung erfüllt, daß sein Vater von seiner Situation als Fischer in Rerik und durch die Bewohner Reriks in den Tod getrieben wurde, weil er das spießbürgerliche Leben in der Kleinstadt nicht länger ertragen habe und „ziellos in der offenen See hinausgefahren“ sei.

Im Gegensatz zum Vater möchte sich der Junge zu einem idealisierten Ziel „hinter der offenen See“ flüchten, wo er eine vollkommene Gegenwelt zu Rerik vermutet. Seine Fluchtgedanken begründet er mit drei Argumenten: Das in Rerik ist nichts los sei, daß Rerik hat seinen Vater getötet hat, und das „Sansibar“ hinter der offenen See liegt. Sein Streben nach Freiheit richtet sich also in erster Linie gegen die von den Erwachsenen geprägte spießbürgerliche Ordnung. Seine Freizeit verbringt er damit, auf einem alten Speicher zu sitzen und Abenteuerbücher zu lesen. „Huckleberry Finns“ Schicksal ist es, mit dem er sich identifizieren kann. Im Verlauf der Handlung, die seine eigene Abenteuergeschichte wird, durchlebt er einen Reifungsprozeß vom pubertierenden Kind zum Jugendlichen, der die Notwendigkeit erkennt, Verantwortung für andere zu übernehmen.

Er berücksichtigt nun in seinem Handeln auch Bedürfnisse anderer: so z. B. Knudsens Bindung an Rerik durch seine bedrohte Frau Bertha. Auffällig ist, daß die drei oben genannten Argumente an Wirksamkeit für sein Denken und Handeln verlieren. Zum einen erkennt er, daß in Rerik tatsächlich „was los“ ist, zum anderen beginnt er die Schwächen des Vaters zu erkennen, und schließlich hat er einen Hauch von „Sansibar“ entdeckt, indem er die offene See überwunden hat. Aus diesen Gründen kann er den Gedanken an Flucht in die schwedischen Wälder aufgeben und mit dem Fischer nach Rerik zurückkehren.

  Gregor Gregor, ein junger KPD - Funktionär, der es gewohnt ist, Parteiaufträge zuverlässig auszuführen, wird im Verlauf des Romans zu der Person, die das Verbindungsnetz zu den anderen isoliert agierenden Personen knüpft und die Handlung vorantreibt. Als in der Illegalität lebender Parteipolitiker ist er gewohnt, sich unauffällig zu geben. Die KPD hat ihn in den 30er Jahren an der Lenin - Akademie in Moskau im dialektischen Materialismus ausbilden lassen, und seit damals zweifelt er an der starren Ideologie der Parteiführung. Nach einem Manöverbesuch bei der Roten Armee im russischen Tarasovka hatte er erfahren müssen, daß seine deutsche Freundin Franziska im Rahmen der stalinistischen Säuberungen verhaftet worden war. Sie hatte ihre unabhängige Meinung vertreten und war nicht den starren vorgegebenen Parteiparolen und –erklärungen gefolgt. Genau wie beim Jungen findet in Gregor im Verlauf der Handlung eine Wandlung statt.

Ursprünglich ist er nach Rerik gekommen, um einen letzten Parteiauftrag auszuführen, der ihn mit dem Fischer Knudsen zusammenbringen soll. Ihm soll er ein neues Organisationssystem für die Untergrundarbeit der örtlichen KPD - Mitglieder vermitteln, danach will er ins Ausland fliehen. Als er aber die Kirche in Rerik betritt, wo er sich mit Knudsen treffen möchte, entdeckt er dort den „Lesenden Klosterschüler“. Die kritische Haltung dieser Figur beschleunigt seinen Ablösungsprozeß von der Partei. In ihr sieht er „einen, der ohne Auftrag lebt. Einen, der lesen kann und dennoch aufstehen und fortgehen“ (S.

44). Seine Unzufriedenheit mit sich selbst weicht einem „wunderbaren Gefühl“ (S. 84), einen „Genossen, den freien Leser“, gefunden zu haben. Nun kann er, innerlich frei und offen für äußere Einflüsse, die seine Gefühle ansprechen, zu neuen Taten schreiten. Durch die Begegnung mit Helander, der Knudsen überreden will, die Holzplastik nach Schweden zu bringen, macht Gregor die Rettung der Plastik zur eigenen Sache. Seine Aktion „Lesender Klosterschüler“ treibt ihn an und führt in auch zu Judith.

Er erweitert seinen Plan zur Aktion „Jüdisches Mädchen“. Im Laufe der Aktion festigt sich Gregors Haltung, daß nur der selbstkritisch handelnde Mensch, der auch das Wohl seiner Mitmenschen vertritt, frei wählen und handeln kann.  Helander Helander ist evangelischer Pfarrer an der Georgenkirche in Rerik. Im Ersten Weltkrieg wurde ihm nach einer Kriegsverletzung bei Verdun ein Bein amputiert, zudem leidet er an Diabetes. Zusätzlich hat sich in letzter Zeit der Beinstumpf entzündet. Seine Vorfahren sind aus Schweden nach Deutschland eingewandert, das er ein Land nennt, „in dem die Gedanken so dunkel und maßlos .

.. wie die Steinwände der Kirchen“ sind (S. 11). Deutschland und Schweden sind für ihn zwei völlig gegensätzliche Länder. Schweden ist ,freundlich', in dem seine Vorfahren als fröhliche Träumer“ in bunt gestrichenen“ Häusern gelebt haben.

Die Menschen gehen fröhlich“ an den Pfarrhäusern vorbei. Im Nazi - Deutschland wird die „rechte Botschaft“ der Kirche von den Gläubigen nicht gehört“, die Finsternis“ erweist sich als stärker als das kleine Licht“, das in Schweden leuchtet. Dennoch betet er „gegen die Leere“ (S. 9) an. Er wartet auf ein Zeichen Gottes, die „Schrift an der Querschiffwand“ seiner Kirche. Damit ist das Bibelmotiv Daniel 5 gemeint, in dem der gotteslästernde König Belsazar durch ein Zeichen Gottes auf seine Frevelhaftigkeit hingewiesen wird.

In Helanders Sinn wäre dies Zeichen nun der Hinweis für die „Anderen“ auf ihr gottesunwürdiges Handeln und ihre Verbrechen. Zugleich würde Helander darin ein Zeichen für die Anwesenheit Gottes sehen, der wieder mit ihm spräche. Sein Gottesbild ist geprägt von der Lehre „des großen Kirchenmannes aus der Schweiz“ (S. 97), gemeint ist Karl Barth. „Gott war abwesend, er lebte in der größten überhaupt denkbaren Ferne, und die Weite war das Reich des Satans“ (ebd.).

Gott hat zwar die Welt erschaffen, hat aber danach den Menschen alleine gelassen. Ihm bleibt nur die Hoffnung auf Erlösung. Deswegen zürnt Helander Gott. Er wirft Gott vor, „ein Spieler“ zu sein, „der das Reich den Anderen“ (S. 153) überläßt. Um Gott zu bestrafen, geht er zum Schluß so weit, einen der „Anderen“, die ihn verhaften wollen, zu töten.

In diesem Augenblick entdeckt er die langersehnte Schrift an der Wand. Helander kann so versöhnt mit Gott aus der Welt scheiden. Helanders besondere Sorge gilt dem „Lesenden Klosterschüler“, den die „Anderen“ als Beispiel „entarteter Kunst“ aus der Kirche entfernen wollen. Er möchte die Plastik, die er nicht so sehr als Kunstwerk, sondern als „Gebrauchsgegenstand“ und größtes „Heiligtum seiner Kirche“ betrachtet, retten. Dabei muß er auf die Hilfe des kommunistischen Parteifunktionärs Gregor und des Fischers Knudsen hoffen, weil es in Rerik keinen Menschen mehr gibt, dem er vertrauen kann. Im „Lesenden Klosterschüler“ hat er Eigenschaften wie Individualität und Kritikfähigkeit entdeckt, die bei den „Anderen“ unerwünscht sind, weil sie die geistige Freiheit des einzelnen in ihrem Herrschaftssystem ablehnen.

Helander steht mit seiner Haltung auch in der Kirche isoliert da, viele seiner Amtsbrüder haben sich längst mit den nationalsozialistischen Machthabern arrangiert. Genau wie Gregor und Knudsen gehört Helander zu den Abtrünnigen seiner Organisation.   Knudsen Knudsen lebt als Fischer mit seiner geistig behinderten Frau Bertha in Rerik. Andersch zeichnet ihn als wortkargen, kantigen Menschen, dessen einzige Zuneigung seiner Frau gilt. Obschon er sich von der KPD lösen möchte, gilt er in der Parteizentrale als der letzte Genosse, den man noch in Rerik ansprechen kann. Daher akzeptiert er mißmutig nach langer Überlegung den Auftrag, sich mit dem „Instrukteur“ der Partei ausgerechnet in der Kirche zu treffen.

Er fühlt sich dabei hilflos wie „der Fisch vor der Angel“ (S. 16). Er möchte aber auch kein „stummer Fisch“ (ebd.) sein, der sich hilflos seinem Schicksal ergibt. Zu Beginn der Handlung wird er von Helander gebeten, den „Lesenden Klosterschüler“ nach Skillinge zu transportieren. Sarkastisch lehnt er dieses Ansinnen entschieden ab, jedoch fällt Helander in diesem Gespräch auf, daß es zwischen ihnen beiden Gemeinsamkeiten gibt.

Knudsen hat ein schlechtes Gewissen, „weil er die Partei haßt“ (S. 31). „Es ist so ähnlich wie mit mir und der Kirche“ (ebd.). Als Gregor den Wunsch des Pfarrers aufnimmt, die Holzplastik nach Schweden zu transportieren, dämmert es Knudsen, daß jener auch die Partei verlassen und fliehen will. Darauf hin kommt es zu einem erbitterten Streit zwischen den beiden, weil er Deutschland aus Sorge um seine Frau nicht verlassen kann.

Die Gefahr besteht, daß die „Anderen“ sie in eine Heilanstalt bringen und töten. Zudem lehnt er den jungen Funktionär als Repräsentant der untätigen Haltung seiner Partei, der KPD, ab. Trotzdem verläßt er Rerik nicht, um auf Dorschfang zu gehen. Statt dessen sitzt er im Hafen auf seinem Kutter und denkt weiter nach. Das Bild des „stummen Fisches“ taucht wieder vor ihm auf. Er fürchtet, „die Lust am Leben“ und die Lust an der Liebe“ (S.

85) zu verlieren und willigt so schließlich ein, den „Lesenden Klosterschüler“ in der Nacht an Bord zu nehmen. Knudsen repräsentiert im Roman das „kleine“ Parteimitglied, das, obwohl von der Parteiführung der KPD zutiefst enttäuscht, seinen Widerstand gegen das Regime des Nationalsozialismus nicht aufgeben kann und will. Schließlich bringt Gregor neben der Holzplastik auch noch Judith zur Lotseninsel mit. Knudsen fühlt sich getäuscht und weigert sich, weiterhin mit Gregor zusammenzuarbeiten. So kommt es zu einer tätlichen Auseinandersetzung, in der er von Gregor niedergeschlagen wird. Trotzdem gibt er erst nach, nachdem er Gregor gezwungen hat, seine Fluchtgedanken zurückzustellen, damit Judith und der „Lesende Klosterschüler“ in Sicherheit gebracht werden können.

Doch auch Knudsen erkennt, daß privates Handeln ohne die Partei einen Sinn hat. In Gregor sieht er nun, genau wie in sich selbst, einen Deserteur.   Judith Judiths Äußeres wird aus der Perspektive Gregors beschrieben: „eine Jüdin, eine junge Fremde mit einem in Rerik ungewohnten Gesicht ... ein besonders schönes Exemplar eines solchen Gesichts (S.

59).“ Auch der Wirt sagt ihr, sie sehe „so ausländisch aus“ (S. 35). Damit wird sofort deutlich, in welch großer Gefahr sie sich befindet. Sie stammt aus großbürgerlich jüdischem Elternhaus in Hamburg, ist gebildet, geschmackvoll gekleidet und auf Wunsch der Mutter, die kurz zuvor Selbstmord begangen hat, nach Rerik gekommen, um von dort an Bord eines Schiffes zu gehen und Deutschland zu verlassen. Bislang hat sie keine lebenswichtigen Entscheidungen zu treffen brauchen, die Eltern oder Freunde der Familie haben es ihr abgenommen.

Zum erstenmal auf sich allein gestellt, merkt sie rasch, daß sie nicht erfahren genug ist, ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen zu können. Rerik ist nicht der Ort, von wo aus eine Flucht gelingen kann. Die Menschen, die ihr dort begegnen, wirken mit Ausnahme des Pfarrers Helander, der aufgrund seiner Bildung ihre Sprache spricht, fremd. Sie ist nicht in der Lage, das Verhalten von Menschen aus anderen sozialen Schichten richtig einzuschätzen. Erst zu spät bemerkt sie, daß der Steuermann des schwedischen Schiffes ihr nicht helfen kann und sie „los sein“ (S. 79) möchte.

Ihr eigener Fluchtversuch scheitert, ihre Verhaftung droht. Durch die zufällige Begegnung mit Gregor wird ihr mit dem „Lesender Klosterschüler“ doch noch die Flucht ermöglicht. In dieser Begegnung und während der Flucht wird sie wie der Junge erwachsen. Ihre kindlich - romantischen Vorstellungen, in einer geborgenen Welt zu leben, zerbrechen. Auch sie vollzieht - ähnlich beim Jungen - einen Wandel, den von der Jugendlichen zur jungen, gereiften Frau.   Erzähltechnik des Romans Der Roman wird aus der Perspektive der fünf Hauptgestalten erzählt.

Es handelt sich also um eine personale Perspektive. Der Leser erfährt ausschließlich dessen Wahrnehmungen, Gedanken und Handlungen. Es werden nicht fertige Ergebnisse eines Denkvorgangs präsentiert, es handelt sich viel mehr um die Wiedergabe des Denkvorgangs. Probleme einer solchen personalen Erzählperspektive: Es ist kein überschauender „allwissender Erzähler“ vorhanden, der seine Figuren vorstellt. Folgen: Der Leser wird plötzlich und ohne Einführung in die Gedankenwelt der Figuren hineinversetzt und muß sich selbst zurechtfinden. Es ist kaum eine Beschreibung neben dem Erlebten der Personen möglich.

Dadurch kommt es zu einer gewissen Reduzierung der Außenwelt. Der Roman beschränkt sich auf das was sich im Inneren der Figuren spiegelt. Information über das Aussehen der Hauptpersonen bekommt man erst dann, wenn von Anderen eine bewußte Wahrnehmung eintritt.

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