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  Schlink der vorleser

Schlink der Vorleser Bernhard Schlink, Der Vorleser   bearbeitet von Charlotte von Denffer, Julia Seibel, Petra Hüttlin, Eyke Stegen.     INHALT: 1 .Informationen über den Autor 2. Inhaltsangabe des Romans 3. Personenbeschreibung M. Berg 4.

Personenbeschreibung H. Schmitz 5. Beziehung Hanna Michael 6. Lebenslauf H. Schmitz 7. Erörterungsthema 8.

Konzentrationslager       Bernhard Schlink   1944 als Sohn des Prof. Edmund Schlink bei Bielefeld geboren.   1945 Umzug nach Heidelberg, wo er mit seinen Geschwistern Johanna, Dorothea und Wilhelm aufwächst.   Jurastudium an der Univ. Heidelberg und der FU Berlin   wissenschaftlicher Assistent in Heidelberg, Darmstadt, Bielefeld und Freiburg   1975 Promotion - "Abwägung im Verfassungsrecht" (1976)   1981 Habilitation "Die Amtshilfe. Ein Beitrag zu einer Lehre der Gewaltenteilung in der Verwaltung" (1982)   1982 - 1991 Prof.

an der Univ. Bonn   1984 erscheint sein gemeinsam mit Bodo Pieroth verfaßtes Lehrbuchs "Staatsrecht II. Grundrechte" (14. Auflage 1998   1987 erscheint sein erster (gemeinsam mit seinem Jurakollegen Walter Popp verfaßter) Kriminalroman "Selbs Justiz"   1987 - heute, Richter des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster   1988 Der Kriminalroman "Die gordische Schleife" erscheint, der 1990 mit dem Glauser-Preis des Syndikats ausgezeichnet wird.   1991 - 1992 Professur für Öffentliches Recht an der Univ. Frankfurt a.

M.   1992 - heute Professor an der Berliner Humboldt-Universität -- Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Völkerrecht -- Direktor des Instituts für Recht der Informations- und Kommunikationstechnik     1993 erscheint "Selbs Betrug", ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimi-Preis (1993)   1995 Der Roman "Der Vorleser" erscheint, der 1997 mit dem Hans-Fallada-Preis der Stadt Neumünster ausgezeichnet wird.     Inhaltsangabe des Buches "Der Vorleser" von Bernhard Schlink   Die Handlung des Romans beginnt Ende der 50er Jahre in einer süddeutschen Stadt: Michael Berg, ein fünfzehnjähriger Junge, lernt eine 36 Jahre alte Frau namens Hanna Schmitz kennen, als der an Gelbsucht erkrankte Junge vor ihrer Wohnung zusammenbricht. Die Frau kümmert sich um den Jungen und als er eine Woche später sich bei ihr bedanken will, schlafen sie miteinander. Sie haben über längere Zeit eine Affäre, die trotz einiger Streitigkeiten eine glückliche Zeit für beide ist. Sie duschen und schlafen oft miteinander, aber Hanna fordert immer ,daß ihr Michael ein Buch oder Gedicht vorliest, dem er auch immer, um sie nicht zu verärgern, folgt.

Sie machen sogar in den Osterferien eine gemeinsame Radtour, die sie noch enger zusammenbringt. Doch auf einmal verschwindet Hanna spurlos.   Das letzte Mal vor ihrem Verschwinden sieht er sie in einem Freibad, als sie kurz vorbeikommt, während er sich mit seinen Klassenkameraden vergnügte. Der 15 Jahre alte Michael Berg reagiert, was naheliegt, etwas verstört, setzt aber nach außen hin seinen Lebensweg wie bisher fort. Er braucht eine Weile, bis er sich daran gewöhnt hat, daß der bisherige Ablauf der Nachmittage sich ändert. Er sieht Hanna Schmitz erst als Jurastudent im Gerichtssaal wieder, als er einen KZ-Prozeß für sein Studium mitverfolgt.

  Hanna war Angeklagte in einem KZ-Prozeß. Michael verfolgt den Prozeß im Gegensatz zu den anderen Studenten an jedem Tag. Nach einigen Verhandlungen erfährt er, daß Hanna Schmitz bei der SS war. Sie war Aufseherin in einem Lager bei Auschwitz und war somit für viele Morde mitverantwortlich.   Als das Lager aufgelöst wurde, führte sie mehrere hundert ihr anvertrauten Frauen in den Tod indem sie die Frauen in einem nahegelegenen Dorf in einer Kirche unterbrachte und die Türen nicht öffnete, als Bomben in die Kirche einschlugen.   Er beginnt aber auch, ein zweites Geheimnis von Hanna zu erahnen.

Das am Anfang der Liebesgeschichte des ungleichen Paares als zärtliche Szene verstandene Vorlesen des Jungen erweist sich jetzt als Indiz für ein großes Problem Hannas. Michael vermutet, daß Hanna Analphabetin ist. Hanna gibt das im Prozeß aber nicht zu und belastet sich somit stärker als die Mitangeklagten, indem sie zum Beispiel nicht abstreitet, belastende Dokumente geschrieben zu haben.   Michael gerät in einen Gewissenskonflikt. Soll er dem Richter sagen, daß Hanna Analphabetin ist oder soll er sich da besser nicht einmischen und schweigen. Er führt ein Gespräch mit seinem Vater, aber der kann ihm als Philosoph nicht die Entscheidung erleichtern oder sogar abnehmen.


Michael entscheidet sich im Prozeß zu schweigen ,und so wird Hanna zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Um mit den Ereignissen der letzten Zeit fertig zu werden, entscheidet sich Michael mit einer Gruppe von Studenten, auf eine Skihütte zu fahren. Als er sein Studium beendet und sein Referendariat begonnen hatte, heiratet er Gertrud, die er auf der Skihütte kennengelernt hat. Nach 5 Jahren Ehe trennen sich Michael und Gertrud und so versucht er in seinen kommenden Beziehungen immer darauf zu achten, daß sich die Frau ein bißchen wie Hanna anfühlt.   Währenddessen schickt Michael Hanna öfter mit Gedichten und Geschichten besprochene Kassetten ins Gefängnis. Er besucht sie aber nicht.

Hanna lernt im Gefängnis mit Hilfe der Kassetten lesen und schreiben, liest Bücher über Konzentrationslager und Frauen im Dritten Reich. Als Michael einen Brief von der Leiterin des Gefängnisses bekommt, in dem steht ,daß Hanna nach langjähriger Haft in einem Jahr entlassen werden wird fordert die Leiterin, daß Michael Hanna besuchen kommt. Er besucht sie, aber erst eine Woche vor ihrer Entlassung. Er trifft nicht mehr die Hanna an, die er mit 15 kennengelernt hatte, er trifft eine altgewordene, veränderte Frau.   Trotzdem kümmert er sich um eine Wohnung und einen Job für Hanna, damit sie sich nach der Freilassung wieder in ein normales Leben einfügt.Als er sie dann abholen will, ist Hanna tot.

Sie hat sich am Tag ihrer Entlassung erhängt. Erzählt wird dies alles aus der Ich-Perspektive des etwa fünfzigjährigen Michael Berg, immer wieder unterbrochen von Gefühlen und Erklärungen seines damaligen Verhaltens und den Schwierigkeiten des Erinnerns.       Hanna Schmitz   Eine der Hauptpersonen des Romans "Der Vorleser" von Bernhard Schlink ist Hanna Schmitz, eine Figur, über deren Charakter, deren Vorstellungen, Ziele und Wünsche der Autor seine Leser bis zum Schluß des Buches nicht vollständig aufklärt. Der Leser wird somit dazu veranlaßt, sich seine "eigene Hanna" anhand ihrer Taten, oder in diesem Fall sogar oft anhand ihrer "Nicht-Taten", zusammenzustellen. Bei dieser persönlichen Formung Hannas Charakters projiziert der Leser sicherlich auch eigene Gefühle, Gedanken und Moralvorstellungen auf diese Romanfigur.   Somit hat im Endeffekt jeder Leser ein eigenes Bild "seiner Hanna", ihres Charakters und vor allem aber ihrer Handlungs-/bzw.

Nicht-Handlungsmotive. Diese Hannas werden sich zwar sehr ähnlich sein und in vielen Dingen vollkommen übereinstimmen, ich bin mir jedoch sicher, daß sie sich in einigen ausschlaggebenden Wesenszügen unterscheiden werden.   Ich werde nun versuchen, eine Personenbeschreibung "meiner Hanna" zu verfassen: Hanna Schmitz wurde am 21. Oktober 1922 bei Hermannstadt geboren. Über ihre Kindheit und Jugend wird der Leser weitestgehend im Unklaren gelassen. Sie wuchs in Siebenbürgen auf, bis sie 1939 nach Berlin umzog.

Verbrachte sie in Siebenbürgen eine glückliche Kindheit? Wer waren ihre Eltern? In was für einem Milieu wuchs sie auf? All das wissen wir nicht. Nur eines ist klar: Hanna Schmitz ging nicht wie die anderen Kinder ihres Alters in die Schule. Vielleicht wurde sie von ihren Eltern in gewissen Dingen unterrichtet - sie war sicherlich kein dummes Kind, da sie zu einer intelligenten Frau heranreifte - lesen und schreiben lernte sie jedoch nicht.   Dieses Manko begleitete sie fast ihr ganzes Leben lang. Sie ließ sich voll und ganz von ihm beherrschen, ihre größte Angst wurde es, sich eines Tages zu ihrem Analphabetismus bekennen zu müssen.   Während der Zeit, die sie in Berlin verbrachte, hatte sie eine Stellung bei Siemens.

Im Herbst 1943 sollte sie befördert werden. Da die neue Stelle jedoch Lese- und Rechtschreibkenntnisse erfordert hätte, entschied sie sich gegen diese und für die Arbeit als Aufseherin in Auschwitz. Das war möglich, da sie mit ihren 21 Jahren ein Mitglied der SS war. Nach ihrem Dienst in Auschwitz wurde sie in einem kleinen Lager bei Krakau eingesetzt. Auch über diese Zeit kann man nur spekulieren. Wählte sie die Arbeit als Aufseherin, oder floh sie nur vor der Beförderung und der damit verbundenen Scham der Entblößung ihrer Schwäche? Ich bin mir sicher, daß sie den Dienst nicht bewußt wählte, sondern keinen anderen Ausweg mehr sah.

Sie wählte die Stelle nicht, sie nahm sie, wie so vieles, in Kauf. Der Preis für ihre Scham, aber auch für den Stolz, den sie in den Jahren entwickelt hatte, war hoch: keine Beförderung, sondern eine Stelle als Konzentrationslageraufseherin für die Sicherheit vor der Enthüllung ihres Mankos.   Hatte sie Gewissensbisse? Fühlte sie sich schuldig? Machte sie sich Selbstvorwürfe? Das alles können wir nicht mit Gewißheit beantworten. Fakt ist, daß sie während dieser Zeit immer wieder junge, schwache und zarte Mädchen zu sich holte, die sie unter ihren Schutz brachte und dafür sorgte, daß sie besser verköstigt wurden, nicht arbeiten mußten und nachts zu ihr kamen. Hanna verbot ihnen strikt, auch nur ein Wort über das nächtliche Geschehen in ihrem Zimmer zu verlieren. Nach einer gewissen Zeit kamen auch diese Mädchen in einen Transport, der sie in das Vernichtungslager brachte.

Diese jungen Mädchen wurden von Hanna als Vorleserinnen benutzt. Sie hatte immer noch nicht lesen oder schreiben gelernt, da sie aber, wie schon gesagt, nicht dumm war, sehnte sie sich nach Bildung, nach Literatur. Die Lagerinsassinnen konnten ihr diesen Wunsch für bestimmte Zeit erfüllen. Besseres Essen, keine Arbeit mehr und wenigstens über einen gewissen Zeitraum hinweg die Sicherung ihrer Existenz, ihres nackten Überlebens, gegen ein bißchen Vorlesen und Verschwiegenheit. Ich denke, aus Hannas Perspektive war das ein fairer Tausch. Meiner Meinung nach wechselte sie ihre Vorleserinnen nicht aus, weil sie sie satt hatte, sondern da es aus ihrer Sicht eine Notwendigkeit war.

Über kurz oder lang würde eine von ihnen ihren Mund nicht halten können, und was dann...? Das jahrelange Versteckspiel, das Leben mit der permanent vorhandenen Angst vor Enthüllung hatte diese ins schier Unermeßliche gesteigert. Für Hanna war es gar nicht mehr denkbar, ihre Unwissenheit zuzugeben. Sie hatte also gar keine andere Wahl.

Und machte sie nicht ein paar Mädchen mehr die letzte Zeit ihres Lebens ein bißchen erträglicher? Sicher wußte Hanna von den Gerüchten, die im Lager kursierten: "Die Frau Schmitz, die hat da so ihre ganz speziellen Lieblinge. In der Nacht, da holt sie sie sich auf ihr Zimmer. Was da dann passiert, ist ja wohl glasklar! Die scheut nicht einmal vor den jungen Mädchen hier zurück. Aber wenn sie dann genug von denen hat, ja, dann schickt sie sie auf den Transport. Jaja, so eine ist die Frau Schmitz nämlich." Gerede dieser Art traf Hanna sicherlich hart.

Sie wurde in der Welt des Verbrechens, in die sie wegen ihres Analphabetismus hineingeraten war, dank ihres Analphabetismus eines weiteren "Verbrechens" angeklagt, daß sie nicht, oder zumindest nicht in dieser Form, begangen hatte. Das lehrte sie, ihre Gefühle größtenteils zu verbergen und äußerlich wie innerlich zu verhärten.   Als im Winter 1944/45 das Naziregime seinem Ende zuging, brach Hanna in Begleitung vier weiterer Aufseherinnen plus Wachmannschaften mit den Gefangenen nach Westen auf. Eines Nachts in der "Bombennacht, in der alles zu Ende ging", sperrten die Wachmannschaften und Aufseherinnen die mehreren hundert Lagerinsassinnen in eine Kirche, eines zum größten Teil leer stehenden Dorfes, ein. Als eine Bombe in den Kirchturm einschlug und allen Anwesenden klar war, daß die eingeschlossenen Frauen verbrennen würden, öffneten weder Hanna noch die übrigen die Tür.   Ich bin überzeugt, daß Hanna die Tür keinesfalls aus Bosheit verschlossen ließ, ich glaube ihren Worten, die sie äußerte, als sie lange Zeit später dazu veranlaßt wurde, zu den Ereignissen Stellung zu beziehen: einerseits befand sie sich in einem Zustand äußerster Verwirrung; das Chaos, das ausgebrochen war, nachdem die Bombe gefallen war und die Kirche brannte, versetzte sie in Angst und Schrecken; andererseits war ihr klar, daß sie die Frauen, vorausgesetzt die Aufseherinnen ließen sie frei, nicht mehr unter Kontrolle bekommen würden.

Sie selbst war für die Gefangenen mitverantwortlich, ihre Aufgabe war es, die Häftlinge zu bewachen, sie an der Flucht zu hindern. Dies war nun nicht mehr möglich. Die Ordnung war nicht mehr herstellbar. Die Frauen waren von dem langen, anstrengenden Marsch unter den unerträglichsten Umständen sowieso schon am Ende ihrer Kräfte angelangt, sie hatten Hunger, froren und...

War es da wirklich vernünftig oder human, sie zu retten? Ich gehe davon aus, daß Hanna keine Zeit für sehr viel mehr Gedanken hatte, da sich das Geschehen im Laufe von Minuten abspielte.   Nach dem Ende des Todesmarsches, dem Ende des 3. Reiches, dem Ende Hitlers und seinem 2. Weltkrieg und somit auch dem Ende Hannas Zeit als Aufseherin, zog sie nach Heidelberg und lebte dort acht Jahre lang. Das ist die längste Zeit, die an ein und dem selben Ort verbrachte. Der häufige Wohnungswechsel sagt viel über Hanna aus: Hanna war ständig auf der Flucht, auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit, auf der Flucht vor ihrem Analphabetismus und auf der Flucht vor sich selbst.

Die Tatsache, daß sie sich jedes Mal polizeilich an- und abmeldete, zeigt ihren starken Ordnungssinn auf, den wir schon in der "Bombennacht" kennengelernt haben. Alles mußte stets seine Ordnung haben, denn Ordnung ist das halbe Leben. Ohne ihre Ordnungsliebe wäre sie sicherlich nicht in der Lage gewesen, ihren Analphabetismus so lange zu verstecken.   1958 lernte die damals 36jährige, in Heidelberg lebende, Hanna den l5jährigen Michael Berg kennen. Sie kam dazu, als der Junge sich erbrechen mußte, und half ihm, die Sauerei zu beseitigen. Als Michael später mit einem Blumenstrauß vor ihrer Tür stand, um sich bei ihr für die Hilfe zu bedanken, war für Hanna völlig klar, daß der Junge nur das Eine von ihr wollte: mit ihr schlafen.

Auch diese Haltung ist auf den Analphabetismus zurückzuführen: Hanna kam sich dumm und intellektuell unbrauchbar vor. Ich vermute, daß sie noch keine sie erfüllende Beziehung geführt hatte, aus Angst, sich als Analphabetin erkennen geben zu müssen. Wahrscheinlich suchte sie sich, wenn überhaupt, Männer mit geringer Bildung aus, die sich nicht für viel Dinge außer Geld verdienen, essen, trinken und Sex interessierten. So war das Einzige, wozu sie sich fähig fühlte, körperliche Befriedigung zu schenken. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß ein Mensch sich für die Person Hanna interessieren könnte, für ihre Gedanken und Gefühle, nicht für ihre Bildung, die sie ja größtenteils nicht erlangen konnte. Wie auch? Bildung erhält man aus Büchern oder aus der Schule.

Was hätte sie also tun sollen? Zwischen Michael und Hanna entwickelte sich eine Beziehung, die deren beider Leben grundlegend veränderte, obwohl sie nur ein halbes Jahr dauerte. Hanna bestimmte die Regeln dieser Beziehung. Sie versuchte, sie auf folgendes Ritual zu beschränken: vorlesen, duschen, lieben.   Ja, Hanna hatte Michael schon nach kurzer Zeit dazu gebracht, ihr vorzulesen. Kein Vorlesen, keine Liebe, so hieß ihre Devise. An diesem Ritual wird vielerlei deutlich: die Ordnung: Schon wieder besteht Hanna darauf, daß alles seinen festen Ablauf hat, daß die Regeln eingehalten werden.

Das Duschen: Hanna besteht darauf, jedesmal nach dem Vorlesen, das heißt vor dem Sex, zu duschen. Sie hat geradezu einen Reinlichkeitstick. Ich denke, daß sie sich schuldig fühlte. Einerseits erinnerte sie das Vorlesen Michaels an die Zeit, die sie in Auschwitz und bei Krakau mit ihren jungen Vorleserinnen verbrachte, andererseits wußte sie, daß Michael sich hoffnungslos in sie verliebt hatte, sie ihm diese Liebe jedoch schuldig bleiben mußte. Sie hatte auch Gewissensbisse, da ihr klar war, daß eine glückliche, harmonische Beziehung vor allen anderen Dingen auf einem aufbaut: Auf Vertrauen und Ehrlichkeit. Und was tat sie? Sie belog "ihren Jungen" und brachte ihn sozusagen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu, ihr einen ihrer größten Wünsche zu erfüllen.

Ihr war sicher klar, daß sie Michael nicht angemessen behandelte, versuchte aber auch das, wie sehr vieles in ihrem Leben, zu verdrängen. Sie dominierte die Beziehung, so wie der Analphabetismus ihr Leben voll und ganz beherrschte, so versuchte sie nun Michael zu beherrschen. Sie erlaubte es sich nicht, sich vor ihm auch nur den kleinsten Fehler einzugestehen, sie hatte immer Recht, Michael mußte sich immer entschuldigen, tat er es nicht, so reagierte sie mit Liebesentzug.   Michael, der 21 Jahre jünger war als sie, war ihr in der Sache, die ihr ganzes Leben beeinflußte, überlegen: er war in der Lage, sowohl zu lesen, wie auch zu schreiben. Sie wußte, daß sein Leben durch sie bestimmt wurde, also wollte sie dies voll und ganz auskosten. Endlich war sie die Starke, die beherrschte und, ja, die auch demütigte.

In Michael hatte sie den perfekten Partner für dieses Wechselspiel der Macht - unbewußte Macht von seiner Seite, nur allzu bewußte von ihrer Seite aus - gefunden. Er hatte sich wirklich ohne wenn und aber in sie verliebt, und tat, was immer sie von ihm verlangte. Am Anfang der Beziehung bemühte sie sich die Distanz zu wahren, um sich das "Geschäft" zu erleichtern. So fragte sie ihn zum Beispiel nicht nach seinem Namen, er war derjenige, der am 6. oder 7. Tag davon anfing.

Indem sie keine gefühlsmäßige Bindung aufbaute, wollte sie ihr Gewissen ausschalten und das Ganze als puren Handel sehen. Im Laufe der Zeit klappte das jedoch nicht mehr. Michael gab sich nicht mehr mit ihren Ritualen, die auch zur Distanzierung dienten, zufrieden. Er wollte mehr. So besuchte er sie zum Beispiel eines Tages in der Straßenbahn, in der sie als Schaffnerin arbeitete. Er setzte sich in ein hinteres Abteil, sie kam nicht zu ihm.

Über dies Angelegenheit hatten sie später einen Streit. Jeder warf dem anderen vor, ihn bzw. sie in der Öffentlichkeit zu ignorieren. Ich denke, Hanna warf es einfach vollkommen aus der Bahn, ihren Jungen an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit als geplant zu sehen. Das war gegen die Regeln. Das war nicht eingeplant.

In ihrer kühlen Rechnung war dafür kein Platz. Wie sollte sie die Sache nun weiterhin als Handel abtun? Hanna war aufs Äußerste verwirrt. Das konnte sie Michael gegenüber allerdings auf keinen Fall eingestehen, da sie doch die Rolle der Starken, der Unfehlbaren übernommen hatte. Deshalb reagierte sie mit Vorwürfen und bitterer Ironie.   Im Laufe der Zeit konnte sie sich nicht mehr vormachen, daß nur sie diejenige war, die beherrschte. Sie konnte nicht länger die Augen vor ihrer immer größer werdenden Abhängigkeit von ihrem Vorleser verschließen.

Während dem ganzen halben Jahr brachte sie es nicht über sich, Michael die Wahrheit zu gestehen. Das führte zu einem Zwischenfall, anhand dessen Michael ein Stückchen der "wahren Hanna", die nicht immer schauspielern mußte, die nicht immer stark und dominant sein mußte, kennenlernte.   Michael plante in seinen Schulferien eine Radtour für Hanna und sich. Allein, daß Hanna in dieses Vorhaben einwilligte, zeigte schon, daß ihr Verhältnis zu Michael ein anderes geworden war. Sie hatte den Menschen an sich herangelassen, betrachtete ihn nicht mehr nur als "Vorlesemaschine". Sie ließ es zu, daß er sie aus ihrem gewohnten Umfeld herausriß, überließ ihm die ganze Verantwortung, und somit auch die ganze Macht.

Sie streifte einen Teil ihrer Maske ab, fing an wieder Gefühle zu empfinden und sich auch einzugestehen. Erst in diesem Stadium würde ich von einer eigentlichen Beziehung sprechen. Hanna hatte sich gewandelt. Ich würde sagen, sie hatte sich zurückverwandelt. Vor langer, langer Zeit, noch vor ihrer Zeit im KZ, lernte sie, ihre Gefühle zu verstecken, sich selbst gemeinsam mit ihrem Analphabetismus zu verstecken. Die Erfahrungen im KZ beschleunigten diesen Prozeß, sie versteckte ihre Gefühle, ihre Schuldgefühle nun nicht nur mehr vor der Außenwelt, sondern auch vor sich selbst.

  Nun hatte sie einen Menschen gefunden, dem sie nicht nur (soweit es für sie möglich war) vertrauen konnte, sondern dem sie auch die Verantwortung überlassen konnte, der für sie die Regeln und eine Ordnung aufstellte und bei dem sie sich ein Stück weit fallenlassen konnte.   Um so schlimmer traf sie dann der "Verrat": Michael ging eines Tages Brötchen holen. Da sie noch nicht wach war, legte er ihr einen Zettel hin. Hanna wachte auf und Michael war weg. Als sie dann den Zettel sah, muß das ganze Unglück auf einmal über sie hereingebrochen sein. Und sie wußte, daß sie daran mitschuldig war.

Hätte sie ihm gesagt, daß sie, und warum sie mit einem Zettel nichts anfangen konnte, so wäre das ganze nicht passiert. Weil sie das unterlassen hatte, wurden ihr auf einmal folgende Dinge klar: 1.: Michael war weg und das traf sie hart. Sie merkte, wie stark sie von ihm abhängig war, wie sehr sie ihn und sein Vorlesen brauchte. Ihr wurde klar, daß er sie in der Hand hatte, sie realisierte auch, daß er von dieser Macht, die er über sie hatte, nichts wußte und sie somit von ihm nicht verlangen konnte, verantwortungsvoll damit umzugehen und auf sie Rücksicht zu nehmen. 2.

: Die Ordnung war gestört. Dies hört sich zwar sehr banal an, bedeutete Hanna aber mehr, als wir uns vorstellen können. Ihr wurde bewußt, daß sie sich so sehr auf Michael verlassen hatte, daß er die Regeln bestimmt und die Ordnung in der Hand hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit war sie aus ihrer Rolle geschlüpft, die sie mit Selbstachtung, aber auch damit verbundener Härte und Stärke gleichsetzte. Sie hatte sich treiben lassen und sich somit das Leben um einiges erleichtert. Und nun das! Sie war enttäuscht worden.

Mußte sie daraus schließen, daß man sich eben doch nur auf sich selbst verlassen kann, daß man sich und andere kontrollieren muß? Daß man hart und kalt bleiben muß, wenn man nicht verletzt werden will? 3.: Der Zettel. Michael hatte ihr einen Zettel hinterlassen, von dem ihr weiteres Leben hätte abhängen können, und sie war nicht in der Lage, in zu entziffern. Dieses Stückchen Papier hätte alles mögliche enthalten können: "Hanna, ich bin gegangen und komme nie mehr wieder. Suche nicht nach mir. Dein Michael", oder "Liebe Hanna, ich muß mir jetzt über den weiteren Verlauf meines Lebens klar werden.

Ich brauche Abstand und will dich die nächsten Wochen nicht sehen. Dein Michael" oder aber auch "Sehr geehrte Frau Schmitz! Michael Berg hatte einen Unfall und liegt jetzt im Krankenhaus. Hochachtungsvoll, der Inhaber." So viele Möglichkeiten, und sie war hilflos wie ein Baby. Hanna taumelte zwischen Selbsthaß, Angst, Scham und Verzweiflung hin und her. Kein Wunder also, daß sie außer sich war, als Michael fröhlich und unbeschwert, als wäre nichts passiert (was für ihn ja zu traf), hereinspaziert kam.

Sie verlor die Nerven und schlug mit ihrem Gürtel zu.   Das war für ihn wie für sie die schlimmstmögliche Reaktion. Er wurde von der Frau, die er liebte, gedemütigt; in ihr beschwor der Anblick des blutenden Jungens Erinnerungen an Auschwitz und Krakau herauf. Doch nicht nur das: sie hatte die Kontrolle über sich verloren, sie spürte, daß sein Schmerz auch sie schmerzte, daß sie mit ihm fühlte, daß ihre mühsam aufgebaute Maske am Zerbrechen war. Und das war für Hanna erst einmal eine existenzbedrohende Vorstellung. Das Verlieren der Kontrolle hieß gleichzeitig, daß die Chancen der Entdeckung größer wurden.

Die Chancen der Entdeckung ihres Analphabetismus und die Chancen der Entdeckung ihrer Vergangenheit. Von beidem erfuhr Michael Berg nicht von Hanna selbst. Aus diesem Zwischenfall lernte Hanna ein bißchen offener zu sein. Sie ließ von da an Michael gegenüber ein kleines Stückchen ihrer Maske fallen. In seiner Gegenwart erlaubte sie sich wieder Gefühle wie Freude und Glück zu empfinden und auch zu zeigen. Sie hörte auf; ihn "Jungchen" zu nennen, sie gab ihm Kosenamen.

Hanna ließ sich auf die Beziehung ein, sah Michael als einen Menschen, den sie liebte. Ja, sie liebte ihn. Wenn auch anders, als er sie; aber inzwischen gestattete sie sich, Liebe zu empfinden. Durch ihren Ausbruch hatte sie erfahren, daß es erleichtert, Gefühle zu zeigen. Ihr Weinen nach dem Schlag half ihr über die schlimme Situation hinweg. Nachdem Hanna zuerst ihre Maske aufgesetzt hatte, um Michael zu bestrafen, um die Situation in den Griff zu bekommen, und dieser Versuch kläglich scheiterte erlebte sie, wie gut es ihr tat, sich danach in ein Paar Arme fallen zu lassen und zu weinen.

Ganz sie selbst zu sein.   Sie öffnete sich Michael immer noch nicht weit, aber für sie war dieser Schritt ein enormer Fortschritt. Sie ließ ihn immer noch nicht an ihrem Alltagsleben, an ihrer Vergangenheit oder an ihren Plänen für die Zukunft teilhaben, aber wenn sie beisammen waren, so war Hanna bei ihm. Was am Anfang ihrer Beziehung nicht der Fall war. Am Anfang war ihr das Vorlesen wichtiger, nun zählte Michael und die Welt die er ihr schuf.   Eine Welt, in der sie auf ein paar Dinge weniger achtgeben mußte, eine Welt, in der sie nicht ständig auf der Hut sein mußte.

Nachdem sie sich in dieser Welt zu Hause fühlte, wollte sie einen großen Schritt wagen: sie wollte Michael in seiner Umgebung erleben und kennenlernen, ich denke, sie begann auszuprobieren, ihn wirklich zu lieben. Sie kämpfte lange Zeit mit sich, ob sie es zulassen konnte, diese Barriere zu zerstören. Michael fiel auf, daß sie "tagelang in sonderbarer Stimmung gewesen" war, "launisch und herrisch zugleich, spürbar unter einem Druck, der sie aufs Äußerste quälte und empfindlich, verletzlich machte". Er spürte ihre Hilflosigkeit, wußte jedoch nicht, worauf er sie zurückführen sollte. Nach dieser Zeit der Unschlüssigkeit und Zweifel entschied sich Hanna zu dem entscheidenden Schritt. Sie ging in das Schwimmbad, von dem sie wußte, daß Michael sich dort aufhielt.

Als sie den Jungen dort mit seinen Freunden beobachtete, merkte, wie unbeschwert und fröhlich er in seiner Umgebung war, überfielen sie Zweifel. War es richtig, Michael mit ihrer Person zu belasten? War es richtig, ihm ihre Schwierigkeiten aufzudrängen? Hatte sie ihn nicht schon genug ausgenutzt? Hatte sie je an den Jungen gedacht?   Hanna beschloß dieser Beziehung ein Ende zu setzen. Michael Berg bedeutete ihr eine ganze Menge, und sie war der festen Überzeugung, daß es für ihn besser wäre, sie nie wieder zu sehen.   Ich denke, daß das der größte Liebesbeweis ist, den Hanna zu erbringen fähig war. Daß es für eine schmerzverhindernde Trennung für Michael schon viel zu spät war, realisierte sie nicht. Sie sah ihn sich ein vorerst letztes Mal lange und eindringlich an und verließ dann ihre gemeinsame Welt.

  Nach dieser mißglückten Beziehung verließ Hanna Schmitz Heidelberg. Wo und wie sie die nächsten Jahre verbrachte, wird für immer ein Geheimnis bleiben. Über diese 16 Jahre verliert Bernhard Schlink nicht ein einziges Wort. Die Handlung des Romans setzt erst l965 wieder ein.   Hanna wurde zusammen mit den vier weiteren KZ-Aufseherinnen für ihre Verbrechen in Krakau und den Todesmarsch verurteilt. Ein Hauptanklagepunkt war ein Protokoll, das sie über die Geschehnisse der ,,Bombennacht" geschrieben haben sollte.

Als der Richter ein Schriftprobe von ihr verlangte, um sie mit dem Protokoll zu vergleichen, gab Hanna alles zu und ließ sich zu lebenslänglicher Haft verurteilen. Aus Angst vor der Bloßstellung als Analphabetin, nahm sie die Bloßstellung als Verbrecherin in Kauf Aus Angst vor der ihr unangenehmen Wahrheit, wählte sie die viel schlimmere Unwahrheit. Warum sie so handelte? Zum einen denke ich, daß sie sich so an das Verstecken ihres Analphabetismus gewöhnt hatte, daß es für sie schlichtweg undenkbar geworden war, diesen zuzugeben. Unter welchen Umständen auch immer. Auf der anderen Seite fühlte sie sich schuldig, ich denke das Gefängnis erschien ihr nicht bedrohlich. Sie fühlte sich schuldig an ihrem Analphabetismus, schuldig an dem abrupten Ende ihrer Beziehung zu Michael.

Für ihre Zeit im KZ verbot sie sich, sich schuldig zu fühlen. Sie war nicht der Meinung, daß sie eine andere Chance gehabt hätte, sie hatte die Schuldgefühle für ihre taten im KZ erfolgreich verdrängt, die Gefühle, die sie sich in der Zeit verboten hatte, kehrten noch nicht wieder. Wenn sie sich während des wochenlangen Prozesses an ihre taten im KZ erinnerte, so tat sie das auf einer rein rationalen Ebene. Warum sie die Juden in den Tod schickte? ,,Die neuen kamen, und die alten mußten Platz machen für die neuen" So war es eben. Kein Platz für Gefühle. Michael, der während des gesamten Gerichtsverfahrens anwesend war, wurde von Hanna nur ein einziges Mal angesehen.

Hätte sie ihn öfter angeschaut, so wäre sie sicher nicht in der Lage gewesen, ihre Gedanken so zu zensieren und alle Empfindungen zu streichen. Denn durch ihn hatte sie erfahren, wie schön es ist, Gefühle zu zeigen und zu empfangen. Hanna stand in der Zeit des Prozesses unter einem ungeheuren Druck und einer enormen Anspannung, die an ihren Nerven zerrte. Sie war abgespannt und erschöpft. Dennoch hielt sie durch, behielt ihre Maske auf und gab sich (ihrem Verständnis nach) keine Blöße. So lautete ihr Urteil ,,lebenslänglich", und sie verbrachte die nächsten 18 Jahre im Gefängnis.

Während dieser Zeit schickte ihr Michael immer wieder Kassetten, auf denen er ihr alle möglichen Bücher vorlas. Doch das war alles. Sonst hatte sie keinen Kontakt zur Außenwelt und auch Michael ließ ihr niemals auch nur ein einziges persönliches Wort zukommen. Das enttäuschte Hanna maßlos. Sie hatte Michael, weil sie erkannt hatte, daß er für sie weit mehr als ein Vorleser geworden war. Und nun reduzierte er sich selbst auf ihren Vorleser.

Wiederum beschuldigte sie sich selbst. Hätte sie schon als Kind lesen gelernt, so wäre sie zu einer völlig anderen Hanna herangewachsen, zu einer klugen, lustigen, gebildeten Hanna, einer Frau, die Michael fasziniert und nicht mehr losgelassen hätte. So wie sie war, war sie ihm nur besprochene Kassetten wert. Er wollte nicht mit ihr kommunizieren. Verurteilte er sie? Haßte er sie? Was dachte er über sie? Diese Fragen blieben für sie ungeklärt, da sie nicht mit ihm Kontakt aufnehmen konnte. So faßte sie den Entschluß, lesen und schreiben zu lernen.

Sie schaffte ihren Analphabetismus anhand Michaels Kassetten aus der Welt. Michael hatte ihr beigebracht, Gefühle zu zeigen, und brachte ihr bei, lesen zu lernen. Sie besorgte sich die Bücher, die Michael ihr vertont hatte, in der Gefängnisbücherei und verfolgte so Buchstabe für Buchstabe das Gesprochene. Nachdem sie so lesen gelernt hatte, begann sie mit dem Schreiben. Als sie auch das gelernt hatte, war Michael der Erste, dem sie ihre neue Kunst präsentierte. Sie schrieb ihm einen Gruß: ,,Jungchen, die letzte Geschichte war besonders schön" Das war vier Jahre nachdem Michael ihr die erste Kassette geschickt hatte.

Hanna hatte innerhalb von vier Jahren lesen und schreiben gelernt. Ihr ganzes Leben hatte sie unter ihrem Analphabetismus gelitten, nun hatte sie ihn besiegt. Hanna schrieb regelmäßig kurze Grüße an Michael, dieser antwortete ihr immer noch nur mit Kassetten. Im 18. Jahr Hannas Gefängnisaufenthaltes wurde ihr Gnadengesuch erhört. Die Gefängnisleiterin schrieb an Michael und bat ihn, sich nach ihrer Entlassung um sie zu kümmern.

Er sollte sie vor ihrer Entlassung besuchen. Eine Woche vor Hanna bevorstehender Freilassung fand der Besuch statt. Zum ersten Mal seit 18 Jahren sah Hanna ihr Jungchen wieder. Zum ersten Mal seit 34 Jahren konnte sie mit ihm sprechen, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Sie hatte große Hoffnungen in diesen Besuch gesetzt. In der Zeit ihrer Gefangenschaft hatte sie viel nachgedacht, und ihr war bewußt geworden, wie viel Michael ihr bedeutete.

Das einzige Photo, das ihre Zelle schmückte, war das Michaels, sie hatte alle seine Kassetten aufgehoben und gesammelt, alle ihre Hoffnungen und Wünsche hatte sie auf ihn projiziert. Einerseits war ihre Zeit stehen geblieben, sie hatte keine neue Menschen kennengelernt, sie war wieder an dem Punkt angelangt, an dem sie sich ihre Gefühle für Michael eingestand, sie wollte ihm alles über sich erzählen, ihm die ganze Kontrolle übergeben und sich fallen lassen. Doch obwohl sich eine Sache ganz entscheidend verändert hatte, obwohl sie nun keine Analphabetin mehr war, sich das Machtverhältnis somit verschoben hatte und obwohl sie ihre Maske nun hätte fallen lassen können, scheiterte auch dieser Versuch, eine wahre, ehrliche Beziehung mit Michael aufzubauen, wie der damals im Schwimmbad, kläglich. Sie merkte, daß die 34 Jahre zwischen ihr und Michael standen, daß er keinerlei Erwartungen und Hoffnungen ihr gegenüber hatte, daß ihre Zeit vorbei und vergangen war. Doch auch diesmal versuchte sie, sich nichts anmerken zu lassen. Michael und sie verabredeten, daß er sie nach einer Woche, am Tag ihrer Entlassung, abholen würde.

In der Nacht vor ihrer Entlassung brachte Hanna sich um. Sie hatte sich im Morgengrauen erhängt. Welche Motive sie zu dieser Tat führten, bleibt offen, ich denke, daß sich das nicht an einem Punkt festmachen läßt. Erschöpfung, Trauer, Angst und Hoffnungslosigkeit spielten sicher eine große Rolle. Auf der einen Seite hatte sie alles erreicht, was zu erreichen sie lange Zeit vergeblich zu erreichen versucht hatte, andererseits hatte dieses Erreichen ihr nicht die Vorteile und Genugtuung gebracht, die sie sich erhofft hatte. Sie hatte lesen und schreiben gelernt, doch was war dabei herausgekommen? Der einzige Mensch, dem sie schrieb, schrieb ihr nicht zurück.

Die Erfüllung ihres Traums hatte ihr nur Enttäuschung beschert. Sie hatte auch gelernt, ihre verdrängten Gefühle wieder hervorzuholen, sie sich einzugestehen und über sie nachzudenken. Doch auch das hatte ihr nichts Positives eingebracht. Einerseits waren da ein Haufen Schuldgefühle, mit denen sie nun umgehen mußte und zu denen sie vor sich selbst Stellung beziehen mußte. So wurde sie sich zum ersten Mal ihrer Fehler, die sie als Aufseherin begangen hatte, ihrer Unmenschlichkeiten und Grausamkeiten bewußt. Sie konnte sich ihrer Vergangenheit stellen, mußte dabei aber erkennen, daß ihre Schuld nicht mehr gutzumachen war, wie sehr sie diese auch einsah und bereute.

Weitere Gefühle waren ihre Gefühle Michael gegenüber, auf den sie nun alle ihre Sehnsucht nach Liebe, Respekt, Vertrauen, Geborgenheit aber auch schlicht und einfach Normalität, richtete. Jetzt war ihr klargeworden, daß dieses Ziel ihrer Sehnsucht in diesem Sinne für sie unerreichbar war. Sicher hatte Hanna nach 34 Jahren, in denen sie von der Welt abgeschnitten gewesen war, Angst, in diese zurückzukehren. Die Welt hatte sich verändert und Hanna selbst hatte sich verändert. Wie sollte sie sich unter diesen Umständen draußen zurechtfinden. Wie Hanna gelebt hatte, so starb sie auch: auf der Flucht.

Sie lebte auf der Flucht vor ihrem Analphabetismus, ihren Gefühlen und ihrer Vergangenheit; sie starb mit 6T Jahren auf der Flucht vor der Realität Personenbeschreibung:   Michael Berg   Michael Berg ist 15 Jahre, als er Hanna durch einen Zufall kennenlernt . Es entwickelt sich eine intensive Beziehung zwischen den beiden. Michael, der noch sehr unerfahren in Sachen Liebe ist, hat als erstes Angst, ist schüchtern und verlegen.(S.27 ,,Ich hatte Angst; vor dem Berühren, vor dem Küssen, davor, daß ich nicht gefallen und genügen würde.") und so ist es Hanna, die zuerst die Führung übernimmt (5.

33" und sie lehrte mich, das nicht verschämt zu tun, sondern mit selbstverständlicher, besitzergreifender Gründlichkeit. Auch wenn wir uns liebten, nahm sie selbstverständlich von mir Besitz.") Nach einiger Zeit jedoch, lernt und traut sich auch Michael die Führung zu übernehmen und Hanna in seinen Besitz zu bringen (S.34 ,, bis ich lernte auch von ihr Besitz zu ergreifen. Das war später. Ganz lernte ich es nie.

"> Nach einiger Zeit möchte Hanna ,daß Michael ihr vorliest. Er weigert sich zuerst und möchte es nicht, doch Hanna reagiert mit Liebesentzug bis er ihr vorliest.(S.43 ,,Aber als ich am nächsten Tag kam und sie küssen wollte, entzog sie sich. ,,Zuerst mußt du mir vorlesen." Sie meinte es ernst.

") Michael tut alles was sie will und was sie sagt und nach einiger Zeit gibt er alles zu, selbst wenn Hanna die gleiche Schuld traf.(S.50 ,,ich hatte nicht nur diesen Streit verloren. Ich hatte nach kurzem Kampf kapituliert, als sie drohte mich zurückzuweisen, sich mir zu entziehen. In den kommenden Wochen habe ich nicht einmal kurz gekämpft. Wenn sie drohte, habe ich sofort bedingungslos kapituliert.

Ich habe alles auf mich genommen. Ich habe Fehler zugegeben, die ich nicht begangen hatte, Absichten eingestanden, die ich nie gehegt hatte.") Obwohl ihn manchmal das Gefühl überkommt, sie tue diese Schuldzuweisung und dieses Entziehen nur um über ihn zu herrschen, unterwirft er sich bedingungslos.(S.50 ,,Manchmal dachte ich, sie triumphiert einfach über mich. Aber so oder so hatte ich keine Wahl.

") Nach einer Auseinandersetzung auf einer gemeinsamen Fahrradtour, für die Michael sogar seine Briefmarkensammlung verkaufte, uni die Reise zu finanzieren. schlägt sie ihn, doch auch dies verzeiht er ihr.(S.55 ,,Sie machte zwei Schritte zu mir, warf sich an meine Brust, schlug mit Fäusten auf mich einklammerte sich an mich. Jetzt konnte ich sie halten. Ihre Schultern zuckten, sie schlug mit der Stirn ~ meine Brust.

"> Michael handelt oft so, er hat Angst sie zu verlieren, doch oft ist er auch ärgerlich, traut sich jedoch nie seinen Standpunkt durchzusetzen.(S.70 ,Als auch ich schlechtgelaunt reagierte, wir in Streit gerieten und Hanna mich wie Luft behandelte, kam wieder die Angst sie zu verlieren und ich erniedrigte und entschuldigte mich, bis sie mich wieder zu sich nahm. Aber ich war voll Groll.") Durch diese Wut, die er beginnt aufzubauen, kommt es dazu, daß er Hanna vor seinen Klassenkameraden verleugnet und sich sogar für ein anderes Mädchen interessiert, doch auch ihr kann er nichts von Hanna erzählen. (S.

76 ,,Aber von Hanna reden konnte ich erst recht nicht.") Eines Tages jedoch verschwindet Hanna plötzlich. Michael kann es nicht fassen, sehnt sich nach ihr und vermißt sie schmerzlich, (S.83 ,,Es dauerte eine Weile, bis mein Körper sich nicht mehr nach dem ihrem sehnte.") doch als einige Zeit vergeht und Michael und seine Familie in einen anderen Stadtteil ziehen, verblaßt die Erinnerung an Hanna. (S.

83 ,,Nicht daß ich Hanna vergessen hätte, aber irgendwann hörte die Erinnerung an sie auf mich zu begleiten.") Michael macht sein Abitur und fängt ein Studium der Rechtswissenschaft an. Er reagiert immer öfter arrogant und großspurig weil er sich nie mehr von einer Person demütigen lassen will und nie mehr einer Person so verfallen sein will wie Hanna.(S.84 ,,Mich nach Hanna nie mehr demütigen lassen und demütigen, nie mehr schuldig machen und schuldig fühlen, niemanden mehr so lieben, daß ihn verlieren weh tut.") Seine erste Begegnung, nach langer Zeit, mit Hanna war im Gerichtssaal bei einem KZ-Prozeß den er mit seinem Seminar besucht, doch er fühlt nichts mehr für sie, (S.

91 ,,Ich erkannte sie, aber ich fühlte nichts."), er fühlt sich nur wie betäubt, weiß jedoch nicht warum. Michael verfolgt den Prozeß jetzt regelmäßig und entdeckt so immer weitere Dinge über Hanna, zum Beispiel daß sie Analphabetin ist. Er fühlt sich aber auch schuldig, weil er eine Verbrecherin geliebt hat.(S.128 ,,Und wenn ich nicht schuldig war, weil der Verrat einer Verbrecherin nicht schuldig machen kann, war ich schuldig, weil ich eine Verbrecherin geliebt hatte.

'1) Als Hanna zu lebenslänglicher Haft verurteilt wird, versucht Michael loszukommen von dem Prozeß und von Hanna, doch alle seine Gedanken kehren zu der Zeit mit Hanna zurück. Michael hat eine Ehe und zahlreiche Beziehungen hinter sich, die alle daran scheiterten, daß er alle Frauen mit Hanna verglichen hat. So ist es auch weniger verwunderlich, daß er nach einiger Zeit wieder anfängt für Hanna zu lesen, es auf Kassette zu sprechen und es Hanna ins Gefängnis zu schicken. Dies geht einige Zeit und Michael bekommt auch einige kurze Antworten von Hanna ,was ihn sehr erfreut.(S. 178 ,,Dann betrachtete ich Hannas Schrift und sah, wieviel Kraft und Kampf sie das Schreiben gekostet hatte .

Ich war stolz auf sie. ,,) Als Hanna jedoch entlassen werden soll, wird sich Michael bewußt, daß er sich um Hanna kümmern muß, was ihm aber nicht sehr gefällt.(S. 182 ,,Aber mir gefiel nicht, was auf mich zukam.") Er besucht sie nur ein einziges Mal im Gefängnis, da er davor immer sehr viel Angst hatte. (5.

lS~3 ,,Wie sollten wir uns von Angesicht zu Angesicht begegnen, ohne daß alles hochkam, was zwischen uns geschehen war.") Doch als er alles vorbereitet hat, erhält er die Nachricht, daß Hanna sich erhängt hat. Michael macht sich erneut Vorwürfe (5. 198 ,,Warum hatte ich den Aufschein vor einer Woche nicht gesehen?"). Auch nachdem 10 Jahre seit Hannas Tod vergangen sind, stellt er sich immer noch die gleichen Fragen (5.205 ,,.

...ob ich ihr etwas schuldig geblieben bin, ob ich schuldig geworden bin, indem ich sie geliebt habe, ob ich und wie ich mich von ihr hätte lossagen, loslösen müssen.") und so kommt er eigentlich nie richtig von Hanna los. Die Beziehung zwischen Hanna und Michael   Das erste Mal sind sich Michael und Hanna auf der Straße vor Hannas Haus Ende Februar 1958 begegnet, sie hilft dem an Gelbsucht Erkrankten.

Um sich zu bedanken, geht Michael nach seiner Genesung mit einem Blumenstrauß zu Hanna. Als sie sich in der Küche umzieht, um ihn nach Hause zu begleiten, kann er vom Flur aus nicht die Augen von ihr lassen. Als Hanna merkt, daß er sie beobachtet, rennt Michael weg. Später stellt er fest, daß es ihre Haltung und ihre Bewegungen waren, die ihn so fasziniert haben. Eine Woche später steht Michael wieder vor der Tür der Frau, da er die ganze Zeit an sie denken mußte. An diesem Tag schlafen die beiden das erste Mal miteinander, obwohl sie noch nicht mal den Namen des anderen wissen und sie 21 Jahre älter ist als er.

Hanna glaubt, daß Michael nur deswegen noch mal gekommen ist. In der Nacht darauf hat sich Michael in diese Frau verliebt. Er weiß nicht, warum er sich in sie verliebt hat, vielleicht als Preis dafür, daß sie mit ihm geschlafen hat. Sie nennt ihn immer ,Jungchen, er bezeichnet sie am Anfang in seinen Gedanken als ,die Frau', bis er sie am 6. oder 7. Tag nach ihrem Namen fragt.

Für die ersten Treffen stemmt Michael jeden Tag die 6. Stunde, sie duschen und lieben sich, und danach geht Michael zum Mittagessen nach Hause. Während sie sich lieben, nimmt Hanna selbstverständlich Besitz von i~. Michael denkt, daß sie es zu ihrem spielerischen Vergnügen macht, bis er lernt auch von ihr Besitz zu ergreifen. Als Hanna erfährt, daß Michael das Schuljahr wiederholen muß, schmeißt sie ihn raus. Daraufhin bemüht sich Michael, alles zu geben, um nicht sitzen zu bleiben, und damit sich Hanna ihm nicht entzieht.

Als Belohnung für seine Bemühungen lieben sie sich jeden Nachmittag. Hanna gibt ihm Sicherheit, so daß er weder Probleme in der Schule noch mit Mädchen hat. Sie will, daß Michael ihr vorliest. Zuerst will er ihr nicht vorlesen, aber als sie sich ihm entzieht, gibt er nach und liest ihr vor. Danach duschen sie und lieben sich. Das Ganze entwickelt sich zu einem Ritual: Vorlesen, duschen, lieben und noch ein bißchen beieinander liegen.

Das geht einige Wochen so, bis Michael sie bei ihrer Arbeit überraschen will. Doch bei dieser Überraschung gibt es Mißverständnisse und sie streiten. Michael nimmt die ganze Schuld auf sich, damit sie ihn nicht zurückweist. Doch seit dem Streit kämpft er nicht mehr, er kapituliert bedingungslos: ,,Ich habe alles auf mich genommen. Ich habe Fehler zugegeben, die ich nicht begangen hatte, Absichten eingestanden, die ich nie gehegt hatte. Wenn sie kalt und hart wurde, bettelte ich dann, daß sie mir wieder gut ist, mir verzeiht, mich liebt.

Manchmal empfand ich, als leide sie selbst unter ihrem Erkalten und Erstarren. Als sehne sie sich nach der Wärme meiner Entschuldigungen, Beteuerungen und Beschwörungen. Manchmal dachte ich, sie triumphiert einfach über mich. Aber so oder so hatte ich keine Wahl." Sie beschließen, in den Osterferien zusammen eine Fahrradtour zu machen. Michael verkauft seine Briefmarkensammlung, um die Reise für sich und sie bezahlen ZLL können.

Auf der Fahrradtour streiten sie sich, Hanna weint, zeigt ihre sanfte Seite, diese Hanna ist ihm näher, als die nur starke Hanna. Nach diesem Streit ist ihr Verhältnis inniger, sie lieben sich anders, doch Michael kann nie ganz von ihr Besitz ergreifen. Er klaut für sie im Kaufhof und schreibt ihr ein Gedicht, außerdem hat er jede Nacht Sehnsucht nach ihr und kann ihr keinen Wunsch abschlagen. Sie will nicht in seinem Bett mit ihm schlafen, weil sie sich wie ein Eindringling vorkommt, das spürt Michael. Der Sommer ist der Gleitflug seiner Liebe, doch weiß er nichts über ihre Liebe zu ihm. Doch zeigt er seine Liebe nicht in der Öffentlichkeit: ,,Überhaupt ging ich durch die Welt, als gehöre sie nicht zu mir und ich nicht zu ihr.

Ende Juli sehen sie sich das letzte Mal im Schwimmbad, ohne etwas zu sagen, verschwindet Hanna einfach aus der Stadt. Ihre Beziehung dauert ungefähr fünf Monate (Ende Februar - Ende Juli). Es datiert eine Weile, bis Michael sie vergessen kann, doch er kann niemanden mehr so lieben, daß ihn verlieren weh tut. Als er sie sieben Jahre später bei der Gerichtsverhandlung wiedersieht, fühlt er nichts. Er empfindet ihre Haft als natürlich und richtig, weil: ,,Sie in der Zelle raus aus meiner Welt, aus meinem Leben war." Während der Verhandlung starrt er sie ununterbrochen an, sie schaut ihn nur ein Mal an.

Michael kann nicht mit Hanna darüber reden, daß sie nicht lesen und nicht schreiben kann. Nach ihrer Verurteilung haben die beiden vier Jahre lang keinen Kontakt, bis Michael ihr seine ersten besprochenen Kassetten schickt. Sie bedankt sich mit ein paar Zeile. Er ist stolz auf sie, daß sie schreiben und lesen gelernt hat, doch schreibt er ihr nicht zurück und besucht sie auch nicht. Als erfährt, daß Hanna entlassen werden soll, kümmert er sich um eine Wohnung und eine Arbeitsstelle für sie und besucht sie nach langem Zögern. Er bemerkt, daß Hanna enttäuscht ist.

Vielleicht ist das auch der Grund für ihren Selbstmord in der Nacht vor ihrer Entlassung. Lebenslauf ,Ton Hanna Schmitz     - geb. am 21 Oktober 1922, bei Hermannstadt - aufgewachsen in Siebenbürgen - 1939: Umzug nach Berlin, arbeitet bei Siemens - im Herbst 1943 geht ZLW SS - Frühjahr 1944 Aufseherin in Auschwitz - bis Winter 1944/45 eingesetzt in einem kleinen Lager bei Krakau - befindet sich bei Kriegsende in Kassel - ab Kriegsende an verschiedenen Orten gewohnt, verschiedene Jobs gehabt - ab 1950 wohnte sie 8 Jahre in Michaels Heimatstadt Heidelberg in der Bahnhofstraße ( die längste Zeit, die sie an einem Ort verbracht hat) - gibt an, daß sie keine Familie hat - arbeitet dort ein paar Jahre als Straßenbahnschaffnerin - 1958 lernen sich Hanna und Michael kennen, zu dieser Zeit ist sie 36, er 1 5 Jahre alt - Ende Juli 1958 verschwindet sie - 1965 sieht er sie bei der Gerichtsverhandlung (Frühjahr bis Juni)wieder - Gerichtsurteil: lebenslänglich - 1973 bekommt sie die ersten Kassetten von Michael - im 18. Jahr im Gefängnis wird ihrem Gnadengesuch stattgegeben - war von 1965 bis 1983 im Gefängnis - begeht in der Nacht vor ihrer Entlassung mit 61 Jahren Selbstmord ERÖRTERUNG:   Am 18.März 1946 fand im Hamburger Curio-Haus der Erste einer Reihe britischer Militärgerichtsprozesse statt, in dem nationalsozialistische Verbrechen verhandelt und abgeurteilt wurden. Bis zum 01.

01.1988 wurde noch gegen 1224 Personen Ermittlungs- und Strafverfahren wegen Verdachts der Beteiligung an Nationalsozialistischer Verbrechen geführt. Seit 1960 kann jedoch wegen der Verjährung aller anderen Delikte nur noch wegen Mordverdachtes ermittelt werden und dann stellt sich die Frage:   Kann man diese Menschen noch immer für ihr Vergehen verurteilen oder sollte man Gnade vor Recht ergehen lassen?   Dies ist ein sehr heikles Thema und es wurde und wird sehr viel darüber diskutiert. Viele werden spontan antworten : Natürlich, wieso nicht?, aber ich denke, man sollte das Pro und Contra betrachten. Diese Menschen haben Millionen von Mitmenschen umgebracht, viele kaltblütig ermordet Familien ausgelöscht und vieles mehr. Man sollte Zeichen setzen, daß diese grausamen Dinge nicht vergessen sind Lind daß es auch heute noch Konsequenzen hat was vor 54 Jahren geschah.

Es ist auch ein Zeichen für die, häufig jungen, rechtsradikalen Leute, daß dieses Vergehen noch immer in den Gedanken existiert und daß es auch heute noch so schwerwiegend ist, daß man es auch nach vielen Jahren noch verurteilen kann. Viele dieser Leute, die damals für die Konzentrationslager und Ermordungen verantwortlich waren, sind heute schon alt, viele leben auch gar nicht mehr. Es gibt sicher auch viele, die ihr Vergehen bereut haben, einige, die nicht mehr daran erinnert werden möchten, aber auch viele, die ihr Vergehen noch immer nicht eingesehen haben und die bestreiten, damals überhaupt dabeigewesen zu sein. Einen große Menge dieser Leute konnte damals fliehen, sich mit ihrem Geld in einem anderen Land ungestraft eine neue Existenz aufbauen oder sogar in sehr machtvolle Berufe, wie Richter, Rechtsanwälte oder Politiker einsteigen. Dies ist ein Beweis dafür, daß manche dieser Leute kein Gewissen haben oder hatten und diese Leute sollte man zur Rechenschaft ziehen. Natürlich denken oder dachten damals nicht alle so.

Es gibt viele, die das, was sie 2etan haben mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können oder konnten. Einige dieser Leute sahen oft nur noch eine Möglichkeit ihren Schuldgefühlen ein Ende zu setzen Lind zwar mit Selbstmord. Jedoch nicht bei allen kamen diese Gewissensbisse sofort, sondern erst nach einiger Zeit, dafür aber um so heftiger. Sie müssen oder mußten ein Leben voller Schuldgefühle leben, haben die schrecklichen Bilder der Leichen, der Konzentrationslager ihr ganzes Leben lang vor Augen und daß, denke ich, ist oft schon Strafe genug. Man kann allerdings nicht nur auf diese Leute schauen, sondern muß betrachten wie es damals in Deutschland aussah. Damals gab es in Deutschland viele Arbeitslose und es herrschte eine große Armut.

Als dann jedoch ein Mann mit dem Namen Hitler auftauchte, der ihnen das Blaue vom Himmel versprach und der eine große Zukunft für Deutschland sah, waren viele Menschen begeistert, glaubten alles was er versprach und waren bereit alles dafür zu tun. Als die ersten Anschläge und Einschränkungen gegen Juden auftraten, traute sich schon keiner mehr etwas zu sagen, denn die ,,Schutzpolizei" von Hitler hatte überall schon Angst und Schrecken verbreitet. Keiner traute sich mehr gegen Hitler zu sprechen und wenn es einige doch versuchten, wurden diese Personen verhaftet oder sie verschwanden spurlos. Davor hatten alle große Angst. Es war wie eine Art Gruppenzwang, der von einem einzelnen Mann ausging, dem sich keiner zu entziehen traute und konnte. Natürlich gab es auch vielerlei ganz klar gesehen haben, was da vor sich ging und denen es gefallen hat, weil es ihnen so gelang Autorität zu erlangen, von allen gefürchtet zu werden und über andere herrschen zu können.

Ich denke es ist ein schmaler Grad zwischen dem schuldig und nicht schuldig sein, denn eigentlich sind ja alle ,,schuld" die gesehen haben was da vor sich ging, sich aber nicht trauten den Mund aufzumachen aus Angst vor den Konsequenzen. Ich denke man kann nicht klar sagen, ob diese Verurteilungen noch nötig sind oder nicht, denn es hängt von dem Betrachter und dessen eigener Meinung ab, inwiefern man solche Prozesse noch durchziehen und diese Leute verurteilen sollte. Hören wir Schlagzeilen wie ,,Zehn Jahre Haft für KZ- Aufseher- Ehemaliger Kapo des KZs Mauthausen wegen einfachen Mordes verurteilt. Für weitere Morde fehlten die Beweise. Letzter NS Prozeß damit zu Ende?" (TAZ vom 23. 2 986), ,, NS- Prozeß gegen Auschwitz Aufseher- In Wuppertal läuft einer der letzten NS Prozesse.

Der Angeklagte soll den Gefangenen Konservendosen vom Kopf geschossen haben. Tödliche Schüsse waren beabsichtigt. Häftlinge berichten aus der Todesfabrik" (TAZ vom 16. 01.1987), oder ,,Herr über Leben und Tod- In Nürnberg wurde der NS-Polizeigendarm zu ,,lebenslänglich" verurteilt" (TAZ vom 20.12.

1988), so sind wir erst einmal betroffen und schockiert. Vielleicht schämen wir uns auch unserer deutschen Herkunft (sofern wir diese haben), bald danach setzt aber das Stadium der Wut ein. Wir sind wütend auf Hitler, auf das 3. Reich, den 2. Weltkrieg und vor allen Dingen wütend auf die Angeklagten. Wenn wir nicht sofort die Zeitungsseite umdrehen und zu weiteren Schreckensmeldungen blättern, so fangen wir an, über diese Zeit nachzudenken.

Erst einmal beginnen wir diese Leute, die Verantwortlichen, wie die Mitverantwortlichen zu hassen; sollten wir sie beschreiben, so käme dabei die Beschreibung eines Unmenschen, eines Untiers, eines Monsters heraus. Wir vergessen dabei, daß wir über die Gefühle und Gedanken dieser Menschen, ihre persönliche Situation sehr wenig wissen. Wir können uns gar nicht vorstellen, daß diese Leute Gefühle, wie wir sie kennen, überhaupt empfinden konnten. Wer Menschen behandelt, wie ein ,,normaler" Mensch nicht einmal Tiere behandeln würde, kann nur ein kaltblütiger, kranker, gemeingefährlicher Irrer sein. Daß diese Menschen aber oft liebende Ehemänner ,gute Väter waren und sich um ihre Haustiere in einer bewundernswerten Art und Weise kümmerten, paßt nicht in unser Bild. Wir wollen nichts davon hören, da es bequemer für uns alle ist, diese Leute als grauenhafte Unmenschen anzusehen.

Denn wenn diese Leute, abgesehen von ihrem Beruf, Menschen wie du und ich waren, ja, dann werden sie uns immer ähnlicher, es wird schwerer, sie zu verurteilen und das Ganze zu vergessen. Hat man einmal begriffen, daß auch diese Menschen Menschen waren, so kann man das Thema nicht mehr beiseite schieben, da nun klar wird, das eine Zeit wie diese immer wieder kehren könnte. Der Mensch ist ein leicht beeinflußbares Wesen, dessen Moralvorstellungen und Werte ihm nicht in die Wiege gelegt wurden. Das sieht man daran, daß jede Generation ihre eigenen Werte entwickelt. Wie kann es aber sein, daß eine Generation anstelle von Werten ,,Unwerte" entwickelte? Wie kann ein Mensch, der in einem KZ jeden Tag undenkbares Grauen schafft und duldet, in seinem Alltagsleben seine Katze füttern, seine Frau lieben und mit seinem Sohn Fußball spielen? Hat so ein Mensch denn gar kein Gewissen? Keinen Verstand? Über dieses Thema kann man endlos diskutieren und philosophieren, eine zufriedenstellende Antwort wird man..

. allerdings nie erhalten. Tatsache ist jedoch, daß für diese Menschen das Umbringen ihrer Mitmenschen völlig ,,normal" erschien. Das war nun mal ihre Arbeit. Job ist Job, und den wollten sie so gut und gewissenhaft erledigen. Für uns scheint das unglaublich und meilenweit entfernt, liest man aber Bücher wie ,,Der Vorleser" von Bernhard Schlink oder ,,Kommandant in Auschwitz" von Rudolf Höss, so rücken diese Personen und ihre Taten immer näher, am Ende einer solchen Lektüre kann es passieren, daß man erschrickt, verwirrt und entsetzt feststellt, daß einem die Verantwortlichen unbeschreiblichen Grauens sympathisch geworden sind, daß man teilweise die selben Probleme und Gefühle hat, wie sie, daß man ihre Handlungsweisen teilweise nachvollziehen kann.

Diese Entdeckung sollte einem vor Augen halten, daß ,,Hitler" immer wieder kommen kann und daß wir nie mit hundertprozentiger Sicherheit sagen können, daß ,,wir ja ganz anders sind, als die da" und ,,daß wir schließlich Menschen mit Verstand und Gefühl sind". Denn jetzt wissen wir, daß Gefühle, Verstand und Normalität nicht davor schützen.

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