Vormärz, junges deutschland (1815-1848)
6. Kapitel
Vormärz, Junges DeutschlandVormärz, Junges Deutschland (1815-1848)
Begriff
Das Junge Deutschland: Der Schriftsteller Ludolf Wienbarg prägte diesen Begriff 1834 in seinen "Ästhetischen Feldzügen": "Dem jungen Deutschland, nicht dem alten widme ich diese Reden." Erst das Verbot ihrer Schriften (1835) als "antichristlich", "gotteslästerlich" bezeichnet die jungen, revolutionären Schriftsteller, u.a. Ludwig Börne, Karl Gutzkow, Heinrich Heine, Heinrich Laube, als eine Bewegung. Sie ist Teil einer europäischen Jugendbewegung, z.
B. Les Jeunes-France, Giovana Italia.
Historischer Hintergrund
Die akademische Jugend vor allem widersetzt sich der Restauration (wiedererstarkter fürstlicher Absolutismus) nach dem Wiener Kongreß. Das Wartburgfest 1817 (Gedenken an die Reformation und den Kampf gegen Napoleon) wird durch die öffentliche Verbrennung reaktionärer Schriften durch Studenten zum Signal. Nach der Ermordung des vermeintlichen russischen Spions, des Erfolgsschriftstellers August von Kotzebue, durch den Theologiestudenten Karl Ludwig Sand (1819) Erlaß der "Karlsbader Beschlüsse": Zensur von Büchern und Zeitungen, Verbot der Burschenschaften, Überwachung der Universitäten ("Demagogenverfolgungen"), Spitzelwesen (Polizeiapparat). Nach der Julirevolution in Frankreich 1830 Aufstände vor allem im Südwesten Deutschlands.
Forderungen: Bundesreform, Verfassungen, Pressefreiheit. 1832 Hambacher Fest (Jahrestag der bayerischen Verfassung): revolutionäre Reden. 1833 Versuch radikaler Studenten, den Frankfurter Bundestag zu stürmen. Verschärfte Verfolgungen, Ausweisung protestierender Göttinger Professoren, u.a. der Brüder Grimm.
1814/15
Wiener Kongreß
1815
Deutscher Bund: 35 Fürsten und 4 freie Reichsstädte
1773-1859
Metternich lenkt 40 Jahre lang Österreichs Politik, wird 1848 vertrieben
1815
Jenaer Burschenschaften (Ehre, Freiheit, Vaterland
1817
Wartburgfest
1819
Karlsbader Beschlüsse ("Demagogenverfolgung")
1832
Hambacher Fest
1830
Julirevolution in Frankreich; Pariser Bürgerkönig Louis Philippe
1835
Verbot Junges Deutschland
1844
Weberaufstand in Schlesien
1848
(März) Revolution in Österreich und Deutschland
1848/49
Deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche
Geistesgeschichtlicher Hintergrund
Vernunftethik der Aufklärung, Hegels Geschichtsphilosophie; die Jungehegelianer übernehmen seinen Gedanken der Dialektik in der geschichtlichen Entwicklung. Ludwig Feuerbach (1804-1872): Natur als Grund des Geistes, Wissen statt Glauben, Sein bestimmt das Bewußtsein - Basis für Karl Marx (1818-1883), u.a. das "Kommunistische Manifest" (1848). Einfluß von Saint-Simon (1760-1825): Erst materielle Gleichheit macht persönliche Freiheit möglich.
Tendenzen und Merkmale
Gegenströmung zum Biedermeier.
Beeinflußt vom Liberalismus und (einsetzenden) Sozialismus. Ablehnung des Absolutismus, der orthodoxen Kirche, des Idealismus von Klassik und Romantik, des Philistertums ("Das Leben ist des Lebens höchster Zweck"). Geistiger Kampf gegen die Restauration. Engagement für Presse- und Meinungsfreiheit, Sozialismus, Frauenemanzipation, freie Liebe. Ausprägung eines kritischen, ja sogar revolutionären Lebensgefühls. Angestrebte Ziele sind demokratische Lebensverhältnisse und Weltbürgertum.
Diese Gruppe von Schriftstellern war lange nicht so revolutionär, wie von den Machthabern angenommen wurde. Sie traten gegen die herrschenden literarischen Autoritäten, die Klassiker und die Romantiker auf. Ihrer Auffassung nach darf die Kunst weder zweckfrei und absolut sein (wie bei Schiller) noch mystischer Weg nach innen (wie bei Novalis). Literatur sollte vielmehr die jeweiligen Gesellschaftszustände widerspiegeln. Kunstformen sind nach Auffassung der Jungdeutschen Mittel zum Zweck. Der Zweck ist die "poetische Umgestaltung des Lebens".
Die Dichter und Schriftsteller stehen nicht "im Dienst der Musen, sondern im Dienst des Vaterlands" (Wienbarg). Damit ist nicht gemeint, daß der Dichter in den Streit der politischen Parteien eingreifen, sondern daß er seine Arbeit für eine Erneuerung des Lebens einsetzen soll. Es geht um die poetische, nicht um die politische Umgestaltung. Die Probleme des entstehenden Industrieproletariats klammern die Jungdeutschen aus. (Kill.)
Entstehung eines deutschen Journalismus; Schriftsteller publizieren in den Feuilletons (z.
B. Börne, Heine) u.a. satirische Reisebilder. Politisch-tendenziöse Literatur.
Vor allem erzählende Literatur: Zeit- und Gesellschaftsromane unter dem Einfluß von Victor Hugo, Honoré de Balzac, George Sand, Lord Byron.
Novellen, Reisebriefe, tagebuchartige Skizzen, Aphorismen. Gegen die "Stagnation" der Goethezeit werden Politik und Sozialkritik Anlaß der Literatur, einer "Tendenzliteratur". Die Denkweise ist kritisch, zeitnah; die Sprache salopp, provozierend, satirisch.
Autoren und Werke
Georg Büchner (1813-1837): Aktive Teilnahme am politischen Kampf gegen soziale Mißstände und Kleinstaaterei. "Der hessische Landbote" (1834) als erste sozialistische Kampfschrift. Entscheidender Einfluß auf die Moderne, erst im Naturalismus "wiederentdeckt".
Drama "Woyzeck" (als Fragment überliefert): realistische Darstellung der seelischen Zerstörung eines Menschen. Novelle "Lenz" als psychologische Studie. Revolutionsdrama "Dantons Tod" (1835). Komödie "Leonce und Lena" (1836): innere Leere in der feudalen Gesellschaft; groteske und visionäre Züge, expressive Darstellung; optische und akustische Mittel der Darstellung verweisen auf das 20. Jahrhundert.
Christian Dietrich Grabbe (1801-1836): In historischen Dramen realistische, wissenschaftlich gestützte Darstellung: "Die Hohenstaufen" (1829/30), "Napoleon oder Die hundert Tage" (1831), "Die Hermannsschlacht" (1838).
Lustspiel "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung" (1827).
Ferdinand Freiligrath (1810-1876):
Karl Gutzkow (1811-1878): Zeitromane. "Wally, die Zweiflerin" (1835) als unmoralisch verboten. Romantheorie s. "Die Ritter vom Geiste", Vorwort (1850/51).
Heinrich Heine (1797-1856): verkörpert die innere Zerrissenheit eines Menschen an einer Zeitgrenze: zwischen idealistischer Philosophie, ausgehender Romantik und materialistisch gesehener Wirklichkeit, zwischen wahrem Gefühl und weltverachtendem Zynismus: "und ein Narr wartet auf Antwort".
Geprägt durch jüdisches Elternhaus (er ließ sich später taufen), Emigration 1831 nach Paris, politische Verfolgung, Haßliebe zu Deutschland ("Nachtgedanken": "Denk ich an Deutschland in der Nacht,/ Dann bin ich um den Schlaf gebracht"), schwere Krankheit in den letzten Lebensjahren ("Matratzengruft").
Lyrik: "Buch der Lieder" (1827), "Neue Gedichte" (1844), "Romanzero" (1851), Gedichte vom Krankenlager. Prosa: "Reisebilder" (1826-1831), Romanfragment "Der Rabbi von Bacherach" (1840); Thema: Unterdrückung der Juden. Versepen "Atta Troll. Ein Sommernachtstraum" (1841): Satire auf unkünstlerische Zeitkritik; "Deutschland. Ein Wintermärchen" (1844): beißende Kulturkritik.
Georg Herwegh (1817-1875):
Heinrich Laube (1806-1884):
Textbeispiel
Georg Büchner Der Hessische Landbote (1834, Ausschnitt)
FRIEDE DEN HÜTTEN! KRIEG DEN PALÄSTEN!
Im Jahre 1834 siehet es aus, als würde die Bibel Lügen gestraft. Es sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am fünften Tage und die Fürsten und Vornehmen am sechsten gemacht, und als hätte der Herr zu diesen gesagt: "Herrschet über alles Getier, das auf Erden kriecht, und hätte die Bauern und Bürger zum Gewürm gezählt. [...]
Heinrich Heine Ich hatte einst ein schönes Vaterland (1844)
Ich hatte einst ein schönes Vaterland.
Der Eichbaum
Wuchs dort so hoch, die Veilchen nickten sanft.
Es war ein Traum.
Das küßte mich auf deutsch und sprach auf deutsch
(Man glaubt es kaum,
Wie gut es klang) das Wort: "Ich liebe dich!"
Es war ein Traum.
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