Bewohnte frau
Zur Autorin
Giaconda Belli wurde 1948 als erste Tochter einer vermögenden Familie in Managua geboren. Um zu studieren verliess sie ihr Heimatland Nicaragua in Richtung Spanien und USA, ehe sie sich, wieder zurück, aktiv am Widerstand der sandinistischen Befreiungsfront gegen die Diktatur Somoza`s beteiligte. Aus dieser Zeit stammen auch ihre ersten Gedichte, die ihr jedoch erst später Lorbeeren einbringen sollten. Vorerst wurde sie wegen deren diktaturkritischen Inhalts von der Regierung mundtot gemacht, was soviel bedeutet wie: verurteilt und eingelocht zu werden(oder vielleicht treffender umgekehrt). Nachdem es ihr 1975 gelungen war, sich nach Costa Rica in die erneute Freiheit zu flüchten, liess sie ihren pochenden politischen Adern freien Lauf. Angestachelt und umso vehementer engagierte sie sich dann erneut am Freiheitskampf ihrer „Geschwister“ und konnte sich so 1979 als Vertreterin des Planungsministeriums der Revolutionsregierung über den geglückten Umsturz freuen.
Anschliessend machte sie sich als Redakteurin der Zeitschriften „Ventana“ und „Nuevo Amanecer Cultural“ verdient und blieb bis heute mit ihrem Scharfsinn und ihren persönlichen Erfahrungen der politischen Bildung treu. Für die Gedichte und Bücher, die sie verfasste, eins davon möchte ich ihnen untenstehend präsentieren, wurde sie mit Preisen und Ehrungen überhäuft. Ihrem Heimatland, dem sie unzählige Zeilen widmete, hielt sie stets die Treue und so zählt sie noch heute mit ihren mittlerweile 3 Kindern zu den knapp 3 Mio. Einwohnern eines von Natur- und sonstigen Katastrophen bevorzugten Landes.
Mehr zu ihrer Person als alle Lexika zusammen, liefert sie wohl selbst mit ihrem verdeckt-autobiografischen Buch, auf welches ich nun ausführlicher eingehen möchte.
Die bewohnte Frau („la mujer habitada“) Zusammenfassung:
Lavinia, eine junge Frau aristokratischer Abstammung, ist erst seit kurzem von ihrem Studium in Europa nach Faguas, einer armen, staubigen und heissen Kleinstadt in Nicaragua zurückgekehrt.
Die ihr durch den Tod ihrer heissgeliebten Tante Inès angebotene Fluchtmöglichkeit nutzt sie und sie zieht weg von ihren Eltern und deren dauernden aristokratischen Oberflächlichkeiten ins geerbte Haus der Verstorbenen. Von da an führt Lavinia ein unabhängiges Leben und widmet sich voll und ganz ihrem neuen Job als Architektin, dem Job, von dem sie seit ihrer Kindheit immer geträumt hat. Abends, wenn sie nach Hause kommt und es sich in ihrer Wohnung gemütlich macht, strahlt ihr von der Terrasse ein prächtig blühender Orangenbaum entgegen. Dieser wird bewohnt von der Seele einer verstorbenen Indianerin, die sich im Verlauf des Buches immer wieder in Ichform, sehr poetisch und mit geschichtlichem Hintergrund, an den Leser und auch an Lavinia wendet. Sie verkörpert die Geschichte der Indianer, deren Kämpfe gegen die spanischen Invasoren und somit den puren Freiheitsdrang, den eisernen Willen einer Oppositionellen.
Gleichzeitig mit dem Einverleiben einer vollfarbenen Orange jenes Baumes gewährt Lavinia den Trieben der Indianerin Einlass in ihren Körper und wird fortan von dieser beeinflusst.
So lebt Lavinia dann als „bewohnte Frau“ mit ihrem Arbeitskollegen Felipe zusammen, den sie kennen und lieben gelernt hatte.
Projekte für protzige, von der Militärdiktatur in Auftrag gegebene Einkaufszentren, die ganze Blechhüttendörfer vernichten, öffnen der zuvor kritisch-distanzierten höheren Tochter immer mehr die Augen; ihr durchmischtes Blut gerät in Wallung. Und als Felipe eines Abends einen verwundeten Kollegen in Lavinias Haus rettet, sieht sie sich zum ersten mal direkt konfrontiert mit den Freiheitskämpfern und der Tatsache, dass ihr Freund Felipe einer von diesen ist. Einer von denen also, die jener Diktatur den Kampf angesagt haben, die Supermärkte armen Leuten vorzieht und Gegner wie Felipe und seinen Freund Sebastian eiskalt durchsiebt. So lebt Lavinia von da an, durch ihren betont virilen Freund stets mit der Freiheitsorganisation Seite an Seite.
Nach langem Ringen ihrer Vernunft gegen das sie durchfliessende Indianisch-Revolutionäre, tritt sie schliesslich doch in die Untergrundorganisation ein.
Unter ihrem Pseudonym Inès kommt sie in Kontakt mit der Krankenschwester Flor, von welcher sie in die Kunst des Opponierens eingeführt wird. Ein freundschaftliches Band legt sich mit der Zeit um die beiden Frauen und Lavinia begibt sich endgültig auf den Weg ihrer „Untermieterin“ in Richtung „Freiheit“.
Mit dem Auftrag, den neuen protzig-westlichen Wohnschuppen für den Generalstabschef der Armee, General Vela zu bauen, kommt sie in direkten Kontakt mit dem Feind und wird so zur wertvollen Beschafferin von Insiderinformationen der Organisation. Immer bedingt dadurch, dass sie weiterhin die Rolle der unproblematischen Aristokratin spielt, also den Schein wahrt, nimmt sie an Bällen teil und diniert mit den Handlangern des „Grossen Generals“.
Regierungsmorde an Oppositionellen lassen in der Folge den latenten Hass der Bevölkerung zwischenzeitlich ausbrechen, der Bau der Behausung schreitet voran;- Lavinia spürt, dass die Zündschnur, die ihre Gruppe jahrelang in sorgfältiger Arbeit präpariert und gelegt hatte, schon bald gezündet wird.
Kurz nachdem Felipe angeschossen von einem Taxifahrer in ihrem Bett verblutet ist, erfährt sie, dass tatsächlich eine Mission geplant ist und Felipe als Teil derer hätte eingesetzt werden sollen.
An der Stelle ihres geliebten verschiedenen Aufständischen soll sie als Inès zusammen mit ihren Genossen das neugebaute Haus General Velas, der zur Eröffnungsparty geladen hat, besetzen.
Mit dem detaillierten Wissen der Architektin im Rucksack entern sie den „Bunker“ und nehmen zahlreiche bedeutende Personen in Gewahrsam. Lavinia jedoch wird gleichzeitig als sie General Vela erschiesst, von diesem niedergestreckt; ihr Blut ergiesst sich auf den Teppich der Diktatur und bezeugt dadurch einen Etappensieg der Oppositionellen.
Problematik und Interpretation
· Ein mausarmes Land wird von einer Miltärdiktatur beherrscht und keinen scheint dies zu berühren.
· Noch immer fristen die von Geburt aus Privilegierten ein Leben in Luxus und Verschwendung, sträflich gleichgültig gegenüber all jenen sozialen Disparitäten, wie sie sich in ihrem Land eklatant präsentieren.
· Topmoderne Mercedes bahnen sich ihren Weg durch die staubige Stadt, vorbei an den mit dem nichtvorhandenen Geld der Bevölkerung finanzierten Grossprojekten, die Tausenden die mühsam aufgebaute Existenz entreissen, nur um einigen Standardgelüsten zu genügen.
Giaconda Belli braut mit ihrem Buch einen brisanten Problemcocktail, den ich nun Tropfen für Tropfen geniessen möchte.
Wie kann man gegen eine solche Gewaltherrschaft vorgehen, und damit auch noch etwas Tiefgreifendes erreichen? Wie lassen sich die eigentlich illegitimen Herrscher beseitigen?
Der Job eines Diktators:
Ein grosses Problem, das sich Lavinia und ihren „Mitgewillten“ stellt, ist die Furcht und Mutlosigkeit, die sich beim armen Grossteil der Bevölkerung eingestellt hat. Die Panzer, die die machtneurotischen Herren durch die Strassen patrouillieren lassen und die Bilder von durchsiebten „Staatsfeinden“, die gross in den vom Staat kontrollierten Zeitungen erscheinen, haben die Bevölkerung derart eingeschüchtert, dass diese lieber akzeptiert als „selbstmörderisch“ agiert. Diktatoren brauchen eine grosse Machtpräsentation, dauernde ermahnende Präsenz.
Immer unter dem Vorwand, die nationale Sicherheit zu gewährleisten und somit im Interesse der Bevölkerung zu handeln, „legitimieren“ die narzisstischen Herrscher die von ihnen begangenen Taten und geniessen ihre privaten Kriegsspiele. Mit grösster Dreistigkeit und taub für alles ausser der Militärmusik, die ihre Heldentaten besingt, sitzen sie auf ihren Senatssesseln.
Unterdessen ist sich die Bevölkerung jedoch nur in einem sicher: Gibt man sich neugierig und will wissen, was die Regierung alles klaut, wen sie alles vergewaltigt, enteignet und ermordet, wird man im Namen der nationalen Sicherheit erhängt, durchsiebt oder von einem patroullierenden Panzer überrollt.
Die Angst soll die Bevölkerung stets begleiten, der Mut soll sie verlassen, Verdrängung sei das Ziel.
Auf wen kann man in einem solchen Kampf zählen?
Von ihren überzeugt-aristokratischen Freunden sollte sich Lavinia keine Unterstützung erhoffen, denn solange Leute wie ihre Eltern oder etwa ihre ehemalige Freundin Sara die ganze Situation auf Kissen gebettet und von der klimatisierten Villa aus beobachten können, werden sie an ihrer Einstellung: „Schimpfen wir ein bisschen, aber tun wir nichts.“ nichts ändern. Leute wie sie reagieren erst, wenn sie etwa von vom Staat finanzierten Firmen unfair konkurrenziert und damit ihre Geldbeutel angegriffen werden, oder aber wenn die Revolution bereits vonstatten gegangen ist und sie dann ganz getreu dem Motto: „Der radikalste Revolutionär ist der Konservative nach der Revolution.“ in die Rolle von „ich-habs-schon-immer-gesagt“ Leuten schlüpfen.
Dass es durchaus auch interessierte Aristokraten gibt, lehrt mich Lavinia selbst und schwächt so meine ein wenig totalitären Aussagen von vorhin ab. Ich glaube jedoch, dass der Anteil der „Lavinias“ an den Privilegierten verschwindend klein ist.
Generell sollte sie bei der Auswahl ihrer Freunde sehr vorsichtig sein, denn jeder Fehler, den sie macht, wird sie mit dem Leben bezahlen. (Felipe musste dies schmerzhaft erfahren.)
Die direkte Konfrontation:
Sicherlich ein wichtiges Glied in der Kette von Lavinias Leben ist die direkte Begegnung mit dem Feind. Als aufmerksame Mitbürgerin bemerkt sie die Mercedes auf den holprigen Strassen Faguas, als Architektin erhält sie die Aufträge zum Bau von riesigen Wohnbunkern für die Militärs, immer natürlich ausgerüstet mit jeglichem westlichen Schnickschnack; und jedes Mal steckt dahinter der Diktator, der mit dem nichtvorhandenen Geld der Bevölkerung seine Schäfchen loyal hält.
Darum These: Je direkter man betroffen ist, desto unmöglicher wird es Dinge zu verdrängen.
Wie sollte man kämpfen :
Damit, dass man sich entschlossen hat zu kämpfen, ist es noch nicht getan. Vielfach entscheidet sich, ob etwas gelingt oder nicht aufgrund der Taktik, mit der man etwas angeht. So sagt Sebastian von mir aus richtig: „...
die Leute müssen merken, dass sie es nicht mit blutrünstigen Mördern zu tun haben, sondern mit Revolutionären.“ Er will nicht mit den Mitteln kämpfen, die man ja eigentlich bekämpft, denn mit dieser absurden Haltung erhält man keine lebenswichtigen und unterstützenden Sympathien. Man soll zwar mit Wut im Bauch kämpfen, doch soll man auch immer darauf achten, dass stets die Vernunft über den „Bauch“ bestimmt und nicht umgekehrt. Denn wer die ganze Sache kopflos angeht, sorgt dafür, dass nicht nur er, sondern die ganze wohlorganisierte Bewegung im Augenblick der Entscheidung am falschen Ende der Zündschnur sitzt.
Kleiner Exkurs in die dem Buch folgende Zeit:
„Gerechtigkeit und Erinnerung sind Luxusgüter, die sich die lateinamerikanischen Länder nur selten leisten können“, so Eduardo Galeano
Als 1979 die Demokratie ihre Wiederauferstehung feiern konnte, war ihr Schicksal wohl bereits besiegelt. Die Demokraten waren dazu verdammt, die Verbrechen zu vergessen und die Schulden zu bezahlen, die ihnen die Uniformierten hinterlassen hatten.
Beladen mit diesen Hypotheken war es für die Demokraten ein Ding der Unmöglichkeit, die Versprechen zu realisieren, die sie gemacht hatten.
„Das Vergessen ist der Preis für den Frieden“. Diese Auffassung vertretend bespritzten die Mächtigen den ehemaligen Militärterror mit Weihwasser und kreierten so äusserst groteske Situationen. So gehörte es beinahe zur Tagesordnung, dass vogelfreie Ex-Generäle durch Strassen liefen, die nach ihren Opfern benannt worden waren.
„Welche Strafe verdiene ich, der ich einen getötet habe, wenn diese Generäle, die Tausende von Menschen umgebracht haben herumspazieren, als ob nichts geschehen wäre, in der Kaserne die Helden spielen und am Sonntag in der Messe das heilige Abendmahl empfangen?“ Diese Einstellung, als Rechtfertigung gebraucht, dezimierte nicht nur den Wert des Menschen, sondern schien auch Gewaltverbrechen zu legitimieren.
Für all diese Auswüchse zahlte die Demokratie und wurde so, vielleicht aufgrund eines ein wenig zu selbstsicheren Auftretens vom enttäuschten Volk nicht wiedergewählt.
So treffen wir heute in Nicaragua wieder auf eine Regierung, die der Somozas ähnelt.
Persönlicher Eindruck
Giaconda Belli versteht es, etwas in wunderschön dichterischen Metaphern zu schildern und trotzdem immer so konkret zu bleiben, dass man als Leser den Faden nicht verliert. Sie schildert eine Situation wie sie sich wirklich auf der Welt zugetragen hat und es auch heute noch tut. Zusätzlich hat die Affäre Pinochet den Inhalt dieses Buches noch aktualisiert und mich in sein ihren Bann genommen. Ein Buch, das ich jedem empfehlen möchte.
Verwendete Werke:
„Wenn du mich lieben willst“ Giaconda Belli
„Erinnerung an das Feuer“ Eduardo Galeano
„Nicaragua“ Hermann Schulz
„ von ihnen erhalten
Zeitungsberichte zum Fall Pinochet
Ó Dominic Lüdin
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