Buchvorstellung
BuchvorstellungSchule: Gymnasium Gernsheim
Kurs: Deutsch-Lk 12/I
Vorstellung am: 18-01-2002
Thema: Nathan der Weise
von Gotthold Ephraim Lessing
Gliederung:
1. Vorstellung des Autors
1.1 Biographie
1.2. Bedeutende Werke
2. Vorstellung des Werkes
2.
1. Titel
2.2. Entstehung
2.3. Bedeutung des Werkes im Gesamtschaffen Lessings
2.
4. Gattung Textsorte
2.5. Umfang und Aufbau
3. Historischer Hintergrund
4. Inhaltsangabe
5.
Die Figuren des Gedichts
5.1. Das Personenverzeichnis
5.2. Das Verwandtschaftsverhältnis
5.3.
Charakterisierung von Nathan
5.4. Andere wichtige Figuren
6. Präsentation der Ringparabel
6.1. Inhaltsangabe
6.
2 Inhaltliche Einordnung
6.3. Funktion der Ringparabel
6.4. Boccaccios Parabel
6.5.
Der Richterspruch
6.6. Nathans Denkweisen
7. Interpretation der Intention Lessings
8. Persönliche Einschätzung
9. Quellenangaben
1.
Vorstellung des Autors Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781)
1.1 Biographie:
Lebensdaten:
Gotthold Ephraim Lessing wurde am 22. Januar 1729 als Sohn des Pfarrers Johann Gottfried Lessing in Kamenz, in der Lausitz geboren. Er bekam schon früh von seinem Vater Privatunterricht und konnte so als Stipendiat mit 13 Jahren die Fürstenschule in Meißen besuchen. Nach fünfjähriger Schulausbildung immatrikulierte er sich 1746 für das Theologiestudium in Leipzig. 1748 wechselte er zum Medizinstudium nach Wittenberg.
In diesem Jahr erwarb er auch seinen ersten Ruhm mit Lustspielen im Stil der Aufklärungszeit. Im November 1748 zog er nach Berlin. Seinen Aufenthalt unterbrach er aber, um 1751 in Wittenberg seine Magisterwürde zu erlangen. Er wurde Redakteur an der „Berlinischen privilegierten Zeitung“ und begründete dort seinen Ruf als Kunstkritiker durch seine wortgewandten und kritischen Rezensionen. In den folgenden Jahren wurden seine ersten „Schrifften“ veröffentlicht. Im Herbst 1755 ging Lessing wieder nach Leipzig und begleitete 1756 einen Kaufmann auf einer Reise, die aber wegen des Kriegsausbruchs abgebrochen werden musste.
Er geriet, zurückgekehrt nach Leipzig, in große Schulden und bemühte sich um eine feste Anstellung. Viele seiner dichterischen Vorhaben blieben unverwirklicht. 1758 zog er wieder nach Berlin, wo einige seiner neuen Werke veröffentlicht wurden. Durch die Annahme eines Sekretärpostens beim General Tauentzien in Breslau endeten seine finanziellen Schwierigkeiten und er konnte sich erneut seinen Plänen widmen. Nach seinem erneuten Umzug nach Berlin 1765 geriet Lessing wieder in finanzielle Schwierigkeiten, die ihn veranlassten 1767 als Dramaturg an das neueröffnete Deutsche Nationaltheater nach Hamburg zu gehen. Das Unternehmen dauerte aber nur einige Jahre und so musste Lessing 1770 eine schlecht bezahlte Stellung als Bibliothekar in Wolfbüttel annehmen.
1771 verlobte er sich mit Eva König, die er 1776 heiratete. Sein Eheglück wurde aber schon 1777 durch den Tod seines Sohnes und seiner Frau 1778 beendet. 1779 schrieb er sei letztes Stück „Nathan der Weise“. Gestorben ist Lessing am 15. Februar 1781 in Braunschweig im Alter von 52 Jahren.
Epoche:
Gotthold Ephraim Lessing lebte in der Zeit der Aufklärung (1730 – 1800).
Diese Epoche wurde von Gedanken der Tugend und Vernunft geprägt. Es war das Zeitalter der Kritik. Aufklärerische Grundsätze waren auch Toleranz, Gleichberechtigung, Freiheit des Individuums, Brüderlichkeit und Bildung und Erziehung. Die ständische Herkunft trat in den Hintergrund und es wurde gegen Vorurteile gekämpft. Diese Gedanken spiegeln sich vor allem im Nathan wieder. Somit zählt das Gedicht „Nathan der Weise“ zu den wichtigsten der Aufklärung.
Literarisches Umfeld:
Lessing glaubte an die sittliche Humanität. Das bedeutet, dass er glaubte alle Gegensätze , auch religiös-konfessionelle, überwinden zu können. Deshalb sind auch seine religiösen Anschauungen von dieser Überzeugung beherrscht. Er stand zu seiner Zeit selbstständig zwischen den streitenden theologischen Parteien. Das war bezeichnend für seine Anschauung, dass Sittlichkeit ebenso wie positive Religion unmittelbar zu Gott führt. So berührte sich seine Anschauung mit denen von Goethe und Herder, die Autoren der Klassik waren.
Mit Lessings Verhaftung im Aufklärungsdenken bereitete er so aber dessen Überwindung vor.
Shakespeare war ein großes Vorbild für Lessing. Er war der Überzeugung, dass Shakespeare das Gattungsgesetz besser erfülle, als die französische Klassik. Er stellte die formalen Regeln der französischen Klassik gegen das innere Gesetz und gegen den „witzigen Kopf“ das „schöpferische Genie“.
Seine letzten Werke richten sich also vor allem gegen den erstarrten Klassizismus des französischen Dramas.
1.
2. Bedeutende Werke
1748 „Der junge Gelehrte“
Dieses Lustspiel schrieb Lessing im Stil der Aufklärungszeit angeregt von Plautus und Terenz.
1755 „Miß Sara Sampson“
Mit diesem ersten deutschen bürgerlichen Trauerspiel verwirklichte Lessing zum ersten Mal seine Anschauungen von der Tragödie ´nach Vorbild der Engländer.
1763 „Minna von Barnhelm“
Es behandelt das Zeitgeschehen des Siebenjährigen Krieges und vollendet die typisch deutsche und bürgerliche Gattung des Lustspiels in einmaliger Form.
1766 „ Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie“
Die damals übliche These war „ut pictura poesis“ ( Bild wie Poesie). In dieser Studie entwickelte Lessing nun den Unterschied zwischen Poesie und den bildenden Künsten.
1772 „Emilia Galotti“
Lessing verwirklicht in diesem Trauerspiel seine theoretischen Ansichten beispielhaft. Das Stück war nicht als Gesellschaftskritik gedacht. Die Tragik entsprang aus der Anerkennung der Ordnung und der Willen zur Sittlichkeit.
1779 „Nathan der Weise“
Letztes Stück Lessings
2. Vorstellung des Werkes
2.1.
Titel: Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing
2.2 Entstehung
Lessing war ein Protestant, der sich sein ganzes Leben lang um die religiöse Wahrheit bemühte. Ihm ging es trotz der Bibelkritik und Orthodoxie um die Bewahrung des Christentums. Nach seiner Veröffentlichung von Samuel Reimarus nachgelassenen Papieren, in denen er die dogmatischen Lehrmeinungen der lutherischen Kirche in Frage stellte, wurde ihm ein Schreibverbot vom Herzog erteilt. Die Schrift erregte großes Aufsehen und führte zu Angriffen des Hauptpastor Goeze, die Lessing nicht unerwidert lassen konnte. (Sein „Anti-Goeze“ gehört heute neben Luthers „ Wider den Hans Worst“ zu den bedeutendsten deutschen Polemiken.
)
Der Fragment-Streit (literarisch-theologischer-Streit) zog nun das Schreibverbot nach sich. Doch Lessing ließ sich nicht mundtod machen, sondern verlegte die Auseinandersetzung auf eine andere Ebene, die Bühne. Er wollte versuchen, ob er auf seiner „alten Kanzel“ noch „ungehört predigen“ konnte und verfasste „Nathan der Weise“. Er gestaltete in diesem dramatischen Gedicht das geheime Ideal der deutschen Aufklärung, die Humanität.
2.3 Bedeutung des Werkes im Gesamtschaffen Lessings
Nathan der Weise war Lessings letztes Stück.
Er umging mit diesem Stück das herzogliche Schreibverbot und konnte durch das Theaterstück auch weiterhin seine Gedanken zu Grundfragen menschlichen Glaubens und menschlichen Zusammenlebens äußern. Dazu musste er abstrakte Begriffe in anschauliches Geschehen verwandeln und das aktuelle Thema in die Vergangenheit zurückversetzen. So stellt Lessing seinen Glauben an den Sieg der Vernunft im Menschen in einer Bühnenhandlung dar. Er versuchte zu zeigen wie man andere Glaubensrichtungen akzeptiert.
Gattung und Textsorte:
Man kann das dramatische Gedicht „Nathan der Weise“ keiner bestimmten Gattung zuordnen. Allein der Titel „Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen“ lässt auf keine Gattung, wie z.
B. Emilia Galotti = Trauerspiel, schließen. Das Gedicht hat sowohl komische wie auch tragische Elemente. Als komische Elemente zählen Dajas Übereifer, Nathans Ironisierung von Recha usw. Tragisch sind die Glaubenskriege und die Ermordung von Nathans Familie. Das Gedicht ist also eine Mischung aus beiden Textsorten, was als Schutz diente, denn so diente es nicht als argumentative Streitschrift, die Lessing verboten war zu veröffentlichen.
Ein Gedicht ist scheinbar nur zum Lesen und nicht zum Aufführen gedacht.
2.4. Umfang und Aufbau:
Das Drama ist in fünf Akte der geschlossenen Form gegliedert
I. Exposition
Einführung Nathans: Rückkehr nach Jerusalem
Nathan erzieht Recha
Nathan und der Derwisch Al Hafi
4-8: Der Stolz des Tempelherrn
II: Entwicklung
1-3: Sultan Saladin, seine Pläne, sein Geldmangel
4-8: Die Erziehung des Tempelherrn beginnt
9: Al Hafis Alternative
III: Wendepunkte
1-3: Der Tempelherr liebt das vermeintliche Judenmädchen
4-7: Nathan erzieht Saladin
Die Ringparabel als Kern der Botschaft
8-10: Die Verwirrung des Tempelherrn
IV: Krise
1-2-: Der Tempelherr sucht Rat beim Patriarchen
3-5: Der Tempelherr verklagt Nathan beim Sultan
6-8: Nathans Selbsterziehung als Vorgeschichte
V: Lösung
1-2: Saladins Umgang mit Geld
3-5: Neue Selbstbesinnung und neue Verwirrung des Tempelherrn
6-8: Die Lösung des Knotens
Die wechselseitige Verknüpfung der Menschheitsfamilie
Als Metrum verwendet er einen fünf-hebigen Jambus, den Blankvers, der bezeichnend für die deutsche Klassik wird.
Er benutzt keine Reime, aber viele Enjambements
Es gibt keinen Erzähler, sondern nur Dialoge.
Dadurch wird die Sprache lebendig und geschmeidig, ebenso wie die vielen Ausrufe.
Das Kernstück des Gedichts ist die Ringparabel, die Lessing von Boccaccio aus dessen „Decamerone“ übernommen hat. Er führt sie noch weiter aus und verknüpft um sie herum zwei Haupthandlungsorte: zum einen Nathans Haus und zum anderen Saladins Palast. Die Orte „Kloster“ und „unter den Palmen“ spielen eine weniger bedeutende Rolle.
3. Historischer Hintergrund:
Das Drama spielt in Palästina in der Zeit der Kreuzzüge.
In dieser Zeit treffen Europa und der vordere Orient und alle drei Religionen , Christentum, Judentum und Islam in vielfältiger Weise aufeinander.
1099 wurde in der Zeit des ersten Kreuzzuges das christliche Königreich Jerusalem gegründet. Sultan von Ägypten und Syrien war Saladin. Er eroberte Jerusalem 1187, nachdem er durch einen Raubüberfall eines christlichen Ritters auf eine Karawane provoziert worden war. Mit dieser Karawane reiste nämlich seine Schwester.
Diese Eroberung führte zum dritten Kreuzzug.
Dieser wird zu Land von Kaiser Friedrich Barbarossa und von See von Richard Löwenherz ( König von England) unternommen. 1191 wird Akkon erobert, aber 1192 ein Waffenstillstand ausgehandelt. Also blieb Jerusalem in den Händen von Saladin. Doch der Waffenstillstand wird von den Tempelrittern (Tempelherren), einem christlichen Ordens zum Schutze des Grabes Jesu, gebrochen. Saladin möchte ihn aber wiederherstellen, indem er seinen Bruder mit Richards Schwester verheiratet. So würden beide Gebiete durch einen christlich-moslemischen Mischstaat vereinigt.
Das dramatische Gedicht „Nathan der Weise“ spielt 1192 in der Zeit des dritten Kreuzzuges.
4. Inhaltsangabe:
Nathan kommt von einer Handelsreise zurück und erfährt, dass seine angenommene Tochter Recha von einem Tempelherrn, den Recha selbst als Engel bezeichnet, aus seinem brennenden Haus gerettet wurde. Nathan möchte sich bei dem Juden-verachtenden Tempelherrn bedanken. Bei einem Gespräch zwischen Nathan und dem Tempelherren ändert dieser seine Meinung und er und Nathan werden Freunde. Bei dem Besuch in Nathans Haus verliebt sich der Tempelherr in Recha.
Während dieses Ereignisses hält sich Nathan bei Saladin, dem Sultan auf, der ihn auf Grund seiner Geldnöte zu sich gebeten hat. Saladin erhofft sich vom weisen Nathan Hilfe, doch er fragt ihn stattdessen, welche Religion denn die wahre sei. Diese Frage beantwortet Nathan mit der Ringparabel und Saladin erkennt den verbrüderten Ursprung aller drei Religionen. Daraufhin schließt der Sultan mit Nathan Freundschaft.
Zurückgekehrt nach Hause bittet der Tempelherr Nathan um Rechas Hand, doch inzwischen haben die Nachforschungen eines Patriarchen ergeben, dass der Tempelherr und Recha Geschwister und Saladin ihr Onkel ist. So ist eine Heirat der beiden unmöglich, alle drei Weltreligionen finden sich jedoch symbolisch in einer Familie vereint.
5. Die Personen
5.1. Das Personenverzeichnis
5.2. Die Verwandtschaftsverhältnisse
Erläuterungen zum Verwandtschaftsverhältnis:
Sultan Saladin ist der Bruder von Assad von Filneck, dem Vater von Recha und dem Tempelherrn ( Curd von Stauffen bzw.
Leu von Filneck). Demnach sind Recha und der Tempelherr Geschwister und Saladin ist ihr Onkel und Sittah, die Schwester von Saladin und Assad, ist ihre Tante. Recha heißt eigentlich Blanda von Filneck, wurde aber von Nathan, ihrem Ziehvater, Recha genannt. Assad von Filneck war ebenso ein Freund von Nathan wie es Saladin und Sittah später wurden.
5.3.
Nathan :
Nathan ist ein reicher und weiser Kaufmann. Seine Religion ist das Judentum. Als er von dem Verlust seines Hauses erfährt reagiert er mit Gleichmut. Das lässt darauf schließen, das er im Haus keinen materiellen Wert sieht. Er bringt Daja teure Geschenke von seiner Reise mit und diese rühmt seine „Ehrlichkeit“ und „Großmütigkeit“ (I,1). Al Hafi nennt ihn klug und weise.
Nathan hat keine Vorurteile gegenüber Religionen und unterstützt die Armen: „Jud`und Christ/ Und Muselmann und Parsi, alles ist/ Ihm eins“ (II, 2). Auch die Schwester des Sultans, Sittah, beschreibt Nathan in ähnlicher Weise. Sie unterstreicht seine kaufmännischen Unternehmen, seine Tugend und seinen Schönheitssinn.
Nathan selbst will, im Gegensatz zu Al Hafi, innerhalb der Welt wirken, denn er stellt dem verschuldeten Sultan bereitwillig sein Geld zur Verfügung. Auch das ist für Nathan wieder eine „Kleinigkeit“ im Vergleich zu „Rechas Tränen“ ( V, 8). Nathan besitzt also das Wissen wie man reich wird, hat gleichzeitig aber auch eine innerer Distanz gegenüber materiellen Werten aufgebaut.
Als Kaufmann ist er erfolgreich und intelligent, bescheiden, aber weltoffen.
Doch Nathan hat in dem Gedicht auch die Funktion des Erziehers. Er erzieht Recha, den Tempelherrn und Saladin auf unterschiedliche Art und Weise. Er, der Bürger, hat allgemein den Titel „der Weise“ zu Recht erhalten.
Nathan hat Recha als seine Tochter angenommen. Sie selbst ist Christin und Nathan leidet unter der Geheimhaltung dieser Tatsache Dies zeigt das Dankgebet am Ende des vierten Auftritts des fünften Aktes.
Als Vater ist ihm nichts wichtiger, als die „Gesundheit“(I, 1), die „Geistige Entwicklung“ (I, 1+2), ihre Liebe zu ihm selbst und dem Tempelherrn (II, 4+8) und ihre seelische Not (V, 8). Nathan erzieht sie zu Klugheit und Frömmigkeit und überzeugt sie vom „süßen Wahn“ zur „süßeren Wahrheit“ der natürlichen Wunder und des menschlichen Handelns (I, 1+2).
Auch der Tempelherr wird von ihm erzogen. Er führt ihn aus seiner Haltung der Gehorsamsethik und Verachtung der Juden zu der Einsicht, dass alle Menschen zusammengehören. Er gewinnt ihn schließlich sogar als Freund.
Als drittes wird auch Saladin von Nathan erzogen.
Er führt ihn zu der Erkenntnis, dass keine der drei Religionen die Wahrheit als Besitz beanspruchen kann.
In allen drei Erziehungsgesprächen zeigt sich die Weisheit Nathans. Er geht auf seine Gesprächspartner ein und regt sie zu eigenem Nachdenken an. Er selbst ist der Vernunftdenker: Recha führt er eine mögliche Krankheit des Tempelherrn vor Augen, er ist gerührt über den Brandfleck in der Kleidung des Tempelherrn und Saladin versetzt er in die Rolle des Richters bei seiner Ringparabel.
Das „wahre, echte Wunder“ ist für Nathan jedoch der Glaube an Gott („und doch ist Gott“, IV, 7) und der Glaube, dass Gott innerhalb der Naturgesetze und des Weltgeschehens wirkt.
Doch Nathans Weisheit hat auch einen Hintergrund: Christen haben seine Frau und seine sieben Kinder ermordet und seine Verwandtschaft ermordet und verbrannt.
Danach hat er eine Selbsterziehung erfahren, die ihn vom „Wahn“ über „Vernunft“ zur „Wahrheit“ gebracht hat. (-> Hiob). Seine Weisheit rührt also aus einer Selbsterziehung und der Beherzigung des Rates des Richters aus der Ringparabel her. Allgemein ist Nathan sehr menschlich und tolerant gegenüber seinen Mitbürgern, doch auch nachdenklich und weise. Dies führt zu einer großen Beliebtheit seiner Person.
5.
4. Weitere wichtige Personen:
Die beiden anderen wichtigen Personen des Gedichts sind der Tempelherr, der das Christentum, und Saladin, der den Islam verkörpert.
Saladin ist der Herrscher von Jerusalem und von adeligem Stand. Er führt auf Grund von Länderstreitigkeiten Krieg gegen die Christen. Sein Verhalten zeigt Widersprüche. Dies wird an zwei Stellen besonders deutlich.
Zum einen begnadigt er den Tempelherrn als einzigen von zwanzig anderen Tempelrittern, die er hingerichtet hat, weil sie den Waffenstillstand gebrochen hatten nur, weil er seinem verschollenen Bruder (Assad) ähnelt.
Zum anderen verhält er sich vor Nathans Parabelerzählung zunächst misstrauisch, will danach aber seine Freundschaft. Allgemein ist Saladin eher anspruchslos :“ Ein Kleid, ein Schwert, ein Pferd, und Einen Gott“ (II, 2). Mehr beansprucht er nicht für sich. Doch ist er auch leichtsinnigerweise sehr freigiebig (Schachspiel), obwohl seine Kassen leer sind.
Der Tempelherr hat Vorurteile gegenüber dem Judentum und ist überhaupt intolerant gegenüber anderen Religionen.
Doch hat er Recha aus dem Feuer gerettet. Das zeigt, dass er mutig ist, aber auch stolz, weil er ihre Dankbarkeit nicht annimmt.
Seine Charaktereigenschaften ändern sich jedoch im Verlauf der Geschichte. Er wird durch Nathans Erziehung tolerant gegenüber anderen Religionen und verliebt sich in Recha, als er noch nicht wusste, dass sie eine Christin ist.
Der Tempelherr denkt oft in Monologen, was zeigt, dass er ein Identitätsproblem hat: Nach außen ist er sehr stolz und überheblich gegenüber Nathan, aber innerlich ist er weich, labil und sensibel.
Seine Charakterveränderung zeigt sich auch darin, dass er und Nathan Freunde werden, obwohl Nathan ein Jude ist.
6. Die Ringparabel
6.1. Inhaltsangabe
Die Ringparabel ist der Höhepunkt des Gedichts und Nathans Antwort auf die Frage des Sultans, welche Religion die wahre sei.
Ein Vater hat einen Ring in Tradition von seinem Vater geerbt, der ihm Glück und die Hilfe Gottes bringen soll. Dieser Ring wird vom Vater nach dessen Tod immer an denjenigen Sohn weitergegeben, den der Vater am liebsten hat.
Eines Tages gerät der Ring aber an einen Vater, der alle seine drei Söhne gleich lieb hat. Ohne dass die anderen Brüder davon wissen, verspricht er jedem von ihnen den Ring, den ein Künstler nachgemacht hat, so dasss das Original nicht mehr von den Kopien zu unterscheiden war.
Nun bricht nach dem Tod des Vaters ein Streit unter den Brüdern aus, welcher von ihnen den richtigen Ring besäße. Die Söhne verklagen sich gegenseitig und ein Richter spricht das Urteil. Er appelliert an die Wunderkraft des Ringes und sagt, dass sich nicht beweisen lasse, welcher der richtige Ring sei, da sich jeder der Brüder selbst am meisten liebt. Welcher Ring der echte ist, lässt sich nicht mehr feststellen.
6.2. Inhaltliche Einordnung
Al Hafi will sich als Schatzmeister Saladins Geld von Nathan leihen, da Saladin in Geldnöten steckt. Al Hafi bekommt aber keinen direkten Auftrag von Saladin und kann Nathan keinen Grund nennen, worauf dieser den Kredit verweigert.
Der Tempelherr, der Nathans Tochter Recha aus dem Feuer seines Hauses gerettet hat, berichtet Nathan von seiner Begnadigung durch Saladin. Daraufhin fühlt sich Nathan Saladin verpflichtet und will ihm nun den Kredit gewähren.
Al Hafi hat indessen den direkten Auftrag von Saladin bekommen, Geld von jemandem zu leihen und Sittah, Saladins Schwester, bringt Nathan ins Spiel, von dem Saladin aber noch nie etwas gehört hat. Al Hafi blockt jedoch ab und will Geld bei einem „Mohren“ leihen.
Sittah durchschaut Al Hafis Verhalten und denkt sich einen Plan aus, der Nathan zur Kreditgewährung veranlassen könnte.
Nathan erfährt von Daja, dass er zu Saladin bestellt ist
Al Hafi warnt Nathan vor einer Abreise an den Ganges, dass er sein Vermögen verlieren könnte.
Saladin ist ungehalten über das bevorstehende abgekarterte Spiel mit Nathan, doch Sittah räumt die Bedenken ihres Bruders aus. Ihr Plan, ist die Religionsfrage zum Prüfstein Nathans zu machen.
Darauf antwortet Nathan mit der Ringparabel.
6.3. Funktion der Ringparabel
Die Ringparabel ist die Antwort auf die Frage, welche Religion die wahre ist. Während ein einzelner Ring beliebt gemacht hat, Vorrechte verliehen hat und die Herrschaft legitimiert unter der Voraussetzung , dass Zuversicht im praktischen Tun besteht, hat, schaffen die drei Ringe Streit, Selbstgerechtigkeit und gegenseitige Anklagen.
Dies kann man auf den Sachbereich übertragen.
Die Erzählung vom einzelnen Ring ist überliefert, aber die drei Ringe verkörpern drei durch Vernunft nicht unterscheidbare Offenbarungsreligionen. Diese drei Religionen stehen in kriegerischen Auseinandersetzungen um die einzige wahre Religion.
Der Richterspruch in der Parabel lautet, dass die Echtheit der Ringe nicht zu beweisen ist und damit die „Wahrheit“ durch den Menschen nicht ermittelbar. Das Ideal der von Vernunft freien Nächstenliebe ist der Prüfstein des Handeln. Auch dies kann man auf das religiöse-politische Handeln übertragen. In der Wahrheitsfrage der Religionen sollte Toleranz, Pluralismus und friedlicher Wettstreit vorherrschen, vor allem im Angesicht der menschlichen Grenzen.
Die Aussage der Ringparabel ist demnach, dass einem an Gutem orientiertem Handeln keine religionsphilosophische Theorie zu Grunde liegt und auch keine nötig ist. Toleranz ist eine Voraussetzung für die gemeinsame Verwirklichung des Guten. Außerdem ist zukunftsbewusstes Handeln wichtig und sollte an Stelle von Diktaten augenblicklicher Interessen erfolgen. Humanität sollte über Religionen und Ideologien hinausreichen.
6.4.
Die Ringerzählung bei Boccaccio und Lessing
Lessing hat die Ringparabel von Giovanni Boccaccio (1313-1375) übernommen und an seinen Nathan angepasst. Boccaccios Ringparabel hat fast den gleichen Hintergrund:
Saladin, der Sultan von Babylon, steckt in Geldnöten und möchte von Melchisedech, einem reichen Juden Geld leihen. Dieser aber ist geizig und würde ihm aus freien Stücken niemals Geld leihen. Saladin will aber keine Gewalt anwenden und ersinnt deshalb einen Plan, der Melchisedech zwingen könnte, ihm Geld zu leihen. Er lässt Melchisedech unter einem Vorwand rufen und fragt, welches Gesetz, das jüdische, das sarazenische oder das christliche, das wahre sei. Melchisedech weiß, dass Saladin wie immer er auch antwortet, seinen Zweck erreicht.
Also antwortet Melchisedech mit einer Erzählung, der Ringparabel.
Boccaccios Ringparabel bietet jedoch keine Lösung an und endet ohne Richterspruch, sondern einfach mit der Feststellung, dass bis heute unentschieden ist, welche das wahre Gesetz und Gebot ist.
Es lässt sich also ein Vergleich zwischen Lessing und Boccaccios Ringparabel erstellen.
Die Teilnehmer des Gesprächs sind bei Boccaccio, der geizige Melchisedech und Saladin und bei Lessing Saladin und der freigiebige Nathan.
Die Gesprächssituation ist bei beiden Autoren gleich und setzt sich aus der Fangfrage Saladins zusammen.
Die Teile des Gesprächs sind unterschiedlich, da sich bei Lessing nach der Erzählung und ihrer Auslegung mit dem Richterspruch noch die Fortsetzung der Erzählung erfolgt.
Das Ergebnis des Gesprächs ist bei beiden Autoren gleich. Nathan bzw. Melchisedech freunden sich mit Saladin an, der sein Geld erhält.
Auch die Figuren der Parabel sind fast identisch, genauso wie der Inhalt der Frage. Bei Lessing spielt jedoch die Frage, warum sich Nathan zum Judentum bekannt hat, auch eine Rolle.
Die Problematik der Echtheit der Ringe wird aber von Lessing anders ausgelegt.
Boccaccio sagt, dass sich der rechtmäßige Erbe nicht ermitteln lasse, Lessing dagegen, dass der rechtmäßige Erbe zu diesem Zeitpunkt noch nicht ermittelt werden kann. Es ist denkbar, dass alle drei Ringe falsch sind. Die Entscheidung ist demnach erst am Ende der Geschichte durch den weisen Richter möglich, der Ring müsste mit Zuversicht getragen werden, damit er seinen Zauber entfalten kann.
6.5. Der Richterspruch
Der Richter verkündet: „Die verschiedenen Religionen und die verschiedenen Kulturen haben unterschiedliche Anpassungs-Rahmen an das Gute“.
Der Richter zerbricht somit die naive Vorstellung, dass eine Kultur die „richtige“ sei und dass bei dieser das Gute an sich und die Realisierungsbedingungen des Guten in eins fallen. Er könnte nun empfehlen jeder Religion zu folgen, weil jede die wahre ist. Unterschiedlich sind nämlich nur die Anpassungs-Rahmen an das Gute. Der Kern ist gleich.
Doch offensichtlich ist die Konkurrenz um den wahren, richtigen Kern nicht aufgehoben (Brüderstreit). Der Richter sagt : „Es strebe jeder von euch um die Wette“.
Er meint damit aber nicht das Streben um die zu erbende Herrschaft, sondern „die Kraft des Steins (Zauberkraft) in seinem Ring“ zu offenbaren, indem sie sich „vor Gott und den Menschen angenehm“ machen.
Somit fordert der Richter ein Umdenken vom Begründungsdenken zum Bewährungsdenken. Jede Religion hat eine rational zu rechtfertigende Aufgabe, auch wenn sie nicht bis „Speis und Trank“ übereinstimmen.
Der Rat des Richters besteht also darin, den Wahrheitsentscheid auf sich beruhen zu lassen und die wechselseitigen Herrschaftsansprüche zu unterlassen.
Herrschaft kann auch historisch nicht legitimiert werden, sondern nur auf Grund der Wirkung der Ringe. Und die Wirkung der Ringe ist Humanisierungs-und Integrationskraft.
Diese Kräfte wohnen jeder Religion inne, werden aber beim Streit um die historische Legitimation vergessen und ins Gegenteil gekehrt.
6.6. Nathans Denkmodell
Nathan weist mit der Ringparabel eine Antwort auf die Wahrheitsfrage indirekt zurück. Dies kann man mit einem Denkmodell begründen.
Die erste Variante des Modells sieht so aus:
Die Frage nach der Wahrheit einer Offenbarungsreligion kann durch Vernunftgründe nicht theoretisch geklärt werden.
Der Versuch, den in die Zukunft prinzipiell offenen, von Gott bestimmten Plan der Geschichte (Theodizee) mittels Vernunft aufdecken zu wollen, ist menschlicher Hochmut (Hybris).
Die zweite Variante besagt dies:
Alle drei Offenbarungsreligionen sind unwahr.
Weil keiner die Toleranz praktizieren kann, die von Gott gefordert wird, sind alle drei Offenbarungsreligionen die „betrogenen Betrüger“ aus der Ringparabel.
Die dritte Variante besagt:
Gott selbst hat die Religionen so unterschiedlich gestaltet.
Die Religionen treten in einen Wettstreit und müssen sich einer „pragmatischen Wirkungsprobe“ unterziehen. Diese manifestiert das Umdenken von Begründungsdenken zu Bewährungsdenken.
7.Interpretation der Intention Lessings
Die Kernfrage im „Nathan“ ist die Frage des Sultans in III, 5 welche der Religionen (Judentum, Christentum und Islam) die „wahre“ sei.
Lessing stellte diese Thematik in den Mittelpunkt seines Gedichts, denn er ist der Ansicht, dass die Differenzen zwischen den Religionen um den Wahrheitsanspruch mit mehr Toleranz und Humanität auf allen Seiten nicht existieren müssten. Religiöse Toleranz ist für ein Leben in Harmonie notwendig.
Lessing wollte mit diesem Gedicht das Schreibverbot des Fürsten umgehen, weil er seine Meinung frei äußern wollte und die Menschen zum Nachdenken anregen wollte. Durch das Verstehen seiner Ringparabel und seines Buches sollte die Menschen eine tolerantere Lebenseinstellung bekommen und sich untereinander, auch über verschiedene Religionen hinweg, respektieren.
Durch die Verwandtschaftsverhältnisse der Figuren im Buch untereinander, die auch alle verschiedenen Religionen angehören, stellt Lessing den seiner Meinung nachvermeintlichen gemeinsamen Ursprung und damit die Abschaffung des Wahrheitsanspruchs einfach und verständlich dar.
8. Persönliche Einschätzung:
Ich denke, Lessing hat mit seinem dramatischen Gedicht „Nathan der Weise“ die Religionsproblematik sehr verständlich ausgelegt. Durch die Ringparabel wird die Zusammengehörigkeit der drei Religionen dargestellt, die von den Verwandtschaftsverhältnissen der Hauptfiguren untereinander bestätigt werden. Alle drei Religionen gehören zu einer Familie, könnte man also sagen. Lessings Denkweise finde ich durchaus vertretbar.
Der Fürst, der Lessing das Schreibverbot erteilt hat, hat anscheinend noch die naive Vorstellung , dass eine Kultur die richtige sei. Dass der Fürst dieses Theaterstück nicht verboten hat zeigt, dass er es nicht verstanden hat, denn es besagt genau das Gegenteil.
Das Buch gehört zu den Hauptwerken der deutschen Literatur und ist auch immer noch aktuell. Vielleicht sollten sich mehr Menschen mit diesem Problem befassen, damit die von Lessing angestrebte Toleranz und Harmonie endlich erreicht wird.
Es lässt sich auch ein direkter Zeitbezug zum „Nathan“ bzw. seiner Lehre herstellen.
Der internationale Terrorismus und der daraus resultierende Krieg in Afghanistan hätten nicht diese Ausmaße angenommen, wenn sich alle Religionen untereinander respektieren würden und die Gläubigen toleranter wären. Auch die richtige Auslegung eines Werkes ist wichtig. Der Fürst hat den „Nathan“ nicht richtig verstanden. Auch die Terroristenführer haben meiner Meinung nach anscheinend den Koran nicht richtig gelesen, denn dort steht nicht geschrieben, dass andere Religionen vernichtet, geschwächt oder angegriffen werden sollen. In der heutigen modernen Welt gibt es keinen Richter wie im „Nathan“, der den „Brüderkrieg“ schlichtet.
9.
Quellen:
K. Eibl: G.E. Lessing, Nathan der Weise, in : Deutsche Dramen. Interpretationen zu Werken von der Aufklärung bis zur Gegenwart, hg. V.
Harro Müller-Michaelis, Königstein/ts. 1981, S.20)
Internet
Klett Lektürenhilfe Nathan der Weise
Fricke/Schreiber: Geschichte der deutschen Literatur, Schöningh Verlag, Paderborn, 1974
Hoffmann/Rösch: Grundlagen, Stile, Gestalten der deutschen Literatur, Hirschgraben Verlag, Ffm, 1980
Der große Brockhaus, Wiesbaden, 1955
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