Literaturtagebuch
Buchbesprechung
1. AUTOR Am
2. Juli 1877 wird Hermann Hesse in Calw/Württemberg als Sohn
des aus Estland stammenden Missionars und späteren Leiters des
Calwer Verlagsvereins Johannes Hesse (1847-1916) und Marie Gundert
(1842-1902) geboren. 1881 zieht Hesse mit seinen Eltern nach
Basel, wo sein Vater die Schweizer Staatsangehörigkeit erwirbt.
Nach der Rückkehr nach Calw 1883 besucht er das Reallyzeum und
die Lateinschule in Göppingen, wo er 1890 das Württembergische
Landesexamen ablegt, um die Theologenlaufbahn einzuschlagen.
1891 tritt Hesse in das evangelische Klosterseminar Maulbronn ein.
1892 läuft er jedoch bereits fort, weil er „entweder Dichter
oder gar nichts" werden will. Nach einem Selbstmordversuch
und anschließend kurzem Aufenthalt in der Nervenheilanstalt
Stetten im Remstal besteht er 1893 das Einjährig-Freiwilligen-Examen
am Gymnasium in Cannstatt. Ende dieses Jahres bricht Hermann
Hesse die Ausbildung an dieser Schule ab, um eine Buchhändlerlehre
zu beginnen. Diese gibt er aber bereits drei Tage später wieder
auf. Es folgt eine Zahl von verschiedenen Lehren in den unterschiedlichsten
Branchen. 1896 publiziert er seinen erste Gedichtesammlung
„Das deutsche Dichterheim“.
Die erste Buchpublikation „Romantische Lieder“ erscheint
im Oktober 1898. Den großen Durchbruch erlebt Hesse, als 1904
„Peter Camenzind“ erscheint. In diesem Jahr heiratet er
auch Maria Bernoulli und zieht nach Gaienhofen am Bodensee. Die Heirat
bleibt bis 1919 bestehen. Hesse erleidet einen Nervenzusammenbruch
wegen dem Tod seines Vaters (1916) und wegen der fortschreitenden
Schizophrenie seiner Frau. Er begibt sich in die psychotherapeutische
Behandlung ves C.
G. Jung-Schülers J. B. Lang. 1917 legt sich Hermann Hesse das
Pseudonym Emil Sincalir zu, da ihm nahegelgt wird, seine zeitkritische
Publizistik zu unterlassen. Hesse heiratet noch zwei weitere Male.
In der Zeit von 1939-1945 werden viele Werke Hermann Hesses
in Deutschland verboten. 1946 erhält er den Nobelpreis für
Literatur. Neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen wird ihm 1947
die Würde des Ehrendoktors verliehen und er wird zum Ehrenbürger
von Calw ernannt. 1955 wird er mit dem Friedenspreis des deutschen
Buchhandels ausgezeichnet. Am 9. August 1962 stirbt Hermann Hesse
an Gehirnschlag in Montagnola.
Wichtigsten Werke: Peter Camenzind 1904 Klingsors letzter
Sommer 1920 Unterm Rad 1906 Siddhartha 1922 Gertrud 1910 Der Steppenwolf
1927 Roßhalde 1914 Narziß und Goldmund 1930 Knulp 1915
Das Glasperlenspiel 1943 Demian 1919 Hermann
Hesses Werk ist in nahezu jeden Winkel der Erde vorgedrungen. Es wurde
in 55 Sprachen, unter anderem in fünfzehn indische Sprachen,
übersetzt. Hermann Hesses Leserschaft ist breit gefächert.
Viele literarisch Bewanderte schätzen an Hesses Werken die inhaltliche
und sprachliche Qualität seiner Dichtungen, Essays und Briefe.
Bedrängten, Zukurzgekommenen und Versagenden erscheinen seine
Werke sehr hilfreich. Dabei ist es gleichgültig, unter welchem
gesellschaftlichen System sie leben und zu welcher sozialen Schicht
sie gehören.
Die einen finden in Hesses Dichtungen Ausdruck und Bestätigung
eigenen Denkens, andere sehen in ihm einen Ratgeber und Seelsorger.
Für manche wurde Hesse rasch zum Ideal. Er war „in":
Musikgruppen, Clubs, Restaurants oder Gästezimmer tragen seinen
Namen oder den einer Hauptfigur seiner Werke. Viele aber entdeckten
erst spät den literarischen Rang seiner Dichtungen, spürten,
wie zeitlos sie sind, zeitlos trotz aktuellster Gegenwartsbezüge.
Im Ausland wurde man auf Hermann Hesse erst aufmerksam, als er den
Nobelpreis erhalten hatte. Eine Ausnahme ist Japan, wo Hesse bereits
viele Jahre früher einer der beliebtesten europäischen Autoren
war und dies bis heute geblieben ist.
Hermann Hesse war sich in der Einschätzung seines Werkes
auch in kritischen Zeiten sicher: „Ich habe noch nie
daran gezweifelt, daß ein gewisser Teil dieses Werkes unentbehrlich
ist und diese Zeit überdauern, d. h. später wieder sein
Dasein in der Welt finden und rechtfertigen werde." Entstehungs-
und Rezeptionsgeschichte Im Jahre 1930 schenkte Hermann Hesse
das Manuskript der eben erschienenen Erzählung „Narziß
und Goldmund" seinem Freund Hans C. Bodmer mit den folgenden
Begleitworten: „Ich habe zu diesem Werk, das mich mehr
gekostet hat als alle andern zusammen, eine besondere Liebe, und bin
darum froh, daß diese Handschrift nicht irgendwo in einem Speicher
von den Mäusen gefressen wird, sondern in gute Hände kommt"
Nicht alle Leser teilten diese „besondere Liebe".
Kritiker äußerten sich sehr mißfällig und der
Text wurde als „kitschig" bezeichnet.
Man behauptete, daß Hermann Hesses Ideen schülerhaft und
von langweiliger Korrektheit seien. Dennoch gehört dieser Roman
zu den erfolgreichsten Titeln vor dem zweiten Weltkrieg. Bis 1940
wurden 64.000 Exemplare verkauft. Ein weiterer Vorwurf lautete,
der Roman sei eine Flucht vor der Wirklichkeit in die Idylle. Wer
aber die Idylle in dem Roman kritisiert, läßt die Schattenseiten
in Goldmunds Leben außer acht, indem nicht selten von Hunger,
Kälte und Gewalttaten die Rede ist.
Die Schilderung der Pest, denen der Roman ganze zwei Kapitel widmet,
sind Gegenwartsbezüge, die deutlich an den Krieg und die Not
erinnern. Das Werk enthält unverkennbare Züge eines
Bildungsromans in dem der Held durch alle möglichen Einflüsse
zur Reife gebracht wird. INHALTSANGABE
In einem Kloster namens Mariabronn werden junge Menschen zu einem
geistlichen Beruf herangebildet. Einer der begabtesten Schüler
ist Narziß, der sich zum Klosterleben berufen fühlt. Goldmund,
der von seinem reichen Vater in die Klosterschule gebracht wird, fühlt
sich zu dem Lehrgehilfen Narziß hingezogen, und sie werden Freunde.
Goldmund bewundert sein Vorbild und möchte wie er, Mönch
werden.
Mit Hilfe von Narziß erkennt er aber, dass er nicht zum Gelehrtentum,
sondern zu einem freien, ungebundenen und kunstbewegten Leben bestimmt
ist. Goldmund verläßt das Kloster und beginnt ein unruhiges
Vagabundenleben. Er verzaubert die Frauen, läßt sich von
ihnen bezaubern und nach ein paar unbürgerlichen Abenteuern wird
er sich seiner künstlerischen Begabung bewußt. Er sieht
eines Tages eine aus Stein gehauene Figur, die ihn beeindruckt und
beschließt Lehrling eines Bildhauers zu werden. Nachdem er vier
Jahre an einem Kunstwerk gearbeitet hat und es endlich die von seinem
Meister anerkannt wird, beschließt er weiterzuziehen.
Auf seiner Wanderschaft trifft er auf Lene, die seine Geliebte wird.
Mit einem Dritten, der sich ihnen anschließt, kommen sie in
Gegenden, in denen die Pest wütet. Lene und Goldmunds Vater kommen
ums Leben und er beschließt in die Stadt seines Bildhauermeisters
zurückzukehren. Er muß erfahren, daß sein Lehrer
gestorben ist, bleibt aber dennoch in der Stadt. Agnes, die
Frau des Statthalters, verliebt sich in Goldmund, und sie verbringen
eine Nacht miteinander. Ertappt von ihrem Ehemann, wird Goldmund zum
Tode verurteilt und in letzter Minute begnadigt. Sein Retter trägt
die Ordenstracht des Klosters Mariabronn, und Goldmund erkennt den
Mann: es ist Narziß.
Er wird von Narziß, der inzwischen Abt geworden ist, mit ins
Kloster genommen. Er richtet sich eine Werkstatt ein und arbeitet
als Künstler. Nach einiger Zeit packt Goldmund seine Wanderslust,
und er gesteht Narziß seine Reisepläne. Am Ende
des Sommers kommt Goldmund wieder, um viele Jahre gealtert, hoffnungslos
krank. Er nimmt dankbar die Freundschaft und Liebe an, die Narziß
stets für ihn bewahrt hat und stirbt in seinen Armen mit den
Worten: „Ohne Mutter kann man nicht sterben.“ Wichtige
PERSONEN Goldmund: Sohn eines reichen Vaters, verzichtet
er auf Drängen des Freundes und Vorbildes Narziß auf die
Karriere als Gelehrter und wählt ein Leben als Künstler,
als Vagabund.
Sein ganzes Leben ist er auf der Suche nach Stabilität und Halt.
Sein Freund verkörpert beides für ihn. Sein unstetes Leben
bringt ihn ständig in Grenzsituationen. Goldmund lebt sehr intensiv:
Liebe und Tod, Kunst und Einsamkeit, er kennt alles, sucht diese Grenzsituationen.
Selbst als er, knapp dem Todesurteil entronnen in der
Sicherheit der Klostermauern endlich seinen Frieden finden könnte,
treibt ihn das Abenteuer wieder hinaus. Auch die Kunst ist für
Goldmund wie alles in seinem Leben von einer besonderen Sinnlichkeit
beseelt.
Narziß: Er ist der ruhende Pol, der kluge, gelehrte
verlässliche Mann, der über aller Unsicherheit und Schwächen
steht. Ein unerreichbares Ideal für den Sinnesmenschen Goldmund.
Narziß ist immer im Kloster anzutreffen, seine Anwesenheit ist
kalkulierbar, ebenso wie seine Güte und Treue. Hesse hat Narziß
mit den höchsten Tugenden ausgestattet, die zu allen Zeiten das
Ideal des perfekten Menschen gewesen sind. Und doch ist der innere
Friede, den Narziß ausstrahlt das Resultat eines ewigen inneren
Kampfes dieses charakterstarken Menschen. LESEFRÜCHTE
„Der Geist liebt das Feste, Gestaltete, er will sich
auf seine Zeichen verlassen können, er liebt das Seiende, nicht
das Werdende, das Wirkliche und nicht das Mögliche.
Er duldet nicht, dass ein Omega eine Schlange oder ein Vogel werde.
In der Natur kann der Geist nicht leben, nur gegen die Dämonen,
nur als ihr Gegenspiel.“S. 66 „Es gibt keinen Frieden,
so wie du es meinst. Es gibt den Frieden, gewiss, aber nicht einen,
der dauernd in uns wohnt und uns nicht mehr verlässt. Es gibt
nur einen Frieden, der immer und immer wieder mit unablässigen
Kämpfen erstritten wird und von Tag zu Tag neu erstritten werden
muss.
Du siehst mich nicht streiten, du kennst weder meine Kämpfe beim
Studium, noch kennst du meine Kämpfe in der Betzelle. Es ist
gut, dass du sie nicht kennst. Du siehst nur, dass ich weniger als
du Launen unterworfen bin, das hältst du für Frieden. Es
ist aber Kampf, es ist Kampf und Opfer wie jedes rechte Leben, wie
das deine auch.“S. 299 „Es gibt kein Jenseits.
Der verdorrte Baum ist tot für immer, der erfrorene Vogel kommt
nie wieder zum Leben und ebensowenig der Mensch, wenn er gestorben
ist. Man mag noch eine Weile an ihn denken, wenn er fort ist, aber
auch das dauert ja nicht lange.“S. 316 „Aber wie willst
denn du einmal sterben, Narziß, wenn du doch keine Mutter hast?
Ohne Mutter kann man nicht lieben. Ohne Mutter kann man nicht sterben.“S.
319 DEUTUNG Glaubt man auf den ersten Blick auch
einen leichten, romantisch bis leicht kitschigen Roman in Händen
zu haben, so findet man bald heraus, dass die Kritik an der Zeit kunstvoll
verpackt und verschnürt sich in Goldmunds abenteuerlichen Lebensstationen
abspielt. Die Einfachheit der Handlung mit allen Höhepunkten,
derer sich heutzutage auch die reißerischen Filme bedienen –
Freundschaft, Abenteuerlust, Liebe, Katastrophen, Läuterung des
Helden- mutet beinahe seicht an. Der wahre Wert des Romans steht jedoch
zwischen den Zeilen, fast ein bisschen wie in Saint-Exyperys „Kleiner
Prinz“, wo die hintergründigen Anspielungen und die Vergleiche
auch konzentriertes und aufmerksames Lesen verlangt. Zu Beginn
von Goldmunds Weg, der Suche nach seiner Identität sieht Hesse
vielleicht auch sich selbst in dem jungen Menschen, der zur freien
Kunst berufen ist und nicht in das Klischee eines bürgerlichen
Berufes passt. Bis zum Schluss ist eigentlich diese Suche nach sich
selbst, nach dem Menschen, der über seinen menschlichen Schwächen
steht, der rote Faden durch Hesses liebstes Werk. Goldmund
der bis zu seinem Tod auch den unsichtbaren Spuren seiner Mutter folgt,
die ihn und seinen Vater früh verlassen hat um ihre eigenen Wege
zu gehen.
Narziß macht Goldmund schon als Klosterschüler klar, wie
sehr er die Mutter vermisst und er seine Handlungen vom Gedanken an
sie bestimmen lässt. Die Bedeutung der Mutter erinnert an die
wichtige Stellung der Mutter im Mittelalter. Für Goldmund ist
der Begriff Mutter untrennbar mit Sinnlichkeit verbunden, was er seinem
treuen Freund Narziß am Totenbett erklärt. Die grausige
Schilderung der Pest und der Machtlosigkeit der Menschen dagegen ist
wohl der Spiegel einer Zeit, die ebenso Verderben und Tod bringend
und für die Bevölkerung gleich unüberwindbar ist: die
Zeit des nationalsozialistischen Regimes. Nur durch die kunstvolle
Verpackung dieser Schilderung gelingt es dem Dichter, dass der Roman
zum meistgekauften Buch vor dem zweiten Weltkrieg wird.
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