Franz kafka: "der aufbruch"
Franz Kafka: „Der Aufbruch“
Das Leben Franz Kafkas, der 1883 in Prag geboren wurde, war geprägt durch die übermächtige Gestalt seines autoritären Vaters. Er hatte nicht nur Ablehnung und Kälte zu ertragen, sondern wurde auch ausgenutzt. Erst im Alter von 36 Jahren schaffte es Kafka sich mit der gestörten Beziehung zu seinem Vater auseinanderzusetzen, indem er in dem 61 Seiten umfassenden „Brief an den Vater“ (1919) alle Erfahrungen, Gefühle und Gedanken verarbeitete. Dennoch hatte Kafka zeit seines Lebens Probleme soziale Bindungen einzugehen und mit anderen Menschen zu kommunizieren, was in vielen seiner Briefe beschrieben ist. Auch in der Parabel „Der Aufbruch“ werden Probleme kommunikativer Art gezeigt.
Ein Herr, aus dessen Sicht in Ich – Form erzählt wird, befiehlt seinem Diener das Pferd aus dem Stall zu holen.
Doch der Diener ignoriert ihn und so muss der Herr dessen Aufgabe übernehmen. Als der Herr in der Ferne eine Trompete vernimmt, hört der Diener nichts und ist somit nur passiv am Geschehen beteiligt.
Der Diener verhält sich in diesem ersten Teil der Parabel sehr merkwürdig. Er führt nicht die Aufgaben aus, die ihm von seinem Gebieter aufgetragen worden und beachtet diesen einfach nicht. Dieses Benehmen ist ungewöhnlich und nicht normal.
Der Herr lässt sich dadurch von seinem Plan nicht abbringen, sattelt sein Pferd und reitet zum Tor um Haus und Hof zu verlassen.
An dieser Stelle ist ein Umschwung vorhanden. Der Diener fragt seinen Herrn wohin er reite. Er nimmt ihn also zur Kenntnis und macht sich vielleicht Sorgen um ihn oder um seine Stelle als Diener. Der Herr scheint jetzt allerdings plötzlich verwirrt zu sein. Er antwortet nur: „Ich weiss es nicht“. Und dann: „nur weg von hier, nur weg von hier.
Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen“. Mit diesen seltsamen Worten kann der Diener nichts anfangen und fragt noch einmal nach, ob er sein Ziel kenne. Dies bejaht der Herr und gibt mit „Weg-von-hier“ sein Ziel an. Verständlicherweise wundert sich der Diener und weißt den Herrn darauf hin, das jener keinen Essvorrat bei sich trägt. Daraufhin entgegnet ihm dieser: „Ich brauche keinen“. Er sagt, seine Reise wäre so lang, dass er verhungern müsste, wenn er auf dem Weg nichts bekäme und ihn kein Vorrat retten könnte.
„Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise“, ist schließlich sein letzter Satz und damit reitet er fort.
Die Parabel lässt sich eindeutig in zwei Abschnitte unterteilen. Der erste Teil beinhaltet die Passivität des Dieners und den aktiven sich zum Aufbruch vorbereitenden Herrn. Mit den ersten Worten, die der Diener an seinen Herrn richtet beginnt der zweite Abschnitt. Es scheint als hätte eine Verwandlung stattgefunden. Der Diener geht seiner Pflicht wieder nach und sorgt sich um den Herrn.
Dieser hingegen redet nur für den Diener unverständliches Zeug. Es ist ihm egal, was sein Bediensteter davon hält und ob er seinen Entschluss verstehen kann oder nicht. Der Herr verlässt nicht nur sein Haus und seinen Besitz, sondern er will auch schnellstmöglich die menschliche Beziehung zu seinem Diener abbrechen. Dessen Sorge um den Essvorrat weißt er zurück und er hält es auch nicht für nötig sein Vorhaben näher zu erläutern. Die Zielangabe „Weg-von-hier“ scheint ihm als Erklärung ausreichend. Im Gegenzug verlangt er allerdings auch nicht mehr, dass sein Knecht ihm das Pferd aus dem Stall holen soll, als dieser beim ersten Mal nicht reagiert.
Vielleicht hat er die Herr- Diener Beziehung schon aufgegeben und will nicht länger befehlen. Er will einfach alles zurücklassen und weggehen.
Die Fremde zieht in an und die Sicherheit von Haus, bekannten Menschen und sogar der Verpflegung bedeuten ihm nichts. Er nimmt nur sein Pferd mit, welches keine Fragen stellt und ihn soweit tragen wird, wie er will.
Die Frage, wieso der Mann wirklich aufbricht wird nicht eindeutig geklärt. Es könnte sein, dass ihn der Klang der Trompete plötzlich zu diesem Entschluss geführt hat oder aber seine Abreise lange geplant war.
Die Sprache in Kafkas Parabel ist einfach und es werden nur relativ kurze Sätze verwendet. Dies unterstützt den Eindruck, dass sich Herr und Diener nichts mehr zu sagen haben. Der Herr und seine Gedanken stehen im Mittelpunkt und dabei werden sehr viele Personalpronomen („ich“, „mich“, „du“, „dein“...) verwendet.
Im zweiten Teil wiederholt der Herr sein Ziel immer wieder: „...nur weg von hier, nur weg von hier. Immerfort weg von hier“. Der Leser merkt dabei, wie ernst es ihm mit seinem Entschluss ist.
In Zeile 8 fragt der Diener: „Du kennst also dein Ziel?“. Dies bejaht der Herr. Als Antwort gibt er sein Ziel aber mit „Weg-von-hier“ an. Dieser Wiederspruch weist darauf hin, dass der Herr sein Ziel absolut nicht kennt.
Eine Deutung von Kafkas Parabel erscheint mir recht schwierig, da sich wenig Hinweise in der Erzählung finden lassen. Die zentralen Begriffe sind Herr, Diener, Pferd, Stall, Trompete, Ziel und Reise.
Der Aufbrechende will das Herr – Diener Verhältnis hinter sich lassen und verlässt mit seinem Pferd die Sicherheit der gewohnten Umgebung. Er hat ein unbekanntes Ziel vor sich, vielleicht den Ort, von wo er das Blasen der Trompete vernahm. Der Diener hat kein Verständnis für die Reise, wohlmöglich, weil er auch die Trompete nicht gehört hat. Diesen Sachverhalt könnte man auf einen Jugendlichen übertragen, der hinausziehen will um die Welt selbst zu erforschen. Er hat lange genug bei seinen Eltern gewohnt, die ihn aufgezogen und ernährt (bedient) haben. Jetzt aber sehnt er sich nach etwas Neuem und Vater und Mutter können ihm nichts mehr beibringen (Der Herr braucht auch keinen Diener mehr).
Die Freiheit (Trompete) ruft ihn und er will Abenteuer („eine wahrhaft ungeheure Reise“) erleben, auch wenn die nur darin bestehen, sich selbst Geld verdienen zu können. Die Eltern jedoch wollen ihr gewohntes Leben mit dem Kind an ihrer Seite weiterführen. Als sie bemerken, dass sie ihn nicht zurückhalten können, bieten sie ihm wenigstens finanzielle Unterstützung (Verpflegung) an.
Das „Kind“ ist jetzt alt genug um sich selbst das Leben zu verdienen und dementsprechend will es jetzt eigene Entscheidungen treffen und sein eigenes Leben führen.
Diese Deutung lässt auch einen Rückschluss auf die Biographie von Franz Kafka zu. Sicherlich wollte auch er sich endlich ganz von seinen Eltern lösen und keine Rücksicht mehr nehmen müssen.
Seine Verlobte (symbolisiert durch die Trompete) wollte ihn gern heiraten. Doch er hatte nicht die Kraft sich gegen seinen Vater zu widersetzen und löste am Ende sogar die Verlobung.
Ob diese Interpretation nun die Richtige ist, muss jeder Leser für sich entscheiden, das es sicherlich viele weitere Deutungsmöglichkeiten gibt. Vielleicht wollte Kafka auch nur jedem Menschen sagen: „Geh deinen eigenen Weg, es ist dein Leben und Rücksicht auf andere ist erst zweitrangig“.
Mit einem Zitat aus Kafkas Prosa Nachlass möchte ich an dieser Stelle meine Interpretation beenden: „Das was man ist, kann man nicht ausdrücken, denn dies ist man eben: mitteilen kann man nur das, was man nicht ist, also die Lüge (..
)."
Wörter: 1133
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