Der schüler gerber
Der Schüler Gerber
Friedrich Torberg
Der Autor:
Friedrich Torberg, am 16. 9. 1908 in Wien geboren, studierte in Prag und Wien und begann nach ersten Buchveröffentlichungen Theaterkritiken zu schreiben. 1938 emigrierte er in die Schweiz und flüchtete 1940 aus Frankreich nach Amerika. 1951 kehrte er nach Wien zurück. Bis 1965 gab er die kulturpolitische Zeitschrift “Forum” heraus.
Er starb am 10. 11. 1079 in Wien. Er schuf unter anderem “...
und glauben, es wäre die Liebe” (1932), “Die Mannschaft” (1935), “Abschied” (1937), “Mein ist die Rache” (1943), “Hier bin ich mein Vater” (1948), “Die zweite Begegnung” (1950), “PPP. Pamphlete, Parodien, Post Scripta” (1964), “Das fünfte Rad am Thespiskarren” (1966; Auswahl unter dem Titel “Der Beifall war endenwollend”, dtv-Band 1488), “Golems Wiederkehr” (1968), “Süßkind von Trimberg” (1972), “Die Tante Jolesch oder der Umgang des Abendlandes in Anekdoten” (1975), “Die Erben der Tante Jolesch” (1978) sowie zahlreiche Übersetzungen (z.B. Ephraim Kishon) und Editionen.
Charaktere:
Kurt Gerber: Die Hauptperson in diesem Buch.
Lisa Berwald: Die Freundin des Kurt Gerber.
Arthur Kupfer: (Gott Kupfer), gefürchteter
Mathematikprfessor am Gymnasium
Er ist auch Kurt Gerbers Klassenlehrer.
Weitere Lehrer: Borchert, Rother, Niesset, Riedl,
Weiter Mitschüler: Schönthal, Benda, Lengsfeld, Pollak, Weinberg, Zasche, Altschul
Dieser stark von autobiographischen Zügen geprägte Roman eines tragisch endenden Schülerschicksals, das Torberg durch zahlreiche Zeitungsberichte von
Schülerselbstmorden bestätigt sah, trug dem jungen Wiener spontan literarischen Ruhm ein.. Das Rätsel “Schule” wird nach allen Richtungen hin in das größere Rätsel “Leben” eingebaut.
Der Roman, der in irgendeiner österreichischen Stadt spielt, berichtet chronologisch von den Erlebnissen “des letzten Jahrgangs am Realgymnasium XVI”. Zentral ist die sich stets wiederholende, doch für jeden Abiturenten einmalige Erfahrung, einer letzten, alles entscheidenden Prüfung.
Die Erwachsenen, die es wissen müssten, die Lehrer, versagen: sei es aus Korrektheit, sei es aus Resignation, vor allem aber weil es ihnen an Menschlichkeit mangelt. Bestes
Beispiel dafür ist der Klassenlehrer und
Mathematikprofessor Artur Kupfer, der von den Schülern “Gott Kupfer” genannt wurde, “ein Gott mit beschränkter Haftung”. Für Kurt Gerber, den weitaus intelligentesten Schüler, der jedoch in seiner Frühreife und Sensibilität widerspenstig ist, wird Kupfer zum Verhängnis. Gott
Kupfer quält den in Mathematik schwachen Schüler, ob dieser sich anstrengt oder renitent ist, so zielbewusst, dass Gerber schließlich an sich selbst verzweifelt.
In Alpträumen erkennt er, dass auch seine Liebe zu Lisa Berwald, seiner einstigen Kollegin, ein “Kitschroman” war, dem er nicht entgehen konnte. Der Wert der Reifeprüfung und somit “die Hoffnung auf das wirkliche Leben” ist
sinnlos geworden, da die Begriffe “Wahrheit” und
“Gerechtigkeit” nirgends mehr anwendbar scheinen.
Er stürzt sich, kurz vor der Bekanntgabe seines Bestehens der Reifeprüfung, aus dem Fenster. Der Roman endet mit der lapidaren “Zeitungsnotiz: Wieder ein Schülerselbstmord ...”
Der Roman, kein Ich-Bericht, doch aus der Perspektive des Schülers Gerber wiedergegeben und somit von
unmittelbarer Wirkung. Er wird zur Beschreibung eines Zerstörungsvorgangs: Beginnend im ironischen
Optimismus endet Gerber, über sentimentalen Verliebtheit und heldenhafte Trotzgebärde hinweg, in
Hoffnungslosigkeit und Wahnsinn.
Die einzelnen
Kapitelüberschriften scheinen zunächst Ansagen eines zwölf Runden währenden Kampfspiels zu sein, sind aber von bitterem Sarkasmus, denn der “Einzug der Gladiatoren. Gong.” (2. Kapitel) hat ein tödliches Finale.
Der Roman hat viele Parallelen mit Musils
“Die Verwirrung des Zöglings Törless” (1906). Wie Gerber die Welt in der Vieldeutigkeit des X, so sieht Törless sie im mathematischen Begriff des Unendlichen symbolisiert.
Herausragende Textstellen:
“War es Absicht oder Zufall, dass er die Zeitung auf dem Katheder liegengelassen hat? Hobbelmann drängt sich plötzlich durch den Kreis der Teilnahmsvollen um Kurt und schwenkt die Zeitung in der Hand. “So ein Schweinkerl!” schreit er atemlos - “so ein Scheinkerl!” Ja, das wüssten sie ohnehin, sagten die Oktavaner. “Da - da- schaut her - so ein raffinierter Schuft -!” In den Querbug der Zeitung sind mit der Schere drei kleine kreisrunde Löcher geschnitten (...)
“’Adolf!’ Es war die Stimme der Frau, die draußen hörbar wurde.
‘Adolf, willst du nicht noch schnell mal was essen? Ein Schinkenbrot?’ Dann schlug eine Türe zu.
“Was hieß denn das alles?
Das hieß - einen Augenblick: hier wurde jemanden Adolf gesagt, und diese Adolf aß ein Schinkenbrot - das hieß: Mathematikprofessoren sind ganz gewöhnliche Menschen.
Neinneinnein. Um Gottes willen. Das darf nicht sein.
Professoren haben kein Privatleben.
Nein!”
“Pst! Psst! Das Unbestimmbare schreitet voran.
Ich komme selbst, mich freuen an eurer Freude.
Der Priester breitet die Arme aus: Dreimal verflucht --- “Gerber11 Um Gottes willen!! Was machen Sie?!” Die Sonne ist so rot. Sie fällt auf mich herab, ganz ---
Zeitungsnotiz:
Wieder ein Schülerselbstmord. Bei dem gestern am
Staatsrealgymnasium XVI abgehaltenen
Abiturientenexamen beging einer der Kandidaten, der neunzehnjährige Oktavaner Kurt Gerber, dadurch
Selbstmord, dass er sich knapp vor der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses aus dem dritten Stockwerk gelegenen Klassenzimmer auf die Straße stürzte. Er blieb mit
zerschmetterten Gliedern liegen und war sofort tot.
- Eine besondere Tragik liegt darin, dass Gerber, der zweifellos aus Furcht vor dem “Durchfall” in den Tod ging, von der Prüfungskommission für reif erklärt worden war.
+: Intelligente Interpretation, vor allem durch den Vergleich mit Musils Törleß.
-: Etwas oberflächlich, vor allem in der Biografie.
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