Die nashörner
Die Nashörner
von Eugène Ionesco
A
bsurdes Theater, 1962 von Martin Esslin geprägte Bezeichnung für jene in den
fünfziger Jahren entstandene avantgardistische Dramenform, die die
ausweglose Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz (nach den Erfahrungen von
Auschwitz und Hiroshima) widerspiegelt. Anders als das thematisch verwandte
existentialistische Theater Sartres oder Camus’ bedient sich das absurde
Drama der Mittel der Groteske, ohne deren tragischen Impuls zu übernehmen:
Das absurde Theater bleibt komödiantisch. Ein weiterer wichtiger Faktor ist
sein parabelhaft-abstrahierender Charakter, der Raum und Zeit der Handlung
unbestimmbar werden läßt. Bisweilen clownesk, werden bürgerliche
Wertvorstellungen bewußt in Frage gestellt, dem Drama seine Konstituente,
der Dialog, genommen: Die Figuren reden in sinnlosen Monologen aneinander
vorbei – so bei Eugène Ionesco und Wolfgang Hildesheimer – oder ergehen sich
im Extremfall – wie bei Samuel Beckett und Peter Handke – gar in reiner
Pantomime. Auch wird der Handlungsfaden oftmals bis zur Unkenntlichkeit
aufgelöst, die Figuren taumeln marionet-tengleich durch das Geschehen.
Angeregt vom Theater der Grausamkeit Antonin Artauds, kippt Idylle beizeiten
ins Makaber-Gewalttätige um.
Beispiele hierfür liefern Jean Genet und
Fernan-do Arrabal.
V
orbilder des absurden Theaters sind Strömungen der Moderne wie Dadaismus und
Surrea-lismus, aber auch Autoren wie Guillaume Apollinaire und Alfred Jarry
(speziell dessen Drama Ubu Roi), Anregungen stammen außerdem vom
Slapstickfilm (Charlie Chaplin, Marx Brothers etc.). Doch gehen seine
Wurzeln bis zur Narrenliteratur und zur Commedia dell’arte zurück.
W
ichtige Beispiele des absurden Theaters sind Jean Genets Der Balkon, Samuel
Becketts Warten auf Godot, Eugène Ionescos Die kahle Sängerin, Fernando
Arrabals Die beiden Henker und Arthur Adamovs Professor Taranne. Des
weiteren schrieben Harold Pinther, Jardiel Poncela, Václav Havel, Slawomir
Mrozek und Günter Grass Stücke des absurden Theaters.
E
ugène Ionesco, einer der wichtigsten Vertreter des Absurden Theaters, lebte
von 1912 – 1994 als französischer Schriftsteller rumänischer Herkunft.
Beeinflußt von den Dramen Alfred Jarrys und Antonin Artauds sowie von der
Dichtungskonzeption des Surrealismus, gehört er neben Samuel Beckett, wie
schon zuvor erwähnt, zu den wichtigsten Vertretern des Absurden Theaters.
I
onesco wurde am 26. November 1912 in Slatina (Rumänien) geboren. Bis zu
seinem 13. Lebensjahr lebte er in Paris, dann kehrte er nach Rumänien
zurück.
Dort lehrte er als Gymnasialdirektor in Bukarest Französisch, bevor
er 1938 nach Frankreich zurückkehrte. In Paris war er zunächst als
Journalist und Korrektor, dann als freier Schriftsteller tätig.
B
ereits Ionescos dramatisches Frühwerk lebt von der Komik absurder
Situationen, die in keinem stringenten Szenenzusammenhang mehr stehen.
Bewußt verweigern sich diese Stücke einer Deutung im Sinne des
naturalistischen oder realistischen Theaters. Statt dessen spielen sie mit
der Erwartungshaltung des Betrachters, der auf Verweisungsmomente zur
außersprachlichen Realität – oder gar auf eine Botschaft im Sinn
traditioneller Dramatik – hofft. Tatsächlich läßt die groteske Banalität der
Darstellung bei Ionesco nur mehr mittelbar einen Rückschluß auf die
Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz zu.
Im Grunde präsentiert er
Theaterpuppen (der Einfluß des Marionettenspieles wird deutlich), deren
Kommunikation zunächst auf rein innerdramatischer Ebene versagt. Vor allem
seine seit den fünfziger Jahren entstandenen Stücke stellen die
existentielle Problematik des Menschen in den Mittelpunkt.
B
ereits in seinem ersten Theaterstück La Cantatrice Chauve (1948, Die kahle
Sängerin) arbeitete Ionesco mit den Möglichkeiten der dramatischen Farce,
indem er die Entfremdung zweier Eheleute voneinander anhand der Monotonie
ihres Dialogs offenbart. Das Verfahren eines mit Sprachwitz durchsetzten
Geplappers nutzt Ionesco auch in dem komischen Drama La Leçon (1950, Die
Unterrichtsstunde): Hier piesackt ein Professor seine Privatschülerin mit
grotesken Lehrsätzen. Am Ende gar ersticht er sie mit einem
überdimensionalen Dolch. Das Thema menschlicher Brutalität wird so in einer
Art und Weise überspitzt, wie sie Ionesco vom Theater der Grausamkeit
Antonin Artauds her kannte.
In Les Chaises (1952, Die Stühle) schildert
Ionesco die skurrile Konversation eines greisen Ehepaares mit seinen
imaginären Gästen. Im Freitod beider wird die “Leere ihres Lebens” (Ionesco)
offenbar. Amédée ou Comment s‘en débarrasser (1953 Amédée oder wie wird man
ihn los), die Dramatisierung seiner Erzählung Oriflamme (Goldfackel), treibt
die Absurdität des Geschehens in surrealer Metaphorik auf die Spitze: Hier
wird ein in seiner Wohnung lebendig begrabenes Ehepaar mit einem seit fünf
Jah-ren im Nebenzimmer ruhenden Toten konfrontiert, der im Verlauf des
Stückes bedrohlich wächst. Die Abgelebtheit ihrer Beziehung ist somit ebenso
eindringlich wie platt im Bild ge-bannt. Le Nouveau Locataire (1956, Der
neue Mieter) mit seinem an einen Sessel gefesselten Protagonisten zeigt
deutlich den Einfluß Samuel Becketts, der im Roman Murphy (1938) ein
ähnliches Motiv zur Darstellung menschlichen Stillstandes benutzte. Auch in
Rhinoceros (1959, Die Nashörner) zeigt die Verwandlungen der Figuren in
Nashörner deren Stumpfsinn auf.
Allerdings läßt Rhinoceros dem Haupthelden
Bérenger die Wahl zwischen der Uniformität der Nashörner und einem
individuellem Leben – eine Wahl, die Ionesco seinen Protagonisten bisher
verweigert hatte: “Ich bin der letzte Mensch! Ich werde es bleiben bis zum
Ende! Ich ka-pituliere nicht!”.
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eitere Stücke Ionescos sind La Soif et la faim (1964, Hunger und Durst),
Jeux de massacre (1970, Das große Massakerspiel) und L‘Homme aux valises
(1977, Der Mann mit den Koffern). 1970 wurde Ionesco Mitglied der Académie
Française. Neben seinen Dramen und Erzählungen schrieb er Theaterkritiken,
die Autobiographie Present Past, Past Present (1968) und Romane, darunter Le
Solitaire (1974, Der Einzelgänger).
D
ie Erzählung wird aus der Sicht eines Journalisten namens Bérenger erzählt.
Im Laufe der Handlung verwandeln sich alle seine Bekannten, Freunde und
überhaupt die gesamte Stadtbevölkerung in stumpfsinnige Nashörner, die die
Stadt allmählich in ihren Besitz bringen.
Zuerst will man die Existenz von
Nashörnern nicht wahrhaben, es wird sogar darüber diskutiert ob die
Nashörner afrikanischer oder asiatischer Art sind, dann aber, als die
Erscheinungen der Dickhäuter immer häufiger werden, müssen sogar die größten
Skeptiker eingestehen, dass eine Verwandlung im Gange ist.
A
ls sich auch Bérengers Freund Jean in ein Nashorn verwandelt und versucht
ihn zu töten, erkennt er die Ausweglosigkeit der Situation. Um nicht alleine
und verlassen zu enden gesteht er seiner Arbeitskollegin Daisy, die er schon
lange heimlich verehrt, seine Liebe ein. Sie bleibt allerdings nicht lange
bei ihm; nach einem Streit findet er eines Morgens sein Bett leer vor.
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ie ganze Stadt besteht nur mehr aus Nashörner, die durch die Stadt stürmen.
Bérenger versucht ihr Brüllen nachzuahmen um die Sprache der Dickhäuter zu
erlernen.
Allmählich bemerkt er aber, dass er seine eigene Sprache schon
völlig verlernt hat. Er erkennt und realisiert, dass er der einzige Mensch
in der Stadt ist und grübelt über die Sinnhaftigkeit einer solchen
Einzigartigkeit nach. Er erkennt, dass das Herausragen aus einer Masse
wichtig ist, solange die Masse aus den selben Geschöpfen besteht.
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urch die vollkommene Ausgeschlossenheit des Hauptprotagonisten wird ihm ein
individuelles Leben zwar nicht vollkommen verweigert, jedoch sehr schwer
gemacht. Manchmal sehnt Bérenger sogar die Verwandlung in ein Nashorn herbei
um wieder, eingebettet in die große Masse, Schutz und Zuflucht zu haben. Die
Uniformität der Nashörner, die doch alle als gleichar-tig dargestellt
werden, macht Angst und zeigt das Problem zwischen vollkommener
Gleich-schaltung und Analogität und dem Versuch sein eigenes Leben zu leben.
Dieses Unterfangen ge-staltet sich insofern nicht dadurch schwierig als die
Masse Bérenger gar nicht daran hindert sein eigenes Leben zu führen. Die
Schwierigkeiten und Probleme liegen darin, dass das alleinige an-ders sein,
die mühsame Suche nach Beschäftigung und Zerstreuung und die Ausweglosigkeit
ein glückliches Leben ausserhalb der Masse verhindern und so kaum
Entfaltungsmöglichkeiten offen lassen.
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