Gattungsgeschichtlicher überblick
DIE FABEL
Geschichtlicher Überblick
Die Frage nach dem Ursprungsland der Fabel ist umstritten. In der Fachliteratur werden häufig Indien und Griechenland, aber auch Ägypten und Babylonien genannt. Die ältesten Tierfabeln findet man schon im Mesopotamien des 2. Jahrtausends v. Chr. in sumerischen Texten.
Untersuchungen zur „Genese der Fabel" führen jedoch zu der Annahme, dass die Fabel als eine „Urform unserer Geistesbetätigung" in verschiedenen Regionen unabhängig voneinander entstanden ist.
Gleiche Voraussetzungen - etwa die in allen Gebieten im wesentlichen gleiche soziale Gliederung in Herren und Knechte und die Spannungen, die zwischen beiden Schichten herrschten - haben zur Ausprägung gleicher sozialkritischer Intentionen und zur Ausbildung nahezu gleicher sprachlicher Formen geführt.
Die älteste überlieferte Fabel stammt von Hesiod (um 700 v. Chr.) – „Nachtigall und Habicht“ – die schon sozialkritische Funktion hatte. Der phrygische Sklave Aisopos (Aesop) (um 550 vor Chr.
, gelebt auf der Insel Samos) soll als erster Fabeln indischer und griechischer Herkunft gesammelt und aufgezeichnet haben. Es entstand ein Volksbuch, die mit vielen Fabel ausgeschmückte Lebensgeschichte des Aesop erzählt. Dieses Buch ist nicht erhalten, aber Demetrios von Phaleron stellte daraus und aus mündlich Überliefertem gegen Ende des 4. Jhdts. v.Chr.
eine Fabelsammlung – Aisopeia - zusammen, die später wahrscheinlich auch von Phaedrus (ca. 50 n Chr.), dem bedeutendsten römischen Fabeldichter – ein lateinisch schreibender Grieche -, benutzt wurde.
Der Patrizier Menenius Agrippa (495 v.Chr.) hatte die Fabel vom Magen und den Gliedern zu einem Politischen Zweck verwendet, indem er die aus Protest auf den Heiligen Berg ausgewanderten Plebs zur Rückkehr nach Rom bewegt - der Historiker Livius berichtet darüber.
Um 180 v.Chr. schrieb der Dichter Ennius Fabeln, z.b: „Die Haubenlerche“ Nach Phaedrus verfasste Babrios (1./2. Jhdt.
n. Chr.), ein griechisch schreibender Römer, zwei Bücher mit ca. 200 Fabeln, die viele Nachahmer fanden. Avianus ( um 400 nach Chr. Geb.
) hat Fabeln in lateinische Verse übertragen und schließlich in Prosa aufgelöst. Im 5.Jhdt. n.Chr. entstand dann eine Sammlung von 100 Prosafabeln, der „Romulus“(wohl: römischer Aesop).
Bereits bei Phaedrus hatte die Bezeichnung „Fabel" die Qualität eines Gattungsbegriffs.
Erhalten sind mehr als 400 äsopisch überlieferte griechische Prosafabeln aus Sammlungen des 2.-5. Jhdts. n. Chr.
Dass Aesops Name untrennbar mit der Geschichte der Fabel verbunden ist, erklärt sich zum einen aus der großen Zahl und der Qualität seiner Fabeln, zum anderen aus der Tatsache, dass zahlreiche Fabeldichter späterer Zeiten auf die Fabeln Aesops zurückgreifen und seine Motive, sein Figureninventar, seine Kompositionsprinzipien oft nur variieren .
Typische Charakteristika der Fabeln Aesops sind: „klarer Aufbau, anschauliche Erfassung der Szene, behaglicher Ton der Gespräche, auf jener Elementarstufe geistiger Entwicklung, wo der Mensch noch ganz auf du und du mit Tier und Pflanze und aller Kreatur zu verkehren vermag"
Auf deutschem Boden wurde die Fabeldichtung innerhalb der lateinischen Klosterliteratur des Mittelalters gepflegt und weitergegeben. Um 1350 gibt der schweizer Mönch Ulrich Boner unter dem Titel „Der Edelstein“ hundert Tierfabeln heraus. 1476 übersetzt Heinrich Steinhöwel den „Romulus“ ins Deutsche.
Der moralisch-didaktische Zweck und die lehrhaft-symbolische Bedeutung machten die Fabel zu einer geeigneten Erzählform für Predigten und Beispielsammlungen. Daher blühte diese literarische Art am stärksten in ausgeprägt rationalen Zeiten, die etwa aufklärende oder gesellschaftlich-umstrukturierende Tendenzen verfolgten.
Im 16. Jahrhundert gedeiht die Fabel als agitatorische Kleinkunst der Reformationszeit. Martin Luther (geb. 1483)nutzt die Fabel, um seine religiös-moralischen Ansichten zu veranschaulichen, denn er hat erkannt, dass theoretische Anweisungen zum ethisch-richtigen Handeln weniger überzeugen und bewirken als anschauliche Geschichten, in denen dem falsch Handelnden irgendein Schaden zustößt.
Luther stellt die Fabel so bewusst in den Dienst seiner ethisch-moralischen Intentionen. Die Fabeln Luthers zeichnen sich durch knappste Prosaformulierungen aus.
Erzählung und Lehre werden klar getrennt: der Leser wird zum eigenen Mitdenken angeregt. Indem Luther weitgehend im bildlichen Bereich bleibt und abstrakte Formulierungen und Wendungen vermeidet, steigert er die Wirkung seiner Fabeln: „Der Leser wird nicht aus dem Erzählton gerissen, die Lehre überfordert ihn nicht durch eine ungewohnte Höhe der Abstraktion."
Eine eindeutige und wohl vorläufig letzte Hochblüte erlebte die Fabel im 18. Jahrhundert. Die Befreiung von der feudalherrschaftlichen Gesellschaftsordnung, sowie die geistige, soziale und politische Aufklärung, die zur Französischen Revolution führte, muss als Hintergrund für den Aufschwung der Fabel in dieser Epoche gesehen werden. Während La Fontaine (1621-1695) deutlich Einfluss auf die Mehrheit der deutschen Fabeldichter ausübten und die französische Fabel zur Hochblüte führte, wandte sich Lessing (1729-1781) entschieden gegen diese leichte, weitschweifige und ironisch-kritische Erzählweise.
Die Fabel muss seines Erachtens epigrammatisch kurz sein.
In den meisten seiner Fabeln führte Lessing die alte Tradition fort, indem er durch Kontamination von zwei bekannten Motiven oder durch Änderung einzelner Requisiten auf vorhandene Fabeln (z.b. Aesops oder Luthers) zurückgriff und so „neue" Fabeln mit erweitertem oder verändertem Aussagegehalt schaffte. Er verfasste „Abhandlungen zur Fabel“ (1759) in denen er Phaedrus mit dem griechischen Original vergleicht und ihm Vergröberung vorwirft. Sein Vorbild war Aesop.
Dass die Fabel auch im 20. Jahrhundert nicht tot ist, wie oft in der Fachliteratur behauptet wird, beweisen die Fabelsammlungen von Helmut Arntzen, James Thurber (1894-1961), ein amerikanischer Schriftsteller und Zeichner, u.a. Ein auffälliges Merkmal der modernen Fabel ist die „Verbindung zwischen Tradition und Ironisierung und Infragestellung dieser Tradition".
Die „75 Fabeln für Zeitgenossen" von James Thurber, in denen der Dichter mit humorvoll-gewürzter Moral typische Schwächen der modernen Gesellschaft und des Menschen aufzeigt, tendieren eher zur Satire und Ironie.
Die Ironisierung und Infragestellung der Fabeltradition hat zu der These geführt, die moderne Fabel habe mit den „traditionellen Strukturformen der Gattung gebrochen; diese seien nicht mehr in der Lage gewesen, die politisch-gesellschaftliche Wirklichkeit der modernen Industriegesellschaft zu bewältigen".
Wirklichkeitsbezug und Aussageabsicht der Fabel
Die Fabel wird in einer konkreten Situation und mit einer bestimmten Absicht erzählt. Am Beispiel des Aesop, dessen Fabeln untrennbar mit seinem Lebenslauf verbunden sind, lässt sich anschaulich der Realitätsbezug und die didaktisch - kritische Absicht der Fabel aufzeigen. Aesop zog durch die Länder Kleinasiens und Griechenlands - und erzählte seine Fabeln, in denen er soziale Ungerechtigkeiten und menschliches Fehlverhalten anprangerte. Selbst den Mächtigen gegenüber äußerte er Kritik in Form geistreicher Fabeln, und er versuchte, deren Verhalten durch seine Lehren zu beeinflussen. Dabei ergriff Aesop stets die Partei der Schwachen, Unterdrückten oder Misshandelten.
Seine kritische Haltung brachte Aesop häufig in Konflikt mit der Obrigkeit.
Doch selbst in schwierigen Situationen äußerte er im Schutz der Fabeln seine Kritik. In Delphi geriet Aesop so in Streit mit der Priesterschaft, die seinen Einfluss auf das Volk fürchtete. Aus Angst vor dem Volk ließen die Priester ihn heimlich verhaften: Sie hatten eine goldene Schale aus dem Tempel des Apoll in sein Reisegepäck geschmuggelt und ihn als gemeinen Kirchenräuber verleumdet. Aesop wurde in den Kerker geworfen und zum Tode verurteilt.
Auf dem Weg zum Felsen, von dem Aesop hinabgestürzt werden sollte, erzählte er die berühmt gewordene Fabel von „Maus und Frosch" - einerseits in der Absicht, seine eigene Situation zu veranschaulichen, andererseits, um die Priester zu warnen und sie von ihrem Vorhaben abzubringen.
Heinrich Steinhöwel
Aesop in Delphi mit Aesops Fabel von Maus und Frosch
Als Aesop einmal durch Griechenland zog und überall durch seine Fabeln seine Weisheit zeigte, erwarb er sich den Ruf, ein sehr weiser Mann zu sein.
Zuletzt kam er nach Delphi, der angesehenen Stadt und dem Sitz der obersten Priesterschaft. Dort folgten ihm viele Menschen, weil sie ihm zuhören wollten; von den Priestern aber wurde er nicht ehrenvoll empfangen. Da sagte Aesop: „Ihr Männer von Delphi, ihr seid wie das Holz, das von dem Meer an den Strand geschwemmt wird. Solange es fern ist, scheint es groß zu sein, wenn es aber nahe herangekommen ist, dann sieht man, dass es in Wirklichkeit klein ist. So ging es auch mir mit euch. Solange ich noch weit von eurer Stadt entfernt war, dachte ich, dass ihr die Vornehmsten von allen wäret, jetzt aber, in eurer Nähe, erkenne ich, dass ihr nicht viel taugt.
"
Als die Priester solche Reden hörten, sagten sie zueinander: „Dieser Mann hat in anderen Städten eine große Anhängerschaft. Es könnte sein, dass unter solcher üblen Nachrede unser Ansehen leidet oder dass wir es sogar ganz verlieren. Wir müssen also auf unserer Hut sein!"
Da beratschlagten sie, auf welche Weise sie ihn unter dem Vorwande, er sei ein böser Kirchenräuber, töten könnten; denn sie wagten es wegen des Volkes nicht, ihn (ohne einsichtigen Grund) öffentlich töten zu lassen.
So ließen sie aufpassen, bis der Knecht Aesops die Sachen seines Herrn für die Abreise zusammenpackte. Da nahmen sie eine goldene Schale aus dem Tempel des Apoll und versteckten sie heimlich im Reisegepäck Aesops.
Aesop wusste von all den hinterhältigen Machenschaften nichts, die gegen ihn im Gange waren, und als er nach Phokis zog, eilten die Priester ihm nach und nahmen ihn mit großem Geschrei gefangen.
Und als Aesop sie fragte, warum sie ihn gefangen nähmen, schrien sie: „Du unanständiger Mensch, du Verbrecher! Warum hast du den Tempel des Apoll beraubt?"
Als Aesop vor allen leugnete und sich über diese Beschuldigung entrüstete, öffneten die Priester sein Bündel und fanden die goldene Schale. Die zeigten sie jedem einzelnen und führten Aesop wie einen Kirchenräuber ungestüm und unter großem Tumult ins Gefängnis.
Aesop wusste auch da noch nichts von all den hinterhältigen Anschlägen, die man gegen ihn ins Werk gesetzt hatte, und bat, man möge ihn freilassen. Sie aber bewachten ihn daraufhin nur noch schärfer, [...
] verurteilten ihn öffentlich, weil er sich des Kirchenraubs schuldig gemacht habe, und führten ihn aus dem Gefängnis, um ihn von einem Felsen hinabzustoßen.
Als Aesop das merkte, sprach er zu ihnen:
Zu der Zeit, als die unvernünftigen Tiere noch in Frieden miteinander lebten, gewann eine Maus einen Frosch lieb und lud ihn zum Nachtmahl ein. Sie gingen miteinander in die Speisekammer eines reichen Mannes, in der sie Brot, Honig, Feigen und mancherlei leckere Sachen fanden. Da sprach die Maus zum Frosch: „Nun iß von diesen Speisen, welche dir am besten schmecken!" Als sie sich nach Herzenslust satt gefressen hatten, sprach der Frosch zu der Maus: „Nun sollst du auch meine Speisen versuchen. Komm mit mir! Weil du aber nicht schwimmen kannst, will ich deinen Fuß an meinen binden, damit dir kein Leid geschieht." Als er aber die Füße zusammengebunden hatte, sprang der Frosch ins Wasser und zog die Maus mit sich hinab.
Als die Maus merkte, dass sie sterben musste, begann sie zu schreien und klagte: „Ich werde ohne Schuld das Opfer gemeiner Hinterlist. Aber von denen, die am Leben bleiben, wird einer kommen, der meinen Tod rächt."
Während sie das sagte, kam ein Habicht heran, ergriff die Maus und den Frosch und fraß sie beide.
So werde ich ohne Schuld von euch getötet, und ihr werdet um der Gerechtigkeit willen dafür bestraft, wenn Babylon und Griechenland über das Verbrechen reden werden, das ihr an mir begeht.
Obwohl die Priester das hörten, ließen sie ihn nicht los, sondern führten ihn an die Stelle, wo er sterben sollte.
Auf die Realität bezogen lehrt diese Fabel: Auch in der Wirklichkeit wird es eine höhere Macht (in diesem Fall das Volk der Babylonier und Griechen) geben, die Aesops Tod nicht ungesühnt lassen wird.
So wie Maus und Frosch schicksalhaft miteinander verbunden sind, so werden auch die Priester ihrem Schicksal nicht entgehen, wenn sie ihn, Aesop, töten lassen.
In dem hier geschilderten Fall kämpft Aesop mit der Fabel für sich selbst. Bei anderen Gelegenheiten nutzt er die Fabel im Kampf für die Unterdrückten. So zeigt das Volksbuch vom Aesop einen Helden, der reale soziale Zustände, politische Vorgänge oder menschliches Fehlverhalten aufgreift, sie im Gewand der Fabel kritisiert und bewusst macht und so auf Veränderung der Situation drängt.
Andere Fabeln Aesops zielen weniger auf konkrete Lebenssituationen, sondern bringen eine allgemein anerkannte Lebensweisheit zum Ausdruck; sie stellen also mehr das belehrende als das kritisierende Element in den Vordergrund, indem sie ethische oder moralische Lehren erteilen.
Bedenkt man, dass sich seit Phaedrus nahezu alle Fabeldichter auf die Fabeln Aesops beziehen, ihre Motive, ihr Inventar, ihre Kompositionsprinzipien verwenden und oft nur variieren, so können die äsopischen Fabeln wesentliche Aufschlüsse für die Intentionalität und Kausalität der gesamten Fabeldichtung geben.
Zusammenfassend lässt sich zum Wirklichkeitsbezug und zur Aussageabsicht der Fabel feststellen, dass eine echte Fabel immer auf eine konkrete Situation (unter Umständen auch eine vom Dichter vorgegebene) bezogen ist. Der Sinn der Fabel besteht demnach darin, eine bestimmte Situation anhand eines anschaulichen Bildes zu verdeutlichen, zu kritisieren und auf Veränderung zu drängen. Die Fabel will menschliche Eigenarten, Denkweisen, zwischenmenschliche Beziehungen, soziale Ungerechtigkeiten und bestimmte Zeitmerkmale schlaglichtartig und pointiert erhellen.
Sie ist in ihrem Wesen existenz- und gesellschaftskritisch, und ihre Grundhaltung ist die entschiedene Bejahung sozialer und moralischer Werte. In diesem Sinne dient die Fabel der Erkenntniserhellung und dem Finden von Wahrheit.
Die Fabel ist somit ein „vorzügliches Kampfmittel in der politischen, sozialen und religiösen Auseinandersetzung".
Die Übertragung auf den nichtmenschlichen Bereich dient somit nicht allein der Anschaulichkeit, sie bedeutet zugleich einen Schutz für den Erzähler, denn im Narrengewand darf man unter Umständen auch einem Tyrannen die Wahrheit unter die Nase reiben - eine Wahrheit, die man ihm direkt niemals zu sagen wagte.
Martin Luther
Über die Fabel
Alle Welt hasset die Wahrheit, wenn sie einen trifft.
Darum haben weise hohe Leute die Fabeln erdichtet und lassen ein Tier mit dem anderen reden, als wollten sie sagen: Wohlan, es will niemand die Wahrheit hören noch leiden, und man kann doch der Wahrheit nicht entbehren, so wollen wir sie schmücken und unter einer lustigen Lügenfarbe und lieblichen Fabeln kleiden; und weil man sie nicht will hören aus Menschenmund, dass man sie doch höre aus Tier- und Bestienmund.
So geschieht's denn, wenn man die Fabeln liest dass ein Tier dem andern, ein Wolf dem andern die Wahrheit sagt, ja zuweilen der gemalte Wolf oder Bär oder Löwe im Buch dem rechten zweifüßigen Wolf und Löwen einen guten Text heimlich liest, den ihm sonst kein Prediger, Freund noch Feind legen dürfte.
Die Figuren der Fabel
Die Anzahl der Akteure
Zum Figureninventar der Fabel gehören neben Pflanzen und unbelebten Gegenständen vor allem die Tiere. Die Zahl der in der Fabeldichtung vorkommenden Tiere ist nicht sehr groß.
Als typische und häufig auftretende Fabeltiere finden sich der Löwe, der Fuchs, der Wolf, der Esel, der Hase und der Rabe. Schon seltener erscheint das Lamm, die Maus, der
Frosch, der Igel, der Ochse oder die Schlange. In der Regel finden sich in der Fabel Tiere aus der unmittelbaren Umgebung des Menschen, also solche, die dem Menschen aus ihrer typischen natürlichen Eigenart vertraut sind.
Zumeist stehen sich in der Fabel zwei einzelne Tiere gegenüber; seltener zwei Gruppen oder ein Tier und eine Gruppe. Bei den meisten Fabelmotiven reichen zwei Figuren aus, um die Aussageabsicht der Fabel klar herauszustellen. Treten dennoch mehrere Tiere auf, werden Gruppen gebildet, so dass sich doch wieder nur zwei Parteien gegenüberstehen.
So agieren in Aesops Fabel von Maus und Frosch zunächst nur Maus und Frosch allein. Sobald der Habicht in das Geschehen eingreift, werden die beiden Kontrahenten zur Einheit, indem sie aneinandergebunden das gleiche Schicksal erleiden.
Die Typisierung der Fabeltiere
Zu dem relativ kleinen Sortiment an Fabeltieren und der geringstmöglichen Zahl an handelnden Tieren innerhalb einer Fabel kommt als weiteres Merkmal die typische Gestaltung der Fabeltiere hinzu. Dabei kann es sein, dass das der Ruf eines Tieres in der Meinung des Volkes bereits vorgeprägt war, bevor es als Vertreter einer bestimmten Eigenart oder Gesinnung in der Fabel Verwendung fand. Daneben ist aber auch denkbar, dass eine bestimmte Vorstellung von der Art eines Tieres erst durch die Fabel selbst geprägt worden ist, indem es im Laufe der Geschichte der Fabel stets durch die gleichen markanten Eigenschaften geprägt wurde.
So ist der Fuchs uns in seinem Verhalten deshalb so vertraut, weil er in jeder Fabel einen für ihn typischen Charakter hat und weil dieser von den Dichtern stets hervorgehoben wird.
Nur dadurch, dass der Fuchs in jeder Fabel als der Schlaue erscheint, bleibt sein Bild erhalten. Entsprechendes gilt z. B. für den Esel, der das Törichte, Naive und Sture verkörpert und für das Lamm als Zeichen der Unschuld und Wehrlosigkeit.
Durch diese stets wiederkehrende typische Gestaltung der Fabeltiere gewinnt die Fabel ihren festen Bestand an Figuren.
Treffen in einer Fabel z.
B. der gefräßige Wolf und der dumme Esel zusammen, dann weist diese Figurenkonstellation schon auf die Art der Handlung hin.
Die typischen Eigenschaften, die den Tieren in der Fabeldichtung zugeschrieben werden, findet man auch in Sprichwörtern und Redensarten wieder. z.b:
„Kein Wässerchen trüben“ – Der Wolf und das Lamm
„Sich mit fremden Federn schmücken“ – Die hochmütige Krähe und die Pfauen
„Sich den Löwenanteil sichern“ – Der Löwe mit anderen Tieren auf der Jagd
„Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andren zu“ – Der Fuchs und der Storch
„Undank ist der Welten Lohn“ – Der Wolf und der Kranich
„die Höhle des Löwen“ – Der alte Löwe und der Fuchs
Die Vermenschlichung der Fabelfiguren
In der Fabel sprechen und handeln die Tiere wie Menschen. Erst durch die völlige Gleichschaltung des Tieres und des Menschen können die Tiere ihre Aufgabe in der Fabel erfüllen: Sie werden zur Person, d.
h. zu einem Wesen, dass Verantwortung für sein Handeln trägt, das schuldig wird und dafür büßen muss oder unschuldig ein ungerechtes Schicksal erleidet. Die Anthropomorphisierung (Vermenschlichung) ist somit ein weiteres typisches und wesentliches Merkmal der Fabel. Für die Fabel heißt das, nur das für den Menschen Typische wird auf die Tiere übertragen, und zwar so, dass die tierischen Eigenschaften entweder überformt werden oder dass neue menschliche Eigenarten hinzutreten.
Der Aufbau der typischen Fabel
In ihrer strengen Form besitzt die Fabel einen dreigliedrigen Aufbau, der von der Antike bis zur Moderne im Prinzip beibehalten wird:
Da die Fabel einen konkreten Wirklichkeitsbezug hat und diese Wirklichkeit ins „Fabelhafte" übertragen wird, muss zum Verständnis der Fabel zwischen einem belehrendem Teil - „Die Moral der Geschichte“ und einem erzählendem Teil unterschieden werden.
Während uns der belehrende Teil mit der Fabel selbst vorgegeben wird, sind wir bezüglich des erzählenden Teils auf die Entschlüsselung der in der Fabel zugrunde liegenden Begebenheit angewiesen.
Der ursprüngliche „Sitz im Leben" einer Fabel (das ist die konkrete ursprüngliche Situation, in der die Fabel entstanden ist) ist nur in den wenigsten Fällen bekannt, weil er nicht überliefert wurde.
Der belehrende Teil kann als Promythion (Vorwort) oder Epimythion (Nachwort), d. h. durch einen Merk- oder Lehrsatz vor- oder nachgestellt hat, ersetzt werden. Dieses Pro- oder Epimythion, d. h.
der mit „Lehre", „Moral", „Merke" oder ähnlich eingeleitete Spruch, kann helfen, die Aussageabsicht der Fabel leichter zu erschließen.
Allerdings nimmt sie dem Leser aber einen wesentlichen Reiz der Fabel: nämlich den der eigenen Überlegung und Erschließung des Gehalts und der Intention.
Ein Pro- oder Epimythion ist also eher überflüssig, da eine Fabel so beschaffen sein muss, dass der Leser die enthaltene Lehre mühelos entdecken und auf seine Realität beziehen kann.
Der erzählende Teil besteht aus:
1. Exposition mit Angabe der Hauptfiguren, des Ortes und der Ausgangssituation
2. Konflikt dargestellt in
Rede und Gegenrede
oder Handlung und Gegenhandlung
3.
Ergebnis
Dieses einfach überschaubare und rhetorisch geschickte Bauschema muss in engem Zusammenhang mit der didaktischen Absicht der Fabel gesehen werden.
Dem Hörer oder Leser wird zunächst in der Ausgangssituation die zum Fabelverständnis notwendige Information gegeben. Die Exposition stellt die Handelnden kurz vor. Die Konfliktsituation ergibt sich in der Regel aus der Antithetik, die durch die Gegenüberstellung zweier konträrer Verhaltensweisen (stark-schwach, dumm-schlau, arm-reich, Schuld-Unschuld...
) hervorgerufen wird. Die Handlung, in der der Konflikt verwirklicht wird, ist dabei so gestaltet, dass eine Verhaltensweise als die unterlegene erkennbar wird.
In Rede und Gegenrede, Handlung und Gegenhandlung läuft ein dramatisches Geschehen ab, das sich auf einen Höhepunkt zuspitzt und in einem überraschenden Moment, einer Pointe, gipfelt.
Am Ende der Fabel wird das Ergebnis berichtet.
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