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  Die züchtigung

Die Züchtigung   Über die Autorin:   Waltraud Anna Mitgutsch wurde am 2. Oktober 1948 in Oberösterreich geboren. Sie studierte Germanistik und Anglistik, war nach dem Studium einige Zeit Assistentin am Institut für Amerikanistik in Innsbruck und hielt sich anschließend für längere Zeit in Israel, England und Korea auf. Von 1979 bis 1985 unterrichtete sie in Boston deutsche Sprache und Literatur. Heute lebt sie in Linz. Waltraud Anna Mitgutsch wurde mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Anton-Wildgans-Preis (1993).

Weitere Werke sind „Das andere Gesicht“ (1986), „Ausgrenzung“ (1989) und „In fremden Städten“ (1992).   Zum Buch:   Das Buch die Züchtigung beschreibt die Leidensgeschichte der Bauerstochter Marie. Die Lieblosigkeit und die Demütigung ihrer Kindheit verwandeln sich in Einsamkeit und abgrundtiefe Selbstverachtung ihrer Jugend. Marie wuchs mit vier Schwestern und zwei Brüdern auf einem Bauernhof auf. Der Großvater nannte sie und ihre Familie nur Bettelsleute und empfand nur Verachtung für sie. Die Mutter war oft krank und wurde deshalb als Nichtsnutz beschimpft.

Darum mußte Marie oft selbst mithelfen, so wurde aus ihr ein starkes, kräftiges Mädchen mit struppigen roten Zöpfen. Nachdem Marie die Volksschule abgeschlossen hatte, entließ der Bauer den Knecht, da er glaubte Marie könnte dessen Arbeit ebensogut erledigen. Von diesem Zeitpunkt gab es kein Entrinnen mehr für sie: Sie mußte Melken, Gras mähen, Heu einkehren und das Vieh füttern außerdem mußte sie auf ihre kleineren Geschwister aufpassen. Im Geheimen hoffte sie, daß sie eines Tages diesem Horror entfliehen könnte. Ihre kleinen Brüder quälten sie, da sie wußten, daß sie keine Strafe zu fürchten hatten – im Gegensatz zu Marie die oft von ihrem Vater geprügelt und geschlagen wurde und als Sündenbock für die Taten ihrer kleinen Geschwister diente. Als Hitler in Österreich einmarschierte war Marie 16 Jahre alt.

Alle waren glücklich, da sie hofften nun endlich ein besseres Leben vor sich zu haben. Nur der Pfarrer sagte, daß Hitler der größte Verbrecher der Geschichte ist – Einige Wochen später wurde er abgeholt und nie wieder gesehen. Maries Brüder mußte beide an die Front und kamen ebenfalls nie wieder zurück. Zu dieser Zeit bemühte sich ein junger Mann, der von allen nur verächtlich „Häusler“ genannt wurde um Marie. „Der Krieg ist verloren“ flüsterten die Leute. „Halt´s Maul sonst kommst ins KZ“ hieß es.

Die Angst hatte nun auch die Dörfer entdeckt. Jeder hatte Angst, daß ihn irgend jemand denunzieren könnte. Auch die Mutter von Maries Bräutigam Friedl schimpfte man Zigeunerin, da sie Kovacs hieß und ein fremdländisches Aussehen hatte. Kathi, die älteste Tochter, brachte die Papiere zusammen, die bezeugten, daß sie die Kovacs keine Zigeuner waren, trotzdem riefen die Leute ihnen noch jahrelang „Zigeunerbrut“ nach. Friedl, der später auch an die Front mußte kehrte eines Tages zurück: Bleich, ausgehungert und mager. Am Kriegsende starb Maries Mutter, doch das Leben mußte für sie weitergehen.

  Marie und Friedl heirateten und zogen in die Stadt, wo Friedl als Straßenschaffner arbeitete. Sie lebten eher recht als schlecht, so reiste Marie nach Hause, um dort zu betteln, wo es Essen in Hülle und Fülle gab. Doch als sie dort auf Ablehnung traf, nahm sie sich vor noch härter zu arbeiten, um sich ihr Essen selber verdienen zu können. Im Frühling wurde sie schwanger und hatte Angst, wie sie ein Kind in diesen Zeiten durchbringen könnte. Im Herbst bekam sie eine Tochter, die sie „Vera“ taufte. Sie zogen von der Stadt aufs Land, wo sich ihre Lage besserte.

Von nun an ging es aufwärts: Mehr zu essen, ein eigenes Heim und weniger Streit.   Von nun an erzählt Vera, ihre Tochter:   Wann die Prügelstrafe begonnen hatte, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Es gab immer etwas, wofür man züchtigungswürdig war.   Leseprobe Seite 96!   Im Kindergarten mußte ich besser gekleidet sein als die anderen Kinder und durfte mich auch nur mit den Kindern aus den sogenannten „besseren Kreisen“ anfreunden. Auch in der Schule gab es erneut Anstrengungen um mit dem Wohlstand mithalten zu können. Beste Schreibwaren, Stifte und adrette Schulkleider.

Ich wurde zur Meisterschülerin. Wenn ich Einser nach Hause brachte, war ich Mamas gutes Kind und wurde vorgezeigt. Im Grunde war es Mamas Leistung und beim ersten Zweier begann ich hemmungslos zu weinen, bei der Frau Lehrerin. Wie weit haben meine Schreie wohl gehallt, an schönen Sommertagen, wenn alle Fenster weit geöffnet waren, nur unsere fest und sorgfältig verschlossen. Mein Vater war nur eine Marionette, die bei uns wohnte, mit uns aß, im Nebenzimmer schlief und den ich „Papa“ nannte. Wenn ihm die Drohungen und Streitigkeiten mit der Mutter zuviel wurden, stand er auf und ging.


Die einzige Zärtlichkeit, die ich von meinen Eltern gesehen habe, war vor Zeugen, um ihr Eheglück zu demonstrieren. Sonst gingen sie getrennte Wege: Mutter lehrte mich, meinen Vater zu verachten. Nach der Volksschule ging ich ins Gymnasium, wo ich das einzige Arbeiterkind war und mir dies auch deutlich von meinen Mitschülerinnen gezeigt wurde. Die Schulleistungen sanken in den nächsten Jahren von „Sehr Gut“ auf „Nicht Genügend“. Meine Mutter begann darauf hin wieder – pflichtbewußt wie sie war – mich für jede schlechte Note zu züchtigen. Ich wurde feige und ängstlich.

Die Leute lobten mich, aber sie übersahen das freudlose, verängstigte Gesicht. Bei uns zu Hause herrschte die absolute Sauberkeit und die Vorstellung von schmutziger Wäsche verfolgte mich auch noch in meinen Träumen. Überall lauerte die Gefahr, jedes geglückte Abenteuer endete mit Schlägen. Das Schmerzgefühl blieb mir im Hals stecken, wenn sie mich packte und wahllos in mein Gesicht schlug bis ihre Hände und mein Gesicht blutig waren. Ich wurde übergewichtig und so zum Gespött der Klasse und während die anderen Mädchen modebewußt wurden blieb ich matronenhaft. Mein Mutter war glücklich, die Pubertätskrise war überwunden und ich wurde wieder Klassenbeste! „Vera ißt brav, Vera lernt brav, Vera macht mir jetzt viel Freude“, sagte sie zu ihren Schwestern.

Mutter hatte nun auch diese Runde gewonnen. Die Matura bestand ich mit Auszeichnung und meine Eltern kamen in die Schule, als ich für ausgezeichnete Leistung einen Kunstband vom Direktor bekam. War meine Erziehung damit abgeschlossen?   Leseprobe Seite 225!  By Autschi@iwest.at

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