Beethoven
JUGEND
Beethoven wurde am 15. oder 16. Dezember 1770 in Bonn geboren (am 17. Dezember getauft) und wuchs in bescheidenen Familienverhältnissen auf. Als seine musikalische Begabung offenbar wurde, unterrichtete ihn zunächst sein Vater, ein kurfürstlicher Hoftenor, auf dem Klavier und der Violine. Als der Vater zunehmend dem Alkohol verfiel, begann der junge Beethoven 1784, seine Familie als Orgelgehilfe sowie als Bratschist und Cembalist an der Hofkapelle in Bonn zu unterstützen: Beethovens Schulbildung blieb daher notgedrungen rudimentär.
Beethovens frühe Werke, die unter Anleitung des Komponisten Christian Gottlob Neefe entstanden, ließen eine außergewöhnliche Begabung erkennen. Beethoven sollte daher die Gelegenheit erhalten, sich durch Reisen weiterzubilden. 1787 ging er nach Wien, erhielt wahrscheinlich einige Musikstunden von Wolfgang Amadeus Mozart, kehrte aber schon nach kurzer Zeit wegen des herannahenden Todes der Mutter nach Bonn zurück. Die folgenden vier Jahre arbeitete Beethoven in der Bonner Hofkapelle und im Orchester des Theaters, wo er zahlreiche wichtige Opern seiner Zeit kennen lernte und mit einigen hervorragenden Musikern Umgang hatte. Seine eindrucksvollste Komposition dieser Jahre ist die Kantate auf den Tod Kaiser Josephs II. (WoO 87), des Bruders seines Dienstherren Maximilian Franz.
3 FRÜHE WIENER JAHRE
Im November 1792 kam Beethoven, wahrscheinlich auf Vermittlung des Grafen Waldstein, zum zweiten Mal nach Wien und bildete sich dort v. a. bei Joseph Haydn, später auch bei Johann Georg Albrechtsberger und Antonio Salieri weiter. Kontakte zu Adeligen aus Bonn ermöglichten Beethoven den Zugang zu den Wiener Adelshäusern, wo er häufig auftrat und sich als Pianist und Komponist profilierte. In diesen Kreisen bewunderte man besonders seine Fähigkeiten bei der Improvisation, die vermutlich in die frühen Klavierkompositionen Eingang gefunden haben. In dieser Zeit wurde Beethoven besonders unterstützt von den Fürsten Lichnowsky, Rasumowsky, Esterházy und Lobkowitz.
Zuwendungen durch adelige Förderer und die Veröffentlichung seiner Kompositionen ermöglichten Beethoven ein Leben als freischaffender Künstler, was Mozart ein Jahrzehnt zuvor nur bedingt gelungen war.
1794 begann Beethoven mit der Komposition der Klaviertrios op. 1, seiner ersten großen Veröffentlichung. Im März 1795 trat er das erste Mal öffentlich (im Burgtheater) vor das Wiener Publikum, wobei er wahrscheinlich sein 1. Klavierkonzert uraufführte. 1796 folgten erfolgreiche Konzertauftritte in Prag, Dresden und Berlin sowie in Preßburg und Pest.
Nach Klaviersonaten und vielfältigen Kammermusikwerken begann Beethoven 1798 mit der Komposition der sechs Streichquartette op. 18, mit denen er die große Serie seiner Streichquartette eröffnete. 1799 galt der Schwerpunkt seiner Arbeit neben diesen Werken und der Klaviersonate in c-Moll (op. 13, Pathétique, 1798/99) der Komposition seiner 1. Sinfonie (C-Dur, op. 21, 1799/1800).
Die Gattungen der Sinfonie, der Klaviersonate und des Streichquartetts bildeten von nun an das Herzstück seines Schaffens.
4 TAUBHEIT UND ISOLATION
Schon 1796 traten erste Anzeichen eines Gehörleidens auf, das bei Beethoven das Gefühl einer gesellschaftlichen Isolation immer stärker werden ließ. Er verließ Wien nur noch zu kürzeren Reisen nach Prag, Dresden, Leipzig und Berlin sowie für Kur- und Badeaufenthalte. Den Sommer verbrachte er in der Regel in der Umgebung von Wien (meist in Heiligenstadt), im Herbst zog er nach Wien zurück. Im "Heiligenstädter Testament" offenbarte er 1802 seinen Brüdern die Verzweiflung über die zunehmende Taubheit. Dennoch entstanden gerade in diesen Jahren Schlüsselwerke seines voll ausgebildeten, hochklassischen Stils: Seinem Schüler Carl Czerny gegenüber sprach er 1802 von einem "neuen Weg", den er jetzt einschlagen werde.
Im selben Jahr entstanden die bedeutenden drei Klaviersonaten op. 31. 1803 komponierte er nicht nur die ursprünglich Napoleon gewidmete 3. Sinfonie in Es-Dur (op. 55, Eroica), mit der er der Sinfonie völlig neue Wege eröffnete, sondern auch die große Waldstein-Klaviersonate (C-Dur op. 53) sowie u.
a. das Oratorium Christus am Ölberge (op. 85). 1805 schrieb er die Appassionata-Klaviersonate (f-Moll op. 57) sowie Leonore, die erste Fassung seiner Oper Fidelio. Sie wurde während der französischen Besetzung Wiens mehrfach aufgeführt, konnte sich aber nicht durchsetzen.
1806 entstanden u. a. das Violinkonzert (D-Dur op. 61), 1807/08 die 5. Sinfonie (c-Moll op. 67) und die 6.
Sinfonie (F-Dur op. 68, Pastorale). Gerade in der Behandlung des Orchesters lässt sich ein enormer Unterschied zu den Werken der ersten Wiener Jahre erkennen: Das Orchester wurde nun zum entscheidenden "Instrument" Beethovens. Die Kompositionstechniken, die er hier entwickelte, prägten nun auch seine nichtorchestralen Werke.
Ab 1805 schränkte Beethoven seine sozialen Kontakte zunehmend ein. Ein Angebot, als Hofkapellmeister nach Kassel zu gehen, lehnte er 1809 ab, nachdem ihm eine Gruppe Wiener Aristokraten eine hohe Jahresrente zugesichert hatte.
Damit war sein Lebensunterhalt endgültig gesichert. Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte er 1814. Nach dem Tod seines Bruders Carl übernahm er 1816 die Vormundschaft für seinen Neffen Karl, den er 1818 in sein Haus aufnahm; 1819 musste er jedoch auf Druck der Mutter auf die Vormundschaft verzichten. Familiäre Streitigkeiten, zermürbende Prozesse und Sorgen um den Neffen begleiteten Beethoven für den Rest seines Lebens.
Um 1818 war Beethoven völlig taub geworden und konnte sich nur noch mit Hilfe kleiner "Konversationshefte" mit seinen Besuchern verständigen. Häufige Krankheiten behinderten ihn, sein Freundeskreis verkleinerte sich stetig.
Beethovens Schaffen wurde jedoch durch die Taubheit nicht beeinträchtigt. Er schrieb z. B. 1819 nicht nur den riesigen Zyklus der Diabelli-Variationen (op. 120) für Klavier, sondern begann auch mit der Komposition der Missa solemnis (D-Dur op. 123), die anlässlich der Amtseinführung seines Schülers, des Erzherzogs Rudolph, als Erzbischof von Olmütz im folgenden Jahr (1820) aufgeführt werden sollte; er konnte die immer größere Dimensionen annehmende Messe erst 1823 beenden.
Seine letzten Klaviersonaten (op. 109 E-Dur, op. 110 As-Dur und op. 111 c-Moll), mit denen er diese Gattung in ganz neue Bereiche führte, entstanden von 1819 bis 1822. Von 1822 bis 1824 arbeitete er an seiner 9. Sinfonie (d-Moll op.
125), die er in einem selbst veranstalteten Akademiekonzert am 7. Mai 1824 uraufführte. Ab 1824 folgten dann die späten Streichquartette (op. 127, op. 130 bis 132 und op. 135).
Nachdem Beethoven schon seit Dezember 1826 bettlägerig war, starb er am 26. März 1827 in Wien an einem Leberleiden. Drei Tage später wurde er auf dem Währinger Friedhof beigesetzt. Eine große Trauergemeinde nahm Anteil, die Grabrede stammte von Franz Grillparzer. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, im Jahr 1888, wurden seine sterblichen Überreste auf den Wiener Zentralfriedhof überführt.
5 MUSIKALISCHE ENTWICKLUNG
Zu Beethovens wichtigsten Werken zählen neun Sinfonien, sieben Konzerte, 16 Streichquartette, 32 Klaviersonaten, zehn Sonaten für Violine und Klavier, fünf Sonaten für Cello und Klavier, eine Oper (Fidelio 1804/05, zweite Fassung 1806, dritte Fassung 1814), zwei Messen, mehrere Ouvertüren und zahlreiche Klaviervariationen. Sein Schaffen lässt sich in drei annähernd gleich lange Perioden einteilen: In der ersten Phase, die das Bonner Frühwerk und die ersten Wiener Jahre umfasst, knüpfte er zunächst an die Kompositionstechniken von Haydn und Mozart an und erschloss sich damit Zug um Zug den komplexen Stil der reifen Wiener Klassik. So gestaltete er z. B. das Streichquartett in A-Dur op. 18/5 (1800) in deutlicher Anlehnung an Mozarts Streichquartett KV 464.
Das Frühwerk weist dabei insgesamt eine große und bunte Fülle von Formen und Besetzungen auf, wie es für die Musik des späten 18. Jahrhundert charakteristisch ist. Immer wieder finden sich hier jedoch bereits jene beharrlich pathetischen und hochdramatischen Gesten, die Beethovens Personalstil kennzeichnen.
In der zweiten Phase nach 1802 bildete sich der für Beethoven charakteristische, hochklassische Stil voll aus. Seine Werke in der Zeit zwischen 1802 und 1812 erweitern nun bewusst die Formensprache Haydns und Mozarts; zugleich reduziert Beethoven die formale Vielfalt und konzentriert sich immer mehr auf einige wenige, als zentral empfundene Gattungen. Beethovens zunehmend mühelose Beherrschung der Kompositionstechniken führt dazu, dass die Werke der mittleren Schaffensphase immer substanzhafter werden.
Die im Frühwerk manchmal etwas weitschweifigen und schwerfälligen Formverläufe werden nun gestrafft und immer zwingender und konsequenter durchgestaltet, auch wenn sie nun häufig wesentlich größer dimensioniert werden. Die langsamen Sätze bestechen durch eine ungewöhnliche lyrische Kraft. Schlüsselwerke seiner hochklassischen Stilphase sind die 3. Sinfonie in Es-Dur (op. 55, 1803 Eroica) bzw. 5.
Sinfonie in c-Moll (op. 67, 1808), das 4. Klavierkonzert in G-Dur (op. 58, 1807) bzw. 5. Klavierkonzert in Es-Dur (op.
73, 1809), die Klaviersonate in f-Moll (op. 57, 1805 Appassionata), die drei Streichquartette (op. 59, 1805/06 Rasumowsky) und die Oper Leonore (1805/1806, 1814 zu Fidelio umgearbeitet). All diesen Werken ist die zunehmende Vertiefung der thematischen Arbeit, eine virtuos durchbrochene Satztechnik und die Verlagerung des kompositorischen Höhepunktes in die erheblich erweiterte "Durchführung" der Sonatensatzform sowie eine wesentlich längere Coda zu eigen. Am Ende der mittleren Schaffensphase Beethovens steht die ironisch zurückblickende 8. Sinfonie in D-Dur (op.
93, 1812).
Das ab etwa 1813 entstehende Spätwerk bildete seine letzte Schaffensphase. Zu Beginn dieser Zeit steckte Beethoven in einer Schaffenskrise, die ihn jahrelang kaum ein Werk fertig stellen ließ. Dies hing nicht nur mit seinen schwierigen persönlichen Lebensumständen und mit der lähmenden politischen Erstarrung in der Metternich'schen Restaurationszeit zusammen, sondern auch mit grundlegenden kompositorischen Fragen. Hatte sich Beethoven im Frühwerk den Stil der Wiener Klassik angeeignet und diesen in der zweiten Schaffensphase wesentlich neu interpretiert, so stieß er nun dazu vor, die Basis dieses Stils überhaupt in Frage zu stellen. Die Variationskunst, eine zentrale Technik der Wiener Klassik, wurde in völlig neue Dimensionen geführt.
Hinzu kamen kontrapunktische Verdichtungen des musikalischen Satzes, die sich u. a. aus Beethovens Händel-Studien ergaben.
Immer mehr entgrenzte Beethoven die konventionellen Gattungen: In die Instrumentalmusik führt er z. B. Rezitative und Ariosi ein; Fugenform, Variationen und lyrische Elemente wurden mit der Sonatensatztechnik verknüpft usw.
In Werken wie z. B. dem Liederzyklus für Tenor und Klavier An die ferne Geliebte op. 98 (1816), der Hammerklavier-Klaviersonate in B-Dur op. 106 (1818) oder den Diabelli-Variationen op. 120 (1819-1823) löste sich Beethoven zunehmend aus dem klassischen Stil und suchte nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten.
In seinen späten Meisterwerken wurde Beethoven immer radikaler in Expression und Intensität und immer freier gegenüber den Traditionen. Das enorm komplexe und anspruchsvolle Spätwerk Beethovens beeinflusste spätere Komponisten wie z. B. Franz Schubert, Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann, Johannes Brahms oder Arnold Schönberg nachhaltig, blieb aber bei den Zeitgenossen heftig umstritten. Man führte die z. T.
gewaltsamen Abweichungen vom klassischen Stil eher auf Beethovens Taubheit zurück als auf einen bewussten Ausdruckswillen. Die späten Streichquartette Beethovens wurden zu seiner Zeit als unspielbar beurteilt.
Die beiden wichtigsten Werke dieser Spätphase, die 9. Sinfonie d-Moll op. 125 (1822-1824) und die Missa solemnis, lösten sich vollständig von den Gattungstraditionen: So wurden in der 9. Sinfonie ein Chor und Gesangssolisten eingeführt, während die Missa solemnis den liturgischen Rahmen von Messe-Vertonungen in Richtung einer subjektiven Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben sprengte.
6 WIRKUNGSGESCHICHTE
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde Beethoven zur idealen Projektionsfigur des bürgerlichen Geniekults in der Musik. Man stilisierte ihn zur Verkörperung des Aufstiegs durch Arbeit, Begabung und Leistung. Das von der Französischen Revolution und dem Deutschen Idealismus getragene Pathos seines Werks wurde dabei seiner konkreten Bezüge (z. B. zur Bläsermusik der Französischen Revolution) beraubt und zu einer allgemeinen, überzeitlichen "Botschaft an die Menschheit" verklärt.
Die Beethoven-Legenden begannen bezeichnenderweise mit einigen romantischen Schriftstellern (E. T. A. Hoffmann, Bettina von Arnim oder Franz Grillparzer; in Frankreich z. B. Victor Hugo, später Romain Rolland), die Beethoven als Kind der Natur, Zauberer oder quasireligiösen Führer, Propheten und Erlöser deuteten.
Bei Robert Schumann und Richard Wagner kam eine nationale Perspektive hinzu: Beethoven als Symbolfigur angeblich typisch deutscher Eigenschaften und Stereotype (Arbeit, Ernst, gedankliche Tiefe, heroische Grübelei, "durch Leiden zum Sieg" usw.) und als Legitimationsfigur der eigenen Werke. Beethoven wurde dabei zum Zielpunkt der gesamten musikgeschichtlichen Entwicklung seit dem Barock mystifiziert, Mozart und vor allem Haydn wurden dadurch oft als bloße Wegbereiter und Vorläufer abgewertet. Erst nach dem 1. Weltkrieg kam dieses romantische Beethoven-Bild ins Wanken, wurde aber zur Zeit des Nationalsozialismus noch einmal erneuert. In der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts relativierte sich der Beethoven-Mythos endgültig, ohne dass dies Bedeutung und Wertschätzung seiner Musik beeinträchtigt hätte.
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