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  Einstimmung

Einstimmung Cherbinischer Lobgesang Im Januar und Februar 1987 hat Penderecki den zwölfstimmigen A-cappella-Chor Cherubiniscber Lobgesang komponiert, der im Original Ize Cheruvimy heißt (was mit kyrillischen Buchstaben zu schreiben wäre, weil sein Text im alten Kirchenslawisch vertont ist). In der Liturgie der russisch-orthodoxen Kirche ist der cherubinische Lobgesang ein Hymnus auf die Heilige Dreifaltigkeit, der zum sogenannten Großen Einzug gesungen wird. Die Worte sollen vorn Heiligen Chrysostomus stammen. Die deutsche Übersetzung lautet: Die wir die Cherubim geheimnisvoll darstellen und der Leben spendenden Dreifaltigkeit den dreimaligen Lobgesang singen, wollen wir von uns werfen alle irdische Sorge. Denn den König des Alls empfangen wir, der von Engelscharen unsichtbar auf Speeren getragen wird. Alleluja.

Die Cherubim sind nach der im 5. Jahrhundert von dem griechischen Christen Dionysios Areopagites niedergeschriebenen Vorstellung einer von den neun Engelschören des Himmels, als Lichtgestalten sind sie Wächter und Boten Gottes, die in den Lehren der Ostkirche immer eine bedeutende Rolle gespielt haben. Penderecki wählte ihren Lobgesang für seine musikalisch erfindungsreiche, ungemein ausdrucksstarke neue Komposition, die er seinem russischen Freund Mstislaw Rostropowitsch zum sechzigsten Geburtstag widmete. Beim Geburtstagskonzert am 27. März 1987 in Washington, wo Rostropowitsch seit vielen Jahren Musikdirektor des National Symphony Orchestra ist, dirigierte der Komponist die Uraufführung. Penderecki hegt seit je eine besondere Bewunderung für den musikalischen Reichtum der altrussischen orthodoxen Liturgie.

in versteckten Klöstern Südrußlands und Bulgariens hatte er sich ja bereits forschend umgehört, als er zwischen 1969 und 1971 die beiden Teile seines großen Utrenja-Oratoriums komponierte (die Grablegung und Auferstehung Christi), also dort, wo liturgische Traditionen noch ungebrochen gepflegt werden. Anregungen für seinen Cherubiniscben Lobgesang fand er diesmal in serbisch-orthodoxer Kirchenmusik (wie er sie Ende 1986 gehört hatte). In seiner Komposition gibt es jedoch keine direkten Zitate. Penderecki versucht vielmehr, den hymnischen Charakter dieser frommen Musik einzufangen und einige ihrer emotionalen Gesten samt gewisser Strukturelemente seiner eigenen Tonsprache anzuverwandeln. So werden etwa modale Wendungen für tonale Verschleierungen benutzt, um die eigene geschärfte Harmonik, die in kleinen Intervallen dicht gedrängte Chromatik bruchlos dem Gesamtfluss des strömenden Chorsatzes einzuverleiben. Längst hat sich Penderecki ja im souveränen Umgang mit stilistischer Vielfalt als Meister nahtloser Synthesen erwiesen.

Das Grundzeitmaß ist Lento. Die Altstimmen beginnen allein mit einer melodisch weitgeschwungenen Kantilene, die anfangs, mit den ersten vier Tönen, eine reine F-Dur-Tonleiter aufzubauen scheint, die aber schon vom b an mit synkopischen Unkreisungen und folgenden Melismen einer tonartlichen Bindung ausweicht, an ihrem Ende aber das f als Zentralton des Lobgesangs festlegt (Beispiel 104). (In der Partitur ist wie zu sehen dem Kirchenslawisch in kyrillischer Schrift eine Transkription ins Englische unterlegt, deren Ausspracheregeln fürs Deutsche gesondert beigegeben sind.) Die Soprane greifen die schlanke Linienführung auf und weiten sie melismatisch aus. Ganz charakteristisch ist dann die Fortsetzung: die ersten Tenöre setzen mit der Kantilene neu an, Altstimmen, zweite Tenöre und erste Bässe summen mit geschlossenem Mund (bocca chiusa) den Zentralton f, während die zweiten Bässe auf dem tiefen F rasch repetierte Gebetsformeln psalmodieren (Beispiel 105). Nun wird das Geflecht des ruhig wogenden Chorsatzes immer dichter, auch etwas bewegter, und weitet sich allmählich zu voller Zwölfstimmigkeit aus.

Es entsteht der Raumklang einer Doppelchörigkeit, verbunden mit einer gewaltigen dynamischen Steigerung und Verbreiterung des Tempos (Largamente). In den ekstatischen Furor singen die Tenöre warm-leuchtende Terzen hinein. Die Klangsinnlichkeit des üppigen Chorsatzes ist nun nicht mehr zu überbieten. Auf dem Höhepunkt reißt das jubelnde Vorandrängen plötzlich ab. Die Tenöre allein stimmen die Eingangskanitilene wieder an. Das Litaneiengemurmel der Gebetsformeln taucht wieder auf (mit dem Penderecki übrigens deutlich auf seine Utrenja-Komposition zurückverweist), die Bässe leiten mit ihren Repetitionen auf dem tiefen F in den Alleluja-Schlußteil des Lobgesangs hinein, der in noch ruhigerem Tempo (ancora meno mosso) still verklingt: einige Stimmen summen wieder das f mit geschlossenem Mund, die zweiten Bässe murmeln als "letztes Wort" nochmals Alleluja.


Von den dritten Bässen erhofft sich der Komponist das ganz tiefe, das Kontra-F, das natürlich kein Mensch wirklich singen, sich als illusionäres Mysterium nur denken kann. Penderecki hat seit Utrenja nicht mehr so slawisch komponiert. (zitiert aus: Wolfram Schwinger Penderecki - Leben und Werk, Mainz 1994) Noten des Hauptmotivs an der Tafel CD- Klangbeispiel     Gliederung A) Biographie B) Freie Rede Penderecki im Kreuzfeuer der Kritik C) Anspruch und geschichtlciher Denken der Neuen Musik Erfahrungen von Abgrund und Grenze Adorno S. 15, S. 125-Lachenmann S. 66 D) drei Schaffensphasen 1.

Avantgarde   Beispiele: Threnos, Anaklasis 2.Postmoderne   Beispiel. Lukaspassion 3. Neoromantik   Beispiele: Agnus Dei, Benediktus, Lacrimosa   Biographie geboren am 23. November 1933 in Debica/Polen, darf in seiner kompositorischen Entwicklung als ein gleichsam nach außen gekehrtes Spiegelbild der Musikgeschichte seit 1960 angesehen werden. Er studierte 1955-58 Komposition, u.

a. bei Arthur Malawski am Krakauer Konservatorium. 1959 gewann er mit drei Kompositionen (Strophen, Emanationen und Psalmen Davids) jeweils den 1. Preis bei einem anonym ausgetragenen Wettbewerb in Polen. Im gleichen Jahr war er beim Warschauer Herbst vertreten. Für 1960 erhielt er einen Auftrag zu einer Orchesterkomposition vom Südwestfunk: die Donaueschinger UA von Anaklasis machte Penderecki mit einem Schlag in den Kreisen der Avantgarde bekannt.

Die spürbar gesellschaftspolitisch Stellung beziehende Ausrichtung mehrerer seiner Kompositionen, so etwa der Threnos für die Opfer von Hiroshima (1961) und Dies irae (zum Gedenken an die Ermordeten in Auschwitz, 1967), später dann das Polnische Requiem (1980/84), ließen bald weitere Kreise auf sein Schaffen aufmerksam werden. Zurückgezogenheit in einen »elitären« Kreis von Neutönern war dem seinen Katholizismus nie verleugnenden Komponisten (viele seiner Werke sind geistliche) seit jeher fremd. So bewegten sich seine stilistischen Mittel mit gewisser innerer Konsequenz hin auf klarere und einfachere Ausdrucksmittel. Die Experimente mit extremen Klang- und Geräuschexzessen, mit denen Penderecki zunächst für Furore sorgte, wurden zurückgenommen, an ihre Stelle traten einfachere, fasslichere melodische Linien und kontrapunktische Führungen, die hörbar an konventionellere Ausdrucksgestaltung anknüpften. Eine rege Lehrtätigkeit trat hinzu. 1966-68 unterrichtete Penderecki als Dozent an der Folkwang-Hochschule in Essen; seit 1972 ist er Rektor an der Musikhochschule in Krakow [Krakau].

1973 – 78 hatte er eine Professur an der Yale University/New Haven. Die große Breitenwirkung seines Schaffens dokumentiert sich daneben in zahlreichen Auszeichnungen und Preisen. So wurde Penderecki u. a. 1962 der Preis der Unesco für Threnos verliehen, 1966 erhielt er für die Lukas-Passion den Großen Kunstpreis des Landes Nordrhein- Westfalen, 1967 den Prix Italia für das gleiche Werk.1970 konnte er den Preis des Polnischen Komponistenverbands entgegennehmen, es folgten 1977 der Wiener Gottfried von Herder-Preis und der Prix »Arthur Honegger« (für Magnificat, 1974), 1983 der Sibelius-Preis der Wihuri-Stiftung und 1987 der Karl Wolf-Preis der israelischen Wolf-Stiftung.

Zahlreiche Ehrendoktor-Titel und Ehrenmitgliedschaften ergänzen die lange Reihe der Auszeichnungen. Penderecki gilt heute als der vielleicht wichtigste Vertreter einer gemäßigten Moderne, dessen Musik nicht Zuflucht in den Refugien der Avantgarde nehmen muss, sondern im Abonnementbetrieb Eingang findet. Diese Tendenzen werden auch in seinem Opernschaffen kenntlich, nach Die Teufel von Loudun (1969) und der weit gemäßigteren Oper Paradise lost (1978) wurden Die schwarze Maske für die Salzburger Festspiele 1986 und Ubu Rex für die Münchner Festspiele 1991 geschrieben. Aus: "Komponisten der Gegenwart", ein Loseblatt-Lexikon, herausgegeben von Hanns-Werner Heister und Walter-Wolfgang Sparrer im Verlag edition text und kritik, München.   Threnos Das Stück ist für 52 Streichinstrumente geschrieben, für 24 Violinen, je zehn Bratschen und Celli und acht Kontrabässe. In seiner ersten Fassung hatte es als Titel einfach 8'37" - womit nur die Dauer von 8 Minuten und 37 Sekunden angegeben war.

in der endgültigen Gestalt vertraute Penderecki der Ausdrucksstärke seiner Musik, die sich - so hoffte er - auch den Hörern mitteilen würde, und gab dem Werk, das er den Opfern von Hiroshima widmete, den Titel Threnos, also Klagegesang. Ausdrucksstärke der Musik? Auch wenn der Eindruck des Geräuschhaften zunächst überwiegt, muss die Frage bejaht werden. Denn schon sehr bald spürt man, wie prononciert Penderecki diese neuartigen Geräuschklänge artikuliert, dass sie also keineswegs nur die bemerkenswerten Experimente eines fanatischen Klangingenieurs sind, sondern dass sie emotional aufgeladene, unheimliche Energien entbinden. Die schneidende Schärfe dieser Musik, die auch enervierende Geräuschhaftigkeit in ihr Klanguniversum mit einbezieht, ließe sich leicht als naturalistische Illustration des Chaos deuten; doch die dicht gefügte Klangstudie hat darüber hinaus auch die Kraft zur Klage, zur Anklage. Das mag Penderecki den Mut gegeben haben, sie im nachhinein den Opfern der ersten Atombombe zu widmen, Penderecki treibt jetzt die Erprobung der Diffusionsmöglichkeiten bei den Streichern so weit, dass streckenweise der Höreindruck entsteht, die Klangergebnisse müssten auf elektronischem Wege erreicht worden sein. Bei der Erschließung der Grenzbezirke zwischen Klang und Geräusch musste Penderecki mit der Erfindung ungewöhnlicher Spieltechniken, neuer Arten der Klangerzeugung fortfahren.

Er schreibt nun nicht allein das Spiel nahe am Steg oder Griffbrett vor, sondern auch auf dem Steg und auf dem Saitenhalter, zwischen Steg und Saitenhatter und - an dieser Stelle - auch Arpeggio über vier Saiten. Zu den schon in den Emanationen vorkommenden unregelmäßigen Bogenwechseln und dem schnellen, nicht rhythmisierten Tremolo tritt nun auch noch die Unterscheidung zwischen sehr starkem und sehr langsamem Vibrato mit Viertelton-Frequenzdifferenzen. ,Auch sonst gibt es Erhöhungen und Erniedrigungen um Viertel und Dreivierteltöne. Schließlich gewinnt er den Streichinstrumenten auch noch Schlagzeugeffekte ab, indem der Spieler mit dem Frosch des Bogens oder mit der Fingerspitze die Holzdecke, also den Instrumentenkörper zu schlagen hat. Für die meisten dieser Spielvorschriften hat Penderecki neue Notationssymbole erfinden müssen, die unterdessen längst auch von anderen Komponisten übernommen, ja Allgemeinbesitz wurden. (Bei späterer Gelegenheit bei der Betrachtung von Fluorescences für großes Orchester, wird eine Gesamtübersicht über alle Abkürzungen und Symbole gegeben werden.

) Drei hervorstechende Charakteristika bestimmen vornehmlich das Klangbild von Threnos. Penderecki exportiert sie zunächst einzeln, nacheinander - man kann also in formalem Sinne von einer regelrechten Exposition sprechen; danach werden sie aufgesplittert, schließlich kombiniert. Der Gesamtaufbau ist dreiteilig. Obwohl Penderecki auf jegliche Melodik, Harmonik, Rhythmik und einen metrisch gegliederten Zeitverlauf verzichtet, schafft er doch einen in der Partitur nicht nur leicht erkennbaren "sondern auch beim Hören deutlich spürbaren Formzusarnmenhang, indem er (in diesem Stück) einfachste Klangtypen gegenüberstellt und dann sehr kunstvoll verknüpft. Da diese Klangtypen in sich überaus klar profiliert sind, sich gegeneinander aber sehr kontrastreich abheben, erreicht Penderecki - wie es Tadeusz A. Zielinski richtig bezeichnet - eine wirklich plastische Konstruktion.

Das erste Charakteristikum, das den Stückbeginn kennzeichnet, ist das Anstreichen des jeweils höchsten Tones jeden Instruments in unbestimmter Tonhöhe. Die Fortissimo-Einsätze in den verschiedenen lnstrumentengruppen kommen wie zufällig, in unregelmäßigen Abständen, und werden entweder ohne Vibrato ausgehalten (gerade waagerechte Linie), oder sie gehen bei der einen Streichergruppe in starkes Vibrato über (kurzwellige Linie), bei anderen in sehr langsames, um Vierteltöne schwankendes Vibrato (großwellige Linie). Auf Taktstriche wird zum erstenmal vollkommen verzichtet; die Zeitdauer der Aktionen ist am unteren Rand des Partitursystems von Abschnitt zu Abschnitt in Sekunden angegeben (Beispiel 2). Das zweite Charakteristikum sind die Schlagzeugeffekte, die in der fünfzigsten Sekunde einsetzen. (Diese Zeitangabe bezieht sich auf die Partitur; bei Aufführungen variiert die Dauer, da man natürlich nicht nach der Stoppuhr musiziert; in Pendereckis eigener jüngster Schallplattenaufnahme beginnt diese Stelle erst nach hundert Sekunden, also nach doppelt so langer Zeit. Das ganze Werk dauert bei ihm jetzt 9 Minuten 45 Sekunden, während er vor fünfzehn in der Partitur 8 Minuten 26 Sekunden vor- eben hatte!) Die Schlagzeugeffekte auf den Instrumenten sind aleatorisch strukturiert.

Der Aleatorik, also der Einbeziehung des Zufalls, sind allerdings strenge grenzen gesteckt: jeder Spieler kann sich lediglich eine von vier vorgezeichneten Gruppierungen auswählen, die er dann (in einem .bestimmten Zeitabschnitt) so rasch wie möglich zu repetieren hat. Er kann beispielsweise zuerstr seinen höchsten Ton mit schnellem, nicht rhythmisiertem Tremolo anstreichen dafür: t), dann mit dem Holz des Bogens (batt. = legno battuto) ein Arpeggio zwischen Steg und Saitenhalter über alle vier Saiten ausführen, danach den höchsten Ton pizzicato anreißen, jetzt einen Ton zwischen Steg und Saitenhalter streichen, darauf zweimal mit dem Finger oder auf die Instrumentendecke schlagen und ein nochmaligen Schlag einen schnellen tremolierten Ton zwischen Saitenhalter und Steg einlegen. Er kann es aber auch in einer anderen Reihenfolge tun. Diese Gruppierungen sind also kleine Spiel- und Strukturen die in immer wechselnder Verteilung ständig wiederholt werden und ein sehr komplexes geräuschnahes Klangfarben-Kaleidoskop ergeben (Ähnliche aleatorische Struktur-Repetitionen finden sich auch in den nur wenig später, 1961, entstandenen Jeux vénetiens von Lutoslawski.

) Als Beispiel seien nun Pendereckis vier Gruppierungen angeführt, die er den 24 Violinen zur Auswahl stellt - für die übrigen Streichinstrumentengruppen gibt es anders angeordnete Reihenfolgen; die im Text eben -ausführlich beschriebene erste Möglichkeit entspricht nun folgenden Beispiel der im oberen System angezeigten Struktur (Beispiel 3). Wilfried Gruhn weist in einem Aufsatz über die Strukturen und Klangmodelle in Pendereckis Threnos darauf hin, dass die Anordnung dieser Strukturen im optischen Bild der Partitur deutlich ein strenger Kanon ist (-insgesamt ein vierfacher vierstimmiger Kanon.), was aber, wie Gruhn richtig betont, akustisch nicht nachvollziehbar ist, weil diese Reihenformen-, also die Spiel- und Schlagstrukturen, ja nicht als quasi-melodische Linien wahrgenommen werden, sondern sich sogleich im Geräuschfeld mit den anderen Stimmen vermischen. Dieser Kanon wird in seiner Strenge jedoch vom Komponisten auch dadurch noch -durcheinandergebracht-, daß er es den Spielern freistellt, welche Gruppierung sie wählen. Schließlich kommt als drittes ein für Pendereckis Kornpositionstechnik besonders wichtiges Charakteristikum hinzu: die äußerst verfeinerte Anwendung von Clusters. Den Begriff der tone-clusters-, Tontrauben, hat der Amerikaner Henry Cowell schon vor einem halben Jahrhundert geprägt und in seinen Kompositionen auch angewandt - zuerst auf dem Klavier durch das Tastenanschlagen mit der ganzen Hand oder dem Unterarm.

Beim Cluster treten alle chromatischen Töne innerhalb eines bestimmten Tonumfangs, sagen wir einer Quarte, gleichzeitig auf. Durch dieses gleichzeitige Erklingen aller Töne, also gegebenenfalls auch der chromatischen Totale, kann das Ohr keine bestimmte Tonhöhe mehr wahrnehmen. Der Tonhaufen hebt nicht nur Dissonanzen hervor, sondern er lässt fast den Eindruck eines Geräusches entstehen, vor allem durch die Überlagerungen im Obertonbereich. Penderecki geht entschieden weiter als Cowell: er schichtet nicht nur im Halbton-, sondern auch im Vierteltonabstand und bringt die Clusters in Bewegung, indem er ihre Breite verändert (also verschieden große oder kleine Intervalle ausfüllt.), sie etwa aus einem Einzelton entwickelt, verdickt und wieder zum Einzelton verdünnt. Das sieht zum Beispiel an einer Stelle für die acht Kontrabässe in der Partitur folgendermaßen aus: Hierbei zeigt sich die Sinnfälligkeit von Pendereckis völlig neuartiger Notation: im obersten der drei Systeme wird der Vorgang graphisch sehr plastisch, ja suggestiv dargestellt; die beiden unteren Systeme zeigen dem Partiturleser die oberen und unteren Grenzen des Clusters genau an: der erste Kontrabass spielt vom es' ausgehend bis zum d" hinauf und sinkt dann allmählich wieder zum es' zurück; der achte Kontrabass beult dagegen den Cluster nach unten bis zum tieferen e aus.

Den Zwischenraum, also das, was in der Graphik schwarz ist, füllen die übrigen sechs Kontrabässe aus; die genaue Ausführung ist in den Stimmen der einzelnen Instrumente angegeben. Die Clusters überlappen sich nun in den verschiedenen Streichergruppen, werden breiter oder schmaler, gleiten auch erstmals in gegenläufigen Glissandi auseinander (zum Teil als Flageoletts zu spielen). Danach werden in einer wiederum neuartigen graphischen Notation fünf Vierteltonclusters aufgebaut, die wie fünf Schalltrichter aussehen und ja tatsächlich auch als dynamische Verstärkung zum Fortissimo hin angelegt sind (Beispiel 5).   Der so aufgebaute Großcluster. sinkt nun, dynamisch abebbend, wieder in einen Einzelton zurück und erstirbt in einem Solocello vibratolos in vierfachem Piano. So endet der erste Teil, die Exposition, von Threnos.

Daraufhin folgt als Mittelteil des Werks ein äußerst aufgesplitterter, nahezu punktuell zerstäubter Abschnitt, in dem die neuen (und alten) Spiel- und Schlageffekte in allen nur möglichen Geräusch- und Klangkombinationen dynamisch kontrastreich verschachtelt werden, wobei jeweils vier Geigen, drei Bratschen, drei Celli und zwei Kontrabässe zu drei Orchestergruppen zusammengefasst werden (jede Gruppe besteht also aus zwölf Instrumenten). In diesem Teil gibt es so etwas wie eine metrische Fixierung: Taktstrichandeutungen (punktierte, senkrechte Linien), die dem Dirigenten die Ordnung des Zusammenspiels erleichtern. Im 2/4-Takt sind die Viertel meist in fünf oder sechs Werte unterteilt, in Quintolen und Sextolen, was zum fluktuierenden Gesamtklang dieses kammermusikalisch aufgelockerten Teils beiträgt. Wilfried Gruhn nennt das ein unregelmäßig dichtes, in Tonhöhe und Farbe schillerndes, netzartiges Klangmuster-, und er weist nach, dass dieser Teil ebenfalls nach den Bauprinzipien der Kanontechnik gearbeitet ist Auf einem rhythmisch furios akzentuierten Geräuschhöhepunkt, der auch das Spiel auf dem Steg und auf dem Saitenhalter fordert, ist der mittlere mit dem letzten Teil des Werks verzahnt jetzt gewinnen wieder die Clusters ihre Vorrangstellung zurück. Die Geräuschbänder überlagern sich, um endlich einem gewaltigen Tutti-Cluster aller 52 Streicher Raum zu geben, der dreißig Sekunden dauern soll und vierteltönig geschichtet ist, was die Partitur unter dem dicken schwarzen Balken im einzelnen genau notiert: 24 verschiedene Noten für die Violinen, je zehn für die Bratschen und Celli, acht für die Kontrabässe. Dieser Cluster wird normal gestrichen (ordinario), zunächst im dreifachen Forte nahe am Steg (sul ponticello, sp.

), dann - im vierfachen Piano ausklingend - nahe am Griffbrett (sul taste, s.t.) (Beispiel 6). Die in verschiedenen Zeitabständen eingesetzten Klangbänder dieser Partitur bezeichnet Zielifiski als großartige Polyphonie-, und nachdrücklich lehnt er es ab, darin nur einen interessanten Katalog neuer Klänge. zu sehen; der Wert liege vielmehr in der Art, »wie diese Mittel kompositionsfähig gemacht werden und eine Musik gestalten, die denselben Reichtum an Ausdruck besitzt wie die traditionelle Musik. (zitiert aus: Wolfram Schwinger Penderecki - Leben und Werk, Mainz 1994)   Anaklasis Anaklasis ist ein Dokument höchst differenzierter und vielfältiger Klangflächenkomposition, ein Werk der komplexesten Geräuschstrukturen, für die sich frühe Beispiele bei Edgard Varese (1885-1966) finden, neuere bei lannis Xenakis (1922-2001).

Der Titel Anaklasis bedeutet Brechung des Lichts-, er ist aber auch ein Terminus der altgriechischen Metrik für das in bestimmten Fällen mögliche Vertauschen kurzer und langer Betonungen bei Chorjamben. Zwar hat sich Penderecki, wie er in seiner Notiz im Donaueschinger Programmheft 1960 anlässlich der Uraufführung mitteilte von dieser metrischen Bedeutung für den rhythmischen Ablauf (wohl des Mittelteils) anregen lassen und außerdem als rhythmische Ordnungsfaktoren noch die Begriffe Rotation und arithmetische Reihen angeführt; aber wesentlicher für die Wahl des Titels Anaklasis dürfte die Hauptbedeutung, die Brechung des Lichts, gewesen sein', natürlich nun im übertragenen Sinne: Brechung von Klangfarben, tönende Auffächerungen, und Bündelungen in feinsten dynamischen Schattierungen. Am meisten interessierte Penderecki damals der nahtlose Wechsel von Klangeigenschaften, die flexiblen Übergänge von Klängen in Geräusche oder umgekehrt von Geräuschen in Klänge, also von Härte und Trockenheit in die verschiedenen Dimensionen von Weichheit. Zur Demonstration hat er zwei extrem verschiedenartige Instrumentengruppen gewählt: Streicher und Schlagwerke. Doch diese gegensätzlichen Klangquellen werden weniger für Kontraste, vielmehr für Assimilierungsprozesse genutzt. Das haben bisher alle verbalen Interpreten des Werks übereinstimmend hervorgehoben.

Der spezifische Klang der Instrumente wird so weit verfremdet, ja regelrecht umfunktioniert, bis er nahezu die Klangeigentümlichkeiten der anderen Gruppe angenommen hat. Sieht man das Ganze aus der dialektischen Perspektive, so heben sich auch hier These und Antithese in der Synthese auf. Dass dieses Changieren der Klänge und Geräusche damals nicht nur experimentellen Charakter hatte, sondern auch zu einer Prüfstrecke für Ohr und Sensibilität wurde«, hat Josef Häusler betont und auch auf die verschiedenartigen Vorbilder sowohl für die kompositorische wie für die ästhetische Position von Anaklasis hingewiesen: auf Arnold Schönbergs Klangfarbenmelodie in seinem Opus 16, den Fünf Orchesterstücken (deren drittes ja Farben heißt), auf die Erbschaft des musikalischen Bruitismus, auf die Klangexperimente, die Charles Ives und Henry Cowell begannen, und nicht zuletzt auf die von Alois Haba schon seit 1921 bevorzugte Anwendung der Vierteltöne, etwa in seinem mikro-intervallischen Zweiten Streichquartett opus 7. Die inhaltliche Absicht der Komposition ergibt auch ihre Form: These, Antithese und Synthese; Streicher allein, Schlagwerk allein und deren Mischung: also Dreiteiligkeit A, B, C wobei, wie sich herausstellen wird, die Übergänge die interessantesten Abschnitte sind. Für die Notation benutzt Penderecki die jeweils adäquaten Mittel für seine Klangvorstellungen: die von ihm erfundenen Symbole für die ungewöhnlichen Arten der Klangerzeugung, ferner Balken für die Clusters, Pfeile für die Richtung der Glissandi und für die Temposchwankungen, die unter den Notensystemen in Diagrammen angegeben sind (wie Penderecki das schon bei den Strophen praktiziert hatte). Diese Tempolinien-, schwankend zwischen ca.

44, ca. 58 und ca. 80, gelten für den Mittelteil des Werks; für die Rahmenteile begnügt sich Penderecki mit der Sekundenangabe für jeweils bezeichnete Abschnitte. Die häufig nicht graphisch, sondern in annähernd traditioneller Notenschrift geschriebenen Anteile der Partitur sind darüber hinaus metrisch im 2/4-Takt gegliedert. Das Instrumentarium besteht beim Streichorchester aus zwanzig Violinen, acht Bratschen, acht Celli und acht Kontrabässen, dazu kommen eine Celesta, eine Harfe und ein Klavier - der Pianist ist- auch für die hölzernen Claves (Rumbastäbe) zuständig; die große Schlagwerkbatterie ist in Gruppen für sechs Spieler geordnet, wobei sich Metall-, Fell- und Holzinstrumente über nahezu alle Gruppen verteilen. Die sechs Spieler der Schlagwerkbatterie bedienen im einzelnen: Spieler 1: Xilorimba, 2 Congas, 3 Casse di legno (Holztrommeln) Spieler 2: Vibraphon, 2 Bongos, 3 Campane (Glocken) Spieler 3: 2 Piatti (Becken), Campanelli (Glockenspiel) Spieler 4: 2 Piatti, 3 Tom-Tom, Campane, Triangel Spieler 5: 2 Piatti, 3 Tom-Tom Spieler 6: Gong, Tamtam, 4 Timpani (Pauken) Die Partitur ist nach Ziffern eingeteilt, die jeweils am Beginn der kleinen Zeitabschnitte oder - im metrisch gegliederten Teil - der Takte stehen.

Der A-Teil beginnt - wie bei der alten Concerto- grosso-Technik, doch ohne deren konzertierende Funktion - mit der Aufteilung in Soloinstrumente und Gruppen. Fünf einzelne Streichinstrumente schichten im Pianissimo-Bereich einen lang ausgehaltenen Akkord, einen ganz engen, vierteltönigen Kleincluster: als Zentralton intoniert die Solobratsche den Ton a, dazu die erste Solovioline ein um einen Viertelton erhöhtes g, die zweite Solovioline ein um einen Viertelton erhöhtes a, das Solocello ein um einen Dreiviertelton erhöhtes g, der Solobass ein g. Zu diesem ausgehaltenen Akkord der fünf Solostreicher geben größere Streichergruppen kurz angespielte Akzente (sff) hinzu: abermals vierteltönige Clusters von je neun Violinen, sieben Celli und fünf Kontrabässen. Die Gruppe der Bratschen setzt erst danach ein, bei Ziffer 2 der Partitur, nicht füllend oder akzentuierend, sondern das enge Klangband durch Glissandi nach oben und unten ausfransend. Huber weist in seiner oben genannten Analyse richtigerweise darauf hin, dass sich bereits hier am Werkbeginn die Gegensätzlichkeit von Flächigem (ausgehaltene Töne der Soloinstrumente, Glissandi der Bratschen) und Punktuellem (sff-Akzente) andeutet. Penderecki demonstriert nun die Variationskünste seiner Clustertechnik: unter den sirrenden, nicht genau fixierten höchsten Tönen von zehn Violinen glissandiert ein Cluster von sechs Kontrabässen abwärts, Flageolett mit schnellem Tremolo, col legno und sul ponticello, piano.

Heftigster Kontrast (nach Ziffer 3): ein Fortissimo-Cluster aller Streicher mit unregelmäßigen Bogenwechseln, darauf im Forte ein Cluster von zehn Geigen und acht Bratschen mit starkem Vibrato; überlappend setzen die zehn anderen Violinen einen Pianissimo-Cluster mit breit schwingendem, langsamem Vibrato hinzu. Penderecki färbt seine Klanggeräuschbänder also ständig verschieden ein, und zwar mittels dynamischer Wechsel, unterschiedlicher Artikulation durch variierte Spielvorschriften und verschiedener Tönung (Helligkeit) durch gegensätzliche Lagen. Von Ziffer 5 an werden die dichten Tontrauben aufgelockert, wozu in der Notation die traditionelle Schreibweise nützlicher ist und dementsprechend auch angewendet wird: die Tonhöhen sind nun einzeln genau fixiert, sogar metrisch ist jetzt eine klare Struktur (im 2/4-T,akt) vorgegeben, die eine rhythmisch wechselnde Aufteilung der Tondauern erlaubt. Die Differenzierung des Klanggeschehens, dessen Einzeltöne auch gezupft (pizz.) und geschlagen (legno battuto) werden, bricht also die Fläche wieder punktuell auf. Der Übergang vom A- zum B-Teil setzt bei Ziffer 14 ein: zum Streichorchester, teils in der eben beschriebenen Auflockerung, teils in lang ausgehaltenen Clusters, treten vorsichtig erste Schlaginstrumente hinzu, die Becken der Spieler 3, 5 und 4 in sukzessivem Einsatz, dann auch Tamtam und Gong des Spielers 6 - allesamt nicht mit akzentuiertem Schlag, sondern mit weichem Filzpaukenschlegel schnell wirbelnd (tremolierend) geschlagen.

So ergibt sich ein flächiger Klang, der sich gut mit den Streichern mischt. Diese Übergangsperiode der gegenseitigem Anpassungsversuche von Streichern und Schlagwerk endet nach Ziffer 21mit dem Ausscheiden der Streicher. Der nun einsetzende mittlere, also B-Teil des Werks für Schlaginstrumente- allein war somit klanglich gut vorbereitet worden; auch sein rhythmisch-metrisches Gefüge hat sich vom Einsatz der Becken an schon entwickelt. Der 2/4-Takt ist nun von jenen, vorhin angedeuteten mikrorhythmischen Verschachtelungen erfüllt, die in arithmetisch erklügelten Rotationen zwar errechnete Kunststücke sind (spiegelbildliche Anordnungen, rhythmischer Krebs etc.), aber in ihren vielfältigen Schichtungen doch statische Klangflächen ergeben - weil die Menge der gleichzeitig gespielten Schlag auf den Rand des Instruments rhythmischen Strukturen einzeln nicht mehr wahrgenommen werden kann. Die 2/4 sind stets aufgeteilt in vier Sechzehntel oder fünf Sechzehntel (Quintole) oder sechs Sechzehntel (Sextole).

Jedes Sechzehntel kann selbstverständlich auch durch Pausen ersetzt werden. Spielt ein Instrument nur den ersten Ton einer Quintole und pausiert dann bis Taktende, ein anderes Instrument dagegen pausiert in diesem Takt von Beginn und schlägt nur den letzten Ton der Quintole an, so haben wir - in einfachster Form - Grundrhythmus und rhythmischen Krebs. Hochkomplizierte Verzahnungen in den verschiedensten Aufeinanderfolgen von Grundrhythmus und Krebs kennzeichnen weite Teile dieses mittleren Schlagwerkabschnitts. Die rhythmische Komplexität dieses Teils kennzeichnet aber nur die eine Seite des kompositorischen Gestaltungsvorgangs. Die andere besteht in der eng zusammenhängenden Differenzierung von Dynamik und Klangfarben. Letztere werden nicht nur durch den Einsatz der verschiedensten Schlaginstrumente vielfältig erreicht, sondern auch durch die abwechslungsreiche Artikulation, also Spielweise: das Schlagen mit den Fingern (con dita) oder mit den verschiedensten Schlegeln an jeweils anderen Spielflächen oder Anschlagsstellen der Instrumente.

Als Symbole für die Spielvorschriften benutzt Penderecki in diesem Werk folgende: Der schon am Werkbeginn, also im Streicherteil festzustellende Gegensatz von flächigem und punktuellern Geschehen wird jetzt im Schlagzeugteil erst recht herausgearbeitet, und zwar parallel zur eben beschriebenen mikrorhythmischen Verdichtung: mit dem durch Summierung des lnstrumentariums hervorgerufenen Farbwechsel verändert sich der Klangzustand von den zum Flächenhaften neigenden Metallinstrumenten durch das Hinzutreten von Fellen und Holz mehr und mehr ins Punkthafte. Die Metallinstrumente (sechs Becken, Tamtam und Gong) waren - wie schon bemerkt - bereits im ausklingenden Streicherteil hinzugetreten (Ziffer 14ff.); ohne Streicher, also am Beginn des Mittelteils (Ziffer 22), klingen die weich geschlagenen Metallinstrumente nun weiter und werden zuerst durch die Klangfarben der Fellinstrumente ergänzt (Bongos, Tom-Toms und Pauken), dann bei den Ziffern 27/28 aufgesplittert durch Glocken und Holzinstrumente wie Röhrenholztrommeln, Xilorimba und Claves (zwei aufeinander zu schlagende Hartholzstäbe). Dieses rhythmisch, dynamisch und in der Klang-Geräusch-Artikulation so vielfältige wie differenzierte Geschehen hält bis Ziffer 37 an. Danach beginnen sechs Tom-Toms und vier Pauken fortissimo einen neuen Abschnitt, der bis Ziffer 74 allein Fell- und Metallinstrumenten vorbehalten bleibt. Zunächst flächig, von Liegetönen beherrscht, wird nur bei den Ziffern 40/41 eine neue punktuelle Schlagstruktur eingeführt, die dann erst von Ziffer 55 an von den Congas und Bongos als durchlaufendes rhythmisches Muster ausgebreitet wird (Sechzehntel als Quintolen und Sextolen), ergänzt von den dynamisch kontrastreichen Klangfeldern anderer Schlaginstrumente, übrigens bei wechselndem Tempo (Pfeile am unteren Partiturrand); alle sechs Schlagwerker sind beteiligt (Beispiel 9).

Von Ziffer 74 an wird das Fell- und Metallinstrumentarium mit seinen undefinierten Tonhöhen um neue Klangfarben bereichert, die das Geschehen mehr und mehr auf das Feld der festgelegten Tonhöhen hinübertragen: durch den Einsatz von Glockenspiel, Klavier, Harfe, Celesta, Vibraphon und Xilorimba. Diese Oberführung geht mit einer dynamischen Steigerung Hand in Hand, und folgerichtig treten (bei Ziffer 87) auch einzelne Streichinstrumente hinzu, verfremdet mit Schlageffekten: hier setzt die Übergangsphase zum Schlussteil des Werks ein (entsprechend der ersten Übergangsphase vom A- zum B-Teil, Ziffern 14 bis 21), jener unmerkliche Assimilierungsprozeß von Schlagzeug und Streichern, der für Penderecki ja die Grundidee dieser Komposition war. Gegen Ende der Übergangsphase (bei Ziffer 102) reduziert Penderecki das gemischte Instrumentarium nochmals, nimmt die Streicher, dann (bei Ziffer 104) auch Klavier, Celesta und Harfe wieder heraus und führt allein mit weichen Metallklängen nahtlos in den bei Ziffer 110 einsetzenden, abschließenden C-Teil hinüber, der aus einem engen Vierteltoncluster von zehn Violinen herauswächst: pppp mit verschieden starkem Vibrato. Weitere Streichercluster traten hinzu, plötzlich auch ff zu spielende Halbtonclusters. Die Korrespondenz zum A-Teil ist evident. Bei einem plötzlich wieder eintretenden Pianissimo (subito pp) geraten die Clusters nun aber in glissandierende Gegenbewegung.

Im insgesamt nur kurzen Schlussteil strebt Penderecki jetzt die Synthese von Flächen und Punkten, von Streichern und Schlagwerk an; doch dabei begnügt er sich nicht mit dem Prozess der Assimilierung von Klängen und Geräuschen, wie er ihn im Verlauf des Stücks bereits angedeutet hat, sondern überrascht nochmals mit einer neuen Kombination: über den aufwärts gleitenden, sich verflüchtigenden Streicherclusters und zu ausklingenden Tönen einiger Metallinstrumente (Glocken, Gong, Becken und Triangel) werden Holzstücke auf die Klaviersaiten im Flügel fallen gelassen, wird mit einem Jazzbesen tremolierend auf die Harfen- und auch Klaviersaiten geschlagen, während die allerletzten Aktionen der Pianist ganz alleine ausführt: nach einem zarten Schlag mit dem Paukenschlegel ins Innere des Flügels werden noch drei Saiten volltönend mit den Fingern angerissen. Dies ist eine unerwartete Finalgeste, der zuliebe Penderecki auf die ursprünglich noch für Schlagwerk und Streicher dazukomponierte Coda (Ziffern 117 bis 127) verzichtet hat. Anaklasis endet mit dem dreitönigen Pizzicato-Akkord des Klaviers so ungewöhnlich wie überraschend. Der Titel Anaklasis ist - überschaut man die Komposition - auf subtile Weise musikalisch erfüllt worden. Das Ganze erinnert wirklich vielfach an die Brechung des Lichts, von der der Titel spricht, an aufgeschlüsselte und wieder gebündelte Spektralfarben. Und wenn ein Analytiker die veränderte Strahlenbrechung im B-Teil mit den Worten beschreibt: "das gebrochene Licht beginnt zu flimmern", so weist das deutlich genug auf die Atmosphäre dieser Musik hin.

(zitiert aus: Wolfram Schwinger Penderecki - Leben und Werk, Mainz 1994)         2.Postmoderne   Beispiel. Lukaspassion   3. Neoromantik     Beispiele: Agnus Dei, Benediktus, Lacrimosa   Credo 1998 Die Berührungspunkte von geistlicher Musik und musikalischer Avantgarde sind in der zweiten Hälfte dieses nun zu Ende gehenden Jahrhunderts in Europa nicht häufig. Politisch bedingt gab es dafür im Osten andere Gründe als im Westen. Hier ist der mit dem Transzendenten und der Religion verbundene, traditionelle Formenkanon in Widerspruch zu einer sich emanzipatorisch verstehenden Tonkunst geraten.

Die nach vielfältiger Öffnung in die Welt strebende Theologie selbst (und ihre praktische Erscheinung in Form der kirchlichen Liturgie) hat sich wiederum schwergetan, eine Plattform für musikalisch neue, anspruchsvolle Perspektiven zur Verfügung zu stellen. Das Schwinden kirchlich-kultureller Milieus, die Aufhebung des religiösen Monopols der Konfessionen, ihr Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben und anderes mehr sind weitere Aspekte. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass mit Krzysztof Penderecki einer der prominentesten Musiker dieser Zeit einen Schwerpunkt seines weitgefächerten Schaffens bewusst und standhaft bei der Geistlichen Musik sieht. Zunächst verstand der polnische Komponist sein Einstehen für Glauben, Kirche und Katholizismus durchaus als Distanz zur kommunistischen Ideologie in seinem Land. Als der 1933 geborene Penderecki im Jahre 1960, bei den Donaueschinger Musiktagen, auch im Westen bekannt wurde, hatte er bereits die "Psalmen Davids" geschrieben und damit das Tabu gebrochen, das das herrschende Regime über jeglichen, in Polen besonders lebhaften Ausdruck des Religiösen verhängt hatte. "Threnos", das Klagelied für die Opfer von Hiroshima, war dagegen ein Werk mit politischer Dimension.

Dieses Stück für 52 Streicher wies in seiner neuartigen Klangsprache den Weg zu einer "Sprache nie da gewesenen Grauens", wie eine Kritik es beschrieb. 1967 komponierte Penderecki ein "Dies Irae" zum Gedächtnis der Opfer von Auschwitz. 1980 entstand, im Auftrage von Lech Walesa und der Gewerkschaft Solidarnosc, zur Enthüllung des Danziger Denkmals für die beim Aufstand 1970 ums Leben gekommenen Arbeiter das "Lacrymosa", Keimzelle des 1984 vollendeten "Polnischen Requiem". Bekenntnishaft stellte Penderecki erneut einen geistlichen Text in den Kontext einer konkreten gesellschaftlichen Situation. Im folgenden Jahr kam das "Te Deum" heraus, geschrieben zur Erhebung des Krakauer Kardinals Woytila auf den päpstlichen Stuhl in Rom. Der Journalist Detlef Gojowy, ein intimer Kenner der osteuropäischen Musikszene, erinnerte sich eindringlich dieser Aufführung "inmitten des hungernden Landes als eines glühenden Symbols der Hoffnung und der ungebrochenen christlichen Beziehung und europäischen Latinität dieser westslawischen Kultur; der 'Warschauer Herbst' wurde danach zu einer Art Gottesdienst.

Drei Monate später wurde das Kriegsrecht verhängt..." Solange Penderecki Geistliche Musik in Opposition oder zumindest Distanz zum heimatlichen Regime schrieb und verstand, wurde dies auch im Westen als nationale Spielart zeitgenössischen Komponierens akzeptiert. Mit dieser Haltung begegnete man Werken wie etwa dem "Stabat mater" für Chor a-cappella von 1962, der Lukas-Passion (1966), den beiden sich mit dem österlichen Geschehen befassenden "Utrenja"-Kompositionen der frühen siebziger Jahre, dem "Magnificat" zur 1200-Jahrfeier des Salzburger Domes 1974 und der 1978 in Chicago herausgebrachten Oper "Paradise Lost". Mit solchen, oft spektakulären Werken hatte sich Penderecki den Rang des bekanntesten polnischen Komponisten erworben.

Vielen galt er als Aushängeschild einer eigenständigen, nationalen Musik. In dem Maße, wie die polnische Kultur sich nun von der staatlichen Bevormundung befreien konnte, mischten sich in die Zustimmung zu Pendereckis Ästhetik jedoch kritische Untertöne. Der Komponist wollte die Haltung der westlichen Avantgarde, Befreiung zwanghaft auch als Ablösung von Religion und geistlichen Inhalten, aber auch von vermeintlich überkommenen, tonalen Ausdrucksformen zu empfinden, nicht ohne weiteres mitvollziehen. Mehr noch: ebenso mutig und unzeitgemäß kehrte sich Penderecki selbst vom Mainstream der Avantgarde ab. Er bezeichnet sich heute als Komponist des Fin de siècle, als einer, der eine Synthese des in diesem Jahrhundert Versuchten anstrebt. Für Penderecki ist, nach den Erfahrungen der Avantgarde seit der Schönberg-Schule, das tonale System noch längst nicht erschöpft.

Damit sah er sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, ein Eklektizist zu sein. Vehement stellte sich Penderecki dem entgegen: "Ich wehre mich als Komponist einfach dagegen, dass die Musik immer komplizierter wird. Es wird immer Verstiegeneres ausprobiert und immer differenzierter experimentiert. Tatsächlich aber geht es in der Musik - wie in der ganzen Kulturgeschichte - zickzack. Mal kommt eine Rückbesinnung, dann treten neue Schulen auf den Plan und stoßen alles um , dann schließt sich wieder eine Zeit des Rückgriffs auf Traditionen an. In genau diesem Rhythmus arbeite ich auch" bekannte er zuerst 1987 in einem "Spiegel"-Interview.

Im Vorfeld der "Credo"-Uraufführung bekräftigte Penderecki erneut das Recht eines jeden Komponisten, einen eigenen Weg zu finden und zu gehen. "Ich habe mich entschieden, eine Sprache zu finden, die jedermann als meine, unverwechselbare erkennen kann. Dazu gehören Elemente der Vergangenheit, der fünfziger Jahre, die Fortsetzung der Vergangenheit, auch die von Stücken gleichen oder ähnlichen Inhalts". In dieser Haltung sieht sich Penderecki als neue Avantgarde. Er hat damit auch Erfolg, wie im Jahre 1997 das Oratorium "Die sieben Tore von Jerusalem" zur Feier der dreitausendjährigen Stadt Jerusalem zeigte oder die Aufführung und Einspielung seines neuen Violinkonzerts durch Anne-Sophie Mutter. Die Dialektik des Fortschritts muss sich am Ende ihres Jahrhunderts damit auseinandersetzen, dass Fortschritt an sich ebenfalls den Gesetzmäßigkeiten der Tradition unterliegt.

Er hat diese in Frage gestellt und steht nun, selbst nun Tradition geworden, seinerseits auf dem ästhetischen Prüfstand. Das "Credo" ist Ausdruck der langjährigen Freundschaft Krzysztof Pendereckis mit dem Dirigenten und Leiter der Internationalen Bachakademie Stuttgart, Helmuth Rilling. Schon früh hatten Rilling und die von ihm gegründete Gächinger Kantorei das "Stabat mater" im Repertoire. Persönlich lernten sich Rilling und Penderecki 1983 in Philadelphia kennen. Damals verabredeten sie, im Jahre 1986 an der Krakauer Musikhochschule, deren Direktor Penderecki seit 1972 war, eine Bach-Akademie durchzuführen - die erste Veranstaltung dieser Art in Osteuropa, der mittlerweile viele weitere gefolgt sind. Bereits damals ermunterte Rilling den Komponisten, ein neues geistliches Werk zu schreiben.

Gedacht war an ein Weihnachts-Oratorium, dann an eine weitere "Stabat mater"-Vertonung, schließlich, auf Pendereckis Vorschlag, an die Komposition einer Messe, mithin eines Werkes, dessen Text seit Jahrhunderten im Zentrum der geistlichen Musik steht und, im Hinblick auf die Tradition, eine besondere Herausforderung darstellt. Zusammen mit der Internationalen Bachakademie Stuttgart gab das ebenfalls von Rilling gegründete "Oregon Bach Festival" dieses Werk schließlich in Auftrag. Im Dezember 1996 begann Penderecki mit ersten Skizzen. Kyrie, Gloria, Sanctus und Agnus Dei entwerfend hatte er, so erinnert sich der Komponist, stets das "Credo" im Kopf, den wichtigsten, umfangreichsten und schwierigsten Text der Liturgie. Um diesen Text zu vertonen, so Penderecki, müsse man sich auch mit seinem persönlichen Glauben auseinandersetzen. So kam er darauf, hier zusätzliche Texte aus der Liturgie der Karwoche und des Osterfestes einzufügen.

Diese Ausweitung bewog ihn schließlich dazu, den Plan einer kompletten Messe auf die Komposition eines Glaubensbekenntnis zu reduzieren. "Alle Ideen, die ich für die gesamte Messe hatte, habe ich nun im Credo verarbeitet, und es ist ein abendfüllendes Werk geworden, das alleine steht und zu dem ich auch nichts mehr hinzufügen werde" schrieb Penderecki im Mai 1998, gut zwei Monate vor der Uraufführung, an Rilling. Dem schöpferische Prozess unterzog sich der vielbeschäftigte Komponist und Dirigent während zahlreicher Reisen und Aufenthalten an verschiedenen Plätzen, etwa in Puerto Rico, Skandinavien, der Schweiz und zu Hause in Krakau. Diesen etwas unsteten Bedingungen gewinnt Penderecki durchaus Positives ab: "Auf Reisen gewinnt man ständig neue Erfahrungen, auch in der Arbeit mit anderen Orchestern und anderer Musik". Fertiggestellt wurde diese vielleicht umfangreichste und vielschichtigste "Credo"-Vertonung der Musikgeschichte in Eugene, am amerikanischen "Independance Day", dem 4. Juli, uraufgeführt eine Woche später am gleichen Ort im Rahmen des Oregon Bach Festival.

Penderecki widmete das Werk Helmuth Rilling zum 65. Geburtstag. Die instrumentale und vokale Besetzung des "Credo" ist, der zentralen Stellung dieses Textes in der Liturgie angemessen, sehr umfangreich. Die Streicher sind stellenweise geteilt, Holz- und Blechbläser vollständig, zum Teil vierfach, der Schlagzeugapparat vielfältig besetzt. Dazu kommen Klavier, Orgel, Celesta, Harfen und Kirchenglocken (Campane da chiesa) sowie im Raum verteilte Bläser (Penderecki schreibt "nella sala"). Zu den fünf Vokalsolisten tritt ein großer, gemischter, in den Stimmen bisweilen mehrfach geteilter Chor und ein Knabenchor ("ragazzi").

Diesen Apparat nutzt Penderecki nicht zu monströsen Klangwirkungen. Er verwendet ihn vielmehr im Sinne klangfarblicher Differenzierung, verteilter Rollen zum Ausdruck des Textes und formal nachvollziehbarer Gestaltung. Der virtuose und souveräne Umgang mit diesen Mitteln verrät die große Erfahrung des Dirigenten Penderecki mit solchen Apparaten. Der liturgische Text des Glaubensbekenntnisses wird vollständig vertont. Hinzu treten folgende Texte: Die Improperien "Crux fidelis" und "Popule meus" aus der Karfreitagsliturgie in lateinischer, letztere auch in polnischer Sprache; die Osterhymnen "Pange lingua gloriosi" und "Haec dies", das lateinische " Salva festa dies", eine Strophe des polnischen Passionsliedes " Którys za nas cierpial rany", eine Zeile des Liedes "Aus tiefer Not schrei ich zu dir" (Luthers Nachdichtung des Psalms 130) in deutscher Sprache sowie, wieder in lateinischer Sprache, ein Text aus der Offenbarung. Penderecki gliedert das Stück in fünf Abschnitte.

Er gewinnt damit eine gewisse Symmetrie mit dem "Crucifixus" im Zentrum. Die anderen Abschnitte beginnen mit den Textzeilen "Qui propter nos homines" (Nr. 2), "Et resurrexit" (Nr. 4), "Et in spiritum sanctum" (Nr. 5) sowie mit dem "Credo in unum Deum" zum Auftakt des ganzen Stückes. Diese bewusst gesetzten Zäsuren ermöglichen dem Komponisten, Schwerpunkte zu setzen.

Kreuzigung, Auferstehung und der Glaube an das Pfingstwunder lenken jedoch den Blick um so schärfer zurück auf den zweiten Abschnitt. Hier legen der Text und sein Komponist Wert darauf, zu betonen, das Wirken Christi in der Welt sei um des Menschen willen geschehen. Dies entspräche genau dem, was Penderecki gelegentlich über seinen Glauben auch an den Menschen und dessen guten Willen sagt. Weitere, frei gewählte Texte zum kanonisch-traditionellen hinzuzufügen oder musikalische Zitate in die Musik zu verarbeiten hat Tradition in der abendländischen geistlichen Musik. Stets drückt diese Technik eine Art Kommentar aus, auch eine Vertiefung und persönliche Perspektive der jeweiligen Aussage. Penderecki, der gerne von der Mitte eines Stücks aus zu komponieren beginnt, konzentriert sich dabei auf das "Crucifixus".

Dieser "Adagio" überschriebene Abschnitt beginnt mit markant angeblasenen Haltetönen, einem Alt-Solo und den syllabisch vom Chor deklamierten ersten Textworten. Die Kinder singen das "Crux fidelis", der Solo-Bassist führt das Crucifixus in die Tiefe. Diese Elemente weiten sich aus in ein Chor- und Orchestertutti auf den gleichen Text. Während die Stimmen in die Höhe streben, weist der Orchestersatz eher nach unten, eine kreuzartige Bewegung also, die auf die Worte "passus et sepultus est" verhalten fortgesetzt wird. An dieser Stelle - Penderecki schreibt die nicht zu vertonenden Worte "Crucem tuam adoramus Domine" in die Partitur - reduziert sich der Orchestersatz auf Horn und geteilte Celli; im Rhythmus eines Trauermarsches treten die Streicher hinzu, Klarinette und 1. Violine deuten den Melodieverlauf des "Aus tiefer Not" mit dem charakteristischen Quintsprung an.

Hier hinein beginnen die Kinder das polnische Passionslied zu singen, das anklagende "Popule meus" tritt tutti in den Vordergrund und leitet über in das vom Alt-Solo vorgetragene "Pange Lingua". Dazu erklingen im Streichersatz und von der Saaltrompete geblasen Motive im gregorianischen Habitus. Alle Singstimmen verweben dieses Muster choralartig zu einer harmonischen Klangfläche, in der das Passionslied, das "Ludu, moj ludu, cozem ci uczynil" (Popule meus) sowie die Zeile "Aus tiefer Not" miteinander kontrapunktisch verknüpft werden. Über den dreimaligen Aufschrei "Popule meus", ein instrumentales Intermezzo von Klarinette und Celli kommt der Abschnitt in chromatischen Abwärtsschritten schließlich zur Ruhe. Das "Et resurrexit" beginnt dagegen "Vivace" in perkussivem Rhythmus. Zwei instrumentale Intermezzi gliedern diesen in seinen vokalen Ausdruckstechniken vielfältigen Abschnitt: "Ascendit in coelum" strebt in die Höhen des Chorsoprans, "Et iterum venturus est" wird tonlos, "misterioso" deklamiert, während die Grenzenlosigkeit "mon erit finis" sich in einer clusterartigen Klangballung manifestiert.

Aus ihr heraus bläst die Soloposaune zum höchst erregt vom Tenorsolisten vorgetragenen Texteinschub aus der Offenbarung. In einem geheimnisvollen Klanggeflecht künden diese Worte von der ewigen Herrschaft. Der fünfte Abschnitt greift thematisch auf Formen und Material des ersten Teils zurück. Textabschnitte wie das dynamische "factorem coeli et terrae", das bekenntnishaft a-cappella vorgetragene "Confiteor" oder der "senza misura, quasi una litania" zu stammelnde Glaube an die Vergebung der Sünden tragen den gleichen abbildhaften Charakter wie zuvor, im ersten Teil, das Hervorbrechen des Lichts ("lumen de lumine") oder die aufstrebende Beschreibung des Schöpfungsaktes ("omnia facta sunt"). Diese Gliederung unterstützen wiederum Instrumentalintermezzi - hier des eigentümlichen Schlaginstrumentes "Boo-Bam", sowie Formen des Wechsels von Chor und Solisten. Eine formale Klammer bildet vor allem die verschiedentlich wiederkehrende, gregorianisch anmutende "Credo"-Intonation des Beginns.

Dieses zuletzt von der Saaltrompete gespielte Motiv kontrastiert die "Alleluja!-Akklamationen des Chores; schließlich sind es ebenfalls die Saaltrompeten, die in die mächtige Quinte des Schlußakkordes hinein die Terz "fis" blasen und das Stück so in verhallendem D-Dur zu Ende bringen. Im zweiten Abschnitt führt Penderecki deutlich die Zeilen "Et incarnatus est" und "Qui propter nos homines" zusammen. Auch hierzu nutzt er verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten: chromatisches Um-sich-selbst-Kreisen des Chores a-cappella, meditative Instrumentalzwischenspiele, kantabel reflektierende Melodik und bekräftigende Orgelpunkte unter bisweilen heiterer, gewißhafter Textdeklamation. Nach der Fertigstellung des "Credo" am 4. Juli 1998 hat der Komponist sein Stück wiederholt ein "Independance Day-Credo" bezeichnet. Das mag er scherzhaft gemeint haben.

Die am amerikanischen Unabhängigkeitstag gefeierten humanen Werte treffen aber ins Zentrum der geistlichen, ihr zeitgeistiges Umfeld stets kritisch befragenden Musik Krzysztof Pendereckis. Der Einführungstext von Dr. Andreas Bomba ist ein Originalbeitrag zum Programmheft der deutschen Erstaufführung in Stuttgart. © 1998 IBA / ab Reproduktionen aus: Wolfram Schwinger, Krzysztof Penderecki. Begegnungen, Lebensdaten, Werkkommentare, Mainz 1994 Quelle: https://www.bachakademie.

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