Jazz, musik, die um 1900 von den nachkommen der sklaven in den südstaaten der usa entwickelt wurde
J A Z ZJazz, Musik, die um 1900 von den Nachkommen der Sklaven in den Südstaaten der USA entwickelt wurde. Der Jazz entstand aus der Berührung zweier unterschiedlicher Kulturen: der europäisch-amerikanischen einerseits und der afrikanischen anderseits. Seine Elemente stammen sowohl aus der schwarzen als auch aus der weißen europäischen Musik.
STILMERKMALE
Seit den Anfängen des Jazz hat diese Musik so viele unterschiedliche Stile entwickelt und sich so stark verändert, daß keine allgemeine Beschreibung allen Stilen gerecht wird. Dennoch gibt es einige Charakteristika, die für alle Ausprägungen des Jazz gelten, wobei es auch hier wiederum Ausnahmen gibt.
In der Regel improvisiert der Jazzmusiker innerhalb der Konventionen, die durch die ausgeübte Stilrichtung vorgegeben sind.
Die Improvisation wird normalerweise durch ein sich wiederholendes Akkordschema begleitet. Der Instrumentalist ahmt den Gesangsstil der schwarzen Musik nach, z. B. durch Glissandi und absichtlich unsauber intonierte Töne, Tonhöhenveränderungen wie den Blue notes (Töne auf der erniedrigten 7. und 3. Stufe der Durtonleiter und – seltener – auf der 5.
Stufe der Molltonleiter, die für die gesamte Jazzmelodik und -harmonik charakteristisch sind) und Toneffekte wie Growls (instrumentale Nachahmungen der sogenannten Dirty Tones, der “schmutzigen Töne”) und Wails.
Um ein individuelles Klanggewebe zu erzielen (ein eigenständiges Verständnis von Rhythmus und Form und einen individuellen Aufführungsstil), spielt der Musiker einen Rhythmus, der durch das typische geringfügige Vor- und Nachverlagern der Töne, den Off Beat, gekennzeichnet ist. Er verleiht der Musik durch den typischen “Swing” eine federnde und entspannte Qualität. Partituren dienen nur als Richtlinien, die ein gewisses Grundgerüst für die Improvisation durch die Soloinstrumente vorgeben.
Die Standardbesetzung einer Jazz-Combo war in den Anfängen dieser Musik, dem New-Orleans-Stil (um 1900 bis etwa 1930), folgende: Klavier, Baß, Schlagzeug und eventuell Gitarre oder Banjo als Rhythmusgruppe, Kornett oder Trompete, Klarinette und Posaune als Melodiegruppe. In den Big Bands des Swing der dreißiger Jahre waren die Bläser in folgende Gruppen unterteilt: Saxophone, Posaunen und Trompeten.
Die Jazzimprovisation bedient sich zahlreicher Stücke mit höchst unterschiedlichem formalen Aufbau. Zwei formale Muster erscheinen besonders häufig: Das erste ist die allgemeine Liedform AABA, die in der Regel aus 32 Takten (im -Takt) besteht, die in vier 8taktige Abschnitte unterteilt sind. Die zweite vorherrschende Form, die tief in der afrikanischen Volksmusik verwurzelt ist, ist die 12taktige Bluesform. Im Gegensatz zur 32taktigen AABA-Form haben Bluessongs ein relativ feststehendes Akkordschema.
URSPRÜNGE
Der Jazz hat seine Ursprünge in der Mischung aus unterschiedlichen Musiktraditionen der als Sklaven nach Amerika deportieren Schwarzen. Wesentliche Elemente stammen aus der westafrikanischen Volksmusik, den Volksmusikformen der Schwarzen, die sich in den europäischen Kolonien auf amerikanischem Boden entwickelten, sowie der europäischen Volksmusik und Kunstmusik des 18.
und 19. Jahrhunderts. Aus der afrikanischen Musiktradition flossen Gesangsstile ein, die dem Sänger einen großen Freiraum für stimmlichen Ausdruck ließen, sowie die Tradition der Improvisation, das Frage-und-Antwort-Schema (Call-and-Response) sowie die rhythmische Komplexität (Synkopierung der einzelnen Melodielinien und gegensätzliche Rhythmen, die von unterschiedlichen Instrumentalisten des Ensembles gespielt wurden). Andere prägende Formen aus der afroamerikanischen Musik waren Worksongs und andere rhythmische Arbeitslieder der Sklaven sowie Wiegenlieder und später die Spirituals (religiöse Gesänge) und der Blues (weltliche Tradition).
Aus der europäischen Musik gelangten nicht nur bestimmte Stile und Formen in die Urformen des Jazz (Hymnen, Märsche, Tanz- und Volksmusik), sondern auch theoretische Elemente, besonders die Harmonie, sowohl als Reservoir an Akkorden als auch als Ordnungsprinzip, das bestimmte musikalische Formen bedingt.
In der Anfangszeit des Jazz spielten die Musiker ausschließlich ohne Noten.
Um 1910 brach der Orchesterleiter W. C. Handy mit der bis dahin rein mündlichen Tradition des Blues und veröffentlichte seine ersten Bluessongs (Seine Stücke waren bei Jazzmusikern besonders beliebt, und ihre vielleicht beste Interpretin fanden sie später in der Bluessängerin Bessie Smith, die in den zwanziger Jahren zahlreiche seiner Songs aufnahm).
GESCHICHTE
In seinen Anfängen wurde der Jazz von kleinen Blaskapellen oder Solopianisten gespielt. Zum Repertoire gehörten neben Ragtime und Märschen Hymnen, Spirituals und Blues, die als Unterhaltungsmusik für Picknicks, Hochzeiten, Paraden, Beerdigungen und sonstige Veranstaltungen dienten. Normalerweise wurden bei Beerdigungen auf dem Weg zum Friedhof Trauerlieder gespielt, auf dem Rückweg fröhliche Märsche.
Blues und Ragtime waren unabhängig vom Jazz entstanden und existierten neben dieser Gattung. Sie beeinflußten jedoch Stil und Formen des Jazz und lieferten ihm die Stilmittel für die Improvisation.
NEW-ORLEANS-JAZZ
Ende des 19. Jahrhunderts verschmolzen die verschiedenartigen Einflüsse zum ersten vollausgebildeten Stil des Jazz, nach dem Ort seiner Entstehung New-Orleans-Jazz genannt. Hier wurde die Melodie vom Kornett oder von der Trompete getragen, während die Klarinette reich verzierte Gegenmelodien und die Posaune rhythmische Slides spielte und die Grundtöne der Akkorde und Harmonien vorgab. Tuba oder Kontrabaß legten unter diese Standard-Dreiergruppe eine Baßlinie, das Schlagzeug lieferte den Rhythmus.
Vitalität und Lautstärke waren wichtiger als musikalische Feinheiten, und die Improvisation wurde von mehreren Stimmen des Ensembles durchgeführt (Gruppenimprovisation).
Der legendäre Kornettist Buddy Bolden leitete einige der ersten Jazzbands, von denen jedoch nur noch wenige Beispiele überliefert sind. Frühe Musikaufzeichnungen zeigen zwar den Einfluß des Jazz auf die damalige Musik, doch machte erst im Jahr 1917 die erste wirkliche Jazzband eine Musikaufnahme. Diese Jazzgruppe, die “Original Dixieland Jazz Band”, eine Gruppe aus weißen Musikern aus New Orleans, erregte in den USA und der ganzen Welt mit ihrer Musik Aufsehen. Ein neuer Stil war geboren: der Dixieland-Jazz der Weißen aus dem Süden der USA. Damit zeigte sich jedoch auch zum ersten Mal ein Prozeß, der später für die Geschichte des Jazz typisch werden sollte: Nachdem schwarze Musiker neue Stile entwickelt hatten, wurden sie von Weißen dem Geschmack eines breiteren Publikums angepaßt und anschließend kommerziell verwertet.
Nach dieser Gruppe wurden zwei weitere Bands berühmt: die “New Orleans Rhythm Kings” (1922) und die “Creole Jazz Band” (1923, unter der Leitung des stilbestimmenden Kornettisten King Oliver). Die Aufnahmen von King Oliver und seiner Band sind die bedeutendsten Beispiele im New-Orleans-Stil. Andere führende Musiker aus New Orleans waren die Trompeter Bunk Johnson und Freddie Keppard, der Sopransaxophonist Sidney Bechet, der Schlagzeuger Warren “Baby” Dodds und der Pianist und Komponist Jelly Roll Morton. Zu einer der einflußreichsten Persönlichkeiten des Jazz sollte später jedoch King Olivers zweiter Trompeter Louis Armstrong werden.
LOUIS ARMSTRONG UND SEIN EINFLUß
Der erste echte virtuose Solist des Jazz, Louis Armstrong, war ein atemberaubender Improvisator, sowohl in technischer als auch in emotionaler und intellektueller Hinsicht. Er veränderte das Bild des Jazz entscheidend, indem er den Solisten in den Mittelpunkt rückte.
Seine Bands, die “Hot Five” und die “Hot Seven”, demonstrierten, daß Jazzimprovisation weit über die einfache Ausschmückung der Melodie hinausgehen konnte (Armstrong schuf auf Basis der Akkorde der ursprünglichen Melodie neue Melodien). Er setzte den Maßstab für alle späteren Jazzsänger, nicht nur durch die Art, in der er Wörter und Melodien abwandelte, sondern auch durch den sogenannten Scat-Gesang (das Singen von improvisierten Silben und Lauten, oft als rhythmische und ausdrucksmäßige Nachahmung eines Instruments).
CHICAGO UND NEW YORK CITY
Die zwanziger Jahre bedeuteten für den Jazz eine Zeit der Experimente und Entdeckungen. In dieser Periode der wachsenden Industrialisierung wanderten mit den Schwarzen aus den ländlichen Bezirken des Südens zahlreiche New-Orleans-Musiker nach Chicago, wo sie die dortige Musik prägten und zur Entwicklung des (ebenfalls weißen) Chicago-Stiles beitrugen. Bei diesem Stil, der seine Wurzeln im New-Orleans-Jazz hat, stand der Solomusiker im Vordergrund; die Besetzung wurde meist durch ein Saxophon ergänzt, und man spielte in der Regel spannungsreichere Rhythmen und kompliziertere Klangstrukturen. Zu den wichtigsten Musikern in Chicago gehörten der Posaunist Jack Teagarden, der Banjospieler Eddie Condon, der Schlagzeuger Gene Krupa und der Klarinettist Benny Goodman.
Ebenfalls in Chicago wirkte der deutschstämmige Trompeter Bix Beiderbecke, dessen lyrische Ader beim Spielen des Kornetts Armstrongs Trompetenstil konstrastierte. Viele Chicagoer Musiker zog es schließlich nach New York City, das in den zwanziger Jahren ein weiteres bedeutendes Zentrum des Jazz war.
JAZZKLAVIER
Einen wichtigen Beitrag zum Wandel des Jazz in den zwanziger Jahren leistete die Klaviermusik. Der New Yorker Bezirk Harlem wurde zum Mittelpunkt des sehr technischen, treibenden Solostiles mit der Bezeichnung Stride Piano (englisch stride: schnell und mit großen Schritten gehen). Meisterhaft zum Ausdruck brachten ihn Anfang der zwanziger Jahre James P. Johnson und sein Protegé Fats Waller, ein talentierter Sänger und Unterhalter, der einer seiner berühmtesten Vertreter wurde.
Zur gleichen Zeit entstand ein weiterer Klavierstil, der Boogie-Woogie, eine auf dem Klavier gespielte Bluesform. Dabei spielt die linke Hand ein kurzes, scharf akzentuiertes Baßmuster in endlosen Wiederholungen, während die rechte Hand frei spielt, ohne sich an einen bestimmten Rhythmus zu halten. Besondere Beliebtheit errang der Boogie-Woogie in den dreißiger und vierziger Jahren. Zu den führenden Pianisten dieser Richtung gehörten Meade Lux Lewis, Albert Ammons, Pete Johnson und Pine Top Smith.
Der innovativste Pianist der zwanziger Jahre, ähnlich einflußreich wie Louis Armstrong und Mitwirkender bei einigen der besten Aufnahmen Armstrongs, war Earl “Fatha” Hines. Sein Stil, zusammen mit dem eleganteren Ansatz von Waller, prägte fast alle Pianisten der nächsten Generation, besonders Teddy Wilson, der in den dreißiger Jahren in Benny Goodmans Band spielte, und Art Tatum, der meist als Solist auftrat und wegen seiner atemberaubenden Virtuosität geschätzt wurde.
DIE ÄRA DER BIG BANDS
Ebenfalls in den zwanziger Jahren taten sich große Gruppen von Jazzmusikern nach dem Modell der Gesellschaftstanzorchester zusammen, woraus die sogenannten Big Bands entstanden. Sie leiteten das Zeitalter des Swing ein und erlebten ihre Blütezeit in den dreißiger und zu Beginn der vierziger Jahre. Der Swing errang als erster Jazzstil weltweit riesige kommerzielle Erfolge (wenn auch zunächst fast ausschließlich als weißer Stil) und machte den Jazz “gesellschaftsfähig”. Im Swing rückten die afrikanischen Elemente des Jazz weiter in den Hintergrund. Eine der wichtigsten Neuerungen hierbei war ein rhythmischer Wandel: Der Zweier-Rhythmus des New-Orleans-Jazz wurde geglättet und zu einem fließenderen Vierer-Rhythmus geformt, bei dem alle vier Taktschläge gleichmäßig betont wurden. Außerdem bürgerten sich kurze melodische Muster, die sogenannten Riffs, ein, die im Call-and-Response-Schema gespielt wurden.
Dazu teilte man das Orchester in Instrumentalgruppen auf, von denen jede ein eigenes Riff spielte und den einzelnen Musikern breiten Spielraum für ausgedehnte Soli ließ.
Die Entwicklung der Big Band als Jazzorchester war größtenteils ein Verdienst von Duke Ellington und Fletcher Henderson. Henderson und sein Arrangeur Don Redman führten geschriebene Partituren in der Jazzmusik ein, versuchten aber gleichzeitig, die lebendige Ausstrahlung der Improvisation zu bewahren, welche die Musik kleinerer Ensembles kennzeichnete. Diese Lebendigkeit blieb nicht zuletzt durch so begabte Solisten wie den Tenorsaxophonisten Coleman Hawkins erhalten.
Duke Ellington leitete während der zwanziger Jahre bis zu seinem Tod im Jahr 1974 eine Band im Cotton Club in New York. Er komponierte sehr unterschiedliche experimentelle Stücke mit einer Dauer zwischen drei Minuten (Koko, 1940) bis zu einer Stunde (Black, Brown, and Beige, 1943, sowie Solitude und Sophisticated Lady).
Ellingtons Musik war komplexer als die Hendersons, und sie fügte das Orchester zu einem geschlossenen Ensemble zusammen. Andere Orchester in der Tradition von Ellington und Henderson wurden von Jimmie Lunceford, Chick Webb und Cab Calloway geleitet.
In Kansas City entwickelte sich Mitte der dreißiger Jahre mit dem Orchester von Count Basie eine eigene Variante des Big-Band-Jazz. Dieses Orchester spiegelte die im Südwesten bevorzugte Betonung der Improvisation wider, bei der die geschriebenen Partien relativ kurz und einfach gehalten waren. Die Bläser seines Orchesters tauschten die Riffs in einer freien, stark rhythmusbetonten Interaktion miteinander aus, wobei genügend Pausen für die ausgedehnten Instrumentalsoli blieben. Besonders Count Basies Tenorsaxophonist Lester Young spielte mit einer bis dahin kaum gekannten rhythmischen Freiheit.
Sein feinfühliger Stil und seine langen, fließenden Melodien, aufgelockert durch gelegentliches Hupen oder Glucksen, öffneten dem Jazz eine neue Dimension, ähnlich wie es Armstrong mit seinem Stil in den zwanziger Jahren getan hatte.
Weitere stilbestimmende Figuren der ausgehenden dreißiger Jahre waren der Trompeter Roy Eldridge, der E-Gitarrist Charlie Christian, der Schlagzeuger Kenny Clarke und der Vibraphonist Lionel Hampton. Jazzgesang gewann zu dieser Zeit enorm an Bedeutung. Berühmte Jazzinterpretinnen waren Ivie Anderson, Mildred Bailey, Ella Fitzgerald und vor allem Billie Holiday.
WECHSELWIRKUNG MIT POPULÄRER UNTERHALTUNGSMUSIK UND KLASSIK
Die Pionierarbeit von Armstrong, Ellington, Henderson und anderen machten den Jazz zu einer einflußreichen Kraft in der amerikanischen Musik der zwanziger und dreißiger Jahre. Populäre Musiker wie der Orchesterleiter Paul Whiteman flochten einige der einfacheren rhythmischen und melodischen Formen des Jazz in ihre Musik ein.
Whitemans Orchester versuchte eine Verschmelzung mit leichter klassischer Musik und führte in diesem Bereich als erster verjazzte sinfonische Werke amerikanischer Komponisten auf (z. B. George Gershwins Rhapsody in Blue). Der so entstandene “Symphonic Jazz” gehörte aber weniger zum Jazz als zur populären Unterhaltungsmusik. Näher an der authentischen Jazztradition der Improvisation und des virtuosen Solos lag die Musik der Bands von Benny Goodman (der zahlreiche Arrangements von Henderson verwendete), Gene Krupa und Harry James.
Seit den frühen Tagen des Ragtime hatten Jazzkomponisten die Klassik bewundert.
Eine Reihe von Musikern der Swingära verjazzten klassische Werke in Aufnahmen wie Bach Goes to Town (Benny Goodman) und Ebony Rhapsody (Ellington und andere) und machten dadurch den “Baroque Jazz” populär. Auch die klassische Musik erwies dem Jazz ihre Reverenz, z. B. in Werken wie Contrasts (1938, für Benny Goodman) von Béla Bartók und Ebony Concerto (1945, für Woody Herman’s Jazz-Band) von Igor Strawinsky. Auch andere Komponisten ließen sich bei ihren Werken vom Jazz inspirieren, so etwa Aaron Copland und Darius Milhaud.
VIERZIGER JAHRE UND NACHKRIEGSZEIT
Der herausragende Jazzmusiker der vierziger Jahre war Charlie Parker, der Wegbereiter eines neuen Stiles, des Bebop (auch Rebop oder Bop).
Wie Lester Young, Charlie Christian und andere exzellente Solisten hatte Parker lange Zeit in Big Bands gespielt. Während des 2. Weltkrieges jedoch litten viele Bands unter den schlechten wirtschaftlichen Bedingungen. Dies und der Wandel im Publikumsgeschmack trieben viele Orchester in den Ruin. Der Niedergang der großen Bands und der Aufstieg des Bebop, eines radikal neuen Stiles, als Reaktion auf den kommerzialisierten Swing kam einer Revolution in der Welt des Jazz gleich.
Bebop wurzelte zwar noch im Prinzip der Improvisation über ein Akkordschema, charakteristisch für diesen Stil waren jedoch schnelle Läufe, hektische Melodiesprünge und komplizierte Harmonien.
Der Bebop war also zunächst eine “Musik für Musiker”, d. h. die Künstler bemühten sich nicht, dem Geschmack eines breiten Publikums gerecht zu werden.
Treibende Kraft dieser Bewegung war Charlie Parker, der auf dem Saxophon jede nur vorstellbare Melodie in beliebiger Geschwindigkeit und Tonart spielen konnte. Seine wunderschönen Melodien verwoben sich auf nie dagewesene Weise mit den zugrundeliegenden Akkorden, seine Musik besaß eine schier endlose rhythmische Vielfalt. Häufige Zusammenarbeit verband Parker mit dem Trompeter Dizzy Gillespie, der für seine unglaubliche Virtuosität, die Bandbreite seines emotionalen Ausdrucks und seine kühnen Harmonien berühmt war, sowie mit dem Pianisten Earl “Bud” Powell und dem Schlagzeuger Max Roach.
Weitere führende Persönlichkeiten des Bebop waren der Pianist und Komponist Thelonious Monk und der Trompeter Fats Navarro. In den Kreisen der Bop-Musiker, vor allem um Gillespie und Parker, bewegte sich auch die Jazzsängerin Sarah Vaughan.
Ende der vierziger Jahre erlebte der Jazz eine wahre Explosion an Experimenten. Modernisierte Big Bands unter Gillespie und Stan Kenton existierten neben kleinen Gruppen innovativer Musiker, wie dem Pianisten Lennie Tristano. Diese kleinen Ensembles schöpften intensiv aus den Werken zeitgenössischer Komponisten wie Bartók und Strawinsky.
Eines der bahnbrechendsten Experimente mit klassisch inspiriertem Jazz waren die Aufnahmen, die 1949/1950 von einer ungewöhnlichen neunköpfigen Gruppe um einen Protegé von Charlie Parker, den jungen Trompeter Miles Davis, gemacht wurden.
Die von Davis und anderen geschriebenen Arrangements begründeten den neuen Stil des Cool Jazz. Diese Musik war zugleich weich und äußerst komplex. Entspannte Melodiebögen wurden von sparsam eingesetzter Schlagzeugbegleitung akzentuiert, man spielte mit wenig Vibrato und verhaltener, kühler Tongebung. Zahlreiche Ensembles übernahmen den Cool Jazz. Das Interesse daran verlagerte sich in den fünfziger Jahren vorübergehend an die amerikanische Westküste, so daß dort vom West Coast Jazz gesprochen wurde. Durch den Saxophonisten Stan Getz, Vorbild zahlreicher Cool-Saxophonisten, verstärkte sich der Einfluß südamerikanischer Musik auf den Cool Jazz.
Auch der Tenorsaxophonist Zoot Sims und der Baritonsaxophonist Gerry Mulligan prägten diesen Stil und trugen zu seiner großen Popularität in den fünfziger Jahren bei. Weitere herausragende Figuren dieser Zeit waren Dave Brubeck (ein Schüler Milhauds) und der Altsaxophonist Paul Desmond.
Die Mehrzahl der Musiker, besonders an der Ostküste der USA, entwickelte jedoch den “heißeren”, treibenderen Stil des Bebop weiter. Hauptvertreter dieser Hard Bop oder East Coast Jazz genannten Richtung waren der Trompeter Clifford Brown, der Schlagzeuger Art Blakey und der Tenorsaxophonist Sonny Rollins, dessen einzigartiger Stil ihn als eines der großartigsten Talente seiner Generation auswies. Ein weiterer Ableger von Parkers Stil war der Soul Jazz, den der Pianist Horace Silver, der Altsaxophonist Cannonball Adderley und dessen Bruder, der Kornettist Nat Adderley, verkörperten.
DIE SPÄTEN FÜNFZIGER JAHRE, DIE SECHZIGER UND DIE SIEBZIGER JAHRE
Der Jazz in diesem Zeitraum des Jahrhunderts war gekennzeichnet durch mehrere neue Ansätze.
Dabei stehen die Jahre um 1960 den späten zwanziger und den späten vierziger Jahren in puncto Ideenreichtum und Experimentierfreude in nichts nach.
MODAL JAZZ UND FREE JAZZ
1955 stellte Miles Davis ein Quintett um den Tenorsaxophonisten John Coltrane zusammen, dessen Stil in krassem Gegensatz zu Davis’ eigenem facettenreichen, entspannten und ausdrucksstarken Melodielinien stand. Coltranes Vortrag war geprägt von Leidenschaft und geschmeidigem, schnellem Tempo. Er erkundete jede nur mögliche Melodieidee, mochte sie noch so exotisch sein, und spielte ebenso langsame Balladen mit größter Sensibilität. In seinen Soli bewies er einen außergewöhnlichen Sinn für Form und Tempo. 1959 wirkte er bei einem Album von Miles Davis mit, das sich als Meilenstein in der Geschichte des Jazz erweisen sollte: Kind of Blue.
Zusammen mit dem Pianisten Bill Evans schrieb Davis für diese Langspielplatte eine Reihe von Stücken, die 16 Takte lang in einer einzigen Tonart, einem einzigen Akkord und einem “Modus” blieben (was zu der Bezeichnung Modal Jazz führte); daraus ergab sich für den Solisten ein Höchstmaß an Improvisationsfreiheit.
Coltrane trieb die Komplexität des Bop mit seinem Album Giant Steps (1959) auf die Spitze, dann wandte er sich dem Modal Jazz zu, der sein Repertoire in den Jahren nach 1960, als er My Favourite Things komponierte, dominierte. Hier verwendete er ein Arrangement mit offenem Ende, bei dem jeder Solist so lange, wie er wollte, in ein und demselben Modus spielen konnte. Zu Coltranes Quartett gehörten der Pianist McCoy Tyner und der Schlagzeuger Elvin Jones.
Fast zur gleichen Zeit kam es mit dem Free Jazz zum endgültigen Bruch mit den klassischen Traditionen des Jazz: Sämtliche formalen Prinzipien wurden über Bord geworfen, und an die Stelle gestalteter Formschemata trat die “offene Form”. Die Gesetze von Harmonie (tonale Klangbeziehungen), Melodie und Rhythmus (durchlaufender Beat) verloren an Bedeutung, und jede Art von Klängen und Klangverbindungen war erlaubt.
Einer der kreativsten (und umstrittensten) Musiker dieser Phase war der Altsaxophonist Ornette Coleman, dessen Improvisationen, zuweilen fast atonal, ganz ohne Akkordschemata auskamen, während er den durchlaufenden Beat noch beibehielt. Colemans klagender Ton und seine ungewöhnliche Technik schockierten anfangs viele Kritiker, andere dagegen erkannten den unbedingten Experimentierwillen, die Ernsthaftigkeit und den seltenen Sinn für Form, durch den sich seine Soli auszeichneten. Coleman inspirierte eine ganze Schule des Avantgarde-Jazz, der seine Blütezeit in den sechziger und siebziger Jahren erlebte und zu dessen wichtigsten Vertretern so berühmte Namen wie das “Art Ensemble of Chicago”, der Klarinettist Jimmy Giuffre oder der Pianist Cecil Taylor gehörten.
THIRD STREAM UND AVANTGARDE
Ein weiteres Produkt der Experimentierphase der späten fünfziger und der sechziger Jahre war der Versuch des Komponisten Gunther Schuller und des Pianisten John Lewis, zusammen mit dem Modern Jazz Quartet Jazz und klassische Musik zu einem “dritten Strom” (third stream) zu verschmelzen, indem man Musiker aus diesen beiden Bereichen zusammenbrachte und ein Repertoire schuf, das aus dem Vokabular beider musikalischer Sprachen schöpfte.
DIE ENTWICKLUNG IM MAINSTREAM-JAZZ
In der Zwischenzeit fuhr man im Mainstream-Jazz fort, Improvisationen auf den Akkordschemen populärer Stücke aufzubauen, obwohl viele Melodieideen von Coltrane und sogar einige Modal-Jazz-Elemente einflossen. Brasilianische Musik fand Anfang der sechziger Jahre Eingang in das Repertoire, vor allem in Form von Bossa-Nova-Songs.
Ihr lateinamerikanischer Rhythmus und ihre erfrischenden Akkordschemata sprachen die Jazzmusiker mehrerer Generationen an, besonders Stan Getz und den Flötisten Herbie Mann. Selbst nachdem der Bossa Nova aus der Mode gekommen war, blieb die Samba, in der die Wurzel der lateinamerikanischen Musik liegt, fester Bestandteil des Jazzvokabulars, und viele Gruppen erweiterten ihr Standardschlagzeug durch Perkussionsinstrumente aus dem südamerikanischen und Karibikraum.
Das von dem Pianisten Bill Evans gegründete Trio behandelte populäre Songs mit neuer Tiefe, wobei die Musiker in einem ständigen wechselseitigen Austausch standen, anstatt einfach einer nach dem anderen ein Solo zu spielen. Dieser interaktive Ansatz wurde von der Rhythmusgruppe des Quintetts von Miles Davis (1963 und später) noch weiterentwickelt. Dieses Quintett hatte folgende Besetzung: Tony Williams (Schlagzeug), Ron Carter (Baß) und Herbie Hancock (Klavier) sowie später der höchst originelle Tenorsaxophonist Wayne Shorter.
FUSION JAZZ
In den späten sechziger Jahren erlebte der Jazz eine Krise: Das jüngere Publikum zog Soul- und Rockmusik vor, und die älteren Jazzfans wandten sich von der Abstraktheit und der emotionalen Rohheit des modernen Jazz ab.
Die Jazzmusiker übernahmen Formen aus der Rockmusik, die meisten Elemente flossen jedoch aus den Tanzrhythmen und Akkordschemata von Soulmusikern wie James Brown ein. Andere Jazzbands wiederum integrierten Elemente aus der Musik anderer Kulturen. Die ersten Formen dieses neuen Stiles, des Fusion Jazz, stießen auf mäßigen Erfolg. Im Jahre 1969 jedoch veröffentlichte Miles Davis sein Album Bitches Brew, in dem er Soulrhythmen und elektronisch verstärkte Instrumente mit kompromißlosem, höchst dissonantem Jazz kombinierte. Es überrascht nicht, daß einigen von Davis’ ehemaligen Schülern und Bandmitgliedern (Herbie Hancock, Wayne Shorter und dem in Österreich geborenen Pianisten Joe Zawinul, die zusammen die Gruppe “Weather Report” leiteten, sowie dem englischen Gitarristen John McLaughlin und dem brillanten Pianisten Chick Corea und seiner Band “Return to Forever”) eine der erfolgreichsten Fusion-Jazz-Aufnahmen der siebziger Jahre gelang. Rockmusiker wiederum übernahmen die verschiedenen Jazzelemente in ihre Musik.
Besonders die Gruppen “Chase”, “Chicago” und “Blood, Sweat and Tears” bedienten sich der Vielfalt der Jazzformen.
Zur gleichen Zeit hatte der frühere Davis-Schüler Keith Jarrett größte Erfolge. Seine Konzerte mit Trio oder Quartett, bei denen er bekannte Standards und Eigenkompositionen präsentierte, ebenso wie seine Soloimprovisationen am Klavier machten ihn zu einem der größten zeitgenössischen Jazzpianisten.
DIE ACHTZIGER JAHRE
Seit Mitte der achtziger Jahre geben Jazzmusiker verschiedener Richtungen wieder Konzerte vor großem Publikum, und das Interesse an ursprünglichem (im Gegensatz zu Pop-orientiertem) Jazz nahm wieder zu. Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Wiederbelebung des Jazz leistete der Trompeter Wynton Marsalis, der auch als Interpret klassischer Musik auftrat. Obwohl der Jazz seine Wurzeln in den Kreisen amerikanischer Musiker hat, wuchs seine weltweite Anhängerschaft so stark, daß nichtamerikanische Jazzgruppen in den siebziger und achtziger Jahren eine immer bedeutendere Rolle spielten, ähnlich wie in den dreißiger Jahren und später, als der belgische Gitarrist Django Reinhardt und der französische Geiger Stephane Grappelli als Jazzmusiker bekannt wurden.
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