Artikel pedia
| Home | Kontakt | Artikel einreichen | Oberseite 50 artikel | Oberseite 50 autors
 
 


  Der pragmatismus als philosophie

Der Pragmatismus als Philosophie   Pragmatismus von griechisch: praxis, Handlung, Tat       Von Pragmatismus bzw. Pragmatik ist heute in vielen Bereichen zunehmend die Rede, aber als Philosophie ist er noch weitgehend unbekannt oder sogar ausdrücklich abgelehnt. „Pragmatismus“ steht im üblichen Sprachgebrauch etwa für „Praktikalismus“ oder „Tagwurstelei“ im negativen Sinn, oder für „ideologiefreien Aktivismus“ im positiven Sinn, somit für die Abwehr jeder philosophischen Reflexion. Ebenso wird er trivial als die entsprechende Philosophie einer eindimensionalen Zweck-Mittel-Beziehung gedeutet. Einen Überblick über den tatsächlichen Gehalt des Pragmatismus als Philosophie soll diese Arbeit geben. Obwohl sich Ansätze pragmatischen Denkens schon bei Francis Bacon, bei Hume, in gewissem Sinne auch bei Kant feststellen lassen, entstand der Pragmatismus als philosophische Schule, die die Unterwerfung der Theorie unter praktische Kriterien proklamiert, in Amerika, wo er von Ch.

S. Peirce, W. James, G. H. Mead, J. Dewey repräsentiert wurde.

In Europa wurden pragmatische Auffassungen von Ferdinand Canning Scott Schiller (1864-1937), Wilhelm Jerusalem (1854-1923) und Wilhelm Ostwald (1853-1932) vertreten, die aber nicht so stark wirkten wie die vorher Genannten. Deutlich ist der Einfluss pragmatischer Auffassungen beim späteren Ludwig Wittgenstein, obwohl dieser gewöhnlich nicht als Vertreter des Pragmatismus gilt.  Pragmatisches Denken  „Pragmatism is going to be the dominant philosophical opinion of the twentieth century“ (Peirce, 1906) Der amerikanische Pragmatismus gewinnt neuerdings auffällig an Attraktivität. Durch die logisch-technischen Errungenschaften der sprachanalytischen Philosophie, schien das Denken von Peirce, James, Mead und Dewey – den vier „Klassikern“ dieser Richtung – überholt. In den 90er-Jahren hat sich das Blatt gewendet. Diese Entwicklung hängt unter anderem mit drei Motiven des pragmatischen Denkens zusammen: Pragmatisches Denken ist anti-fundamentalistisch.

Es hinterfragt die (rationalistische) These, dass es überhistorisch stabile Aprioris gibt radikal; soweit das selbst Disziplinen wie Logik und Mathematik ihren revidierbaren Status eingestehen müssen. Pragmatisches Denken kritisiert jede Universalisierung deterministischer Erklärungsmuster: Bei historischen Entwicklungsprozessen (die sich in der Wissenschafts- und Philosophiegeschichte ebenso finden, wie bei der Ausdifferenzierung politischer Institutionen), sehen sie (die Pragmatisten) keinerlei „Notwendigkeit“ am Werk, die sich in unvermeidbarem „Nezessarismus“ (Peirce) entfaltet. Pragmatisches Denken ist pluralistisch. Es distanziert sich von allen Verkürzungsversuchen unserer Wissensformen und Wissenschaftsstrukturen auf ein einziges Methodenideal (wie das spätere, physiknahe, „einheitswissenschaftliche“ der logischen Empiristen). Die Krise der drei philosophischen „frameworks“, der klassischen „Systemmetaphysik“ (1), des orthodoxen Marxismus (2) und der analytischen „mainstream“ -Philosophie (3), garantiert dem Pragmatismus, der das Philosophieren auf eine offene, experimentelle Weise versteht, seine wachsend Brisanz. Charles Sanders Peirce (1839-1914)  Peirce ist der „founding father“ des amerikanischen Pragmatismus und zugleich der erste Philosoph der USA der weltweit Bedeutung erlangte (für Karl R.

Popper ist er „one of the greatest philosophers of all time“). Durch seinen Vater (Professor der Mathematik in Harvard) wurde er früh mit formalen Kalkülen vertraut, interessierte sich aber darüber hinaus vor allem für Philosophie und Logik. Durch Studien Kants Kritik der reinen Vernunft wurde sein geradezu obsessiver Blick auf die Struktur unserer Zeichen geweckt, war doch Kants Hauptpointe: Alles Reale muss, um überhaupt erkennbar zu sein, durch Anschauungsformen und Kategorien bezeichnet werden. Die Phänomene enthalten also, als durch Zeichen (semiotisch) vermittelt – denn nach Peirce kann nur durch Zeichen etwas bestimmt werden -, Gedanken. Von „transzendentalphilosophischen“ Ansprüchen Kants (v.a.

von der These des absolut unerkennbaren <Ding-an-sich>) rückt Peirce jedoch bald ab. In frühen Vorlesungen arbeitet er erstmals die anti-cartesianischen Pointen seiner späteren Semiotik und seines Pragmatismus heraus: Er kritisiert v.a. die These, dass wir durch Introspektion und Intuition, also durch Bewusstseinsakte die unabhängig von unserem Zeichengebrauch auf Gegenstände und auf uns selbst gerichtet werden könnten, in der Lage seien, wahre Erkenntnisse zu gewinnen. Er stellt die berühmte These auf: „There is no power of thinking without signs“; stellt somit die Zeichenvermitteltheit allen Denkens dagegen. In ihr kündigt sich bereits jene Hinwendung zur Sprache an, die die Philosophie des 20.


Jhdts. beherrschen wird. In den Jahren ab 1870 entwickelt er seinen Pragmatismus, der in erster Annäherung besagt, dass Wahrheit nicht introspektiv entspringt, sondern abhängig ist von „experimentierender“ Selbstkontrolle und praktischer Bewährung. Weiters: Etwas für wahr halten führt nicht zur quietistischen Ruhe eines selbstgenügsamen Wissens, sondern erzeugt eine, auf die Zukunft gerichtete, Handelsdisposition. Das umfangreiche Spätwerk entstand, nach dem Ende seiner Lehrtätigkeit an der Universität von Baltimore, in akademischer Isolation unter schwierigsten ökonomischen Verhältnissen.  Die pragmatische Maxime  „Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Bezüge haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in Gedanken zukommen lassen.

Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes.“ (1878, Über die Klarheit unseres Verstandes) Diese Grundthese wird auf sehr widersprüchliche, ja divergente Weise gelesen. Er besagt in erster Annäherung: Der Bedeutungsinhalt eines Begriffs kann nicht durch selbstgenügsame Analyse und Introspektion, sondern allein im Blick auf seine (möglichen) künftigen Konsequenzen geklärt werden. Dass wir z.B. Diamanten den Begriff „Härte“ zuschreiben, können wir nur durch experimentelle Überprüfung der Hypothese (durch einen „scratch test“) begründen.

Die Begriffsbedeutung von „diamantenhart“ ist also an eine pragmatisch-experimentelle Prozedur geknüpft (die in der Zukunft abgeändert werden kann) . Dieses Erproben der Begriffe entscheidet – im Blick auf eine künftig zu erwartende (denkmögliche) Bewährtbarkeit - darüber, ob Begriffe einen realen Bedeutungsgehalt haben, oder ob sie nur leere, folgenlose Worthülsen sind (wie Ausgeburten von Sprachverwirrung). Peirce Denken terminiert aber nirgendwo in der Überschätzung des vermittlungslos „Gegebenen“: Erstens ist das Experiment durch seinen Entwurfs- und Konstruktionscharakter bestimmt; das Wesentliche sind nicht die Sinnesdaten und die logische Argumentationskorrektheit, sondern die hypothetischen Entwürfe, der Experimentierenden. Wir formulieren tastend Vermutungen („Abduktionen“), in denen wir – auf künftig zu erprobende, fehlbare Weise – die Realität zu begreifen suchen. Zweitens kann das experimentierende Erproben von Begriffen sogar die Form des „Gedankenexperiments“ annehmen, wie dies z.B.

in der Mathematik der Fall ist, die ja nicht sensualistisch verifizierbar ist. Drittens hat für Peirce jedes Experiment in seiner Tiefenstruktur eine ethische Dimension, da es auf eine Gemeinschaft Urteilskompetenter bezogen ist. Jeder Wahrheitsanspruch setzt, als gültig, das implizite Ethos einer „community of investigators“ voraus. Peirce versteht das pragmatische Erkunden von Begriffsbedeutungen also keineswegs in szientistischer Verkürzung, wie später die logischen Empiristen, was seinem Denken anhaltende Aktualität garantiert. In seiner ersten öffentlichen Rezeption wurde der Pragmatismus freilich sogleich verkürzt zu einer „praktikalistischen Nützlichkeitsphilosophie“ (wahr ist was – auf welche Weise immer – Vorteil verschafft). Peirce reagierte mit der Geburt des Wortes „Pragmatizismus“, „das hässlich genug ist, um vor Kindesräubern sicher zu sein.

“ Die beiden kritischen Hauptpointen seines Pragmatismus/Pragmatizismus sind: Die Kritik an jedem „intuitionistischen“ Apriori – im Gefolge von Descartes - und die Abkehr vom sensualistischen Abbildrealismus. Zu Letzterem: Welche Struktur die Dinge wirklich haben, das kann erst nach und nach – in der vollen (denkbaren) Reihe handelnd-experimentierender Interaktionen mit der Gegenstandswelt – bestimmt werden, nicht jedoch in einem präsentischen „Abbildungsprozess“. Den sukzessiven Verbesserungsprozess der Begriffsbedeutungen nennt Peirce die amelioristische Struktur (lat. <Melior>, besser) des pragmatischen Forschens.  Führwahrhalten und Zweifeln  Peirce schlug vor, den Erkenntnisprozess als Bewegung zu deuten, die von einem nicht in Frage gestellten Verhalten (Überzeugung, belief) zu einem durch Misserfolg hervorgerufenen Zustand der Unsicherheit (Zweifel, doubt) und von diesem – durch Überwindung der Verunsicherung – wieder zur Ruhe ungestörten Verhaltens führt. Er betonte weiters, dass auch faktisch unbezweifelte Überzeugungen Annahmen sind, die sich eines Tages als korrekturbedürftig erweisen können.

Durch diese Einstellung – den Fallibilismus – unterschied er sich von Descartes, der zwar radikal zweifelte, aber durch den Zweifel zu definitiven Einsichten gelangen wollte, während Peirce grundsätzlich bestritt zu definitiven Einsichten zu gelangen. Durch Berichtigung fehlerhafter Annahmen, hielt er Erkenntnisfortschritt für möglich. Diese Einstellung stützte er auf den Erfolg der empirischen Methode in den letzten drei Jahrhunderten. Der Zweifel hat ebenso wie das Führwahrhalten eine positive Funktion: Er regt zur Suche nach besseren Annahmen an und verhindert zugleich deren Dogmatisierung. Um den Zweifel zu überwinden, ist die freiwillige oder durch autoritären Druck herbeigeführte Unterwerfung unter gewisse Auffassungen ebenso wenig zu billigen, wie die Orientierung an vorgebliche Einsichten der reinen Vernunft. Nur die mit Hilfe der wissenschaftlichen Methode erreichte Anpassung von Überzeugungen an beobachtbare Tatsachen ist legitim, da nur sie die Überzeugungen der Kontrolle einer Instanz jenseits des menschlichen Bereichs unterwirft – nämlich der Realität selbst.

Das Reale wiederum erkennen wir nur im Rekurs au die „Argumentationsöffentlichkeit“ kompetent Argumentierender (community of investigators - wahr ist eine Behauptung, wenn in Bezug auf sie Konsens besteht). Diese Gemeinschaft, an die im Prinzip alle Wahrheitsbehauptungen adressiert sind, braucht freilich nicht jederzeit empirisch gegeben zu sein. Auch der einzelne Forscher bemisst sein Tun am regulativen Ideal einer „allgemeinen Vernunft“ (natürlich ist so oft wie möglich die wirkliche intersubjektive Argumentation mit anderen Kompetenten zu suchen, um nicht der Selbsttäuschung zu unterliegen). Semiotik  Nach Peirce ist alles Denken „zeichenvermittelt“. Diese Zeichenstruktur erkundet er in einer „universellen Semiotik“. Er war sich jedoch klar, dass er dieses Projekt zwar vorantreiben, aber nicht zu einem verbindlichen Abschluss bringen konnte.

„Ein Zeichen ist etwas, das für jemanden in einer gewissen Hinsicht oder Fähigkeit für etwas steht.“ Jedes Zeichen hat somit eine dreirelationale Struktur: Es kann als <sign> an sich betrachtet werden, es ist präsent und hat einen Zeichenkörper (Beim Zeichen “Stadtplan“ besteht er z.B. aus Farbspuren auf einer Plastikfolie). Zweitens besteht jedes Zeichen nicht für sich selbst, sondern für ein anderes: Es macht ein Objekt vorstellig. Dieser Objektbezug kann wie das Beispiel „Stadtplan“ zeigt auf unterschiedliche weise stattfinden: ikonisch (bildlich) – die verkleinerte Repräsentation des Straßensystems, ohne einfach wiederspiegelnd abzubilden, da ein dreidimensionaler Raum zweidimensional abgebildet wird.

indexikalisch – z.B. ein Pfeil zur Selbstverortung, also ein Hinweiszeichen. symbolisch – also durch die Darstellung des Objekts in Wörtern, Sätzen und Argumenten (alltagssprachliche Wörter), die man am Stadtplan in der Legende vorfindet. Drittens ist der Zusammenhang zwischen <sign> und <object> erst durch die Vermittlung eines Zeicheninterpreten eingestellt, also durch einen Menschen der sprachliche oder nonverbale Zeichen verwendet. In ihm erzeugt das <sign> eine „Wirkung“, die Peirce <interpretants> nennt.

Diese Wirkung ist im Humankontext oft ein Folgezeichen, z.B. ein Gedanke. Für Peirce liegt die Bedeutung eines Zeichens nicht in ihm selbst, sondern gerade in der Sequenz seiner künftigen Wirkungen (vgl. die pragmatische Maxime). Da nun Zeichen auf <interpretants> bezogen sind, ist überdies ofenkundig (wie Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen bemerken wird), dass Zeichen allein tot sind und nur im Gebrauch leben.

Dieser Gebrauch ist der fallibilistisch offenbleibende Prozess pragmatisch-experimenteller (Re-)Interpretation. Peirce hat in seinem Opus den Versuch unternommen, jene differenten, jedoch miteinander verknüpften Zeichenwelten – konventionelle Zeichen (z.B. Buchstaben-, Schrift-, Verkehrszeichen); Sprachzeichen der Alltagssprache; usw. – in ihrer Funktion zu analysieren. In seinen semiotischen Studien legt Peirce, wie Gilles Deleuze sagt, „eine allgemeine Klassifizierung von Bildern und Zeichen vor, vergleichbar dem Periodensystem in der Chemie.

“  William James (1842-1910)  James gilt zurecht als derjenige Philosoph, der den amerikanischen Pragmatismus populär gemacht hat. Als junger Mann war er in Cambridge, Massachusetts, einer der Mitglieder jenes „Metaphysical Club“, in dem Peirce die pragmatische Maxime das erste mal vortrug. James, ein origineller Denker, empirisch orientierter Psychologe und talentierter Redner, reformulierte Jahrzehnte später, als er bereits angesehener Professor der Universität Harvard war Peirce´ Denkprinzip so eingängig, dass es beim intellektuellen Publikum der USA größten Anklang fand. In seinen Pragmatismus-Vorlesungen bläst er zum Generalangriff auf die alteuropäische, akademisch disziplinierte Philosophie: Ein pragmatisches Denken „wendet sich weg von Abstraktionen und Unzulänglichkeiten, weg von Problemlösungen, die nur Worte sind, weg von schlechten a-priori Begründungen, von festgelegten Prinzipien, von geschlossenen Systemen, weg von dem Absoluten und den Ursprüngen“. Obwohl er mit Peirce in der pragmatischen Grundauffassung übereinstimmte, unterschied er sich von diesem doch durch den stärker ausgeprägten empiristischen Charakter seines Denkens. Seine Hinwendung zu einem radikalen Empirismus, der kein Apriori kennt, erklärt sich daraus, dass er sich in erster Linie an der Psychologie orientierte, während Peirce von der mathematischen Logik ausgegangen war.

Was gibt dieser Differenz Tiefe? Peirce´ Pragmatizismus postuliert, dass der menschheitsgeschichtliche Lernprozess einen „idealen Fluchtpunkt“ hat. Im Blick auf die wissenschaftliche Methode dürfen wir hoffen, dass sich das kumulativ anreichernde Netzwerk sinnvoller Aussagen „in the long run“ in geordneter Form bündelt, dass es sich logisch zur Erkenntnis des „großen Repräsentamen“ Kosmos fügt. Es ist diese Peircesche Hoffnung auf Einheit, die James in seiner stärker pluralistisch dimensionierten Lesart des Pragmatismus zu problematisieren beginnt. Er meint, dass der endliche Status unseres Wissens sich zwar durch Spezifikationsprozesse komplexer gestalten wird, seinen Status als endlich jedoch dabei nicht (notwendig) verliert, dass die Realität perspektivisch bleibt, also „many faces“ behält: „An analysis of the world may yield a number of formulae, all consistent with the facts.“ (z.B.

verschiedene schlüssige und brauchbare Theorien des Lichts). James wendet sich gegen den (rigiden, mit Absolutheitsanspruch auftretenden) Objektivitätsfetisch einer pluralismusfeindlichen („einheitswissenschaftlichen“) Szientismus. Er betont: „Worauf ich mit Nachdruck bestehe, ist die Tatsache, dass der Pluralismus eine dem Monismus (die Anschauung, dass alle Dinge wesensmäßig zusammenhängen, bzw. dass der Begriff eines jeden Dinges die Begriffe aller anderen Dinge einschließt – die Wirklichkeit entspricht einer „Alleinheit“) völlig gleichwertige Hypothese ist“. Das Reale kann somit auch als Strukturenvielfalt vorgestellt werden, d.h.

es fügt sich nicht unvermeidlich zur Gestalt des einen Alls.  Verifikation  Nach pragmatischer Auffassung ist Wahrheit eine Art des Guten (wahr ist hier als „förderlich“ bestimmt): „Wahr heißt alles, was sich auf dem Gebiet der intellektuellen Überzeugung aus bestimmt angebbaren Gründen als gut erweist.“ Diese These führte zu heftigen Debatten; z.B. Bertrand Russel versuchte zu zeigen, dass James „die guten Wirkungen“ von Wahrheitsansprüchen mit der „Wahrheit selbst“ verwechselt. Heute wird die James´sche Wahrheitstheorie wiederentdeckt: Wahrheit ist nicht die Kopie einer „ready made world“ (Putnam), wir sind es, die Wahrheitsansprüche erheben! Wahrheit als je vorliegende „Halbwahrheit“ (die, selbst als die Bestmögliche, weiterhin auf Verbesserbarkeit hingespannt bleibt) ist das vielfach aufgefächerte Produkt unsres Handelns, das auf das Wahr-machen (oder Falsch-machen) unserer Thesen abzielt.

„Unsere Vorstellung“, so schreibt James, „wird wahr, wird durch Ereignisse wahr gemacht. Ihre Wahrheit ist tatsächlich ein Geschehen, ein Vorgang, und zwar der Vorgang ihrer Selbstbewahrheitung, ihrer Verifikation.“; „Wahrheitsansprüche sind nirgendwo absolute Übereinstimmungen mit einer ebenso absoluten Wirklichkeit“. Wahrheit ist nicht unitär, sie ist „a class name“, das viele (potentiell unendlich viele) Verifikations-Praktiken umfasst. Angesichts der vielfältigen Arten des Verifizierens erweist sich die alte metaphysische Frage „Was ist Wahrheit?“ als bloße Abstraktion aus den tatsächlich erlebten Wahrheiten in der Mehrzahl, als ein zusammenfassender Ausdruck wie „das Recht“ oder „die lateinische Sprache“. Konkrete Wahrheiten, die als „halbe Wahrheiten“ immer hingespannt bleiben auf künftige Verbesserbarkeit, sind dann valide, wenn sie in ihren jeweiligen Kontext passen, wenn sie – wie James sagt – „nützlich“ sind! Diese These haben James´ Kritiker als extrem anstößig empfunden, führte zur Verleumdung der „absurd praktikalistischen“, unverschämt „kommerziellen“, ja „kapitalistischen“ Wahrheitskonzeption des Pragmatismus.

Sogar von einem „cash value“ der Wahrheit war die Rede. James hat noch selbst die Ansicht, die ihm unterstellt wurde, dass alles was irgendwie als nützlich betrachtet werden kann („gute Wirkung habe“) sogleich auch wahr sei, als absurdes Zerrbild seiner Theorie zurückgewiesen. James behauptet nicht auf unspezifisch-allgemeine Art die „Nützlichkeit“ des Wahren, er analysiert vielmehr die breite Palette der Modi des Verifizierens. Diese sind sehr unterschiedliche Arten von Zeichengebrauch, in „Aussagen z.B., über wahrnehmbare Objekte, Aussagen über abstrakte Dinge wie die Elastizität der Uhrfedern, Aussagen der zeitgenössischen physikalischen Theorien, mathematische Aussagen, ethische Aussagen usw.

“ Diese Pluralität impliziert, dass den Aussagetypen verschiedene Modi des „Vorwärtsbringens“ entsprechen. Somit kann die Validitätsstruktur unserer Aussagen nicht uniform bestimmt werden. Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen zur Wahrheit hält James nicht nur die Ethik, sondern auch die Religion für pragmatisch erkundbar – nicht nur wissenschaftliche Hypothesen haben als wahr zu gelten, wenn sie befriedigende Ergebnisse liefern, sondern auch religiöse Annahmen. Sein Nachdenken über die „praktischen Vernunft“ beugt sich nirgendwo dem positivistischen Verdikt, dass nur Tatsachen rational thematisierbar sind, ethische und religiöse Werte aber der argumentlosen Dezision überantwortet werden müssen.  Das Recht zu glauben  „Bei allen wichtigen Verrichtungen im Leben ist es unumgänglich, dass wir einen Sprung ins Dunkel wagen“. Nirgendwo kommt die „Unzeitgemäßheit“ des James-schen Denkens, die zugleich dessen postanalytische Attraktivität bedingt, deutlicher zum Ausdruck als in James´ vorsichtiger (Neu)Zuwendung zur Religion: ein Versuch der angesiedelt ist vor dem Hintergrund der voll entfalteten, neuzeitlichen Religionskritik.

„Obzwar ich keine direktere und stärkere Gotteserfahrung kenne, gibt es doch etwas in mir, das sich rührt, wenn ich einschlägige Reden anderer höre.“ Unter pragmatischen Gesichtspunkten, wird die religiöse Hypothese glaubwürdig nur dann, wenn sie auf (individuelle) Bedürfnisse antwortet: die Götter müssen für uns verständlich sein. Die Bedürfnispluralität der Individuen rechtfertigt ein breites Spektrum von Religionen. Jede institutionelle Disziplinierung der Vielfalt des Religiösen ist James verdächtig. Kirchliche Institutionen verlieren durch die Behauptung die endgültige Wahrheit zu besitzen, genau das, was sie innezuhaben vorgeben. James ist bewusst, dass Gott weder wissenschaftlich noch „spekulativ“ zu demonstrieren ist – er lehnt alle Gottesbeweise ab.

Dies ist ihm jedoch kein Hindernisgrund, sondern die bestimmende Voraussetzung der Option Religion. Aber niemand kann aus gültigen Gründen das Recht streitig machen, die „Option Religion“ handelnd zu riskieren. Wer die Hypothese ergreift – und zwar so, dass dieses Ergreifen im Handeln einen Unterschied macht – kann dazu beitragen, das, was die religiöse Option verspricht, falls es wahr werden kann auch wahr zu machen. Dies ist der Spezialsinn von Verifikation im Kontext des „Totalexperiments“ Religion. George Herbert Mead (1863-1931)  Durch Mead erhält der Pragmatismus eine neue, sozialphilosophische Dimension. Obzwar Mead selbst nur wenig veröffentlichte, wurde er durch seine Vorlesungen zur Sozialpsychologie (hptsl.

an der University Of Chicago), die in Studentennachschriften überliefert sind, sehr bekannt. Meads Sozialanalysen sind bereits in seinen ersten Schriften komplex strukturiert: Er lehnt alle Sozialtheorien mit utopischem Charakter, die einen bloß programmatischen Zugang suchen, ab, und votiert für die vorsichtiger Erprobung einzelner Hypothesen, die, wenn sie sich bewähren, in dem komplexen Kräftespiel, in das sie eingebracht werden, reale Wirkungen erzielen.  Selbst  Bei Mead wird die These, dass Geist, Bewusstsein und Selbstbezug weder biologisch-empirisch noch apriorisch (wie bei Descartes als res cogitans) vorliegen, sondern in Prozessen der <Emergenz>, durch kommunikative Gesten, in einem (sozialen) Zeichenprozess entstehen, ins Zentrum einer pragmatischen Analyse gerückt. Diese Leitthese steht in diametralen Gegensatz zu allen atomistischen Zugangsversuchen, wie bei Thomas Hobbes, für die Gesellschaft (grob gesprochen) ein Sekundäreffekt der Zusammenkunft entwickelter Subjekte darstellt. Mead setzt umgekehrt beim sozialen „Ganzen“ ein: Das Verhalten eines Individuums kann nur in Verbindung mit dem Verhalten der ganzen gesellschaftlichen Gruppe verstanden werden. Das Individuum liegt nicht als gegebenes „Element“ vor, es emergiert (in höhere Seinsstufen vordringen) vielmehr erst nach und nach in sozial dimensionierten Lernprozessen (v.

a. der Einübung des Gebrauchs „signifikanter Symbole“). Zudem ist das entwickelte Selbst „reflexiv“, es ist „an object to itself“. Nichtreflexive Formen (Gesten) sind dort anzutreffen, wo ein gestisches Verhalten mechanische Anschlussreaktionen auslöst, als kausaler Stimulus. Mead gibt das Beispiel der Interaktionen kämpfender Hunde: Zu Beginn des Kampfes fletscht Hund A die Zähne. Hund B reagiert mit fletschen seiner Zähne oder mit einer Unterwerfungsgeste.

Die zweite Reaktionsvariante führt dazu, dass A seinen Angriff stoppt und B lauernd umkreist. Auch im Humanbereich erhalten sich viele dieser unbewussten(nichtreflexiven) Formen, es gibt aber auch bewusste, z.B. wenn ein Boxer im Ring Finten einsetzt. Wie emergiert nun aber die menschliche Reflexivität aus der unbewussten Soziostruktur tierischer Interaktionen? Einen wesentlichen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage erhofft sich Mead vom Konzept der „Lautgebärde“. Dieses auditive Signal zeichnet v.

a. aus, dass sie nicht nur ein Zeichen für andere sondern auch Selbstaffektion ist, da man sich ja selbst hören kann. Diese Koinzidenz ist eine Voraussetzung für den reflexiven Selbstbezug: Wir werden für uns selbst zum Objekt und sind zugleich diejenige Instanz, die dies beobachtet. Dass nicht jeder Menschenaffe den Weg zur sprachlich vermittelten Selbstreflexion (einem humanen Spezifikum) eingeschlagen hat, zeigt andererseits, dass die Lautgebärde nur einen Teilaspekt der Emergenz des Selbst beleuchtet. Mead untersucht andere Teilaspekte der Emergenz des Selbst, die hier nicht näher erläutert werden können. Er schreibt zusammenfassend: „Das Selbst, das für sich selbst Objekt werden kann, ist im wesentlichen eine soziale Struktur und entsteht aus sozialer Erfahrung.

Wenn es sich einmal entwickelt hat, versorgt es sich in gewissem Sinn mit seinen eigenen sozialen Erfahrungen. Somit können wir uns ein absolut solitäres Selbst vorstellen, aber nicht ein Selbst, das außerhalb menschlicher Erfahrung entsteht.“ Somit wird das Selbst, durch das komplexe Interaktionsgefüge sozialer Gruppen in modernen Gesellschaften bestimmt. Bei oberflächlicher Lektüre könnte man meinen, dass der soziale Prozess des „role taking“ eine bloße Subsumation des Individuums unter das Allgemeine ist. Jedoch ist bei Mead die Übernahme sozialer Rollen mehr als deren wiederholende Reproduktion und setzt flexible Interpretation voraus. Zweitens wird jedes Selbst mit konträren (sich zum Teil widersprechenden) Rollen und Institutionen konfrontiert.

„Natürlich sind wir nicht nur das was uns allen gemeinsam ist; jedes Selbst ist von jedem anderen verschieden.“ Individuen sind, unter dieser Optik, spezifische, umgestaltbare „Kompromisse“ aus den unterschiedlichen, einander übergreifenden Profilen jener Gruppen denen sie angehören (z.B. Gruppe der Studenten /Familienväter /Opernfreunde etc.). Wie bereits erwähnt ist das Selbst reflexiv.

Es handelt und beobachtet sich selbst: es ist – nach Mead – gedoppelt, „I“ (ich) und „me“ (mich). Das <mich> ist das empirische Selbst, das ich und die anderen hören und sehen und auf das sie und ich reagieren, also der beobachtbare Teil des Selbst. Das <ich> ist der beobachtende Teil des Selbst. Mead behauptet, dass es ein <mich> nur geben könne, wenn das Selbst darüber hinaus der (Selbst)Beobachter, <ich> ist. Die These, dass das Selbst sozial emergiert, verweist uns also – wenn wir sie pragmatisch, d.h.

mit Blick auf ihre mögliche, künftige Wirkung betrachten – darauf, soziale Lernformen voll zu entfalten in einer demokratischen Öffentlichkeit, die uns für die Reflexionsangebote anderer – an denen wir unser Selbst weiterbilden und moralisch sensibilisieren können empfänglich macht. Dieses Thema wird durch Mead´s Freund Dewey ins Zentrum des Pragmatismus gerückt.  John Dewey (1859-1952)  Dewey lehrte an Universitäten in Chicago und New York. Durch seine zahlreichen philosophischen, psychologischen, pädagogischen und sozialphilosophischen Schriften verschaffte er den pragmatistischen Ideen in breiteren Kreisen Resonanz – „was den Einfluss und die Breite seines Werks betrifft, der Riese unter den Pragmatisten.“ Dewey nennt seinen Pragmatismus instrumentalistisch. Große Einflüsse sind für Dewey der prozessuale Charakter (gegen Fixierung und Abstraktion gerichtet) bei Hegel, in Darwins Evolutionstheorie („weil er das Phänomen des Lebens durch das Prinzip des Übergangs aufgeschlüsselt hat“) und in Peirce´ semiotischen Pragmatizismus.

Deweys tiefster philosophischer Impuls ist der Widerstand gegen jedes abstrakte Denken.  Kontinuität  Besonders regte ihn der Dualismus „zwischen etwas, was <Wissenschaft> einerseits, und etwas <Moral> hieß andererseits, involviert zu sein schien“ auf. Diesen Skandal, so Dewey, gilt es zu beenden durch die Konstruktion einer Logik, die ohne abrupten Bruch der Kontinuität auf die beiden Gebiete angewendet werden kann. Die kritisierte, auch als „fact/value dichotomy“ bekannte These, besagt folgendes: Faktenwissen und Werturteile sind strikt voneinander getrennt. (Wissenschaft ist wertfrei) Wissenschaftliche Rationalität könne allein zur Erkundung dienen, welche Mittel zur Erreichung eines Zweckes notwendig sind. Zur Erkundung der obersten, handlungsmotivierenden Zwecke selbst ist sie unbrauchbar.

(Thematisierung der Leitwerte der Mittelwahl unmöglich) Sie wird im analytischen „mainstream“ oft als schlüssig ausgegeben. Für Dewey ist, ganz im Gegenteil, sowohl die Wissenschaft, als auch der ethische Diskurs einem Argumentationskontinuum zugeordnet. Beide Formen haben es nicht bloß mit Mitteln sondern immer auch mit (End)Zwecken zu tun. Diese Zwecke – die im Forschen und Handeln angestrebt werden – sind freilich nicht von überzeitlich stabiler Struktur, sondern - in Deweys Terminologie - „ends in view“ (also situationsabhängige Leitzwecke). Diese werden neuerlich hinterfragbar im Weiterforschen und Weiterhandeln. Zwecke werden somit wieder zu Ausgangslagen oder „Mitteln“, die sich auf ein abgeändertes „end in view“ beziehen lassen.

Vor dem Hintergrund dieses – auf verbesserbare Mittel-Zweck Verknüpfungen bezogenen – Kontinuums, ist Wissenschaft nicht „wertfrei“. Seine „Kontinuitätsthese“ richtet sich – da sie unser Experimentieren auf das Feld der Ethik ausdehnt – auch gegen jede Wertmetaphysik, die ein unhinterfragbares, keinem Lernprozess zugängliches System ewiger Werte behauptet. Der ethische Lernprozess ist pragmatisch betrachtet, zur Gänze hypothetisch (wie die Wissenschaft). Ethische Handlungszwecke bleiben „ends in view“, und zwar als idealiter, die besten, die in einem gegebenen historischen Zeitpunkt „in Sicht“ sind. Neben Deweys Versuch, die Dichotomie zwischen Wissenschaft und Moral zu unterlaufen, ist sein Angriff auf die Dichotomie zwischen Kultur und Natur (durch eine „kontinuierliche Theorie von Intelligenz“) von besonderer Bedeutung: Der offene Prozess eines Wachstums der „Intelligenz“ (unsere Theorien werden immer besser) steht für Dewey in kontinuierlicher Verbindung mit den evolutionären Adaptierungsprozessen vormenschlicher Organismen an ihre Umwelt. Dewey postuliert somit „Kontinuität zwischen Kultur und Natur“.

 Demokratie und Erziehung  Deweys Forschungslogik, die das offene Wachstum von Intelligenz und Wissenschaft mit ethischen Maßstäben in Verbindung bringt, hängt in jedem ihrer Aspekte zuletzt mit Gesellschaft zusammen. Nicht jede Gesellschaft ist freilich gleich gut geeignet, ihr „intelligentes Wachstumspotential“ zu entfalten. Dewey unterscheidet zwei Typen: Traditionale Gesellschaften, die, sofern sie sich überhaupt verändern, diese Veränderung nicht explizit beabsichtigen. Posttraditionale Gesellschaften, die die Verbesserung ihrer Organisationsform ausdrücklich wünschen und befördern. Demokratien exemplifizieren den zweiten Typus. Dewey weiß, das Demokratie kein Besitz ist, sondern eine Aufgabe: Diese offene Struktur bietet die Bedingung, dass sich das kommunale Lernen (potentiell amelioristisch) auf veränderte Situationen einstellen kann.

Sie ist eine Art gewaltloser „permanenter Revolution“, wie Habermas ganz im Sinne Deweys schreibt. Dewey sieht in der Demokratie jenes „social ideal“, das die umfänglichsten Lern- und Interaktionschancen eröffnet, die es evolutionsgeschichtlich bisher gibt. In der demokratischen Lebensform hat das pragmatisch-experimentelle Handeln seinen gesellschaftlichen Ort gefunden (Redefreiheit als wissenschaftliche Methode entspricht etwa der Freiheit Hypothesen aufzustellen und zu kritisieren). Demokratie als „social ideal“ ist in den bestehenden Demokratien freilich nur unzulänglich realisiert: „Demokratie ist eine weitere und reichere Idee, als dass sie selbst im besten Staat exemplifiziert werden kann.“ Er sieht klar, dass politische Kontrolle oft in Hände von Berufspolitikern fällt, „die nicht an Probleme oder Prinzipien interessiert sind, sondern allein daran, Macht zu behalten oder zu erlangen, indem sie Wahlen gewinnen, und die Vorteile ihres Amts nicht für öffentliche Zwecke nutzen, sondern dazu, ihren eigenen Einfluss zu verstärken.“ Dagegen gilt es die partizipatorischen Elemente innerhalb der Parteien auszubauen, bestehende (freiwillige) Assoziationen zu stärken und neue zu gründen, v.

a. aber einen Erziehungsprozess zu fördern, der, in Schule und Universitäten, die Idee der Demokratie (nicht nur inhaltlich, sondern vor allem auch im Stil der zwischenmenschlichen Interaktionen) fördert. In der Demokratie ist die intelligente Verbesserung der Institutionen ans kritische öffentliche Argument gebunden (somit potentiell an alle). Jedoch sollen Fragen weder bloß von Experten delegiert werden, noch in einem weitgehend argumentationslosen, formaldemokratischen Abstimmungsprozess, in dem die Mehrheit die Minderheit majorisiert, zu einem schnellen Ende gebracht werden. Gegen beide Fehlformen spricht sich Dewey aus. Expertenwissen ist zwar unverzichtbar, doch sind Fachwissenschaftler ja gar nicht in der Lage, die soziale Bedeutung ihrer Forschungsergebnisse mit Umsicht abzuwägen.

Z.B. können die Erfinder der „in-vitro Fertilisation“ die rechtlich instrumentellen Folgeprobleme die ihre Erfindung aufwirft, nicht befriedigend abklären. Sie tun gut daran, Fragen dieser Art an den öffentlich-politischen Beratungsprozess weiterzuleiten. Zweitens können demokratische Entscheidungen nicht bloßem „Köpfezählen“ überantwortet werden. Der Differenzierungs-, Lernprozess den Demokratie in Aussicht stellt, kann nur durch einen öffentlichen Diskurs aus dem Ideal „intelligenter“ Zustimmung verwirklicht werden (nicht als argumentationslose Abstimmungsmaschinerie).

Wie kenn der Antifundamentalist Dewey ein solches Ideal verteidigen? Sein Ideal ist kein (apriorisch anzusetzendes) Leitbild (ein rein gedankliches), vielmehr ist die Aufgabe, aus den vorhandenen Formen des Gemeinschaftslebens die positiven (wünschenswerten) Züge herauszuheben, die negativen (unerwünschten) zu kritisieren und auf Verbesserungen hinzuweisen (das Ideal muss praktisch brauchbar sein). „Demokratie ist ein Ideal im einzig verständlichen Sinn eines Ideals: nämlich, die bis zu ihrer äußersten Grenze getriebene, als vollendet und vollkommen betrachtete Tendenz und Bewegung einer bestehenden Sache.“ (Demokratie ist hingespannt auf die Ameliorisierbarkeit öffentlicher Institutionen) Nur durch Erziehung – so Dewey – kann sich die Menschheit in Richtung der Maximierung der sozialen Interaktionen bewegen: „Die Sache der Demokratie ist untrennbar verknüpft mit der Entwicklung der intellektuellen Fähigkeiten eines jeden Mitglieds der Gesellschaft.“ Sein Erziehungsziel ist das wohlerwogene, eigenständige Urteils, die Fähigkeit Lebensprobleme eigenständig zu beurteilen. „Erziehung soll die Gewohnheit des aufgeschobenen Urteils, des Skeptizismus und des Wunsches nach Beweisstücken kultivieren, den Appell an die Beobachtung statt an das Gefühl, an die Diskussion statt an das Vorurteil, an die Forschung statt an die herkömmlichen Idealisierungen.“ Kurz alle Aspekte pragmatischen Denkens, v.

a. dessen anti-dogmatischen, erfahrungsoffenen Grundimpuls. Auch gilt es das Verständnis für soziale Interessen anderer zu fördern: „In einer komplexen Gesellschaft, ist die Fähigkeit, die Handlungen und das Los anderer zu verstehen, eine Voraussetzung bei der Verfolgung gemeinsamer Ziele, die nur durch Erziehung hervorgebracht werden kann.“  Pragmatische Ästhetik  Auch in der Theorie der Kunst will Dewey falsche Dichotomisierungen überwinden, v.a. die Trennlinie zwischen der Hochkultur („fine Arts“) und der Populärkultur („popular culture“): „Vorstellungen die die Kunst auf einen entrückten Sockel stellen, sind derart verbreitet und setzten sich so unbemerkt durch, dass gar mancher eher befremdet wäre, wenn man ihm sagte, er genösse seine Freizeitbeschäftigung zumindest teilweise ihres ästhetischen Wertes wegen.

Die Zweige der Kunst, denen der Durchschnittsmensch unserer Tage vitalstes Interesse entgegenbringt, werden von ihm nicht zur Kunst gezählt: Zum Beispiel Filme, moderne Tanzmusik, Comics usw.“ Diese elitistische Abtrennung der „fine arts“ von der „alltäglichen“ ästhetischen Erfahrung hält Dewey für verhängnisvoll. Er geht zum Elitismus auf Distanz, der den „guten Geschmack“ der Oberschicht vom „vulgären Vergnügen“ der Unterschicht zu scheiden vorgibt. Kunst wird, nach Dewey, abgedrängt in Opernhäuser, Galerien und Museen usw., wo sie, als ein Produkt aufbewahrt, administriert und zur Schau gestellt wird. Dieser Prozess zieht eine bedauernswerte Austrocknung der ästhetischen Erfahrung nach sich: In den Museen, Galerien usw.

, nimmt das Kunstwerk den perversen Status an, nicht einfach Kunst, sondern Repräsentant der Kunst zu sein und sonst nichts. Für die „Oberschicht“ werden die Kunstgegenstände zu Prestigeobjekten des „Klassenexhibitionismus“ („Nebensächliches, wie die Lust am Sammeln und Zeigen, am Besitzen und Vorführen, gibt sich als ästhetischer Wert aus“). Deweys Ästhetik zielt – ganz auf der Linie der radikalen Moderne, die den induzierten Isolations- und „Musealisierungsprozess“ der Kunst zurückweist – darauf ab, „zwischen den Kunstwerken als verfeinerten und vertieften Formen der Erfahrung und den alltäglichen Geschehnissen, Betätigungen und Leiden, die bekanntlich die menschliche Erfahrung ausmachen, eine erneute Kontinuität herzustellen.“ (für Dewey hat alles Erfahren ästhetischen Gehalt). „To the aesthetic experience the philosopher must go to understand what experience is.“ Aufgrund dieser Prädominanz des ästhetischen Akzents steht Deweys pragmatischer Empirismus im Gegensatz zu den meisten Philosophien der Erfahrung, die damit anheben, dass sie sich auf rigid eingeengte Gesichtspunkte konzentrieren (seien dies Impressionen, Sinnesdaten oder intuitiv erfasste Wesenheiten).

Die Möglichkeit, ästhetische Erfahrungen zu machen, ist, so Dewey, viel breiter gestreut, als die Ideologien der Hochkultur suggerieren. „Kunst“ tritt in einer Pluralität künstlerischer Handlungen auf. Zu der einen oder anderen dieser Handlungen ist jeder Mensch fähig: D.h. die Kunst ist keineswegs auf die Subklasse „der Künstler“ eingeschränkt. Künstlerische Erfahrung hat für Dewey, wie Richard Shusterman zeigt, in vielen ihrer Manifestationen jenen körperbezogenen Charakter, der z.

B. den Tanzenden (etwa beim <breakdance>) die befreiende Qualität der Bewegung nicht bloß als beobachtbares Bewegungsmuster distanziert anschauen, sondern im <excitement> des Vollzugs fühlen lässt. Wenn Kunst in glückenden künstlerischen Handlungen praktisch „verkörpert“ wird, hat sie eine Form, in der die dichotomische Gegenüberstellung vom ästhetischen Akteur und Kunstwerk aufgehoben ist. Dewey will die Kunst aus den Gefängnissen der „Hochkultur“ befreien (und damit zugleich die weitgehend unausgeschöpften Potentiale der „fine art“ – postkonventional – freisetzen). Der kontinuierliche Prozess jener ästhetischen Erfahrungen, die im Alltag beginnen und sich in den spezifischeren Formen avancierter Kunstexperimente fortsetzen, lässt die Hoffnung aufkeimen, dass Kunst – gerade „nach dem Ende der institutionalisierten Kunst“ – in der offenen Pluralität demokratisierter ästhetischer <experiences> weiterhin florieren wird können.

Suchen artikel im kategorien
Schlüsselwort
  
Kategorien
  
  
   Zusammenfassung Der Vorleser

   sachtextanalyse

   interpretation zwist

   Fabel interpretation

   literarische charakteristik

   interpretation bender heimkehr

   felix lateinbuch

   interpretation der taucher von schiller

   textbeschreibung

   charakterisierung eduard selicke
Anmerkungen:

* Name:

* Email:

URL:


* Diskussion: (NO HTML)




| impressum | datenschutz

© Copyright Artikelpedia.com