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  Fausts

    FAUSTS R E Z E P T I O N IN DER BILDENDEN KUNST       S E M I N A R A R B E I T     im Grundkurs A & B   „Goethe: Faust I“   im Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften (Neuere deutsche Literatur - Dozent: Prof. Dr. J. Wohlleben)       an der Freien Universität Berlin im Wintersemester 1998/99         vorgelegt von Stefan Wagner (Matrikel-Nr.: V3394793)   Eisenacher Str. 84, 10781 Berlin Tel.

: 030/21475980   [Email: bundeswagner@gmx.de]     im 1. Fachsemester Deutsch I N H A L T S V E R Z E I C H N I S     Seite   E I N L E I T U N G 1         I. EIN EINBLICK IN DIE REZEPTION DES HISTORISCHEN FAUST - STOFFES   I.1 „Historia von D. Johann Fausten“ 1 I.

2 „The Tragical History of Doctor Faustus“ 2 I.3 Faust oder nicht Faust, das ist hier die Frage 2       II. FAUSTS REZEPTION IN DER MALEREI   II.1 Allgemeine Einführung 3 II.2 Goethes eigene Werke zum „Faust“ 3 II.3 Fausts Rezeption durch andere Künstler 4       III.

DIE FAUST - REZEPTION EXEMPLARISCH AN MORITZ RETZSCH DARGELEGT   III.1 Zur Person 9 III.2 Illustrationen zu Goethes Faust 9         A U S W E R T U N G 11           A N L A G E N Literaturverzeichnis ca. 60 Abbildungen zur Thematik     E I N L E I T U N G   „Kunst, die das Denken und Fühlen des Menschen zutiefst berührt, kann Teil unserer Vorstellungswelt werden. Ihrem Wesen nach wirkt sie bestimmend auf viele Bereiche unserer geistigen und materiellen Kultur.“ (Max von Boehn) Mit dieser Seminararbeit habe ich den Versuch unternommen, diesem Sachverhalt gerecht zu werden.

Der Faust-Stoff ist seit dem 16. Jahrhundert n. Chr. bis in unsere heutige Zeit immer wieder mit Hilfe künstlerischer wie musischer Elemente rezipiert worden. Ich möchte mit dieser Arbeit einen Eindruck der Darstellungen der Rezeption bis zur Schaffung von Goethes Werk geben, sodann des Autors eigene Werke vorstellen, um dann die künstlerischen Ergebnisse weiterer Künstler, die sich auf Goethes „Faust“ bezogen haben, anzuführen und zu vergleichen. Exemplarisch hebe ich Moritz Retzsch hervor, da seine Illustrationen Goethe selbst am meisten angesprochen und fasziniert haben.

Aufgrund der Weite des Themas und der Fülle der von mir begutachteten Werke, weise ich daraufhin, dass diese Seminararbeit nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sondern vielmehr einen vielseitigen und „sehenswerten“ Abriss des Ganzen darstellen möchte.     I. Ein Einblick in die Rezeption des historischen Faust-Stoffes   I.1 „Historia von D. Johann Fausten“   Es gibt keine zuverlässigen Angaben über den Lebenslauf des geschichtlichen Doktor Faust. Die Forschung ist allgemein der Auffassung, er sei ein Mann namens Johann Faust gewesen, der von etwa 1480 - 1540 lebte und sich selbst den Namen Georg Sabellicus Faustus, sowie den Magister- und Doktortitel zugelegt hatte.

Er hatte wohl einige medizinische Kenntnisse und beschäftigte sich mit Alchimie und Astrologie, doch er gelangte, die Wissenschaft betreffend, zu keinem der Nachwelt überlieferten Ruhm. Schon zu Lebzeiten bildeten sich Legenden um Johann Faust: Man sagte ihm nach er habe an der Universität Krakau die Zauberei erlernt, schwarze Magie betrieben und Beziehungen zu Teufelsbeschwörern gehabt. Zuletzt sei ihm vom Teufel, dem Faust seine Seele verkauft habe, ein grausames Ende bereitet worden. Der Faustmythos wurde von Mund zu Mund weitergetragen und mitunter auch verstreut schriftlich in einzelnen Geschichten damaliger Schwank- oder Schauerliteratur festgehalten. Diese verschiedenen Geschichten mündeten 1587 in das erste eigenständige Faustbuch, das für die Verbreitung des Faust-Stoffes verantwortlich war. Es ist das vom Frankfurter Verleger Johann Spieß herausgegebene Volksbuch mit dem Titel „Historia von D.

Johann Fausten“ (Abb. 24 und 25). Die Abbildung belegt die künstlerischen Probleme der beginnenden Neuzeit mit der perspektivischen Darstellung und der Einteilung eines Bildes in unterschiedliche Bildebenen.       I.2 „The Tragical History of Doctor Faustus“   Vermutlich um 1592 schreibt Christopher Marlowe „The Tragical History of Doctor Faustus“ , das erste Faustdrama. Teilweise erinnert es noch an die morality plays des 15.


Jahrhunderts. Zum Beispiel wirken der gute und der böse Engel oder der Aufzug der personifizierten Todsünden, und die Teufelsgestalten wie ein Mittelalterspiel (Abb. 26). Die Abbildung charakterisiert den Gelehrten in seinem Gewande mit standesgemäßer Kopfbedeckung, der die Bibel in der Hand hält und demgegenüber der Mephisto in Form eines Tieres kniet. Marlowe behält den Handlungsablauf der Historia im Wesentlichen bei - Reisen, Zaubereien am Hof Karls V., Beschwörung der Helena, die Papstironisierung, etc.

.- und übernimmt manche komischen Szenen und grobe Scherze, an denen das elisabethanische Publikum gleichermaßen Gefallen fand wie das deutsche. Dennoch ist Marlowes D. Faustus nicht nur eine dramatisierte Historia, denn die handelnden Figuren - vor allem Faust - werden aus einem neuen Blickwinkel betrachtet.     I.3 Faust oder nicht Faust, das ist hier die Frage   Rembrandts Radierung „Der Magier“ (Abb.

27) wurde erstmalig 1751 als „Faustus“ bezeichnet; dieser Deutung wurde dadurch, dass das Titelkupfer der Erstausgabe von Goethes Faust von 1790 eine gegenseitige Kopie von Joh. Heinrich Lips zeigt (Abb. 27a), später wohl besonderer Nachdruck verliehen. Die Streitfrage, ob hier Faust dargestellt ist oder nicht, ist für die Faustvorstellung wichtig, so dass sie hier eingehender behandelt werden muss. Ein Gelehrter in seiner Studierstube sieht auf einen Spiegel, der von der Hand einer Erscheinung gehalten wird, deren andere Hand auf ihn hindeutet. Im rechten Winkel zu diesem Spiegel im Strahlenschein das Anagramm.

Die großen Rembrandt-Monographien lehnen die Faustdeutung ab. C. Neumann sagt: ,,Dieser sogenannte Doktor Faust ist ein Kabbalist und Magier“. M. Bojanowski der gerade Entscheidendes zur Deutung des Anagramms beigetragen hat, sagt: ,,Man sollte aufhören, die Radierung mit dem willkürlich dazugekommenen Namen „Faust“ zu benennen. Er ist irreführend und versperrt jeden Zugang zu den Tiefen des Kunstwerks“.

Gegen die Faustdeutung ergibt sich ferner eine weitere, aber im Zusam-menhang der Faust-Ikonographie wichtige Beobachtung: es fehlt der bei Beschwörungs-szenen auch sonst übliche Zauberkreis. Zudem ist die an Christus erinnernde Inschrift „INRI“ im Spiegel für eine Faustdarstellung irreführend.   Was könnte nun für den Zusammenhang von Rembrandts Radierung mit Faust sprechen? Ch. Blanc glaubt an Beeinflussung Rembrandts durch englische Komödianten. Dies wurde aufgegriffen durch Leendertz unter Hinweis auf Akt III, Szene V 1 VI des niederländischen Volksschauspiels vom Doktor Faustus: der den Pakt unterschreibende Faust wird von hellem Glanz getroffen, doch ist die letzte Warnung des Schutzengels vergebens.   II.

FAUSTS REZEPTION IN DER M A L E R E I   II.1 ALLGEMEINE EINFÜHRUNG   Die höchsten Leistungen der Dichtung wie der Kunst überhaupt initiieren geradezu Äußerungen in anderen Gattungen. Es könnte beinahe von einem Gesetz gesprochen werden, wonach der Rang einer Schöpfung mit dem künstlerischen Nachvollzug erwiesen wird. Aufnahme und Neugestaltung eines Themas, eines Stoffes oder eines Motivs ist von zwei besonderen Faktoren abhängig, nämlich von der Sinnfälligkeit und der Volkstümlichkeit. Die Deutung einer dramatischen Szene mit dem Mal- und Zeichenstift kann nur dann zu einem Wiedererkennen des Vorganges führen, wenn die Figuren und die theatralische Konstellation charakteristisch angelegt und allgemein bekannt sind. Faust und Mephisto, Gretchen und Helena sind Beispiel für eine unverwechselbare Gestaltung durch den Dichter, für die Volkstümlichkeit und für die unmittelbare Erkennbarkeit, die der künstlerischen Nachbildung den Weg bereitet.

Nachahmung und Umgestaltung des im Zentrum der deutschen Literatur stehenden Faust-Stoffes sind Legion. Das gilt auch für die Abwandlung der Goetheschen Konzeption durch zeitgenössische und spätere Dichter und Schriftsteller. Doch nicht allein innerhalb der Poesie hat Goethes ,,Faust“ Einfluss ausgeübt und Nachfolgeschaft gezeugt. Nach dem Prinzip der beiderseitigen Befruchtung der Künste wird die Aufnahme des Themas in die Malerei (und natürlich Musik, deren Rezeption hier jedoch nicht thematisiert werden soll) vollzogen. Dies geschieht bereits zu dem Zeitpunkt, da Goethes Dichtung allein mit dem ersten Teil veröffentlicht und die Ausformung bis zur eigentlichen Vollendung noch im Entstehen ist. Ich meine den Zeitraum zwischen den Erscheinungsdaten beider Teile, 1808 und 1832.

Die Faust-Dichtung hat das Denken aller Generationen seit Goethe beschäftigt. Als Bestandteil der ständig erneuerten Rezeption der Dichtung gilt uns die Deutung des Malers und Zeichners. Das besagt, die Illustration des Goetheschen ,,Faust“ kann nicht nur ein Nachvollziehen des Inhalts und Gehalts durch den bildenden Künstler genannt werden, sondern ist als ein Erschließen der Dichtung mit anderen Ausdrucksmitteln aufzufassen.     II.2 GOETHES EIGENE WERKE ZUM FAUST   Ehe ich mich den Anfängen der Faust-Illustration, die mit der Ausbildung einer bürgerlich-realistischen Kunst zusammenfallen, zuwenden, sei den Zeichnungen und Skizzen Goethes zu seiner Dichtung gedacht. Sie gelten uns als authentische Aussagen über das im Entstehen begriffene Werk.

Im Grunde handelt es sich nicht um eine Deutung mit den Mitteln der Kunst. Einerseits sind sie dem dichterischen Prozess zugehörig; die Datierung ergibt sich dann aus der Chronologie der Werkgeschichte. Andererseits geht es Goethe um die Verwirklichung seiner Dichtung auf der Bühne, das heißt um die szenische Erprobung mit Hilfe des Zeichenstiftes. Als Teil der Entstehung des ,,Faust“ betrachte ich die Skizze zum ,,Prolog im Himmel“ (Abb. 2) , die ich daher für 1797-1800 ansetzen. In ihrer Nähe dürfte, zeichnerisch und zeitlich, die ,,Walpurgisnacht" (Abb.

6) stehen. Beide Zeichnungen deuten den Vorgang lediglich an. Die weiteren vier Entwürfe zum ersten Teil weisen eine innere Beziehung auf. Die tastende Ausgestaltung eines Innenraumes ist identisch mit dem Suchen nach der gemäßen Bühnenszenerie. Vielleicht könnte noch bei der ,,Hexenküche“ (Abb. 5) von der Vergegenwärtigung der Situation und damit von einer Übereinstimmung mit dem Entstehungsprozess gesprochen werden, was eine sehr frühe Datierung (etwa 1788) ergäbe.

Die Ähnlichkeit des Rahmens rückt auch diese Zeichnung zu den anderen drei. Ich meine, die vier Blätter gehören in die Zeit nach 1810. Goethe lernte in diesem Jahre eine eben entstandene Illustrationsfolge von Ludwig Nauwerck (1772-1838) kennen, die eine Darstellung der Erdgeisterscheinung enthält. Die Auseinandersetzung mit der Deutung Nauwercks dürfte Goethes eindrucksvolle Zeichnung ergeben haben. Apollo, Zeus oder Erdgeist überstrahlt den Raum (Abb. 1); der Kopf der Erscheinung steht im gotischen Spitzbogengewölbe.

Die Zeichnungen, die man der Eingangs- und der ersten Studierzimmerszene zuordnet (Abb. 3 und 4), können Vorstufen genannt werden, da die Örtlichkeit ähnlich ist. Meines Erachtens nach geht die Bedeutung der Zeichnungen Goethes über eine Prüfung von Nauwercks Leistung hinaus, denn zu dieser Zeit taucht der Gedanke an die Bühnenverwirklichung auf. Durch Eintragungen in die Tag- und Jahreshefte von 1812, wonach Wolff und Riemer ,,einen Plan zur Aufführung des Faust“ entwerfen und ,,der Dichter verleitet ward, mit diesem Gegenstand sich abermals zu beschäftigen, manche Zwischenszene zu bedenken, ja sogar Dekorationen und sonstiges Erfordernis zu entwerfen“. Vielleicht weisen diese Worte auf die vier Skizzen hin, die dann als echte Entwürfe zu Bühnenbildern zu gelten hätten. Es ist jedoch nicht völlig auszuschließen, dass die Vorbereitungen zur mono-dramatischen Aufführung des Grafen Brühl 1815 oder zur ersten Berliner Inszenierung mit den Kompositionen des Fürsten Radziwill 1819 die Phantasie des Dichters angeregt haben, die mögliche Szenerie bildlich auszudenken.

Die ,,Erscheinung des Erdgeistes“ von der Goethe in dem Brief an Brühl vom 1. Mai 1815 ausdrücklich spricht, und der einheitliche Ort des Studierzimmers legen solche Vermutungen ebenso nahe. Ein weiteres Blatt von der Hand des Dichters ist anzuführen, das nun mit dem Entstehungsprozess von ,,Faust II“ in Verbindung zu bringen ist. Es handelt sich um den Versuch, die ,,klassische Walpurgisnacht“ zu versinnbildlichen (Abb. 7). Allgemein wird diese Zeichnung der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre zugewiesen; sie gilt der Szene ,,Felsbuchten des Ägäischen Meers“.

    II.3 FAUSTS REZEPTION DURCH ANDERE KÜNSTLER   Die Berechtigung zur bildlichen Erklärung hat Goethe bejaht. Er glaubt sogar anfänglich, ohne die künstlerische Wiedergabe werde die Gestaltenwelt des ,,Faust“ schwerlich fassbar sein. Wie nahe ihm die nötige Berührung mit der Kunst zu liegen scheint, entnehmen ich einem Schreiben an den Verleger Cotta vom 30. September 1805: ,,Ist es mir einigermaßen möglich, so tret ich gleich mit Faust hervor. Er und die übrigen holzschnittartigen Späße machen ein gutes Ganze.

.." Wenig später, in dem Brief an Cotta vom 25. November des gleichen Jahres, verwirft Goethe den Gedanken der Bildbeigabe. Es geschieht jedoch, dass C. F.

Osiander in Cottas Auftrag vier Szenen bearbeitet. Die Kupferstiche werden in eine Anzahl Exemplare der Erstauflage eingebunden. Es handelt sich um eher wertlose Versuche, der Dichtung Ausdruck zu verleihen. Als dokumentarische Zeugnisse für eine der ersten Illustrationsfolgen haben ich ,,Auerbachs Keller“ , ,,Kerker“, „Erscheinung des Erdgeistes“ sowie „Nacht, offen Feld“ (Abb. 8) aus dem sehr seltenen Band ausgewählt. Goethe hat, so nimmt man an, mit ziemlicher Sicherheit, die Abbildungen von Osiander nie gesehen.

1790 erscheint das ,,Fragment", das man als Vorklang zum vollendeten ersten Teil bezeichnet. In ähnlicher Weise verstehen man eine Proben einer illustrativen Erklärung der Dichtung aus dem Jahre 1796 als Vorspiel. Ich führe die Zeichnung ,,Hexenküche" von Asmus Jakob Carstens (Abb. 9) an. In der Manier des Umrisses kündigt sich die klassische Malweise an, die sich auf die Linie stützt und zeitweilig auf die Farbgebung verzichtet. Sie sollte für eine Reihe von Illustratoren verbindlich werden.

Während Carstens die früheste Arbeit zu der Dichtung in ihrem fragmentarischen Stadium liefert, tritt ein Leipziger schon 1809 mit Versuchen zum ein Jahr vorher erschienenen ersten Teil des ,,Faust“ hervor. Es handelt sich um Christian Ludwig Stieglitz´ (1756-1836) 13 Zeichnungen, die lange Zeit als verschollen galten und die erst 1932 entdeckt wurden. Rochlitz macht Goethe auf die Illustrationen aufmerksam. Am 20. November 1809 erbittet der Dichter die Deutung seines Werkes. Als Goethe die Sepiastudien am 18.

Februar 1810 zurückschickt, bemerkt er dazu: ,,Dem Dichter kann nichts Angenehmeres begegnen, als wenn er auf eine so bedeutende Weise erfährt, dass ihm die Einbildungskraft des Lesers entgegen arbeitete“. Mit Bedacht spricht Goethe nicht von dem ,,Künstler“, der sein Werk deute, denn die Stieglitz-Blätter können nur als Liebhaberarbeiten gelten, die im Stile von spätbarocken Bühnenmalereien abhängig sind. Demzufolge werden italienische Landschaften und antike Architekturelemente in eine romantische Umwelt gesetzt. Der Bühnenvorgang ist für Stieglitz unwichtig; in der ,,Kerker“-Szene (Abb. 10) wirken Bauteile, Gewölbe und Bögen bestimmend. An den bisher genannten Arbeiten fällt auf, dass entweder die Bewegtheit und Phantastik der Szene (,,Auerbachs Keller“, Erdgeisterscheinung, ,,Hexenküche“) oder die eindrucksvolle, hochdramatische Situation (Pakt bzw.

Wette, ,,Kerker") als Anregung dient. So reagiert allgemein die Illustrationskunst auf Goethes Dichtung. Faust, die Hauptgestalt des Werkes, wird in ihrem eigentlichen Wesen noch nicht verstanden und empfunden.   Die Reaktion der Literaturkundigen auf die Veröffentlichung des ersten Teiles der Tragödie ist nicht besonders groß gewesen. Wenige Rezensionen aus den Jahren 1808/10 liegen vor. Um so mehr erstaunt die Fülle der Illustrationen.

Es scheint, als übernehme die bildende Kunst die beurteilende Funktion. Diese Feststellung müssen man insofern einschränken, da noch nicht von einer Ausdeutung der Dichtung gesprochen werden kann. Die illustrative Behandlung des ,,Faust“ ist identisch mit einer Annäherung an die Dichtung, und zwar mit den Mitteln der Kunst. Maler und Zeichner ringen wie die Leserschaft um das Verständnis für die Bilder, die der Dichter entworfen hat. Diese Grundvoraussetzung muss man bei der zeitgenössische Illustration beachten. Sie gilt nicht nur für die Einzelblätter und Folgen, die bis 1832 entstehen, sondern weitgehend für die gesamte Illustrationskunst des 19.

Jahrhunderts, soweit sie sich der Werke Goethes verschrieben hat. Der Künstler hält sich zunächst an den Text, malt die Szene, zeichnet die abgehandelte Situation. So verfährt Moritz Retzsch mit den ,,Umrissen zu Goethe's Faust“ (1816), indem er bescheideneren Ansprüche zu verwirklichen trachtet. Schon der Entwurf mit der Feder beweist die begrenzten Ziele, die Retzsch mit seiner Gestaltungsweise verfolgt. Der Künstler wählt geschickt Momente der Dichtung aus, die für den Handlungsverlauf wesentlich sind; er trifft dabei Augenblicke, die den Leser bewegen und die zugleich einer volkstümlichen Nachzeichnung entsprechen. Das Ergebnis ist die erste Illustrationsfolge zu ,,Faust I“ , die sich sofort durchsetzt und die auch in anderen Ländern mit den frühesten Übersetzungen zur Wirkung gelangt.

Aufgrund der großen Bedeutung dieser Illustrationsfolgen für die Verbreitung des Werkes und da Goethe sehr angetan von ihnen war, werde ich an späterer Stelle nochmals detailliert die Werke Moritz` Retzschs ansprechen. Die Darstellungsweise von Retzsch (und auch Ramberg) trägt zum Verstehen des dichterischen Werkes bei. Goethes ,,Faust“ erweist sich hier als klar darstellbar. Solche Erkenntnis sollte für das Theater anregend wirken. In diesem Sinne hat die Kunst dem Theater vorgearbeitet und der Dichtung den Weg zu unübersehbarer Entfaltung geöffnet. Die Wechselwirkung zwischen Dichtung und Zeichenkunst beziehungsweise zwischen Malerei und Bühnenkunst wird in ähnlicher Weise schon zu Goethes Zeit und in der unmittelbaren Umgebung des Dichters formuliert.

  Aus der großen Zahl der zu Goethes Zeit entstandenen Illustrationen ragt der Zyklus von Peter Cornelius hervor (1816). Die Anregung Goethes, die Malweise Dürers zu studieren, verhilft dem Künstler zu klaren Formen und zu einer historisch einwandfreien Kostümierung. Zwar bleibt Cornelius dem Umriss verpflichtet, doch gelingen ihm malerische Situationen, an denen die Lebendigkeit gefällt (Abb. 11). Am 8. Mai 1811 nennt Goethe die Illustrationen in einem Brief ,,sehr geistreich gut gedachte, ja unübertrefflich glückliche Einfälle“.

Die Beteiligung des Auslandes an der Faust-Illustration bezeugt Eugene Delacroix, dessen Folge von 1828 als zweite überragende Leistung der Goethe-Zeit zu bezeichnen ist. Der ,,gemalte französische Faust“ übertrifft alle im Verlauf des 19. Jahrhunderts entstandenen Versuche. Mit den in ihrer Art völlig anderen Beiträgen unseres Jahrhunderts kann sich Delacroix noch immer messen. Ein Künstler scheint nun dem Wesen Fausts gerecht zu werden; Delacroix verleiht dem um Erkenntnis ringenden Gelehrten Ausdruck (Abb. 12).

Für andere Szenen gelingt ihm nicht einfach das Abbild des Vorgangs, sondern er macht das Unheimliche des Augenblicks (Abb. 13) und das Dämonische der Figur Mephistos sichtbarer. Delacroix setzt überhaupt zu einer Ausdeutung der Dichtung an. Goethe bemerkt 1827 in den zwei zugesandten Probedrucken das ,,Ungestüm seiner Konzeptionen“. Aber schon im Eckermann-Gespräch vom 29. November 1826 heißt es, ,,dass Herr Delacroix meine eigene Vorstellung bei Szenen übertroffen hat, die ich selber gemacht habe.

..“. Delacroix findet in Weimar fast ungeteilte Zustimmung. Die innere Spannung der Szenen, ihre realistische Auffassung und die Beleuchtung des Hintergründigen führte zur Hochschätzung Delacroix` . Die Verleger der Dichtungen Goethes, die nach seinem Tod die Werke in ununterbroche-ner Kette herausgeben, glauben auf Illustrationen nicht verzichten zu können.

Aus dieser Gesinnung heraus sind bereits die Blätter Gustav Nehrlichs im Jahre 1831 entstanden, und zwar unter dem Einfluss Retzschs und der Umrisstechnik.   Etwas später beweisen ein deutscher Künstler, Gustav Schlick, und ein französischer, Tony Johannot, ebenfalls künstlerisches Talent. Die Arbeiten des einen setzt man in die Jahre 1847-50, die des anderen sind 1847 veröffentlicht worden. Schlicks Zeichnungen imponieren in ihrer Unaufdringlichkeit und einfachen Schilderung; und in ihrer Aussage dem vom Delacroix vergleichbar. Anders Johannots Bilder; sie leben von Gegensätzen, die der Künstler gekonnt zum Ausdruck bringt, und vom Dämonischen (Abb. 14).

Für diese Jahrzehnte haben ich nur die Illustrierung von ,,Faust I“ verfolgt. Seit dem Erscheinen des zweiten Teiles wird die dem Künstler gestellte Aufgabe umfassender. Die ersten Versuche, dem zweiten ,,Faust“ gerecht zu werden, gehen von bereits genannten Künstlern aus. Retzsch legt 1836 die zweite Folge vor (Abb. 15) und Kaulbach liefert mit der ursprünglichen ,,Goethe-Gallerie“ von 1841 ein Bild zu ,,Laboratorium“ (Abb. 16).

Etwa gleichzeitig entsteht mit der Ausmalung des Goethe-Zimmers im Weimarer Schloss, die im Auftrage der Großherzogin Maria Pawlowna geschieht, ein großflächiges Fresko von Bernhard von Neher (1806-86) (Abb. 17). Diese für die damalige Zeit ausgezeichnete Leistung monumentaler Malerei verbindet historisierende Tendenz mit dekorativem Aufbau zu einer Zusammenschau der Dichtung. Der Verpflichtung, nunmehr beide Teile des ,,Faust" bildkünstlerisch zu erfassen, versucht Engelbert Seibertz (1813-1905) gerecht zu werden. Der Künstler steht an der Schwelle zur zweiten Hälfte des 19 Jahrhunderts. Diese Epoche erreicht auf dem Gebiet der Kunst einen Tiefstand, von dem auch die Faust-Illustration berührt wird.

Seibertz` Arbeiten zum ersten Teil sind für uns kaum mehr erträglich, obwohl er nicht unwesentlich zur Fixierung der Mephisto-Figur beigetragen hat. In den Stichen und Holzschnitten die um 1850 entstehen, erkennt man zwar ein selbständiges Gestalten und trotzdem eine Nähe zur Dichtung, ebenso das Entwerfen bedeutender Menschen, aber auch einen Zug der Überhebung mit dem Vordringen ,,faustisch-deutscher" Elemente. Nur die Bilder, die mit klassizistischer Staffage ausgestattet sind, können noch als akzeptabel gelten. Deshalb habe ich vorzüglich solche Abbildungen ausgewählt, die den antiken Bezügen der Dichtung folgen (Abb. 18). Allerdings weist die Anlehnung an gotische Stilformen auf ein seltsames Verquicken von romantisierenden und klassizistischen Zügen hin.

Als ein Positivum bestätigt sich wiederum das Vorarbeiten der Bildenden Kunst, indem die Illustration anregend wirkt für die jetzt einsetzenden ,,Faust II“-Aufführungen.   Für die Illustrationskunst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nennen ich vier Namen: Alexander Liezen Mayer (1839-98), Adolf Schmitz (1825-94), August von Kreling (1819-76) und Ernst Juhus Hähnel (1811-91). Diese Künstler gelten zu ihrer Zeit als unbedingte Meister; ihre Arbeiten finden eine weite Verbreitung im In- und Ausland, deren Ruf sogar ins 20. Jahrhundert reichte. Die von mir berücksichtigten Motive sind teils gerade noch anzuerkennen, teils reichen sie an die Grenze des Möglichen.

Wenn Kreling 1874 den trockenen Schleicher Wagner porträtiert (Abb. 19), trifft er - noch dazu im damaligen Kostüm - seine Zeit und Umwelt. Wie Schmitz und Liezen Mayer verwendet Kreling albernen Prunk und hohle Posen, die die gesellschaftlich aufgeblasene Situation und die Fragwürdigkeit des Kaiserreiches enthüllen. Mit bescheideneren Mitteln, aber dennoch idealisierend, gestaltet der Dresdener Bildhauer neoklassizistische Figuren (um 1860); er schwankt zwischen mittelalterlicher, klassizistischer und zeitgenössischer Manier. Die Faust-Illustrationen seit den 60er Jahren sind auf ,,Innigkeit“, ,,nationalen Geist“ und vornehmlich auf ein kleinbürgerliches Milieu abgestimmt. In dem Moment, wenn man sich an die ähnliche Darbietung auf der Bühne erinnert, empfindet man die begründete Bedenklichkeit dieser Ausdrucksform.

  Die impressionistischen und expressionistischen Richtungen zu Anfang unseres Jahrhunderts entdecken den ,,Faust" als thematischen Vorwurf. Der Symbolwert der Gestalten wird erkannt und regt zu beachtlichen Schöpfungen an. Wesen und Sinn des Geschehens werden nicht mehr bildlich nacherzählt, sondern von einer höheren Einsicht her erfasst. Die buchkünstlerischen Absichten, die zugleich von den Pressendrucken ausgehen, stellen größere Anforderungen an den Künstler.   Vergleichbare künstlerische Aussagen können man für die folgenden zwei Jahrzehnte in Deutschland nicht registrieren. Erst nach dem zweiten Weltkrieg findet die deutsche Faust-Illustration eine solche Belebung, dass sie hier beachtet werden kann.

Inzwischen treten in Amerika Kent (1941) und in Frankreich Sdy-Legrand (1942) hervor. In fast raffinierter Weise nutzt Kent die Möglichkeiten des Holzschnitts bis zur letzten Konsequenz. Die zweiseitige Buchillustration verhilft ihm dazu, den Doppelcharakter einer Szene zu enthüllen (Abb. 20). Das Elend der Konzentrationslager, die Grausamkeit des Krieges und der Terror des Faschismus haben dazu aufgerufen, den faustischen Drang nach Erkenntnis in befreiende Tat münden zu lassen. Mir scheint daher die Faust-Illustration seit 1945 vertiefter, gereifter zu sein.

Es existieren Arbeiten Max Beckmanns (1943/44), Rudolph Schröders (1948), Gontscharows (1953), Max Schwimmers (1954/55), Fritz Cremers (1956/59), Otto Baumbergers (1956/59), Vanhammes (1957) und Hegenbarths (1961). Wenn man Beckmanns Zeichnungen den Faust-Illustrationen seit 1945 zuweist, so stimmt das nur für die von Willi Seidel geschnittenen Druckstöcke. In der spannungsgeladenen, manchmal auch beklemmenden Ausdrucksweise lebt das Schicksal des Flüchtenden und Gehetzten, denn zur Zeit der Entstehung verbirgt sich Beckmann in Antwerpen in der Emigration vor dem Zugriff der Faschisten. Wiederum wendet sich ein Illustrator vornehmlich dem zwar nicht mehr vernachlässigten, aber noch keineswegs voll erfassten zweiten Teil des ,,Faust“ zu. Der Künstler skizziert die Szene zunächst sehr realistisch, wenn er den Gestalten auch oftmals ein zeitgenössisch-modernes Gewand leiht. In den gewählten Motiven versucht er darüber hinaus ein Allgemeines, eine urmenschliche Situation anzulegen.

Dennoch weicht er niemals in mystische, dämonische oder barbarische Bezirke aus (Abb. 21). Cremer bildet hier einen schaffen Kontrast. Die Bildvisionen seiner ,,Walpurgisnacht“ setzen sich mit dem Barbarischen der Brockenwelt auseinander, die zugleich Verwandlung der grauenhaften jüngsten Vergangenheit einschließen (Abb. 22). Die Anwendung des Schrecklichen, Häßlichen und Obszönen hat hier seine volle Berechtigung.

Baumbergers „Kompositionen“ erscheinen 1966, sie erhalten ausdeutenden und symbolisierenden Charakter, während die Entwürfe der 20er Jahre eher Rahmen als Bild gezeigt haben. Die dreifache Stufung in der Szene vom höchsten Augenblick - Lemuren, Faust, Mephisto - gilt als höchst eindrucksvoll (Abb. 23).   Der Maler Bert Heller, der der Gegenwart Wesentliches zu sagen hat, ist mir als Illustrator einer ,,Faust"-Ausgabe begegnet. Er leistet Bedeutendes, mitunter Problematisches, wenn er mit der Strichzeichung das dichterische Wort zu erfassen sucht. Heller hat unzweifelhaft mit dem Bilde des sinnenden Faust einen bleibenden Beitrag zur Faust-Illustration geliefert, so sagen es zumindest übereinstimmend die Kritiker unserer Zeit.

Man begreift diesen Faust als eine unseren Tagen gemäße Deutung der Gestalt Goethes, wie sie uns auch im zweiten Teil der Dichtung entgegentritt (Abb. 24).     III. Die Faust-Rezeption exemplarisch an Moritz Retzsch dargelegt   III.1 Zur Person   Friedrich August Moritz Retzsch wurde am 9.12.

1779 in Dresden geboren. Sein Vater war dort Geheimer Kriegssekretär. Die Vorfahren stammten aus Ungarn. Mit 19 Jahren kam Retzsch an die Dresdner Akademie als Schüler von Toscani und Grassi, der ihn in Richtung der Neoklassik beeinflusste, bis die Dichtungen Fouques und Geßners ihn zur Romantik führten. 1824 wurde Retzsch Professor. Nach den Wirren der Revolution von 1848 verlegte er seinen Wohnsitz in ein Landhaus mit Weinberg in der Lößnitz.

Dort starb er am 11.6.1857. Er war zu seiner Zeit ein ungemein geschätzter Künstler. Seine Porträts, seine allegorischen und mythologischen Gemälde, seine Zeichnungen und Kupferstiche fanden große Anerkennung in der Öffentlichkeit. Als Porträtist genoss er besonders die Wertschätzung der Dresdner Hofgesellschaft und des sächsischen Landadels.

Die meisten seiner Gemälde sind heute verschollen oder befinden sich vernachlässigt in den Museumsmagazinen. Eine bestimmte Gruppe seines Schaffens aber wird neuerdings im Zusammenhang mit der Aufwertung der Kunst des 19. Jahrhunderts wieder neu beachtet: Nämlich seine Umrisszeichnungen, die er zu den Dichtungen Shakespeares, Goethes, Schillers u.a. schuf.     III.

2 Illustrationen zu Goethes Faust (Alle Blätter sind der Anlage in textgemäßer Reihenfolge beigelegt)   Goethe sah im September 1810 in Dresden die ersten Entwürfe Retzschs zu seinem 1808 erschienen Faust. Er hat sie dann Zeit seines Lebens allen anderen Illustrationen vorgezogen und die im Druck erschienenen Ausgaben mehrfach verschenkt. Noch am 25. November 1805 hatte Goethe an seinen Verleger Cotta geschrieben: ,,Den ,Faust“ dächte ich, gäben wir ohne Holzschnitte und Bildwerk. Es ist so schwer, dass etwas geleistet werde, was den Sinn und dem Tone nach zu einem Gedicht passt. Kupfer und Poesie parodieren sich gewöhnlich wechselweise.

Ich denke, der Hexenmeister soll sich allein durchhelfen.“ Nun aber veranlasste er denselben Verleger, die Zeichnungen von Retzsch zu veröffentlichen. 1816 erschien also eine Folge von 26 Blatt als Umriss-radierungen, der bald weitere Auflagen folgten, darunter 1834 eine ,,vom Verfasser selbst retuschierte und um einige neue Platten vermehrte“ Ausgabe, die 1836 um elf Blatt mit Illustrationen zum zweiten Teil des Faust erweitert wurde. Schon 1820 erschien in London eine englische Ausgabe, 1825 in zweiter Auflage. Auch in Paris erschienen nach 1823 zwei französische Ausgaben. Goethes Vorliebe ist wie folgt zu erklären.

Retzschs Umrisse sind von einer Strenge und Sparsamkeit, die sich nur mit der Kunst des wenig älteren Engländers John Flaxman vergleichen läßt, der in seinen Zeichnungen auch auf jede Betonung von Licht und Schatten verzichtete. Nur die Spannung der Linie gibt den Figuren ihr Leben und ihre Intensität. Obwohl Retzsch vom zweiten Teil des Faust zunächst nichts wissen konnte, hat er Goethes Ideal ganz klar erkannt und Gretchen nicht nur als anmutiges und zärtliches Kleinstadtmädchen gezeichnet, sondern mit ihrer Lieblichkeit die klassische und strenge Schönheit der Helena vereinigt. Das drückt sich nicht nur im Profil des Gesichts und in der Frisur, sondern z. B. auch im Faltenfall der Kleidung aus.

Diese Verschmelzung des ,,Romantischen“ mit dem ,,Klassischen“ musste Goethe faszinieren. Er stand darum den Faustillustrationen des damals jungen und später berühmten Peter Cornelius (s.o.) eher distanziert gegenüber, die ihm zu einseitig mittelalterlich erschienen. Er sah in ihnen Zeugnisse neudeutscher, religiös-patriotischer Kunst der Romantiker, die seinem klassischen Ideal nicht entsprachen. Schon vorher hatte Goethe im 2.

Heft 1817 der Zeitschrift Über Kunst und Altertum gerühmt, dass Retzschs Zeichnungen den Charakter der Dichtung mit einer gewissen Stetigkeit durch die ganze Reihe fortführen. Retzschs Strich ist auch in den kleinsten Details noch präzise. Er übersetzt die dich-terischen Vorlage in vollkommener ideeller Harmonie zur Klarheit und Transparenz des reinen Umrisses. Diese Kühle und das Vermeiden irgendwelcher ,,Stimmungen“, die sachliche Charakterisierung der Personen, die Fähigkeit, den Raum nicht nur mit Personen und Staffage, sondern auch mit geistiger Spannung zu füllen, sichern Retzsch seinen - wenn auch insgesamt bescheidenen - Platz in der Kunstgeschichte. Noch ein anderes Moment aber ist bei der Beurteilung der Retzsch'schen Illustrationen wichtig, nämlich die Vorwegnahme der Bühneninszenierung. Wenn Goethe zunächst selbst wohl der Meinung war, dass der Sinn seiner Dichtung sich nicht unbedingt auf der Bühne erfüllen müsse, hat er doch im Prinzip eine Theaterdarstellung nicht abgelehnt, und in späterer Zeit sich auch im Gespräch mit Eckermann (s.

o.) mehrfach zu Detailfragen möglicher Inszenierungen geäußert. Und sicher gibt ein Brief Eckermanns vom 3. Februar 1829 Goethes Meinung wieder: ,,Der Darstellung des ,Faust' kommt es sehr zugute, dass die bildende Kunst dem Theater vorgearbeitet hat. . .

Die [Umrisse] von Retzsch sind vielleicht das Edelste und Sicherste, woran man sich zu halten hatte ...“ Das betrifft nicht nur Haltung, Geste und Physiognomie der einzelnen Personen, sondern auch das Arrangement der Ausstattung und die bühnenwirksame Stellung der Akteure. Interessant z.B.

, dass Gretchen in der Szene von Valentins Tod unter die Statisten zurücktritt und auch in der Szene mit dem Bösen Geist im Dom unter den anderen Teilnehmern des Hochamtes nur als eine von vielen erscheint. So ist jedes einzelne Blatt nicht nur lite-rarische Illustration, sondern ist theatermäßig inszeniert. Zwar könnte man darüber streiten, ob Goethe den Faust in einer bestimmbaren historischen Epoche angesiedelt hat, - im zweiten Teil sind Raum und Zeit ohnehin aufgehoben - die Assoziationen des Textes aber zu der Enge einer mittelalterlichen deutschen Stadt sind jedoch offensichtlich: Kleinstädtische und kleinbürgerliche Enge des Denkens und der moralischen Anschauungen - insbesondere verkörpert in der Gestalt des Valentin - sind es ja gerade, die Gretchens Geschichte erst zur Tragödie werden lassen. Retzsch hat das auch so gesehen und andeutungsweise in Architektur und Kleidung die Atmosphäre einer alten deutschen Stadt hergestellt, ohne diese Tendenz zu übertreiben, weil es sich ja nicht um ein historisches Schauspiel handelt. Ans Theater aber hat er auf alle Fälle gedacht. Retzsch trifft die technischen Möglichkeiten der Bühne.

Kennzeichnend z.B., dass bei ihm die zum Raume gehörenden Details in Fausts Studierzimmer oder in Gretchens Kammer auf den verschiedenen Blättern vollkommen gleich bleiben. Andererseits zeigen seine Zeichnungen der Kammer Gretchens und des Zimmers der Frau Marthe eine Bühnenausstattung, die zu seiner Zeit noch nicht gebräuchlich war, nämlich die geschlossene Zimmerdekoration. An Stelle der sonst auf dem Theater üblichen offenen Kulissen und der Soffitten benutzt er hier drei Wände, die oben mit einem Plafond abgeschlossen werden. Diese Idee übernahm dann Schinkel für seine Ausstattung der ersten Aufführung des Faust überhaupt, die auf Initiative des in Berlin lebenden polnischen Fürsten Anton Heinrich Radziwill, der eine Faust-Musik komponiert hatte, veranstaltet wurde.

Dabei wurden auch die Versatzstücke plastisch dargestellt und nicht mehr einfach nur auf die Kulisse gemalt.   Die in England und Frankreich veröffentlichten Nachstiche von Retzschs Illustrationen hatten auch in diesen Ländern sofort das Interesse an Goethes Dichtung geweckt. Es erschienen Übersetzungen des Faust, und 1825 bzw. 1828 kam es zu - wenn auch verballhornten - Aufführungen in London und Paris.       A U S W E R T U N G     Ich habe gezeigt, welch umfassend verschiedentliche Ausprägungen sich zu Goethes „Faust“ im Laufe der Zeit gebildet haben. Bis heute hat der Stoff nicht an seiner Attraktivität verloren.

Diese Seminararbeit hat einen Eindruck der Darstellungen der Rezeption bis zur Schaffung Goethes Werks hin gegeben, sodann des Autors eigene Werke vorgestellt, um dann die künstlerischen Ergebnisse weiterer Künstler, die sich auf Goethes „Faust“ bezogen haben, anzuführen und zu vergleichen. Wie schwer es ist, die einzelne Gestalt der Dichtung zu erfassen, zeigen auch meine Beispiele. Die Bildende Kunst bezieht sich auf die Darstellung im Zusammenhang. Nur wenige Künstler haben es meiner Ansicht nach vermocht, Faust, Gretchen oder Mephisto im ,,Porträt“ gerecht zu werden. Ich nenne für Gretchen Cornelius, für Mephisto und Faust Delacroix und Retzsch. Wenn ich die Geschichte der Faust-Illustration überblicke, dann gelangen ich zu zwei Feststellungen.

Einmal sehe ich die künstlerische Deutung in Abhängigkeit von der allgemeinen, gesellschaftlich bedingten Auffassung der Dichtung und vor allem von der Beurteilung der Faust-Gestalt, die sich eben auch im Bild niederschlägt. Zum anderen ist die stilistische und kunsthistorische Einordnung nur von der Entwicklung der Bildenden Kunst aus möglich, denn die Illustration folgt ohne Einschränkung den herrschenden Tendenzen der Kunst. Von beiden Faktoren wird auch die künftige Entwicklung der Faust-Illustration bestimmt sein.      Q U O D E R A T D E M O N S T R A N D U M         L i t e r a t u r v e r z e i c h n i s der verwandten HAUPTWERKE           BOEHN, Max von Faust und die Kunst. Berlin 1924       KINDERMANN, Heinz Das Goethebild des 20. Jahrhunderts.

Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1966       LEMMER, Klaus J., Hg. Illustrationen zu Goethes Faust. Rembrandt Verlag, Berlin 1980       NEUBERT, Franz Vom Doctor Faustus zu Goethes Faust. Verlag Weber, Leipzig 1932       SCHEFFLER, Karl Die impressionistische Buchillustration. Berlin 1931       WEGNER, Wolfgang Die Faustdarstellung vom 16.

Jahrhundert bis zur Gegenwart. Verlag der Erasmus Buchhandlung, Amsterdam 1962  

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