Claudia zorzi
1. Die Erfindung der Fotografie:
Es waren vier Forscher denen man die Erfindung der Fotografie zusprechen kann: Niépce, Daguerre, Fox Talbot und Bayard. Jeder einzelne von ihnen war für den Fortschritt der Fotografie von Bedeutung.
1.1. Joseph Nicéphore Niépce
Joseph Nicéphore Niépce wurde 1765 in Chalon-sur-Saône geboren.
Ab dem Jahr 1801 widmete er sich, gemeinsam mit seinen Bruder Claude (1763-1828), verschiedenen technischen Projekten. Eines davon war die Konstruktion einer Maschine für den Antrieb von kleineren Schiffen, ein Verbrennungsmotor, "Pyréolophore" genannt.
Gegen 1812 begannen sich die Brüder Niépce mit der Lithographie zu beschäftigen. Das größte Problem war, daß die geeigneten Steine nur in einigen bayerischen Steinbrüchen vorhanden waren. Niépce suchte nach Unabhängigkeit von diesem Material, also auch nach der chemischen Bearbeitungsmöglichkeit von Trägerschichten. Er überzog Steine mit Firnis, ätzte Zeichnungen, doch die Steine erwiesen sich als ungeeignet.
Er wechselte zu Metall, vor allem zu Zinn, und beschichtete diese Platten mit verschiedenen lichtempfindlichen Stoffen, so auch mit Chlorsilber, doch blieben die Versuche, seine Zeichnungen zu ätzen, vergeblich. Es ging Niépce zunächst immer nur um Druckplatten. Niépce besaß kein zeichnerisches Talent, also war er gezwungen Bilder anders als mit der Hand herzustellen. So griff er wieder zur Camera obscura. Einem Werk über Chemie entnahm er, daß Guajakharz im Licht verfärbt. 1816 gelang es ihm, so etwas wie ein Bild zu erzeugen, doch es war unfixierbar.
Nach einigen erfolglosen Versuchen, versuchte er es mit Asphalt. Niépce löste den Asphalt in Lavendelöl auf, überzog damit eine Glasplatte, dann eine polierte Zinklatte, dann eine polierte Zinkplatte, firnißte schließlich einen Kupferstich, um ihn transparent zu machen, und legte diesen mit der Bildseite nach unten, auf die Platte. Dem Licht ausgesetzt, zeigte sich eine unerwartet Erscheinung: die weißen Stellen ließen das Licht durch, wodurch der darunter liegende Asphalt gebleicht, chemisch verändert und gehärtet wurde, während die schwarzen Bildteile das Licht abwiesen bzw. absorbierten. Der darunterliegende unbelichtete Asphalt blieb weich und in Terpentin oder Steinöl lösbar. Mit warmen Wasser ausgewaschen, zeigte sich das Bild auf der Platte.
Dieses Bild nannte er "Helio-graphie".
1822 gelang es ihm, auf diese Weise die direkte Kopie eines Kupferstichs auf eine Glasplatte zu übertragen.
1826 gelang ihm der Porträtstich des Kardinals d 'Amboise, ein bekanntes erstes Dokument der fotografischen Technik. Dies galt allerdings noch nicht eindeutig als "Fotografie".
Niépce stellte sich nun 3 kleine "Kameras" her, in denen er Sammellinsen einsetzte, welche er zur Verkleinerung der Öffnung gleich mit seiner vielleicht genialsten Erfindung, einer Irisblende, versah. Diese Konstruktion wird heute noch gebraucht.
Sie besteht aus kreisförmig angeordnet, halbmodartigen Metallplättchen. Sie öffnet und schließt stufenlos, regelt also die einfallende Lichtmenge nach Bedarf und ergibt abgeblendet, d.h. mit kleinster Öffnung, ein wesentlich schärferes Bild als mit voller Öffnung.
1826 gelang Niépce die erste Aufnahme, die man als Fotografie bezeichnen konnte. Erstellte seine Camera obscura an das Fenster seines Wohnhauses, belichtete die Asphaltplatte etwa 8 Stunden lang und fand dann den Hof des Familienbesitzes "Les Gras" etwas verschwommen zwar, aber vollständig und deutlich abgebildet.
Im September 1827 kam es zur ersten Begegnung zwischen Niépce und J. M. Daguerre in Paris. Daguerre bat sich an, an der Verbesserung der Kameratechnik mitzuwirken.
Niépce starb am 5. Juli 1833 verbittert, erfolglos und in tiefster finanzieller Not, da alle seine Bemühungen fehlgeschlagen waren, seine Erfindungen der Londoner Royal Society vorzulegen.
Dennoch war er der erste, der eine fotografische Aufnahme in der Kamera zustande gebracht hat.
1.2. Louis Jacques Mandé Daguerre (1787-1851)
Daguerre wurde 1787 in Corneilles-en-Parisis geboren.
Er bewies Talent zum Zeichnen, wurde Dekorationsmaler und verstand sich besonders aufs Malen von Panoramen, was ihm vor allem in Theatern Beschäftigung brachte. Ein Erfolg war seine Idee, mit raffinierten Beleuchtungs- und Projektionseffekten ein Lichtspieltheater zu gründen.
Dessen Besonderheit war eine beidseitig bemalte Leinwand, die je nach Auflich oder Durchlicht sehr verschiedene Wirkungen zeigte. Diese Technik legte die Beschäftigung mit der Camera obscura nahe.
1824 bemühte er sich zum ersten mal um eine Bildaufzeichnung mit lichtempfindlichen Stoffen.
1826 wandte er sich mit einem Brief an Niépce. Dieser war zuerst sehr vorsichtig und holte erst Informationen ein, die jedoch sehr positiv ausfielen, da Daguerre in Paris ein gutes Ansehen hatte. 1827 trafen die beiden zusammen, Niépce war sehr beeindruckt und bald darauf kam es zu einem Abschluß eines Vertrags.
Es zeigte sich, daß Daguerre von unrichtigen Voraussetzungen ausgegangen war; er war der Meinung, daß Leuchtstoffe wie Bologneser Spat, das erfolgsversprechendste Material sein müßten, da diese seiner Meinung nach das Licht doch am besten festhielten.
Daguerre arbeitete sehr fleißig, um tatsächlich vertragsgemäß Verbesserungen einzubringen. Als er dann durch einen Zufall die Lichtempfindlichkeit von Jodsilber fand, was er Niépce auch am 21. Mai 1931 brieflich mitteilte. Doch diese Mitteilung kam zu spät für Niépce. Daguerres Erfindung machte als "Daguerreotypie" Weltgeschichte.
Allerdings gelang ihm der wichtigste Schritt erst 1837: und zwar eine Aufnahme in der Kamera herzustellen, diese Jodsilberplatte dann in Quecksilberdampf zu entwickeln und in warmer Kochsalzlösung zu fixieren. Damit erst war das Verfahren festgelegt.
1.2.1. Die Daguerreotypie
Ist ein dreiteiliger Prozeß vom Lichtempfindlichmachen einer polierten Silber- oder versilberten Platte durch das Aufdampfen einer Jodschicht, dann dem nachfolgenden belichten in der Kamera und schließlich dem Fixieren, indem die Platte in einem Kästchen Quecksilberdämpfen ausgesetzt wird.
Dieser Prozeß schuf ein hell-dunkles Lichtbild auf Metall, eine Bildaufzeichnung, die eine feine zart abgestufte Halbtonwirkung besitzt.
Daguerre wandte sich an den Physiker Dominique Francois Arago und weihte ihn in alle Geheimnisse ein. Am 7. Jänner 1839 trat Arago an die Akademie der Wissenschaften heran, teilte die Erfindung Daguerre und Niépce mit und empfahl der Regierung den Ankauf, um sie als Geschenk der Nation der Welt zu übergeben. Eine Kommission, der auch Alexander Humboldt angehörte, hatte mehrere Fragen zu erheben:
1. Ob das Verfahren unbestritten eine Erfindung sei,
2.
Ob diese Erfahrung der Altertumskunde und den Schönen Künsten Dienste von Wert zu erweise imstande sei,
3. Ob sie von allgemeinem Nutzen sei,
4. Ob aus ihr die Wissenschaft Vorteile ziehen werde
Die Fragen wurden mit einem klaren Ja Beantwortet. danach wurde der Bericht fertiggestellt, jedoch enthielt er eine Schwäche: die Ungerechtigkeit Niépce gegenüber, dem nichts anderes zugebilligt wurde, als "lediglich Silhouetten" hergestellt zu haben.
Dies wurde inzwischen längst korrigiert und zwar am 30. Juli 1839.
Nachdem die Daguerreotypie veröffentlicht wurde brach ein Sturm los. Der Entschluß der französischen Regierung, die Erfindung unbeschränkt für jeden zur Verfügung zu stellen, verursachte ein gewaltiges Interesse an der Kamera und deren Ausrüstung.
"Le Daguerréotype" wurde der Apparat genannt, ein rechteckiger Kasten mit einer periskopischen Linse 1:10 und einer nicht verstellbaren Blende von 29 mm.
Die Begeisterung der Welt, aber auch höchste Auszeichnungen – wie die Ernennung zum Offizier der Ehrenlegion und die Aufnahme in die Akademien – brachten ihm alle denkbaren Ehren ein.
Interessenten kamen von überall her wie zum Beispiel der Berliner Verleger L. Sachse, der sich ein Monopol für Deutschland sichern wollte.
Sogar Wien leistete seinen Beitrag durch Hofrat Andreas Ettingshausen, Professor für Physik an der Wiener Universität, der sofort begann Forschung über Nutzung und Verbesserung in Angriff zu nehmen. Dies führte zu Wiens hervorragender Leistung wie die Berechnungen Petzvals für ein lichtstarkes Objektiv oder zu den Tätigkeiten der Hof- und Staatsdruckerei sowie zu der späteren Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt und nicht zu letzt zu dem grundlegenden Schritt der fotografischen Druckverfahren durch den Professor der Anatomie Joseph Berres.
Am Anfang wurde nicht bedacht, daß Jod- und Quecksilberdämpfe äußerst schädlich und giftig waren. Es wurde überall fanatisch damit begonnen zu "daguerreskopieren". Die langen Belichtungszeiten erforderten bei Portraits von den abzubildenden Opfern eine beträchtliche Selbstbeherrschung. Man bestaubte das Gesicht mit weißem Puder um die Kontraste zu schaffen und spannte den Kopf in ein Schraubgestell.
Die Ateliers waren so eingerichtet, daß die Person so hoch wie möglich und ganz nahe unter dem Glasdach saß, was mit beträchtlichen Hitzeproblemen für die Betroffenen verbunden war.
Überall auf der Welt entstanden professionelle Ateliers: 1839 durch Draper und Morse in Amerika, 1840 durch Beard und Claudet in London, Davidson in Edinburgh, ebenso aber auch in Paris, Wien oder Berlin.
Eine leichte Verbesserung gelang Claudet 1841, die Verkürzung der Porträtsitzung von 15 auf 5 Minuten durch das zusätzliche Aufbringen von Chlordämpfen auf die Jodschicht, was die Empfindlichkeit der Platte tatsächlich erhöhte. Ebenfalls noch 1840/41 waren es die Brüder Natterer in Wien, die Jod, Brom und Chlor zu einer weit aus empfindlicheren Beschichtung brachten. Dies war ein Weg die Mängel der Daguerreotypie zu verändern. Der andere bestand in der Verbesserung der Lichtstärke der Optik.
Andreas von Ettingshausen, der vom österreichischen Staatskanzler zur Publikation der Daguerreotypie nach Paris gesandt wurde, erkannte sofort, daß die eigentliche Schwäche in der minderwertigen Leistung der Linse, einem simplen Achromaten von 380 mm Brennweite und Lichtstärke 17 – lag. Nach einem Gespräch mit Checalier in Paris, das ohne Erfolg verlief, wandte er sich in Wien an Dr. Josef von Petzval, Professor für Physik und Mathematik am k.k. Polytechnischen Institut in Wien, um für sein neues Vorhaben (die wissenschaftlich-mathematische Berechnung eines Linsensystems) zu gewinnen.
Die Berechnung die Petzval in völlig neue Gebiete der Optik führten, dauerten mehrere Monate und waren Anfang 1840 abgeschlossen, Die Belichtungszeit betrug damit statt 15 Minuten 45 Sekunden, und damit stand der Fotografie von da an ein völliges Neuland offen.
1.3. Hippolyte Bayard (1801 – 1887)
Hippolyte Bayard ist von seiner Heimatstadt Breteuil-sur Noye (Oise) nach Paris gezogen und arbeitete dort als Staatsbeamter und Jurist im Finanzministerium. Er lebte bescheiden und zurückgezogen.
Daguerre hatte sich mit dem Lichtbild auf einer Metallplatte beschäftigt, und Bayard experimentierte ausschließlich mit lichtempfindlich gemachten Papieren. Dabei war er zu folgender Methode gekommen: Er überzog Papier mit Chlorsilber und ließ es in der Sonne so schwarz wie möglich werden.
Dann ließ er dieses geschwärzte Papier auf einer Lösung von Jodkalium schwimmen, brachte es in die Kamera und belichtete es. Der Lichteinfall schwärzte nun nicht, sondern bleichte, wodurch er direkt ein positives Bild erhielt. Am 24. Juni 1839 stellte Bayard in der Salle des Commissaires-prisseures solche Bilder auf Papier bereits öffentlich aus – einen vollen Monat bevor Daguerre sein Verfahren publizierte.
1.4 William Henry Fox Talbot (1800 – 1877)
W.
H. Fox Talbot entstammte aus einer angesehenen Familie und studierte in Cambridge. Er betätigte sich als Archäologe und Philologe, trat in die Politik ein und wurde schließlich Parlamentsmitglied. Sein Interesse aber gehörte der Mathematik, Chemie und Physik. Besondere Forschungen über Licht brachten ihn zu der Überlegung, die Camera obscura durch chemische Lichtaufzeichnungen zu nützen.
Seit 1835 beschäftigte er sich mit der Camera obscura und kam rasch zum Durchbruch.
Er stellte mit lichtempfindlichem Papier versehene, kleine Kameras rings um sein Haus auf. Sie zeigten schließlich auf dem naß eingelegten Papier alle die unterschiedlichen und dennoch objektiven Ansichten jeder Seite des Hauses. Bald darauf entwickelte Talbot weitere Verbesserungen: 1841 erhielt er das Patent auf empfindlicheren Papieren mit Belichtungszeiten von zwei bis drei Minuten, "Kalotypie" (vom griechischen kalos = schön) genannt, wobei bereits durch ein Transparentmachen des Negatives (indem man Wachspapier verwendete) eine positive Kontaktkopie zu erzielen war. Die letzte Kopie bestand dann einfach wieder aus Silberchloridpapier. 1844 erschien dann sein erstes mit Fotografien versehenes Buch "The Pencil of Nature".
Das Entscheidende an der Erfindung Talbots waren das Aufnehmen auf Papier, das Erzeugen eines Positivs nach dem entstandenen Negativ und die damit gegebene Vervielfältigung.
1.4.1 Die Kalotypie:
Ein möglichst kornfreies Schreibpapier wurde mit einer Silbernitratlösung überstrichen, getrocknet, dann in Jodkaliumlösung getaucht, worin es zwei bis drei Minuten verblieb, in reinem Wasser gewaschen und dann erneut getrocknet wurde. Unmittelbar vor Gebrauch überzog man dieses Papier nochmals mit Silbernitrat, Gallussäure und Essigsäure, worauf es entweder naß in der Kamera belichtet wurde oder auch zu weiterem Gebrauch aufbewahrt werden konnte. Nach dem Exponieren strich man wieder Gallussäure und Silbernitrat auf, bis die Entwicklung fertig war. Eine starke Lösung von Bromkalium oder einem anderen löslichen Bromsalz vermochte schließlich das Bad zu fixieren, worauf das Waschen den Vorgang abschloß.
Der Nachteil gegenüber der Daguerreotypie lag in den etwas rauhen und harten Wirkungen des Papierbildes. Dennoch erwies sich die Kopierbarkeitk, die relative Einfachheit des Prozesses und die sich bald erweisende geradezu unbegrenzte Verbesserungsfähigkeit des Papier-Negativ-Verfahrens als eindeutige Wege in die Zukunft.
Die Daguerreotypie blieb das Medium der professionellen Atelierfotografen; die Kalotypie, die man bald dem Erfinder zu Ehren Talbottypie nannte, entfaltete sich zum Mittel des Amateurs, und ihre Verbreitung vollzog sich vor allem über die Künstler, die darin das geeignete Verfahren erkannten, ihre Ziele anzustreben.
2. Erste Leistungen der Photokünstler
Daguerres Veröffentlichung von 1839 hatte etwas erfüllt, was Generationen von Künstlern ersehnt haben mögen: die Wirklichkeit vollkommen objektiv festhalten zu können. Es gab aber auch Zweifel, ob dies etwas mit Kunst zu tun habe.
Der bedeutendste unter all den frühen Fotografen war Gaspard Felix Tournachon (1820– 1910). Er stammte aus Lyon. Zunächst studierte er Medizin, betätigte sich aber in Paris als Journalist und Karikaturist – ab diesem Zeitpunkt nannte er sich nur mehr Nadar. Er begann 1849 zu fotografieren. Sein 1853 eröffnetes Fotostudio wurde bald zum Treffpunkt der Künstlerelite. Sein unglückliches Abenteuer mit dem Ballon "Géant" brachten Nadar den Ruin und beendeten auch seine große Zeit.
André Adolphe Eugène Disdéri erfand kleine Visitenkartenportraits in voller Figur und in Serie billig herzustellen. Dies wurde bald zur Mode und es herrschte ein gesellschaftlicher Zwang, solche kleine Selbstportraits in reicher Zahl bei sich zu tragen, sie auszutauschen und rasch wieder nachmachen zu lassen. Disdéri hatte 1854 dafür ein Patent angemeldet: eine Multiple-Kamera, die imstande war, mit einer ganzen Batterie von Optiken gleichzeitig acht kleine Portraits auf eine Platte aufzunehmen.
Oscar Gustave Rejlander (1813-1875) wurde in Schweden geboren. Er ging nach Rom, wo er vom Kopieren alter Meister lebte. Später übersiedelte er dann nach England und begann dort als Portraitmaler, wechselte aber bald zur Fotografie.
Er war der erste, der das Lichtbild im Sinne einer eigenständigen künstlerischen Leistung verwendete, indem er Genreszenen arrangierte und diese dann fotografierte. Aber dies war noch nicht alles. Er kombinierte die Abzüge verschiedener Negative zu einem Bild, manipulierte also in einem schöpferischen Sinn Bildelemente zu einem Ganzen, zu einem erfundenen neuen. Für sein berühmtes, 1857 entstandenes Werk "Two Ways of Life", einer Allegorie der Lebensvorgänge, verwendete er nicht weniger als 30 Einzelaufnahmen, deren Negative er im Zusammendruck arrangierte. Es sollte das erste fotografische Bild sein, das öffentlich ausgestellt und den künstlerischen Anspruch zu erheben vermochte. Aber trotzdem galt bei den Künstlern die Fotografie keineswegs als Kunst, "denn die Kamera besitzt keine Seele und keinen Geist".
Reise- und Landschaftsfotografen
Nun begann man auch zu Reisen, fremde Länder kennenzulernen – Expeditionen brachen auf. Die berühmteste Expedition machten die Brüder Louis und Auguste Bisson am 22. Juli 1861: Ihr Ziel war die fotografische Eroberung des Montblanc. Sie wurden von den bekanntesten Bergführern geführt, hatten eine Kolonne von 25 Trägern für die Apparate, Utensilien, Chemikalien und Zelte zur Plattenbehandlung. Es gelangen ihnen drei meisterhafte Aufnahmen vom Gipfel des über 4800 m hohen Montblanc.
Es eröffnete sich auch eine ganz andere Aufgabe für die Fotografie: die berichtende Information.
Die Konflikte und kriegerischen Ereignisse um die Jahrhundertmitte und unmittelbar danach boten reichste Gelegenheit dazu. Das berühmteste Beispiel dazu bietete der englische Fotograf Roger Fenton (1819-1869). Er erhielt 1855 von Lord Panmure, dem englischen Kriegsminister, den Auftrag zur Berichterstattung vom russisch-türkischen Kriegsschauplatz auf der Krim. Er sollte das Soldatenleben der englischen Truppen in ihren Lagern und Einrichtungen festhalten. Fenton wurde zum ersten wirklichen Reporter. Ein Problem aber war, daß durch die langen Belichtungszeiten die Aufnahmen gestellt waren.
Julia Margaret Cameron (1815-1879)
J.M. Cameron wurde in Kalkutta geboren. Seit 1818 lebte sie in Frankreich. Sie war Gattin eines Plantagenbesitzers und einflußreichen Juristen und Mutter mehrerer Kinder. 1848 war sie nach England gekommen und ausschließlich im Kreise der Familie tätig.
1863 bekam sie eine Kamera von ihren Kindern geschenkt, mit der sie Porträts zu fotografieren begann. Zuerst fotografierte sie Personen ihres Bekanntenkreises, bald berühmte Persönlichkeiten und später sogar einfache Menschen von der Straße.
Sie öffnete die Blende zu starker Unschärfe, beleuchtete nur partiell und ließ Bewegungen zu. Der Ausdruck und das Antlitz als Spiegel der inneren Persönlichkeit war für sie am wichtigsten. Damit war es ihr gelungen, die Aufzeichnung einer Wirklichkeit zu schaffen. Zwischen 1865 und 1870 wurden ihre Arbeiten in mehreren Ausstellungen in London gezeigt.
3. Die Fotografie als Hilfsmittel der Maler
Für viele wurde die Verwendung der Fotografie selbstverständlich, vor allem für die bedeutendsten Künstler, wie Maler und Zeichner.
Jean Dominique Ingres (1780-1867) hatte sich früh zu dem Hilfsmittel bekannt. Er verwendete auch Daguerrotypien von Nadar, wie zum Beispiel die Aktstudie "Christine Roux" für das bekannte Gemälde "Die Quelle".
Die Fotografie ersetzte für diese Generation das Skizzenbuch. Viele Maler verwendeten fotografische Aufnahmen als Grundlage für ihre Bilder, so tat dies Edouard Manet, Courbet oder Gaugin.
Auch Alphonse Mucher verwendete Fotografien für seine Plakate als Grundlage.
4. Fotografien für alle – Rollfilm und Pocket-Camera
Hannibal Willston Goodwin (1822-1900) war Reverend einer im Staate New Jersey gelegenen Pfarrgemeinde. Er wollte seine Vorträge mit Lichtbildern untermalen, und so begann er sich mit Fotografie zu beschäftigen. Ein hervorragender Gedanke von ihm war, einen aufrollbaren Film auf einem biegsamen und transparenten Bildträger herzustellen. Aber wegen formaler Unklarheiten und textlicher Korrekturen kam es bei seinem Patent zu mehrjährigen Verzögerungen.
Goodwin verteidigte seine Idee bis zum Tode.
George Eastman (1854-1932) zog aus dem Rollfilm die Konsequenzen und konstruierte eine Kamera für jedermann, welche durch massenhafte Herstellung auch für jeden erschwinglich wurde.
Eastman erfand 1887 als Firmennamen das Wort "Kodak". Seine Kamera "Kodak-Box" kam 1888 auf den Markt. Es wurde eine kleine Kamera, die an Handhabung keinerlei besondere Einstellung erforderte. Sie war mit 100 Aufnahmen geladen, nach deren Belichtung alles komplett an die Firma Eastman zu senden war, wo Entwicklung, Kopierung sowie die anschließende Rücksendung durchgeführt wurden.
Kodak wuchs sich zum Industriegiganten aus, der bis heute seinen Sitz in Rochester hat, sich aber inzwischen längst über die gesamte Welt ausdehnt.
George Eastman erwies sich als einer der fortschrittlichsten und intelligentesten Industrieunternehmer: Er setzte die Arbeitszeit herab, führte Gesundheitskontrollen ein, förderte Bildung und Gewinnbeteiligung seiner Arbeitnehmer und gab schließlich aus seinem Gewinn kaum vorstellbare Geldsummen für Volksgesundheit, Kultur und Wissenschaft aus.
Eastmans Lebenswerk, die Fotografie zum Allgemeingut der Menschheit gemacht zu haben, ist ein historischer Wendepunkt in der Geschichte der Fotografie.
5. Fotografie entdeckt die Wahrheit hinter den Fassaden
Ab dem Jahre 1888 gab es einerseits die professionellen Fotografen mit Ateliereinrichtungen und großformatigen Plattenkameras und dann gab es unzählige "Knipser" mit Box-Kameras und Rollfilmen, die begannen, Erinnerungsfotos zu schießen.
In dieser Zeit begann man auch, sich mit wirklichkeitsnahen und dokumentarischen Schilderungen des Lebens der unteren und untersten Gesellschaftsschichte zu beschäftigen.
Mit Hilfe der Fotografie konnte man Menschen, Szenen, Verhältnisse vorführen, zu denen sonst kaum Kontakt bestehen würde. Eine einzige Fotografie kann mehr erschüttern als Bände einer Sittenbeschreibung. Der Realismus der Jahrhundertwende öffnet vielen auch die Augen: Bilddokumente bestätigten nämlich das bisher nicht-für-möglich-gehaltene, die Fotografie klagte an und forderte Veränderung.
Es gab keinen Platz mehr für die romantisierende Stimmung der Kunstfotografie. Einige wollten kein Weichzeichnen und keine durch Unschärfe erzeugten träumerischen verschleierten Bilder. Man wollte optische Bildschärfe.
Der Däne Jakob Rijs begann in den USA mit dokumentarischen Schilderungen über menschenunwürdige Verhältnisse, unter denen die Einwanderer in New York lebten.
Lewis Wickes Hine begann sachlich und klar über Arbeits- und Lebensbedingungen der Fabrikarbeiter in amerikanischen Vorstädten zu schildern. Seine Anklagen galten vor allem der Kinderarbeit unter den unwürdigsten Verhältnissen in Fabriken, selbst in Bergwerken, und es ist erwiesen, daß seine Dokumentation, die er selbst "photo-interpretations" nannte, wesentlich zur Änderung dieser Verhältnisse beitrugen.
Man sieht, daß die Fotografie immer stärker ihre eigene kreative Fähigkeit, die Vielfalt der Möglichkeiten und auch ihre Hintergründe zu entdecken begann.
6. Die Entwicklung der Farbfotografie vor dem 1.
Weltkrieg
Die Geschichte der Farbfotografie ist älter, als oft angenommen wird. Die erste Farbfotografie wurde 1861 unter Anleitung von James Clerk-Maxwell mit Hilfe von drei schwarz-weißen Teilaufnahmen geschaffen, die durch drei verschiedene Farbfilter fotografiert waren. Ein anderer Versuch war der des Franzosen Louis Ducos du Hauron 1870, der mit drei Teilaufnahmen, die er schließlich mit drei färbigen Pigmentfolien auf einer weißen Unterlage zum Aufsichtsbild übereinander montierte.
Die ersten kommerziell produzierten Materialien für die Farbfotografie kamen jedoch erst in unserem Jahrhundert auf den Markt. Es waren die sogenannten Autochrome-Platten, die von den Brüdern Lumière ab 1907 in Lyon hergestellt wurden. Das Grundprinzip beruhte auf einem feinen Raster aus durchsichtigen Partikeln (Kartoffelstärke-Körner) in Violett, Rot und Grün, die das vom Objekt reflektierte Licht passieren mußte, ehe es an die empfindliche Schicht gelangte.
Die Partikel wirkten wie kleine Farbfilter. Nach der Umkehrentwicklung entstand dann hinter diesem Raster ein Diapositiv, das aus kleinen schwarz-weißen Punkten zusammengesetzt war. Bei Projizieren oder Betrachten dieser Platten sah man ein Bild aus sehr feinen farbigen Punkten. Diese Farbaufnahmen konnte man sogar durch Farbdruck reproduzieren.
Die Autochrome-Platten konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Sie waren sehr teuer und außerdem hatten sie eine geringe Lichtempflindlichkeit.
7. "Die neue Sachlichkeit"
Nach dem ersten Weltkrieg verlor die Kunstfotografie immer mehr an Ausstrahlung. Man suchte nun die Betonung fotografischer Schärfe. Dies wurde "Neue Sachlichkeit" genannt.
Die Fotografen, die sich der "Neuen Sachlichkeit" zuwandten, konzentrierten sich in ihren Aufnahmen auf die Schärfe der Realität, wodurch sie auch die interessante Vielfalt des alltäglichen Lebens nicht mehr wahrnahmen und betonen konnten. Diese künstlerische Auffassung von Fotografie zeigte sich besonders bei Albert Renger-Patzsch.
Er begann schon früh, sich für Fotografie zu interessieren. Die Breite seiner Themen war groß und reicht von Pflanzen und Tieren, modernen Architekturen und historischen Bauwerken bis zur Fabrikanlage, Maschinen und Motoren.
Die "Neue Sachlichkeit" war auch in der fotografischen Abbildung, die für die Werbung oder für anspruchsvolle Firmenkataloge entstand, von großem Einfluß.
Karl Blossfeldt war Bildhauer und gelangte erst später zur Fotografie. Für seine Lehrtätigkeit im Fach des Planzenmodellierens an der Unterrichtsanstalt des Königlichen Kunstgewerbe-Museums in Berlin stellte er zahlreiche Aufnahmen her, die Blüten, Blätter und Samen in übernatürlicher Vergrößerung zeigten. Die Details der hervorragenden Naturarchitektur dienten nicht nur als ornamentale Vorlagen, die in abgewandelter Form Gebäude oder Skulpturen schmücken konnten, sondern auch zum besseren Verständnis der Pflanzen selbst.
Die Wirklichkeit in ihrer eigentlichen Oberflächenstruktur gezeigt zu haben war die große Bedeutung der neuen Sachlichkeit, was sie auch zu einer echten künstlerischen Richtung machte.
8. Fotomontage
Bei der Fotomontage handelt es sich um In- und Übereinanderkopieren von Fotos. Bei anderen Montagen wurden nachträglich Wolken in eine Landschaftsaufnahme einkopiert oder man malte silhouettenhafte Bildpartien in das Foto hinein.
Der Fotograf war imstande, mit Hilfe der Fotomontage, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen, um in den Bildern Ideen auszudrücken.
Die Fotomontage konnte technisch in drei verschiedenen Methoden erzielt werden:
- Das einfachste Verfahren war eine Collagetechnik mit Hilfe von Schere und Klebstoff, wobei die so hergestellte Montage schließlich noch abfotografiert und dadurch beliebig vervielfältigt werden konnte.
- Einfach war auch die Montage durch Mehrfachbelichtung auf dasselbe Bildfeld. Es erforderte nur eine geübte Einschätzungsfähigkeit.
- Die anspruchsvollste Methode bestand schließlich im Montieren von zwei oder mehreren Negativen während des Vergrößerns, wobei diese nacheinander auf dasselbe Positivpapier kopiert wurden. In der Schlußphase nach der Positiventwicklung mußte der Fotograf meistens die Übergänge zwischen einzelnen Bildpartien mit dem Abwäscher und dem Pinsel nachbehandeln.
Wahrscheinlich war es Raoul Hausmann, der als erster 1918 mit der Fotomontage begann. Er war zu dieser Methode während eines Urlaubes auf Usedom durch ein primitives Tableau inspiriert worden, auf dem Fotos von den Söhnen der Wirtin in Uniform zusammengeklebt waren.
Aufgrund dieser zufällig entdeckten Montage soll Hausmann mit der Fotomontage als künstlerisches Gestaltungsprinzip begonnen haben.
9. Weitere Entwicklungen der Fotografie
9.1. Die Kleinbildkamera
Nach der Jahrhundertwende versuchte man noch kleinere Kameras herzustellen, da es einfacher war mit kleineren Kameras umzugehen. Der Gedanke lag nahe, jene Filme zu benutzen, wie sie Eastman-Kodak schon seit 1890 für Edisons Erfindung, den Kinemotographen, erzeugte.
Auch der Lauffilm, dessen Material Zelluloid war, bildete für die Handkamera mehr Vorteile.
Oskar Barnack (1879 – 1936) machte eine Mechanikerlehre bei der optischen Firma Carl Zeiss. Dort stellte man schon seit 1849 feinoptische Geräte, wie Mikroskope, her. Barnack fotografierte sehr gerne die Natur, doch litt er unter den schweren Apparaturen. So begann er nachzudenken, welche Möglichkeiten es mit kleinen Filmen gäbe. Er nannte seine Idee "Kleines Negativ – Großes Bild".
Zunächst verdoppelte er das Negativformat, indem er den Film in der Länge nutzte, und erfand die Formel 24 x 36 mm, was dann Leica Format heißen sollte, und später zum weit dominierenden Filmformat der ganzen Welt bis heute wurde. Die großartige Kamerakonstruktion des Kleinbildapparats, schmal mit einschiebbarer Optik, war im Jahr 1914 in zwei Prototypen fertig. Der Krieg unterbrach alle Pläne. Erst 1923, ausgereift und mit Verbesserungen, stellte man die berühmte erste Serie von 31 Leica-Apparaten her.
Bereits zur Frühjahrsmesse 1925 erschien nun die neue Kleinbildkamera mit dem Namen "Leica".
9.
2. Der vollkommene Kleinbildfilm
Die Erfindung von Dr. Robert Koslowsky 1936 bei Agfa, war die Lichtempfindlichkeit der Schicht des Filmes mittels einer Goldverbindung zu steigern. Erst damit war die Überlegenheit der Kleinbildfotografie vollständig geworden.
10. Die Entwicklung der Farbfotografie im 20.
Jahrhundert
Erst nach 1918 konnte an der Entwicklung der Farbfotografie weitergearbeitet werden. Die Firma Agfa stellte bald auf ähnlicher Kornrasterbasis Farbplatten her, wie dies schon die Brüder Lumière taten. Doch die Firma Agfa tat dies nicht mit Stärkekörner, sondern mit mikroskopischen, gleichmäßigen Farbtröpfen. Auch Kodak beschäftigte sich mit der Farbfotografie. Die beiden Weltunternehmen waren mit großer Kraft an der Fortentwicklung tätig.
1935 war der "Kodachrome"-Film fertig, der in drei Schichten das Farbbild erzeugte.
Im Herbst 1938 waren dann noch Verbesserungen eingearbeitet worden, doch blieb dieses Material von da an im Prinzip bis heute gleich.
Agfa setzte 1934 mit der Forschung ein und binnen zweier Jahre schufen sie das Produkt "Agfacolor", das im November 1936 so gut wie gleichzeitig mit Kodak erschien. Die Ära des Farbpositivs hatte auch hier begonnen, doch die Zukunft lag im Papierbild. Leverkusen und Rochester arbeiteten sehr hart an dem dafür erforderlichen Farbnegativfilm, bei dessen Belichtung ein komplementärfarbiges Filmbild (Negativ) entsteht, das auf Farbpapier zum positiven Bild umkopiert werden kann.
Agfa war 1939 damit fertig. Allerdings konnte die Produktion zunächst nicht anlaufen, so daß erst 1941 wirklich Ergebnisse an die Öffentlichkeit gelangten.
Kodak erzeugte seit 1940 seinen Farbnegativfilm, der nach dem Krieg zu immer größerer Perfektion gebracht wurde.
Der Schritt zur Farbfotografie war einer der ganz großen in der Geschichte der Menschen.
11. Fotoreportage und Bildjournalismus
Es trat eine neue Kategorie auf, die Faszination des "Objektives": Die Aufnahme sagt die Wahrheit, sie sagt, wie es wirklich war, wie ein Ereignis echt verlief, sie war also ein Dokument, ein unbestechlicher Beweis. Auf der Aufschrift einer Wandtafel im Fotomuseum heißt es: "Fotografie ist unser Fenster zur Welt".
Die Fotoreportage hatte in den Zwanziger Jahren voll eingesetzt.
Mit der Fotografie wurde es anders. Was fesselte war die Aktualität. Die nun geübten neuen Bildrasterverfahren und Rotationspressen der Zeitungen ermöglichten die sofortige aktuelle Wiedergabe im Druck.
Bilder vermögen zu Sensationen zu werden. Der Bildreporter hat dafür zu sorgen, daß Sensationen zu Bilder werden. Fotoreportage war ein Anfang: Ein Text, der ausführliche Informationen gab, wird zu seiner Intensivierung von einem Foto begleitet.
Nicht allzulange sollte es allerdings dauern, bis sich dies zum Bildbericht ausweitete. Bilder oftmals in ganzer Folge geben die Informationen, der begleitende Text wird auf einen knappen Kommentar beschränkt. Das war der Aufstieg der illustrierten Zeitung.
Fotoreporter als Sensationssucher gerieten unter Erfolgszwang: die Konkurrenz steigerte sich. Leserzahlen vervielfachten sich durch hervorragende Bildberichte. So entwickelte sich die Fotografie zu einem gewaltigen wirtschaftlichen Element.
Der Berichterstatter, Bildreporter, gewann eine Position, er wurde zu einer Instanz.
1936 erschien in New York eine Wochenzeitschrift, die mit dem Titel "Life" schon ein Programm ausdrückte, hieß das Ziel "To see life – to see the world". Bis Dezember 1972 sollte sie die dominierende Zeitschrift der Welt bleiben. Die Welt nicht nur sehen, sondern erleben lassen, das war es, was dem unvergleichbaren Team von Meisterfotografen zum Ziel geworden war. Man verstand die Fotografen von "Life" als Frontsoldaten und als Stars, deren Ziel nichts anderes war als Bilder. Das Life Archiv bestand aus 18 Millionen Fotos.
Livefotografie, das bedeutete zunächst Reportage, geistesgegenwärtigen Zugriff auf das Geschehen. Das wohl berühmteste – und auch erschütterndste – Beispiel stammte von Sam Shere, der 1937 statt des erwünschten Bildberichtes über die Ankunft des stolzen Luftschiffes Hindenburg auf dem Flugfeld, den fürchterlichen Augenblick der Explosion festhielt und ihn damit zu einem historischen Bilddokument machte.
Viele Livereporter machten Fotos auf dem Schlachtfeld während des Krieges, viele verloren dabei ihr Leben. Kriegsbilder wurden zu den furchtbarsten Dokumenten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann man außer aktuellen Berichten auch ungewöhnliche Reportagen über alltägliche Themen zu veröffentlichen. Schon damals machte man die bis heute geltende Erfahrung, daß Fotos besonderer Ereignisse, z.
B. einer königlichen Hochzeit, viel attraktiver für eine Zeitschrift sind als Themen aus dem Alltagsleben.
Sportreportage und Sportfotografie
Der Sport eignete sich gut für Fotoreportagen. Nicht nur das wachsende Interesse einer sportlich gewordenen Generation der Dreißiger Jahre, sondern auch die öffentliche Anteilnahme breiter Schichten, förderten die Berichterstattung durch die gleichzeitig aufkommenden illustrierten Zeitungen.
Der Sport zeigt eine Bewegungsvielfalt junger Menschen besonderer Art, dazu die Dramatik in der kämpferischen Begegnung, Spannung, Konzentration und Körperbeherrschung. Auch das hat der Livefotografie seit jeher reizvolle Aufgaben gestellt.
Die Kunst des besonderen Augenblicks konnte in solchen Abläufen Höhepunkte finden.
Es gab in der Technik wichtige Entwicklungen für diese Art von Fotografie: der bewegliche Kleinbildapparat, die lange Brennweite, die höchste Filmempfindlichkeit für extrem kurze Zeiten und schließlich den Elektroblitz. Dieser Apparat war aber nur Mittel zum Zweck, denn erst durch die Hand des intuitiv eingreifenden Fotografen gelingt mit dem Gerät die Aufnahme, die auch fasziniert.
Man begann schon mit der Möglichkeit, Momentaufnahmen zu machen, sportliche Bewegungsbilder herzustellen. Die frühen Dokumente aus dem 19. Jahrhundert wirken heute kurios und doch handelt es sich dabei um einen ungemein wichtigen Schritt – für den Sport, für das Erkennen von Bewegungsabläufen und schließlich für den daraus abgeleiteten Laufbildfilm.
Früher machte man Bewegungsbilder in Phasenserien. Anhand dieser Bilder konnte man den optimalen Augenblick erkennen. In jedem Ablauf gibt es nur einen Bruchteil, der optimal ist. Dies muß ein Sportfotograf beherrschen. Jede Bewegung besitzt einen Anlauf, einen Höhepunkt und einen Auslauf. Es geht um diesen Höhepunkt, der entscheidende Wendepunkt, der im Bruchteil der Sekunde eine Aufhebung der Kräfte, völlig entspannte Ruhe zeigt – er ist der klassische Punkt, um Schönheit der Bewegung einzufangen.
Demgegenüber steht das andere Ziel, Bewegung, Dramatik im Augenblick der höchsten Kraftanstrengung zu zeigen.
Die Meisterschaft des Sportfotografen besteht darin, den Moment des Höhepunktes oder den der größten Kraftanstrengung festzuhalten. Im Vorteil sind Fotografen, die selbst aktiv Sport betrieben haben, und Bewegungsabläufe in ihrem Rhythmus geradezu intuitiv folgen können.
12. Entwicklung der Modefotografie und Studioaufnahmen
Nach dem zweiten Weltkrieg kam es zu einer Änderung in Sachen Mode. Der "up-to-date-Look" war nicht mehr auf höhere Gesellschaftsschichten beschränkt.
Die neuen Möglichkeiten des modischen Aussehens, an denen nun auch breite Bevölkerungsschichten teilnehmen konnten, schufen ideale Voraussetzungen für ein Aufblühen der Modejournale.
Ausgangspunkt war in den ersten Nachkriegsjahren der Entwurf, möglichst die edlen Züge des Antlitzes und die Schönheit der Figur zu verdeutlichen, war Irving Penn besonders meisterhaft beherrschte.
Mit steigendem Wohlstand wurde in vielen Ländern mehrere Modezeitschriften gleichzeitig neu ins Leben gerufen. In gegenseitiger Konkurrenz bemühten sich die einzelnen Redaktionen oft, ihre Publikation gerade durch einfallsreiche Bildmaterialien attraktiv zu gestalten. Dadurch entstanden sehr günstige Ausgangsbedingungen für eine Anzahl begabter Fotografen, die einen großen Teil ihres Schaffens dieser Thematik widmen konnten. Bekannteste waren Richard Avedon, David Bailey, Stephen D.
Colhoun, Frank Horvat, Horst P. Horst, Karol Kàllay, Charlotte March, Regina Relang und Oliviero Toscani.
Die Schönheit der Frauen war auch für verschiedene Werbezwecke stets ein wichtiger Bestandteil der Fotografie. Aber nicht nur ein attraktives Model, sondern auch die schöpferische Phantasie der Fotografen waren dafür wesentliche Voraussetzungen.
Um gleichzeitig die höchste technische Qualität, was besonders in der Farbfotografie höchst schwierig war, zu gewährleisten, erreichte die Ausstattung des Fotoateliers beinahe das Niveau kleinerer Filmstudios. Später wurden auch transportable Beleuchtungsaggregate entwickelt, die man mit an den ausgewählten Aufnahmeort nehmen konnte.
Mit der Zeit entwickelte sich die spezielle regiebetonte Arbeit im Atelier. Der Fotograf konnte Szenen in seinem Atelier individuell gestalten und hatte dort auch günstigere Bedingungen.
13. Entwicklung der Aktfotografie
Die Aktfotografie ist in der modernen Fotografie sehr beliebt.
Der Akt verbreitete sich dank der hohen Nachfrage so sehr , daß eine Flut solcher Bilder auf den Markt kam. Außer den großen Meistern, die immer fähig waren, ihre eigenen Ergebnisse um neue originelle Einfälle zu bereichern, versuchten bald auch viele zweitklassige Fotografen ihr Glück auf diesem Gebiet, wobei sie meistens die bereits vorhanden Vorbilder in vielen Varianten kopierten.
Die Modelle dieser Fotografen offenbarten ihre mangelnde Begabung in künstlichen Posen, bei denen sie mit einem fast stolzen Exhibitionismus ihren schönen Körper zur Schau stellten. Es gab Möglichkeiten ein nacktes Modell in einem Umraum zu fotografieren, in dem sich die Nacktheit als natürlich ausnimmt. So ist die Morgentoilette am Fenster sicher frei von gekünstelter Pose. Die Suche nach natürlichen Beziehungen zwischen Modell und Naturraum nutzten gelegentlich auch große Meister wie Jósef Nemeth, um den weiblichen Körper frei von Stilisierungseffekten in zwangloser Schönheit darzustellen.
Die Tendenz einer natürlichen Präsentation des nackten Menschen kann sogar zu einer Art Reportagefilm führen. Chris Steele-Perkins fotografierte eine englische Knabenschulklasse bei einer Schwimmstunde.
Jean-Phillipe Charbonnier bringt die Individualität eines Mädchens voll zum Ausdruck und zeigt ein tiefes Einfühlungsvermögen in die Psyche seines Modells.
Die Aktfotos dienten oft als Materialien für Fotomontagen. Wobei ihr Verwendungszweck sehr verschiedenartig sein konnte. Zdenek Virt fertigt eine Sandwich-Montage aus der Aktaufnahme eines Paares und einem Foto von Ölschlieren auf einer Wasserfläche, wodurch die ursprüngliche erotische Wirkung des Aktes gemildert wird.
Grundsätzlich kann man feststellen, daß die Aktfotografie stets die temporär wechselnden Geschmacksrichtungen widerspiegelt. Wo früher das wohlproportionierte Glamourgirl gefragt war, sucht heute im Zuge von modischen Unisex im Jeansanzug die knabenhafte Mädchenfigur, die durch geschicktes posieren noch besonders unterstrichen wird.
14. Entwicklung der Porträtfotografie
Für viele Fotografien war das zeitbedingte Schönheitsideal ganz unwichtig, denn die fotografische Aufgabe richtet sich auf die Darstellung des psychischen Hintergrundes der äußeren Erscheinung. Für ein solches Porträt mußte der Fotograf sehr viel über die abzulichtende Person wissen, denn nur ein Erfassen der profilprägenden Eigenschaften konnte zu einer psychologisierenden Proträtstudie führen. In Anbetracht der großen Differenziertheit in der Persönlichkeitsstruktur mußte fast für jede Person eine andere Lösung dieser Aufgabe gefunden werden. Die berühmtesten Beispiele gelungener Porträtfotografie besaßen die günstige Voraussetzung, daß der Fotograf die porträtierte Person entweder gut kannte oder zumindest deren geistiges Tun gründlich studieren konnte. Wichtig war ebenso eine positive Einstellung des Fotografen zur Tätigkeit seines Modells; und er mußte neben den Fähigkeiten eines guten Psychologen und großen Menschenkenner sein.
Der Fotograf muß einen derartigen Kontakt zur fotografierten Person finden, daß sie sich natürlich verhält und sich auch wirklich selbst darstellt.
Eine ganz andere psychologische Wirkung geht von dem Porträt aus, das der Fotograf Richard Avedon von seinem kranken Vater schuf. Auf diesem Bild wird ein alter, gebrochener Mann gezeigt, in dessen Augen sich die ganze Geschichte seines Lebens spiegelt. Avedon stellt in dieser nüchternen Darstellung mit großer Intensität die Persönlichkeit des Vaters dar, den er nicht nur liebt, sondern auch bis ins tiefste Innere kennt.
In der Entwicklung der psychologischen Porträts äußerte sich zunehmend das Bestreben, die fotografierte Person in eine für sie typische Umgebung einzugliedern. Eine solche Lösung bot ziemlich große Möglichkeiten zur Stilisierung, die jeder Fotograf gemäß seiner schöpferischen Handschrift in für sich typischer Weise ausnutze.
Die Ausnutzung der charakteristischen Umgebung steht einer weiteren, für die moderne Fotografie grundlegenden Auffassung sehr nahe, nämlich dem Porträt mit Symbolen. Im Unterschied zum psychologischen Porträt wird bei diesem Bildtyp nicht die ganze Wirkung auf dem Ausdruck des Gesichts aufgebaut, sondern einen großen Teil der Aussage beanspruchen die auffälligen Symbole. Oft nimmt nur das Gesicht selbst auf dem Foto nur wenig Raum ein , um den symbolhaften Elementen mehr Platz bereitzustellen.
Die Fotoreporter nutzten für das jounalistische Porträt zumeist Elemente der psychologischen Auffassung wie auch die symbolische Bildersprache, wobei sie oft noch besondere dynamische Wirkungen hinzufügten. Am häufigsten geschieht dies durch Abbildung der Person in Aktion, was die Lebendigkeit des Fotos wesentlich steigert.
15.
Pop-Art
Die schöpferische Fotografie reagiert noch weit mehr als die meisten anderen Künste auf Zeitströmungen. Aber auch manche Auswirkungen aus anderen Künsten hatten Einfluß auf die Fotografie gewonnen. So erwies sich die Pop-Art derart stilbildend, daß auch die kreative Fotografie dazu überging.
Der Begriff Pop-Art leitet sich von "popular Art" ab, was nicht mit Volkskunst, auch nicht mit volkstümlicher Kunst zu tun hat, sondern auf jene damals neuartige Aussage hinweist, die mit Elementen aus dem täglichen Umgang – mit Werbegrafik, Plakaten, Verkehrszeichen,...
– verfremdete Wirkungen erzielte. Diese Zeit galt als Protest gegen eine absurd empfundene Konsumwelt, Protest gegen Massenproduktion und damit begann eine Welle der Auflehnung.
Die Pop-Art ist durch zweierlei charakterisiert: einerseits durch die Romantisierung der Banalität und andererseits durch die Kritik an der Konsumwelt.
Typisch war für die Pop-Gestaltung das Prinzip der Wiederholung in Gestalt des Mehrfachbildes, wobei die Pop-Künstler, wie Andy Warhol, oft mehrmals ein und dieselbe Fotografie benutzten, auf der ein Star aus Film oder massenmedialer Information abgebildet war.
Die Pop-Art-Szene ging darüber hinaus noch viel weiter: Plakatwände, Schaufenster, verschandelte Straßenzüge, alles vermochte zum fotografischen Thema zu werden. Ein weiterer Schritt zeigte sich in der fotografischen Pop-Art-Montage.
Dabei ging es immer um magische Gegenstände der Industriewelt, vom Autozubehör bis zur Schönheitskönigin, von der Wohnungsausstattung bis zur Bierdose.
Les Krims übertrug das Pop-Prinzip der Parodie auf die Aktfotografie; für ihn war die Aufnahme eines Pin up Girls schon längst abgedroschen. So stellte er ein nacktes Mädchen – mit einem Micky-Maus-Kopf versehen – in ziemlich übertrieben posierender Haltung vor eine Wand, an der sich mehrmals dieses Bildelement aus Comic Strips für Kinder wiederholt.
Die Verbreitung der Pop-Art führte zur künstlichen Würdigung eines guten Lichtbildes und zur verbreitenden Anerkennung der Fotografie als Kunstmedium.
16. Op-Art
Die Op-Art ist eigentlich eine besondere Variante der abstrakten geometrischen Malerei, und sie beruht auf speziellen musterartigen Kompositionen die bei längerem Betrachten eine scheinbare Bewegung zu geben vermag.
Der beliebteste Weg zu einem Op-Art Stil in der Fotografie beruhte auf der Sandwich-Montage (zwei Negative werden aufeinander gelegt und zusammen vergrößert).
17. Was ist Fotografie heute?
Was alles Fotografie zu leisten imstande ist, laßt sich kaum kurz aufzählen und zusammenfassen. Das Museum of Photography in Bradford nennt auf einer überdimensionalen Schautafel:
Fotografie ist...
...ein Abbild
...
eine Erinnerung
...eine Selbstaussage
...
Industrie
...Kunst
...
ein Bericht
...Abenteuer
...
Geschichte
...Rückschau
...
Wissenschaft
heutzutage kommt es zu einer kaum noch vorstellbaren Zahl der Bildproduktion der gesamten Welt.
Die Anwendungsmöglichkeiten der Fotografie erstrecken sich über die gesamte Skala menschlicher Bedürfnisse. Dies ist sowohl im praktischen als auch im emotionalen Bereich.
Amateurfotografen sind im wahrsten Sinn des Wortes jene, die, hervorragend ausgestattet, begeistert ihre Motive suchen und sie mit gestaltendem Blick und beträchtlichem technischen Können zu Bildern formen. Hier erfüllt die Fotografie heute wohl eine ihrer stärksten gesellschaftsbezogenen Möglichkeiten. Heute bringen bereits hunderttausende künstlerisch hervorragende Leistungen als Amateure zustande.
Sie finden, im besten Sinne des Begriffs Hobby, eine Art der Selbstverwirklichung und der inneren Bereicherung.
Nicht nur durch die Spitzenprodukte der Kameratechnik und der Ausstattung, sondern auch durch die vermehrte Freizeit und durch das große Angebot an Fernreisen wird dem Amateur viele Möglichkeiten geboten, Die Motivsuche mit offenen Augen in unserer Welt, in der Natur mit ihren Bergen, Küsten Bauwerken, die Entdeckung von Bäumen, Pflanzen, Blüten der Tierwelt – alles das wurde für den Amateur, mit Hilfe der Kamera, zu einem wesentlichen Teil seiner Persönlichkeit.
Fotografie hat Wahrheit in die Welt gebracht. Dadurch nämlich, daß fotografieren und Fotografien betrachten sehen lehrt, mit offenen Augen der Welt gegenübertrete, ihre Schönheit suchen, ihre Geheimnisse finden und wahrnehmen läßt was sichtbar ist.
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