Die massenpsychologie
Die Massenpsychologie
Spezialgebiet aus Psychologie und Philosophie
Florian Razocha
BG/BRG Bad Ischl
(8A, 2000/2001)
Inhalt:
1. Die Massenpsychologie S. 2
2. Gustave Le Bon Le Bons Massenpsychologie S. 4
3. Andere Ideen zur Massenpsychologie S.
6
4. Freuds Massenpsychologie S. 8
1. Massenpsychologie
Die Massenpsychologie ist ein Teilgebiet der Psychologie, das sich mit den Reaktionen des einzelnen auf die Masse und mit dem Verhalten der Massen beschäftigt. Die Massenpsychologie behandelt folglich den einzelnen Menschen als Mitglied eines Stammes, eines Volkes, eines Menschenhaufens usw., der sich für einen bestimmten Zweck und zu einer gewissen Zeit zu einer Masse zusammentut.
Unter solchen Bedingungen kommt es dann zu Erscheinungen, die in anderen Situationen nicht auftauchen. Freud meint, daß diese Erscheinungen die Äußerungen eines bestimmten Triebes wären, nämlich des sozialen Triebes (herd instinct, group mind). Freud meint auch, daß dieser Trieb kein ursprünglicher und unzerlegbarer sei, und daß man die Anfänge seiner Bildung im engeren Kreis, wie z.B. der Familie, finden könne. Als Begründer der Massenpsychologie gilt aber Gustave Le Bon, über dessen Theorien ich gleich zu Anfang berichten werde.
Der geschichtliche Hintergrund der Entstehung der Massenpsychologie in Frankreich
Die französische Nation, vor allem die französische Bourgeoisie, offenbarte nach der demütigenden Niederlage ihrer Armee von 1870 innerhalb von wenigen Monaten ihre Schwäche und Unfähigkeit, das Land zu regieren. Die Ursachen dafür findet die Bourgeoisie in den Unruhen auf den Straßen, der Disziplinlosigkeit der Arbeiter und Soldaten, und im Brodeln der sozialen Bewegungen. Vor sich hatte die Bourgeoisie eine schwache Regierung und Parteien, die unfähig waren, die Aufrührer in Schach zu halten. Die Französische Revolution war seit fast einem Jahrhundert unvollendet und immer wieder besiegt. François Furet schrieb dazu: „Denn man kann die Geschichte des ganzen 19. Jahrhunderts in Frankreich als Geschichte eines Kampfes zwischen Revolution und Restauration betrachten, dessen Etappen die Jahre 1815, 1830, 1848, 1851, 1870, die Kommune, der 16.
Mai 1877 wären.“ Der Widerhall der Beunruhigung in der Gesellschaft läßt sich an dem Interesse erkennen, das den sozialen Bewegungen und den unteren Klassen damals entgegengebracht wurde. Man war beunruhigt, hatte Furcht vor der „suspekten und unberechenbaren Bevölkerung“, dem „antisozialen Gesindel“, wie man damals sagte. Jedermann in Frankreich blickte auf die soziale Ordnung und beobachtete die Instabilität der Macht. Bemühungen zur Restauration und Versuche, das Ancien Régime mit seiner Monarchie und Kirche wiederherzustellen, hatten nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Die Doktrinen, die die Anschauungen der modernen Welt verurteilten (allgemeines Wahlrecht, das Prinzip der Gleichheit, die Anmaßungen der Wissenschaft usw.
), florierten zwar, aber trotzdem schossen die Parteien wie Pilze aus dem Boden, revolutionäre Ideen machten ihren Weg und die Bourgeoisie hängte sich wie eine Klette an die Machtposition. Und in dieser Zeit lebte Gustave Le Bon, ein Wissenschaftler, dessen fixe Idee es war, diese Gesellschaft von ihren Leiden zu befreien.
Le Bon
Gustave Le Bon (1841-1931)
Er wurde 1841 in Nogent-le-Rou in der Normandie geboren, gestorben ist er 1931 in Paris, nach einem in mancherlei Hinsicht bemerkenswerten Leben. Nach der Vollendung seines Medizinstudiums stand er in Verbindung mit zahlreichen Staatsmännern, Schriftstellern und Philosophen. Begierig darauf, selber in die Akademie aufgenommen oder an die Universität berufen zu werden, stürzte er sich in äußerst verschiedene Untersuchungen: Von Physik angefangen über Anthropologie und Biologie bis hin zur Psychologie. Die Psychologie als Wissenschaft steckte damals noch in den Kinderschuhen, und Le Bon gehörte zu den ersten, die ihren Nutzen voraussahen.
Doch obwohl Le Bon so unermüdlich arbeitete, blieben ihm sowohl die Universität als auch die Akademie der Wissenschaften verschlossen. Der Widerstand, auf den er bei den Universitäten stieß, trieb ihn dann immer mehr dazu an, seinen Erfolg im politischen und sozialen Bereich zu suchen. Er skizziert – inspiriert von Taine und Gobineau das Gerüst einer Völker- und Rassenpsychologie. „Nach dem Urteil der Historiker ist sein Beitrag zu dieser Psychologie so markant, daß sein Name auf die – wenn auch wenig ruhmreiche – Liste der Vorläufer des Rassismus in Europa gehört.“ Bei solchen Studien stieß Le Bon schließlich auf das Phänomen der Massen (genauer der Volksbewegungen und des Territoriums), das damals seine Zeitgenossen beunruhigte. Zu dieser Zeit erschienen auch in Italien mehrere Werke über dieses Gebiet.
– Le Bon nimmt dieses Thema auf und entwickelt darüber eine Doktrin. Er beginnt damit, daß er der parlamentarischen Demokratie die Diagnose stellt: „Ihr Leiden ist ihre Unentschlossenheit. Die Kraft zu herrschen führt zur sozialen Ordnung, das Fehlen dieser Kraft hat soziale Unordnung zur Folge. Der Wille zu herrschen führt zu politischer Sicherheit, das Fehlen dieses Willens zieht öffentliche Gefahr nach sich und ermutigt die Revolution.“ Le Bon meint, die herrschenden Klassen haben sich zwar ihre Intelligenz erhalten, aber ihren Willen, das heißt die Quelle jeglicher Kraft, verloren. Er wirft ihnen dabei nicht Mangel an Prinzipien oder Falschheit vor, aber er meint, daß sie der Vergangenheit nicht den Rücken zukehren könnten und nicht leistungsfähig genug seien.
Deshalb liefen sie Gefahr, von intelligenten, ehrgeizigen und skrupellosen Leuten manipuliert und übertrumpft zu werden. Damit sie also nicht ihre „Mission der Zivilisation und des Fortschrittes“ verfehlen, müssen sie die Situation und das Wesen des Konflikts, der die Gesellschaft so zerrüttet, erkennen. Und Le Bon meint, daß es die Massen sind, die die Hauptrolle in diesem Konflikt spielen. Vermutlich verachtete er die Massen, empfand für sie die Verachtung des Bürgers für den Pöbel. Aber als ein Wissenschaftler mißachtete er die Fakten nicht, und die Massen waren ein Faktum. Deshalb respektierte er sie und bemühte sich, sie zu verstehen.
Besorgt um Frankreichs Zustand suchte er ein Gegenmittel für die Unordnung, die die Massen herbeigeführt haben. Er fand es weder in der Geschichte noch in der Ökonomie, sondern in der Psychologie. Denn diese lehrte ihn, daß es eine „Massenseele“ gibt, die von elementaren Trieben geformt und starken Anschauungen organisiert wird. Außerdem ist diese Massenseele unempfänglich für Erfahrungen oder Vernunft.
So entstand Le Bons Hauptwerk „Psychologie der Massen“ (Psychologie des foules, 1895).
2.
Gustave Le Bons Massenpsychologie
Freud erklärt in seiner Zusammenfassung von Le Bons Massenpsychologie: „In der Masse verwischen sich die individuellen Erwerbungen des einzelnen, und damit verschwindet deren Eigenart. Das rassenmäßige Unbewußte tritt hervor, das Heterogene versinkt im Homogenen.“
Der Grund für neue Masseneigenschaften:
Le Bon findet auch, daß die Massen nun neue Eigenschaften zeigen, die sie vorher nicht besessen haben, und sucht den Grund dafür in drei neuen Momenten:
1. Triebe und Schwund des Verantwortlichkeitsgefühls: Als erste Ursache erklärt Le Bon, daß das „Individuum in der Masse schon durch die Tatsache der Menge ein Gefühl unüberwindlicher Macht erlangt, welches ihm gestattet, Trieben zu frönen, die es allein notwendig gezügelt hätte. Es wird dies nun um so weniger Anlaß haben, als bei der Anonymität und demnach auch Unverantwortlichkeit der Masse das Verantwortlichkeitsgefühl, welches die Individuen stets zurückhält, völlig schwindet.“ Freud meint zu Le Bons Aussage aber, wir „brauchten von unserem Standpunkt weniger Wert auf das Auftauchen neuer Eigenschaften zu legen.
Es genügte uns zu sagen, das Individuum komme in der Masse unter Bedingungen, die ihm gestatten, die Verdrängungen seiner unbewußten Triebe abzuwerfen.“ Die anscheinend neuen Eigenschaften, die das Individuum dann zeigt, so Freud, sind also die Äußerungen des Unbewußten, in dem alles Böse der Menschenseele in der Anlage enthalten ist. – Allerdings besteht auch eine gewisse Differenz zwischen Le Bons und Freuds Anschauungen dadurch, daß Le Bons Begriff des Unbewußten nicht ganz mit dem Begriff der Psychoanalyse zusammenfällt. Le Bons Unbewußtes enthält vor allem tiefste Merkmale der Rassenseele, die für die individuelle Psychoanalyse mehr oder weniger nicht in Betracht kommen. Wie Freud selber meint: „Wir verkennen zwar nicht, das der Kern des Ichs (das Es, wie ich es später genannt habe), dem die „archaische Erbschaft“ der Menschenseele angehört, unbewußt ist, aber wir sondern außerdem das „unbewußte Verdrängte“ ab, welches aus einem Anteil dieser Erbschaft hervorgegangen ist. Dieser Begriff des Verdrängten fehlt bei Le Bon.
2. Ansteckung: Als zweite Ursache erwähnt Le Bon die Ansteckung. Er meint, die Ansteckung trage ebenso dazu bei, bei den Massen die „Äußerung spezieller Merkmale und zugleich deren Richtung zu bewerkstelligen.“ Er beschreibt dabei die Ansteckung als ein leicht feststellbares, aber unerklärliches Phänomen, das man den Phänomen hypnotischer Art zuordnen müsse. In der Menge, erklärt Le Bon, ist jedes Gefühl und jede Handlung in so hohem Maße ansteckend, „daß das Individuum sehr leicht sein persönliches Interesse dem Gesamtinteresse opfert.“ Le Bon bezeichnet das als eine Fähigkeit, die der Natur des Menschen entgegengesetzt ist, und zu der er nur als Massenbestandteil fähig ist.
3. Suggestibilität: „Eine dritte, und zwar die wichtigste Ursache bedingt in den zur Masse vereinigten Individuen besondere Eigenschaften, welche denen des isolierten Individuums völlig entgegengesetzt sind. Ich rede hier von der Suggestibilität, von der die erwähnte Ansteckung übrigens nur eine Wirkung ist. Zum Verständnis dieser Erscheinung gehört die Vergegenwärtigung gewisser neuer Entdeckungen der Physiologie. Wir wissen jetzt, daß ein Mensch mittels mannigfacher Prozeduren in einen solchen Zustand versetzt werden kann, daß er nach Verlust seiner ganzen bewußten Persönlichkeit allen Suggestionen desjenigen gehorcht, der ihn seines Persönlichkeitsbewußtseins beraubt hat, und daß er die zu seinem Charakter und seinen Gewohnheiten in schärfstem Gegensatz stehenden Handlungen begeht. Nun scheinen sehr sorgfältige Beobachtungen darzutun, daß ein eine Zeitlang im Schoße einer tätigen Masse eingebettetes Individuum in Bälde – durch Ausströmungen, die von ihr ausgehen, oder sonst eine unbekannte Ursache – sich in einem Sonderzustand befindet, der sich sehr der Faszination nähert, die den Hypnotisierten unter dem Einfluß des Hypnotisators befällt.
.. Die bewußte Persönlichkeit ist völlig geschwunden, Wille und Entscheidungsvermögen fehlen, alle Gefühle und Gedanken sind nach der durch den Hypnotisator hergestellten Richtung orientiert. So ungefähr verhält sich auch der Zustand des einer psychologischen Masse angehörenden Individuums. Es ist sich seiner Handlungen nicht mehr bewußt. Wie beim Hypnotisierten können bei ihm, während zugleich gewisse Fähigkeiten aufgehoben sind, andere auf einen Grad höchster Stärke gebracht werden.
Unter dem Einflusse einer Suggestion wird es sich mit einem unwiderstehlichen Triebe an die Ausführung bestimmter Handlungen machen. Und dieses Ungestüm ist bei den Massen noch unwiderstehlicher als beim Hypnotisierten, weil die für alle Individuen gleiche Suggestion durch Gegenseitigkeit anwächst.“ Zusammengefaßt wären die Hauptmerkmale eines Individuums, das sich in einer Masse befindet, also:
· Vorherrschaft der unbewußten Persönlichkeit und Schwund der bewußten Persönlichkeit
· Durch Suggestion und Ansteckung: Orientierung der Gedanken und Gefühle in die selbe Richtung
· Außerdem Tendenz, die suggerierten Ideen unverzüglich zu verwirklichen. Le Bon beschreibt den Menschen in der Masse nun als einen „willenlosen Automaten“.
Die Massenseele
Le Bon meint, daß ein Mensch – allein durch die bloße Zugehörigkeit zur Masse – mehrere Stufen auf der Leiter der Zivilisation hinabsteigt. Wie er schreibt, besitzt ein Mensch dann „die Spontaneität, die Heftigkeit, die Wildheit und auch den Enthusiasmus und Heroismus primitiver Wesen.
“ Es kommt zu einer kollektiven Hemmung der intellektuellen Leistung und zu einer Steigerung der Affektivität. Abgesehen davon, daß Le Bon bei der Massenseele auf eine Übereinstimmung mit dem Seelenleben der Primitiven hinweist, stellt er auch Übereinstimmungen mit dem Seelenleben des Kindes fest. Ein Beispiel: Die Masse geht nämlich sofort zum Äußersten, „der ausgesprochene Verdacht wandelt sich bei ihr sogleich in unumstößliche Gewißheit, ein Keim von Antipathie wird zum wilden Haß.“ Diese Steigerung aller Gefühlsregungen bis hin zum Extremen gehört auch der Affektivität des Kindes an. Außerdem beschreibt Le Bon die Massenseele, die fast ausschließlich vom Unbewußten geleitet wird, als impulsiv, wandelbar und reizbar. Die Impulse, denen die Masse gehorcht, können sowohl edel als auch grausam sein, sie sind aber auf jeden Fall gebieterisch.
Außerdem wird die Masse nur durch übermäßige Reize erregt, die keiner logischen Argumente bedürfen, sondern nur in kräftigen Bildern zu malen brauchen. Die Masse ist auch unfähig zu einem Dauerwillen. Einen Aufschub zwischen ihrem Begehren und der Verwirklichung des Begehrens verträgt sie nicht, und der Begriff des Unmöglichen schwindet. Abgesehen von diesen Punkten beschreibt Le Bon die Masse als außerordentlich beeinflußbar, leichtgläubig und kritiklos. Ihre Gefühle sind auch sehr einfach und sehr überschwenglich, weder Zweifel noch Ungewißheit sind der Masse bekannt. So ist die Masse auch sehr autoritätsgläubig, die die Kraft respektiert und sich von Güte nur mäßig beeinflussen läßt.
Güte bedeutet für die Masse eine Art von Schwäche, und was sie von ihren „Helden“ verlangt ist Stärke, sogar Gewalttätigkeit, und will von ihrem Herrn unterdrückt werden und diesen fürchten. Weiters entfallen im Beisammensein die individuellen Hemmungen des einzelnen, und alle grausamen, destruktiven Instinkte werden zur freien Triebbefriedigung geweckt. Außerdem haben Massen die Tendenz, zwischen Wirklichem und Unwirklichem keinen Unterschied zu machen. Beides, Wirklichkeit und das Unwirkliche, beeinflußt sie gleich stark. Die entgegengesetztesten Ideen können in der Masse nebeneinander bestehen, ohne daß sich aus deren logischem Widerspruch ein Konflikt ergeben würde. Das ist auch im unbewußten Seelenleben der Kinder, und, wie die Psychoanalyse nachgewiesen hat, auch bei Neurotikern der Fall.
Führer und der hypnotische Zustand der Masse
Le Bon meint, daß – egal, ob sich eine Menschen- oder Tiermenge zu einer gewissen Anzahl versammelt hat – sich die Lebewesen instinktiv unter die Autorität eines Oberhauptes stellen. Dieses Oberhaupt, dem sich die Masse nun instinktiv unterordnet, muß selbst einen starken Glauben an eine Idee haben bzw. davon fanatisiert sein, um den Glauben in der Masse zu erwecken. Außerdem muß er einen starken, imponierenden Willen haben, den die willenlose Masse von ihm abnimmt. Außerdem schreibt Le Bon dem Führer und seinen Ideen eine geheimnisvolle, unwiderstehliche Macht zu, die er selbst „Prestige“ nennt. Das Prestige wird als eine Art Herrschaft beschrieben, die ein Individuum (in dem Fall der Führer), ein Werk oder eine Idee über uns ausübt.
Sie dürfte dabei ein Gefühl hervorrufen, das ähnlich ist wie Hypnose. Ein weiterer wesentlicher Punkt die Massenführung betreffend wäre, wie soeben kurz angesprochen, die Hypnose. Wie bereits im ausführlich zitierten dritten Punkt der „Gründe für neue Masseneigenschaften“ zu erkennen war, erklärt Le Bon den Zustand des einzelnen in der Masse für hypnotisch. Hypnose ist ja eine Suggestion einer Idee oder einer Geste (z.B. sich für unsterblich zu halten oder die Hand im Feuer zu haben), die über ein automatisches mentales Leben wirkt und nichts mit Überlegung oder Logik zu tun hat.
Genau das, meint Le Bon, wäre in der Masse der Fall. An Stelle des Hypnotiseurs steht ein Führer, der seine Vorstellungen einer Ansammlung von Personen einflößt. Die Suggestion bringt die Personen dann dazu, ihm zu gehorchen wie einem inneren Antrieb. Wie Moscovici im „Zeitalter der Massen“ zusammenfaßt, wird so jeder leicht zu einem anderen und führt Handlungen wie ein Automat aus, die unter normalen Umständen Absicht und Überlegung erfordern. „Er wird zum Mitglied der Masse, die, aufgewiegelt von ihrem Aufpeitscher, zu allem bereit ist. Masse und Führer betrachten einander wie in einem Spiegel, in dem jeder ständig das Bild des anderen sieht.
Man nehme die Maske des Führers ab, und man findet die Masse. Man nehme die Maske der Masse ab, und es erscheint der Führer.“ Freud kritisiert in seinem Buch aber, daß die Person, die für die Masse den Hypnotiseur ersetzt, in Le Bons Darstellung nicht erwähnt wird.
3. Andere Ideen zur Massenpsychologie
Freud meint, daß nur die beiden Gesichtspunkte des Unbewußten und des Vergleiches mit dem Seelenleben der Primitiven Le Bons Massenpsychologie eigentümlich ist. Er meint nämlich, Le Bons Behauptungen bringen nichts Neues, und die beiden wichtigsten Sätze in Le Bons Massenpsychologie seien kurz zuvor von Sighele formuliert worden.
Positive Massenaspekte
Ein positiver Aspekt in der Masse, den ich bisher noch nicht erwähnt habe, wäre, daß die Sittlichkeit in der Masse unter Umständen sogar höher sein kann als die der Einzelindividuen. Auch Le Bon gesteht ein: „Während der persönliche Vorteil beim isolierten Individuum so ziemlich die einzige Triebfeder ist, ist er bei den Massen sehr selten vorherrschend.“ Andere machen darauf aufmerksam, daß es überhaupt erst die Gesellschaft ist, die dem einzelnen die Normen der Sittlichkeit vorschreibt. Weiters sind durch das Phänomen der Begeisterung die großartigsten Massenleistungen zustande gekommen: Obwohl nämlich die großen Entscheidungen und Problemlösungen nur einem einzelnen, der in Einsamkeit arbeitet, möglich sind, ist auch die Masse zu großen genialen Schöpfungen fähig. Das zeigen zum Beispiel „Massenleistungen“ wie Sprache, Folklore oder das Volkslied. Massen, die zu solchen Leistungen fähig sind, sind aber nicht die Art von Massen, auf die sich Le Bon und Sighele beziehen, sondern auf „stabile“ Massen oder Vergesellschaftungen, in denen die Menschen ihr Leben zubringen, und die sich in den Institutionen der Gesellschaft verkörpern.
Die Massen, von denen Le Bon und Sighele sprachen, sind aber Massen kurzlebiger Art, die rasch durch ein vorübergehendes Interesse aus verschiedensten Individuen zusammengeballt werden. Man kann dabei auch bemerken, daß die revolutionären Massen und v. a. die Französische Revolution die Massenpsychologie der beiden beeinflußt hat. Die Massen dieser Art sind – wie Freud meint – den vorher erwähnten stabilen Massen „gleichsam aufgesetzt wie die kurzen, aber hohen Wellen den langen Dünungen der See.“
McDougall
McDougall geht von dem Widerspruch zwischen den oben erwähnten Massen aus (der stabilen und der kurzlebigen) und findet die Lösung des Widerspruchs im Moment der Organisation:
· Der einfachste Fall wäre nach McDougall der, in dem die Masse (group) keine oder eine kaum nennenswerte Organisation besitzt.
Er bezeichnet solch eine Masse als einen Haufen (crowd). Allerdings meint McDougall, daß ein solcher Haufen nicht leicht zusammenkommt, ohne daß sich in ihm nicht wenigstens die Ansätze einer Organisation bilden. In solch einfachen Massen sind auch die Grundtatsachen der Kollektivpsychologie besonders leicht zu erkennen.
· Wenn sich nun aus den zufällig zusammengefallenen Mitgliedern des Menschenhaufens eine Masse im psychologischen Sinn bilden soll, müssen sie als Bedingung etwas miteinander gemeinsam haben, nämlich: Ein gemeinsames Interesse an einem Objekt, eine gleichartige Gefühlsrichtung in einer gewissen Situation und ein gewisses Maß an Fähigkeiten, sich gegenseitig zu beeinflussen. Je stärker die Gemeinsamkeiten sind, um so leichter bildet sich dann eine psychologische Masse, und um so auffälliger äußert sich auch die „Massenseele“. Die unorganisierten Massen: Die unorganisierte Masse beschreibt McDougall ebenso unfreundlich wie Le Bon.
Er bezeichnet sie unter anderem als überaus erregbar, wankelmütig, unentschlossen, inkonsequent, leichtsinnig in ihren Überlegungen, heftig in ihren Urteilen und nur für gröbere Leidenschaften und einfache Gefühle zugänglich. Er vergleicht sie mit einem ungezogenen Kind oder einem leidenschaftlichen, nicht beaufsichtigten Wilden in einer ihm fremden Situation. In den schlimmsten Fällen vergleicht er das „Massenbenehmen“ sogar mit dem Benehmen eines Rudels wilder Tiere. Folgende Massenphänomen bespricht McDougall:
1.) Steigerung der Affektivität (exalation or intensification of emotion) in der Masse. McDougall meint, daß die Affekte des Menschen sonst kaum so solchen Höhen anwachsen, wie es in der Masse geschehen kann.
Er meint, daß es für die Individuen in der Masse ein Genuß sei, sich ihren Leidenschaften schrankenlos hinzugeben und das Gefühl der individuellen Abgrenzung zu verlieren. Das Mitfortgerissenwerden erklärt McDougall mit der – bereits bei Le Bon erwähnten – Gefühlsansteckung: Die wahrgenommenen Zeichen eines Affektzustandes können bei den Wahrnehmenden automatisch den selben Affekt hervorrufen. Dieser Zwang der Ansteckung wird dabei um so stärker, an je mehr Personen gleichzeitig der selbe Effekt bemerkbar ist. Wenn nun der einzelne in den selben Affekt gleitet, erhöht er dabei wieder die Erregung der anderen, und so steigert sich die Affektladung der einzelnen durch gegenseitige Induktion. McDougall meint, etwas wie ein Zwang wäre wirksam, es den anderen gleichzutun. Die gröberen und einfacheren Gefühlsregungen haben dabei auch die größere Aussicht, sich auf solche Weise in einer Masse zu verbreiten.
2.) Wie Le Bon spricht auch McDougall von der kollektiven Intelligenzhemmung in der Masse. Er meint dabei, daß die geringeren Intelligenzen die Intelligenteren auf ihr Niveau hinabziehen. Außerdem werden die höheren Intelligenzen in ihrer geistigen Leistung auch aus folgenden Gründen gehemmt:
· Die Steigerung der Affektivität schafft ungünstige Bedingungen für korrekte geistige Arbeit.
· Die einzelnen sind durch die Masse eingeschüchtert und ihre Denkarbeit ist nicht frei.
· Das Bewußtsein der Verantwortlichkeit für seine Leistung wird bei jedem einzelnen herabgesetzt.
Die hochorganisierte Masse:
Im Gegensatz zum eben geschilderten bringt McDougall das Verhalten der hochorganisierten Massen. Das seelische Leben in einer solchen Masse wird auf ein höheres Niveau gehoben. Damit das geschieht, müssen aber gewissen Hauptbedingungen gegeben sein, von denen McDougall fünf nennt:
1.) Eine Masse muß ein gewisses Maß an Kontinuität besitzen. Die Kontinuität kann sowohl materiell (die Person bleibt längere Zeit in der Masse) als auch formal (innerhalb der Masse sind bestimmte Stellungen entwickelt, die den einander ablösenden Personen angewiesen werden) sein.
2.
) Innerhalb der Masse muß sich eine gewisse Vorstellung von der Natur, der Funktion, der Leistung und den Ansprüchen der Masse gebildet haben. Daraus kann sich dann ein Gefühlsverhältnis zum Ganzen der Masse ergeben.
3.) Die Masse wird in Beziehung zu anderen, ihr ähnlichen, aber doch in vielen Punkten abweichenden Massenbildungen gebracht, etwa daß sie mit diesen rivalisiert.
4.) Die Masse besitzt Traditionen, Gebräuche und Einrichtungen.
(Vor allem solche, die sich auf das Verhältnis der Massenmitglieder zueinander beziehen.)
5.) Die Masse ist gegliedert. Die Gliederung drückt sich in Spezialisierung und Differenzierung der Leistung des einzelnen aus.
Sind alle diese Punkte erfüllt, meint McDougall, daß dann die psychischen Nachteile der Massenbildung aufgehoben sind. Gegen die kollektive Intelligenzhemmung geht man seiner Meinung nach am besten dadurch vor, daß man die intellektuellen Aufgaben nicht von der Masse lösen läßt, sondern sie einzelnen in ihr vorbehält.
Freud meint jedoch, daß man diese von McDougall aufgezählten Punkte auch anders beschreiben kann: Man muß der Masse nur jene Eigenschaften wieder beschaffen, die das einzelne Individuum hatte, bevor sie durch die Massenbildung ausgelöscht wurden. Denn das Individuum hatte vor seinem Masseneintritt Kontinuität (1.), Selbstbewußtsein (2.), Traditionen und Gewohnheiten (4.) und seine besondere Arbeitsleistung und Einreihung (5.).
Außerdem hielt sich das Individuum von anderen gesondert (3.), mit denen es rivalisierte.
4. Freuds Massenpsychologie
Siegmund Freud (1856-1939)
Wie nun schon ausführlich erwähnt, erfährt ein einzelner in der Masse oft eine tiefgreifende Veränderung seiner seelischen Tätigkeit. (Die Affektivität wird gesteigert, die intellektuelle Leistung merklich eingeschränkt, beides in Richtung einer Angleichung an die Massenindividuen.) Freud versucht nun, für die seelische Wandlung des einzelnen eine psychologische Erklärung zu finden.
Suggestion und Libido
Freud meint, die Erklärung, die bisher von allen Autoren geboten wurde, war das Zauberwort „Suggestion“. Das Prinzip der Suggestion sagt aber nichts anderes als die bereits bekannten Behauptungen der Nachahmung oder Ansteckung aus, nur daß der affektive Moment entschieden betont wird. Freud meint, es ist unzweifelhaft, daß, wenn wir das Zeichen eines Affekts bei einem anderen wahrnehmen, wir die Tendenz haben, in den selben Affekt zu verfallen. Allerdings widerstehen wir ihm oft erfolgreich, weisen den Affekt ab und reagieren in vollkommen gegensätzlicher Weise. In der Masse jedoch geben wir der Ansteckung regelmäßig nach. Würde man den Grund erklären wollen, würde man wiederum sagen müssen, es ist der suggestive Einfluß der Masse, der uns dazu zwingt, dieser Nachahmungstendenz zu gehorchen.
Die Suggestion (bzw. die Suggerierbarkeit) wurde immer behandelt, als sei sie „eben ein nicht weiter reduzierbares Urphänomen, eine Grundtatsache des menschlichen Seelenlebens. So hielt es auch Bernheim, von dessen erstaunlichen Künsten ich im Jahre 1889 Zeuge war...“.
Über das Wesen der Suggestion hat sich nie eine Aufklärung ergeben; es wurde nie geklärt, unter welchen Bedingungen sich Beeinflussungen ohne zureichende logische Begründung herstellen. Außerdem kritisiert Freud (zumindest kommt mir das beim Lesen so vor), daß der Gebrauch des Begriffs „Suggestion“ nicht einmal konventionell festgelegt ist, und das Wort einer immer weiteren Verwendung und aufgelockerteren Bedeutung entgegengeht. Deshalb arbeitet Freud nicht mit dem Begriff der Suggestion, sondern er versucht, von einer anderen Seite an das Thema heranzugehen: Für die Aufklärung der Massenpsychologie verwendet er den Begriff Libido. Libido ist für ihn die Energie der Triebe, die mit all dem zu tun haben, was man als Liebe zusammenfassen kann. Als Kern der Liebe bezeichnet Freud natürlich die Geschlechtsliebe, aber er trennt auch Selbstliebe, Elternliebe, Kindesliebe, Freundschaft, allgemeine Menschenliebe und die Hingebung an Gegenstände oder Ideen nicht von dem Begriff ab. Er meint, auch wenn sich die Liebe von ihrem sexuellen Ziel abgedrängt hat, bleibt doch ihre Identität erhalten: Selbstaufopferung, Streben nach Anerkennung.
Freud meint nun, daß es solche Liebesbeziehungen bzw. Gefühlsbindungen sind, die auch das Wesen der Massenseele ausmachen. Seine Begründungen dafür sind:
1.) Die Masse wird durch irgendeine Macht zusammengehalten. Freud meint, daß man diese Leistung am ehesten dem Eros zuschreiben kann, der ja „alles in der Welt zusammenhält“.
2.
) Der einzelne gibt in der Masse seine Eigenart auf. Er läßt sich suggerieren, er tue es, weil er lieber mit den anderen im Einvernehmen ist als im Gegensatz, „also vielleicht doch ,ihnen zuliebe‘“.
Einschränkung der narzißtischen Eigenliebe:
Freud nimmt also in der Masse libidinöse Bindungen an. Er bezeichnet ja auch einen Menschenhaufen allein noch nicht als Masse, solange jene Bindungen noch nicht bestehen. Er meint, es gibt zwei Bindungen in einer Masse: Die an den Führer (der aber auch eine führende Idee sein kann) und die an die anderen Massenmitglieder. Ein Argument, das für die libidinösen Bindungen spricht, ist z.
B. die Einschränkung der narzißtischen Eigenliebe: Laut der Psychoanalyse enthält fast jede länger dauernde intime Gefühlsbeziehung zwischen zwei Personen einen „Bodensatz von ablehnenden, feindseligen Gefühlen“, den man nur aufgrund von Verdrängung nicht wahrnimmt. Unverhüllter ist diese Tatsache zum Beispiel bei Angestelltem und Vorgesetzten. Das gleiche passiert auch, wenn sich Menschen zu größeren Einheiten zusammenschließen, z.B. wenn sich zwei Familien durch Eheschließung verbinden.
(Jede von ihnen hält sich für die bessere, vornehmere usw.) Treten solche Feindseligkeiten gegen Personen auf, die wir sonst lieben, nennen wir das Gefühlsambivalenz und erklären sie (laut Freud allzu rationell) durch Interessenkonflikte. In den unverhüllten Ablehnungen gegen nahestehende Fremde kann man jedoch den Ausdruck einer Selbstliebe, eines Narzißmus, erkennen. All diese Intoleranz schwindet aber in der Masse! Solange die Massenbildung dauert, dulden die Individuen die Eigenarten des anderen. So eine Einschränkung des Narzißmus kann jedoch nur durch libidinöse Bindungen an andere Personen erzeugt werden. Folglich ist die Einschränkung der narzißtischen Eigenliebe ein Hinweis darauf, daß zwischen den Massenmitgliedern libidinöse Bindungen bestehen.
Künstliche Massen
Freud unterscheidet sehr viele Massenarten: flüchtige und dauerhafte, homogene (aus gleichartigen Individuen) und nicht homogene, primitive, gegliederte,... Er legt auch besonderen Wert auf die Unterscheidung von führerlosen Massen und solchen ohne Führer. Eine weitere Unterscheidung, die er trifft, ist zwischen natürlichen und künstlichen Massen. Künstliche Massen sind solche, die durch einen äußeren Zwang zusammengehalten werden.
Als Musterbeispiele für solche Massen nennt er Kirche und Heer. Er bezeichnet sie als „hochorganisierte, dauerhafte, künstliche Massen“.
· Die Kirche – er nimmt die katholische Kirche als Beispiel – wird dadurch zusammengehalten, daß ein Oberhaupt (=Christus) alle einzelnen in der Masse mit der gleichen Liebe liebt. Vor Christus sind alle gleich, alle haben den gleichen Anteil an seiner Liebe. An diesem Gedanken hängt alles, und wenn der zerbricht, zerbricht auch die Masse, soweit es der äußere Zwang gestattet.
· Im Heer gilt im Grunde das Gleiche wie für die Kirche, das Oberhaupt ist nun der Feldherr, der seine Soldaten gleich liebt.
Allerdings unterscheidet sich das Heer strukturell von der Kirche, da es aus einem Stufenaufbau von Massen besteht: Der Hauptmann ist so der Feldherr seiner Abteilung, der Unteroffizier der Feldherr seines Zuges usw. In der Kirche gibt es zwar auch eine Hierarchie, sie spielt aber nicht die selbe Rolle.
Freud meint nun, daß in diesen beiden künstlichen Massen für jeden einzelnen zwei libidinöse Gefühlsbindungen bestehen: Einerseits zum Führer (Christus, Feldherr) und andererseits an die anderen Massenmitglieder. Einen Beweis dafür bringt Freud dadurch, daß er meint, wenn sich so eine Masse zersetzt, bricht Panik aus. Er nimmt als Beispiel wieder das Heer: Durch das Aufhören von gegenseitigen Bindungen wird eine riesige und sinnlose Angst frei. Der einzelne, der sich nun allein der Gefahr gegenüber sieht, schätzt sie höher ein.
Die affektiven Bindungen, die bisher die Gefahr für ihn herabsetzten, haben aufgehört. Die panische Angst setzt also eine Lockerung der libidinösen Struktur der Masse voraus, und nicht umgekehrt, daß die Libidobindungen der Masse an der Größe der Gefahr zugrunde gegangen wären. Natürlich kann auch die Größe von Gefahr einen Grund für Panik liefern, aber diesen Fall nimmt Freud nicht an. Er nimmt an, daß die Gefahr nicht über das gewohnte Maß hinaus gesteigert ist, und die Angst, die entsteht, entsteht durch das Auflassen von Gefühlsbindungen (~ neurotische Angst). Bei Zersetzung einer religiösen Masse entsteht laut Freud aber nicht Angst, sondern rücksichtslose und feindselige Impulse gegen andere Personen. Diese Impulse konnten sich bisher aufgrund der gleichen Liebe Christi nicht äußern.
Identifizierung, Verliebtheit und Hypnose:
Zurück von den künstlichen Massen zu den „echten“, sind drei Begriffe zu klären, um schließlich die Formel für die libidinöse Konstitution einer Masse angeben zu können:
Identifizierung: Die Identifizierung ist der Psychoanalyse als früheste Äußerung einer Gefühlsbindung an eine andere Person bekannt. Sie ist die ursprünglichste Form der Gefühlsbindung an ein Objekt. Sie kann aber auf regressivem Weg auch zum Ersatz für eine libidinöse Bindung werden (z.B. beim Ödipuskomplex: Der kleine Junge will anfangs so werden wie sein Vater, er identifiziert sich mit ihm. Gleichzeitig hat er aber auch eine Bindung zu seiner Mutter, für sie eine sexuelle Objektsbesetzung, für den Vater eine vorbildliche Identifizierung.
Eine Zeit lang können diese beiden Bindungen nebeneinander existieren, aber nach einiger Zeit merkt er, daß ihm der Vater bei der Mutter im Wege steht. Nun nimmt seine Identifizierung mit dem Vater eine feindselige Tönung an und er will den Vater bei der Mutter ersetzen.). Die Identifizierung kann aber auch bei jeder neu wahrgenommenen Gemeinsamkeit mit einer Person, die nicht Objekt der Sexualtriebe ist, entstehen. Die Identifizierung ist bei der Bindung der Massenmitglieder eine wichtige affektive Gemeinsamkeit, wie Freud vermutet, liegt diese Gemeinsamkeit an der Art der Bindung zum Führer. (– Interessant ist aber auch, daß über die Identifizierung ein Weg über Nachahmung zur Einfühlung ermöglicht wird.
) Identifizierung kann sogar soweit gehen, daß sie das Ich wandelt, wie es auch bei Homosexualität der Fall sein kann: Der Jüngling war im Sinne des Ödipuskomplexes ungewöhnlich lang an seine Mutter fixiert, schließlich identifiziert er sich mit ihr. Die Identifizierung wandelt das Ich in einem wichtigen Stück, nämlich im Sexualcharakter. Dabei wird das Objekt selbst aufgegeben. Allgemein zusammengefaßt heißt das also: Bei der Identifizierung hat sich das Ich um die Eigenschaften des Objekts bereichert, oder, wie Fereczi es ausdrückte, sich das Objekt „introjiziert“. Das geliebte Objekt wurde aufgegeben oder ist verlorengegangen, und wird nun vom Ich wieder aufgerichtet. Das Ich verändert sich partiell nach dem Vorbild des verlorenen Objekts.
Verliebtheit: Im Rahmen von Verliebtheit ist das Phänomen der Sexualüberschätzung zu beobachten, das heißt, das geliebte Objekt genießt eine gewisse Freiheit von Kritik und all seine Eigenschaften werden höher eingeschätzt als die von nicht geliebten Personen. Durch Idealisierung wird das Objekt so behandelt wie das eigene Ich. (Bei manchen Formen ist es augenscheinlich, daß man das Objekt wegen der Vollkommenheiten liebt, die man fürs eigene Ich angestrebt, aber nicht erreicht hat und „die man sich nun auf diesem Umweg zur Befriedigung seines Narzißmus verschaffen möchte“.) Wenn nun Verliebtheit und Sexualüberschätzung noch weiter zunehmen, passiert folgendes: Die Bestrebungen, die auf direkte Sexualbefriedigung drängen, können ganz zurückgedrängt werden. Das Ich wird immer anspruchsloser, das Objekt immer großartiger und wertvoller. Schließlich gelangt es in den Besitz der ganzen Selbstliebe des Ichs, deshalb hat das Objekt auch die ganze Selbstaufopferung des Ichs.
Züge von Demut, Einschränkung des Narzißmus und Selbstschädigung sind in jedem Falle vorhanden, im extremen Falle noch gesteigert und allein herrschend. Kritik schweigt, und alles was das Objekt tut, ist recht. Das Objekt hat das Ich also irgendwie „aufgezehrt“, zusammengefaßt: Das Objekt hat sich an die Stelle des Ichideals gesetzt. Der Unterschied zwischen Identifizierung und Verliebtheit ist dabei der, daß bei der Identifizierung das Objekt verlorenging bzw. aufgegeben wurde und vom Ich wiederaufgerichtet wurde, während es bei der Verliebtheit erhalten blieb und als solches auf Kosten des Ichs übersetzt wurde. Hypnose: Von der Verliebtheit zur Hypnose ist es kein weiter Schritt, da die beiden sehr viele Ähnlichkeiten haben: Beide haben dieselbe demütige Unterwerfung, Kritiklosigkeit und Gefügigkeit gegen das geliebte Objekt.
Der Hypnotiseur ist nun das einzige Objekt, das wir beachten. Nun ist der Hypnotiseur an die Stelle des Ichideals getreten. Die hypnotische Beziehung ist eine uneingeschränkte, verliebte Hingabe bei Ausschluß sexueller Befriedigung. (Denn solche kann bei Verliebtheit doch nur zeitweilig zurückgeschoben werden.) Freud bezeichnet die hypnotische Beziehung als eine „Massenbildung zu zweien“, und meint, sie sei ein gutes Vergleichsobjekt mit der Massenbildung, da sie mit ihr beinahe identisch ist. Freud meint auch, die Hypnose könne das Rätsel der libidinösen Konstitution einer Masse lösen, wenn sie nicht noch Züge enthielte, die man noch nicht aufklären kann.
Es ist nämlich noch einiges an ihr unverstanden (z.B. die Art, wie sie erzeugt wird, die Auswahl von Personen, von denen sich manche für sie eignen, andere sie ablehnen usw.) Trotzdem meint Freud, durch die bisherigen Erörterungen die Formel für die libidinöse Konstitution einer primitiven Masse angeben zu können: „Eine solche primäre Masse ist eine Anzahl von Individuen, die ein und dasselbe Objekt an die Stelle des Ichideals gesetzt und sich infolgedessen in ihrem Ich miteinander identifiziert haben.“ Zu dieser Formel eine Darstellung:
Der Herdentrieb:
Mit der eben erwähnten Formel ist allerdings noch nicht das ganze Rätsel der Masse gelöst. Zwar reichen die besprochenen affektiven Bindungen aus, um folgenden Charakter der Masse zu erklären: Den Mangel an Selbständigkeit, die Initiative des Einzelnen und Gleichartigkeit seiner Reaktionen mit den Reaktionen der anderen.
Aber die Masse zeigt ja noch andere Eigenschaften, die bei Le Bon so ausführlich besprochen wurden: Die Schwächung der intellektuellen Leistung, Ungehemmtheit der Affektivität, Unfähigkeit zur Mäßigung und zum Aufschub,... Das alles gibt das bei Le Bon schon erwähnte Bild einer Regression der seelischen Tätigkeit auf eine frühere Stufe. Man hat den Eindruck, die Gefühlsregungen und die intellektuelle Leistung des Einzelnen sei zu schwach, um sich zu behaupten. All die seelischen Massenphänomene leitet W.
Trotter von einem Herdeninstinkt ab. Dieser Herdeninstinkt ist eine biologische Analogie und gleichsam auch eine Fortführung der Vielzelligkeit. Im Sinne der Libidotheorie ist der Herdeninstinkt eine Äußerung für die Neigung, sich zu immer umfassenderen Einheiten zu vereinigen. Trotter meint, der Herdeninstinkt ist den Menschen und den Tierarten angeboren. Der Einzelne fühle sich unvollständig, wenn er allein ist, und schon die Angst des kleinen Kindes sei ein Hinweis darauf. Trotter meint, die charakteristischen Eigenschaften eines Herdentieres seien Schuldbewußtsein und Pflichtgefühl.
Außerdem meint er, auch die Verdrängung und folgerichtig auch die Widerstände, auf die der Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung stößt, gehen auch vom Herdentrieb aus. Den Herdentrieb bezeichnet Trotter als einen primären Trieb (bzw. Instinkt) wie auch den Selbstbehauptungs-, Ernährungs- und Geschlechtstrieb, deshalb leitet er diesen Trieb auch nicht weiter ab. Freud kritisiert bei Trotter jedoch zwei Punkte:
1.) Wie schon zuvor so oft bemängelt Freud (hier aber noch stärker), daß auf die Rolle des Führers in der Masse keine Rücksicht genommen wurde. Der Herdeninstinkt läßt dem Führer überhaupt keinen Raum.
2.) Freud meint außerdem, es ist wahrscheinlich, daß der Herdentrieb nicht unzerlegbar ist, wie Geschlechts- oder Selbsterhaltungstrieb. Was Punkt 2 betrifft, versucht Freud nun die Ontogenese des Herdentriebes zu verfolgen. Er meint zum Beispiel, die Angst des kleinen Kindes habe andere Ursprünge: Das Kind hat eine unerfüllte Sehnsucht (zuerst nach seiner Mutter, dann nach anderen vertrauten Personen) und kann damit noch nichts anderes anfangen, als die Sehnsucht in Angst umzuwandeln. Dann, meint Freud, sei beim Kind länger nichts von einem Herdeninstinkt oder Massengefühl zu bemerken. Das bildet sich dann zunächst in der mehrzähligen Kinderstube: Das ältere Kind ist eifersüchtig auf das nachkommende und will es verdrängen.
Es will das jüngere Kind von den Eltern fernhalten und aller Anrechte berauben. Infolge der Unmöglichkeit, seine Feindseligkeit ohne Schaden festzuhalten, wird das Kind zu einer Identifizierung mit dem jüngeren Kind (bzw. den jüngeren Kindern) gezwungen. So bildet sich in der Kinderschar ein Massen- oder Gemeinschaftsgefühl, das dann in der Schule weiterentwickelt wird. Die erste Forderung dieser Reaktionsbildung ist also: Gerechtigkeit. Gleiche Behandlung für alle.
Man kann diesen Vorgang (Massengefühl durch Umwandlung bzw. Ersetzung von Eifersucht) auch im späteren Leben beobachten:
· Mädchen umdrängen zum Beispiel einen Popstar oder ein ähnliches Idol. Normalerweise müßten sie aufeinander eifersüchtig sein, aber angesichts der Tatsache, daß es unmöglich ist, das Ziel der Verliebtheit zu erreichen, handeln sie wie eine einheitliche Masse.
· Auch im Gemeinschaftsgeist einer Gesellschaft ist noch die Abstammung vom ursprünglichen Neid zu erkennen: „Keiner soll sich hervortun wollen, jeder das gleiche sein und haben.“ Das soziale Gefühl beruht also auf der Umwandlung eines zuerst feindseligen Gefühls in eine positiv betonte Bindung von der Natur einer Identifizierung. Freud meint auch, soweit bis jetzt erkennbar, scheint sich diese Umwandlung unter dem Einfluß einer gemeinsamen zärtlichen Bindung zu einer Person außerhalb der Masse zu vollziehen.
(In den Fällen hier: Eltern, Popstar,..) Die Gleichheitsforderung der Masse gilt nämlich nur für die Massenmitglieder, nicht aber für den Führer: Die einzelnen sollen untereinander gleich sein, aber alle wollen von einem beherrscht werden. Infolgedessen versucht Freud Trotter auszubessern: Der Mensch ist keine Herdentier, sondern ein Hordentier, also ein Einzelwesen einer Horde, die von einem Oberhaupt angeführt wird.
Masse und Urhorde
Wie nun eben angeklungen, zeigen Massen das vertraute Bild eines überstarken einzelnen inmitten einer Schar von gleichen Massenmitgliedern. Die Psychologie dieser Masse – Schwund der Einzelpersönlichkeit, Gefühle und Gedanken orientieren sich in die selbe Richtung etc.
– entspricht einem Zustand der Regression zu einer primitiven Seelentätigkeit. Diesen Zustand kann man auch der Urhorde zuschreiben. Deshalb meint Freud, die Masse erscheine wie ein Wiederaufleben der Urhorde. So wie auch der Urmensch im einzelnen virtuell erhalten ist, läßt sich auch die Urhorde aus jedem beliebigen Menschenhaufen wieder herstellen. Die Massenmitglieder waren gebunden, wie sie es auch heute sind, aber der Urvater war frei. Seine intellektuelle Leistung war auch in der Vereinzelung stark und unabhängig, sein Wille mußte nicht durch andere bekräftigt werden.
Freud nimmt an, daß er wenig libidinös gebunden war, niemanden außer sich liebte und auch die anderen nur, soweit sie seinen Bedürfnissen dienten. Der Urvater der Horde war allerdings noch nicht unsterblich, wie er es später durch Vergottung wurde. Wenn er starb, trat wahrscheinlich ein jüngster Sohn an seine Stelle. Deshalb kann man schließen, daß es eine Möglichkeit geben muß, Massenpsychologie in Individualpsychologie umzuwandeln: Der Sohn war zuvor ein Massenindividuum wie alle anderen, nun ist er das Oberhaupt, der Führer. Freud meint, man kann sich da nur diese eine Umwandlung vorstellen: Der Urvater hinderte seine Söhne an ihren direkten sexuellen Bestrebungen. Er zwang sie also zur Abstinenz und so zur Gefühlsbindung an ihn und aneinander: Er zwang sie in die Masse hinein.
Derjenige, der aber nun sein Nachfolger wird, hat die Möglichkeit der sexuellen Befriedigung. Damit ist auch der Austritt aus der Masse eröffnet. Anhand der Urhorde versucht Freud auch auf die Hypnose zurückzukommen: Die Hypnose hat den Charakter von etwas Unheimlichem, der Hypnotiseur behauptet, in Besitz einer geheimnisvollen Macht zu sein. Er hypnotisiert entweder durch seinen Blick (für den Primitiven ist der Anblick des Häuptlings gefährlich, wie auch der Anblick des Gottes für einen Sterblichen), oder indem er die Aufmerksamkeit durch andere Dinge auf sich lenkt: Der zu Hypnotisierende muß z.B. einen glänzenden Gegenstand ansehen, dabei wird aber unbewußt die ganze Aufmerksamkeit auf den Hypnotiseur gelenkt.
Auch das Gebot zu schlafen lenkt nur die ganze Aufmerksamkeit auf den Hypnotiseur: Das Interesse wird von der Welt abgezogen und auf die Person des Hypnotiseurs konzentriert. Freud meint nun, daß der Hypnotiseur durch seine Maßnahmen beim Subjekt ein Stück von dessen archaischer Erbschaft weckt, nämlich die Vorstellung von einer übermächtigen und gefährlichen Persönlichkeit. Gegen diese Persönlichkeit muß man seinen Willen verlieren und es scheint ein gefährliches Wagnis, mit ihr allein zu sein. Nur so, meint Freud, kann man das Verhältnis vom Urvater zur Urhorde erklären. Freud erklärt nun, daß der unheimliche, zwanghafte Charakter der Massenbildung mit Recht auf die Abkunft von der Urhorde zurückgeführt werden kann: Der Führer der Masse ist immer noch der gefürchtete Urvater, und die Masse will immer noch beherrscht werden, ist sogar in höchstem Grade autoritätssüchtig. Der Urvater ist das Massenideal, das an Stelle des Ichideals das Ich beherrscht.
Ich und Ichideal
Das „Wunder“ der Massenbildung wurde im Großen und Ganzen so erklärt, daß der einzelne sein Ichideal aufgibt und gegen das Massenideal, das im Führer verkörpert wird, vertauscht. Dieses Wunder ist allerdings nicht in allen Fällen gleich groß. Bei vielen ist die Sonderung von Ich und Ichideal nicht sehr weit fortgeschritten, die beiden fallen noch leicht zusammen und das Ich hat sich die frühere narzißtische Selbstgefälligkeit bewahrt. Dadurch wird die Wahl des Führers sehr erleichtert: Er braucht nur die Eigenschaften dieser Individuen in besonders reiner Ausprägung zu besitzen und den Eindruck von größerer Kraft und libidinöser Freiheit zu machen. Dann kommt ihm das Bedürfnis nach einem starken Oberhaupt entgegen und bekleidet ihn mit Übermacht, auf die er sonst möglicherweise nicht Anspruch hätte. Freud meint aber auch – nun von den Massen abkommend – daß es möglich ist, daß eine Trennung von Ich und Ichideal nicht dauernd vertragen wird und sich zeitweise zurückbilden muß.
Wenn Ich und Ichideal zusammenfallen kommt es immer zu einem Triumphgefühl. (Er meint, Minderwertigkeits- und Schuldgefühl kann als Ausdruck der Spannung zwischen Ich und Ichideal verstanden werden.) Freud bezeichnet es auch als unzweifelhaft, daß beim Manischen Ich und Ichideal zusammengeflossen sind. Um Ichideal und Massenpsychologie noch einmal zu verbinden, ist zu sagen, daß jeder einzelne Bestandteil von vielen Massen ist. Jeder einzelne hat sich durch Identifizierung vielseitig gebunden und so sein Ichideal nach den verschiedensten Vorbildern aufgebaut. Jeder einzelne hat dadurch Anteil an verschiedenen Massenseelen: an der seiner Rasse, des Glaubens, des Standes usw.
All diese ständigen und dauerhaften Massenbildungen fallen in ihren gleichmäßigen und anhaltenden Wirkungen jedoch weit weniger auf als die rasch gebildeten und vergänglichen, wie sie Le Bon in seiner „glänzenden psychologischen Charakteristik“ beschrieben hat.
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