Universität erfurt
Thema:
Die Entdeckung der Langsamkeit: Achim
„Aber ich will es lernen.“
Janina Döller
2.Fachsemester
Lehramt an Grundschule
Seminar: Kinder mit Lernschwierigkeiten in Mathematik
24.Juni 2002
Einleitung
Beschreibung und Analyse: Achims Weg durch den Mathematikunterricht in der zweiten Klasse
Quellen
Einleitung
Lernschwäche tritt bei vielen Kindern auf, wird aber oftmals nicht oder zu spät erkannt.
Auch Achim ist ein Kind, das Lernschwierigkeiten aufweist und dies im Fach Mathematik. Der Autor Christoph Selter beschreibt Achims Langsamkeit und begleitet ihn durch die zweite Klasse.
Beschreibung und Analyse: Achims Weg durch den Mathematikunterricht der 2.Klasse
Im Jahr 1992 ging Achim in die Klasse 2a mit 20 weiteren Schülern. Achim wird von seiner Lehrerin als verträumt und zurückhaltend beschrieben. Er gehört zu den leistungsschwachen Kindern in der Klasse, was daran liegen könnte, dass er der Jüngste in der Klasse ist und somit in der Entwicklung noch nicht so weit ist wie seine Mitschüler.
Dem Autor Christoph Selter fiel Achim das erstemal während des Unterrichts bei einem Versuch auf. Die Kinder sollten sich in Zweiergruppen mit einen Würfelspiel beschäftigen und dabei die Addition im Hunderterbereich festigen.
Achim ging alles zu schnell und er meinte zu seinem Mitschüler Thilo: „Warte, Warte, nicht so schnell.“
Thilo wurde schon ganz ungeduldig, aber Achim konnte nun einmal nicht so schnell rechnen und gleichzeitig notieren wie die anderen. Trotz dessen war er stolz auf seine gelösten Aufgaben, auch wenn seine Mitschüler das Dreifache in der gleichen Zeit lösten.
Der Autor Selters wurde von Achim gefragt: „Hilfst du mir ein bisschen? Ich kann noch nicht so gut rechnen. Aber ich will es lernen.“ Achim ist sehr lernwillig und interessiert, auch wenn er seine Zeit dazu braucht.
Er selbst schätzt seine Leistungen als sehr schwach ein.
Der Autor machte auf ein Buch aufmerksam, um sich die Langsamkeit Achims zu erklären. Der kleine Achim erinnerte ihn nämlich in seiner Art und Weise an John Franklin, eine Romanfigur von Sten Nadolny („Die Entdeckung der Langsamkeit“, 1990).
Auch John hatte Schwierigkeiten, besonders was die Wahrnehmung, das Denken und das Sprechen betraf und alles wegen seiner Langsamkeit. John fiel es sogar schwer seine Schuhe zu binden oder einen Ball zu fangen. Er hatte viele Probleme und die Lehrer erkannten seine Lernschwierigkeiten nicht und wurden immer ungeduldiger.
John war sich aber bewusst, dass er die Schule braucht, damit er Seemann werden konnte. Er will an sich arbeiten und bekommt somit mehr Selbstvertrauen und lernt, mit seiner Langsamkeit umzugehen.
Es sollte zu einer grundsätzlichen Prävention kommen, bevor man mit der Therapie beginnt, d.h. man sollte versuchen die Defizite auszugleichen, wenn es zu Lehr- bzw. Lernschwierigkeiten kommt.
Das schulische Lernen unterscheidet sich sehr vom natürlichen bzw. außerschulischen Lernen. Beim natürlichen Lernen lernt man zum Beispiel an Originalen, die Kinder bekommen eine gute Vorstellung wie zum Beispiel eine Pflanze aussieht. Aber beim schulischen Lernen bekommen die Kinder oftmals als Lernhilfe eine bildliche Darstellung mit der sie nichts anfangen können, da sie keinen Bezug zur Wirklichkeit haben. Die Kinder haben somit ein Problem mit der Abstraktion und dies kann zur sogenannten Lernschwierigkeit führen.
Man sollte auch bedenken, dass es zwei unterschiedliche Sichtweisen gibt.
Es gibt die Erwachsenenperspektive und die Kinderperspektive. Diese beiden Sichtweisen können zwar gleich sein oder sich ähneln, müssen aber nicht. Daher sollte man nicht davon ausgehen, dass die Kinder ein Deutungsdefizit aufweisen, sondern es zwischen den beiden Perspektiven zu Deutungsdifferenzen kommen kann.
Wenn sich diese unterschiedlichen Interpretationen verfestigen, wird oftmals dem Kind
„die Schuld gegeben“ und diese müssen dann mühsam therapiert werden. Aber diese Schwierigkeiten treten nicht nur auf durch solche Missverständnisse. Um dies zu umgehen sollte der Unterricht offener sein was auch bedeutet, dass der Lehrer sich öffnen sollte.
Was bedeutet eigentlich „Prävention vor Therapie“ genau? Es sind allgemeine Prinzipien zur Unterrichtskultur, wobei die Lernanregungen des Lehrers sehr wichtig sind, die aber auch die Kinderperspektive mit einbeziehen sollten, um diese didaktisch gut umzusetzen, damit es zu einen erfolgreichen Endprodukt kommt.
Besonders wichtig ist es auch, die Lernschwachen als individuelle Persönlichkeiten anzusehen und man sollte jeden Einzelnen ernst nehmen. Die Lernschwachen sollen selbst lernen ihre Welt aktiv wahrzunehmen und sie brauchen eine gute Lernumgebung. Auch brauchen sie viele Möglichkeiten des Lernens, um das Verständnis zu entwickeln. Zum Beispiel wird von den Kindern viel zu viel in kurzer Zeit verlangt, obwohl sie manches noch gar nicht verstehen und es eher als ein Spiel ansehen. Oftmals registrieren Lehrer oder Eltern dies nicht und sehen nur die richtigen Antworten die zumindest auf der symbolischen Ebene gegeben werden.
Lehrer und Schule sind vielmals zu ungeduldig, was durch den Druck der Parallelklasse, Bücher oder Kollegen etc. kommen kann und dabei merken sie oftmals nicht, dass sie von einigen Schüler zuviel verlangen und von einigen zu wenig in dieser kurzen Zeit. Somit sollte es möglichst zu einer Förderung jeder Einzelbegabung kommen, aber der Lehrer allein schafft dies nicht. Deshalb sollten die Schüler zunehmend die Lehrverantwortung mitübernehmen und somit ihr eigenes Lerntempo individualisieren (Kühnel). Es sollte zu einen Lernen von- und miteinander kommen.
Wie wurden diese Grundgedanken im Unterrichtsversuch zum multiplikativen Rechnen realisiert?
Damit die Schüler in einer guten Lernumgebung rechnen konnten, bestand „zentraler Grundsatz in durchgehend ganzheitlicher Behandlung“, wobei Schüler von Anfang an mit Aufgaben des 1x1 operieren konnten um somit bereits vorhandene Sinnzusammenhänge für weiterführende Prozesse nutzt.
Somit wurden die 1x1-Sätze erst am Ende des Schuljahren mechanisiert. Der Schwerpunkt lag somit darin, mit bereits vorhandenen Wissen neues Wissen aufzunehmen und neues Wissen von alten Wissen abzuleiten.
Somit konnten die Schüler ihr Lerntempo selbst bestimmen und dies wirkte sich anregend auf ihr kognitives Potential aus.
Wie hat Achim von diesen Lernangebot profitiert?
Es kam nun zu Interviews mit Achim, einmal im Bereich der Multiplikation und dann im Bereich der Division. Er sollte verschiedene Aufgaben lösen und sie dokumentieren. Die gestellten Aufgaben waren „Tisch- und Turnhallenaufgaben“.
Zu den Tischaufgaben: „An einem Tisch können immer vier Kinder sitzen. Wie viele Kinder können an fünf Tischen sitzen und wie viele an 7 Tischen?“
Im ersten Interview, bevor der Unterrichtsversuch begann (20.1.), malte Achim fünf Tische mit den Zahlen 1 bis 4, die durch ein Komma getrennt wurden. Er erhielt die Lösung 21. Bei der zweiten Teilaufgabe kam er auf das richtige Ergebnis 28, wobei er die erste Teilaufgabe korrigierte.
Er schrieb danach seine Vorgehensweise auf, indem er die Zahlensätze 16+6= 21; 10+10=20; 19+9=28 darstellte, aber dies ergab keinen Zusammenhang.
Im zweiten Interview (10.3.) benutzte er das sogenannte lineare Modell, das aber bisher noch nicht im Unterricht behandelt worden war. Da er dieses Modell nicht kannte, hat er es entweder selbst entwickelt oder von einer anderen Person abgeschaut. Das Modell sah so aus, dass er jeweils vier Kreise malte und dazu den Zahlensatz 5x4=20 notierte.
Darauf ergänzte er die Kreise um zweimal vier Kreise. Diese zählte er ab und kam auf den Zahlensatz 7x4=28.
Nach den Osterferien (28.4.) fing er an die Kreise zu unterstreichen statt sie durchzustreichen. Auch schrieb er die Zahlensätze richtig auf und auch die richtigen Tauschaufgaben zeigte er dazu ( 5 x 4= 20; 4 x 5= 20; 7 x 4=28; 4 x 7= 28).
Bei den folgenden Interviews (11.5 und 8.6.) schrieb er gleich die Lösungen auf, da er sich die Ergebnisse nun eingeprägt hatte.
Im Bereich der Division zeigt er interessante Lösungsmöglichkeiten auf. Im ersten Interview zur Division unterliefen Achim zwei Denkfehler.
Er wollte zu dem richtigen Ergebnis gelangen, indem er 20-4 =16 rechnete. Daraufhin rechnete er weiter zurück, so dass er auf den Zahlensatz 20-4-4 =13 kam, was aber falsch war. Er merkte sich dieses falsche Ergebnis durch drei gespreizte Finger der linken Hand. Dann machte er den Fehler, das er wieder mit den drei gespreizten Finger weiter rechnete und erhielt den Zahlensatz 20-4-4-4=4.
Bei seinem zweiten Versuch zählte er jeweils um fünf zurück und kam auf das Ergebnis 5. Aber statt seine Rechnung als Differenz zu notieren, schrieb er sie als Summe auf.
Man merkte, dass Achim ein Problem hatte mit der richtigen Vorstellung, also schlug ihm der Autor vor, ein Bild zu der Aufgabe zu malen, damit er es sich besser vorstellen kann. Er malte vier Kinder an der Sprossenwand.
Es kam zum zweiten Interview und er malte nun zwanzig Kreise nebeneinander. Dann verband er immer vier miteinander, was die jeweiligen 4 Kinder zeigen sollte (zum Beispiel an der Sprossenwand, da er es sich nun verbildlicht hatte). Somit kam er auf die richtige Lösung. Im dritten Interview malte er wieder zwanzig Kreise nebeneinander und dann unterstrich er jeweils vier Kreise.
Dann zählte er die Vierergruppen und kam auf die Lösung. Um seine Antwort zu bekräftigen zeigt er noch den Zahlensatz 5+4=20 und dessen Tauschaufgabe und sein Kommentar war, dass es das gleiche Resultat ist.
Im vierten und letzten Interview verwendete er eine Lösungsstrategie eines fiktiven Jungen namens Timo. Timo kam auf seine Ergebnisse , indem er die Divisionsaufgaben durch eine wiederholte Subtraktion gleichgroßer Zahlen bei gleichzeitiger Notation des Zwischenergebnisses erhielt. Achim benutzte diese Lösungsmöglichkeit und verstand sie.
Achim hat im Laufe des Schuljahres viel dazu gelernt.
Als leistungsschwacher Schüler machte er außergewöhnliche Leistungsfortschritte. Dies gelang ihm besonders durch seinen großen Ehrgeiz und somit durch die Verbesserung seiner Kompetenzen. Er hat seinen Weg gefunden, auch wenn er auch jetzt nach dem Unterrichtsversuch noch lange nicht so sein wird wie seine Mitschüler. Er entwickelte selbst Strategien, um zu einem Ergebnis zu kommen oder übernahm Strategien von Mitschülern. Er hat sein eigenes Lerntempo gefunden und steuert dies nun selbst. Auch entscheidet er selbst, welche Strategien benutzen möchte und welche er am besten versteht.
Aber man kann die Situation Achims nicht verallgemeinern, da nicht alle Kinder eine solche Lernumgebung haben und unterstützt werden. Viele müssen versuchen, alleine damit klarzukommen, da sie keine Lernhilfe bekommen bzw. die Lernschwäche nicht erkannt wird. Achim hat sich jedenfalls gut weiterentwickelt und in der vierten Klasse war ein sorgfältiger und langsamer Schüler, der seinen Weg gefunden hat. Achims großes Ziel ist es Tierpfleger zu werden, was er wohl auch schaffen wird.
Quellen:
- Christoph Selter: Entdeckung der Langsamkeit
in Grundschulunterricht 42 (1995)2, S.
26 bis 29
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