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  Vorwort

      Vorwort   Eines der bekanntesten, aber auch aus ethnischen Gründen umstrittensten, Experimente der Psychologie ist das sogenannte Milgram Experiment. Es wurde in den Jahren 1960-1963 an der psychologischen Fakultät der Yale University durchgeführt und später noch in Princeton, München, Rom, Südafrika und Australien wiederholt. Der Sozialpsychologe Stanley Milgram versuchte die Frage zu beantworten, ob ganz gewöhnliche Menschen, in der Lage dazu wären, andere Personen die sie weder kennen noch einer anderen Verbindung zu ihnen stehen, im Namen eines Anderen, sprich der sogenannten Autorität, Handlungen zu vollbringen, die einem Vernichtungsprozeß gleichkommen. Diese Fähigkeit zur Grausamkeit gegenüber Mitmenschen wird meist von den Mitgliedern unserer Gesellschaft geleugnet oder nur bestimmten Menschen, die wir als "geisteskrank" oder "verrückt" betiteln, zugetraut. Die Ergebnisse dieses Experiments gaben allerdings Einblick in die Fähigkeiten des Menschen, im Namen eines Anderen oder einer Sache, die Grausamkeiten zu begehen, die allgemein als unmenschlich bezeichnet werden. Das festgefahrene Bild von Gut und Böse verliert ihre Grenzen.

Auch die vermeintlich Guten sind in der Lage Greueltaten auf Befehl des Bösen, ohne jegliche Auflehnung gegen dieses, zu begehen. Die Beweggründe für diese Experimenttalreihe lieferten die Ereignisse im 2.Weltkrieg. Milgram fragte sich aus welchen Motivationen heraus, soviele Menschen während des Nazi Regimes, dazu bereit waren, sich in den Dienst der Tötungsmaschinerie der Nazis zu stellen. Lag es an einer grundsätzlichen Charakterschwäche der Menschen die dazu verleitete Spaß am Töten zu finden? Oder gibt es einfach Situationen oder Umstände unter denen möglicherweise jeder in der Lage wäre zu quälen und sogar zu töten?     Biographie   Stanley Milgram wurde 1933 in New York geboren, promovierte in Sozialpsychologie und lehrte an der Universität von Yale und in Harvard. Milgram wurde 1964 mit dem jährlichen sozialpsychologischen Preis der American Association for the Advancement of Science für seine Untersuchung der Obrigkeitsgehorsams ausgezeichnet.

Bis zu seinem Tode 1984 unterrichtete er als Professor an dem Graduate Center der University of New York City das Fach Psychologie.     1. Die Problematik des Gehorsam   Wie die meisten Verbrechen unserer Geschichte zeigen, ist es nicht schwer Menschen soweit zu manipulieren, daß sie dazu bereit sind, sämtliche anerzogenen moralischen Grundsätze abzulegen und im Interesse des Vorgesetzten, der eigenen Rasse, der Gesellschaft oder einfach nur der Sache, der jede Autorität und vorallem Verantwortung, zugeschrieben wird, zu töten. Der Gehorsam der Menschen, der zu den Grundelementen des gesellschaftlichen Lebens gehört, wurde im Laufe der Jahrtausende vielfach ausgenutzt. Das moralische Problem, ob man Befehlen gehorchen sollte, auch wenn sie sich nicht mit den eigenen Wertvorstellungen decken, wird durch eine legitimierte Autorität auf das Pflichtbewußtsein reduziert. Ziel des Experiments war es, dem Punkt heraus zufinden an welchem die Versuchsperson sich weigert, dem Opfer weitere Qualen zuzufügen und somit dem Versuchsleiter zu widersprechen.

Die Ergebnisse waren ebenso überraschend wie schockierend. Zwei Drittel der Teilnehmer fielen in die Kategorie "gehorsam" und widersetzten sich, in Handlung umgesetzt, in keinster Weise. Die Versuchsperson handelte aus einem Gefühl der Verpflichtung heraus und folgte lediglich den Anweisungen der Autorität, die wiederrum auch im Dienste der Wissenschaft stand. Doch was veranlasst Menschen mit gesundem Verstand der nahezu sadistischem Versuchsleiter zu gehorchen? Diese Unfähigkeit zu handeln besteht aus mehreren Bindungsfaktoren:   -) Höflichkeit des Versuchleiter gegenüber und das versprochene Bestreben der Wissenschaft einen Dienst zu leisten.   -) Die Peinlichkeit des Ausscheidens   -) Die stattgefundene Anpassung der Denkweise des Teilnehmers an die des Versuchleiters. Diese "Verbindung" hilft den moralischen Druck standzuhalten und schwächt das Bedürfniss zum Bruch mit dem Versuchsleiter (weiters Vl).

Die moralische Bewertung wird der Autorität überlassen, der die Teilnehmer bloß dienen. Diese gadanklich Anpassung hilft der Versuchsperson (weiters Vp) sich als nicht verantwortlich zu betrachten.     Viele der Vpn sahen das Opfer auch als Ergebniss ihrer eigenen Handlungen. Sie hielten die Elektroschocks für eine durchaus legitime Strafe und somit gerechtfertigt. Einige Vpn waren vollkommen von der Unrichtigkeit ihres Tuns überzeugt. Individuell dachte jeder für sich auf der Seite des Guten zu stehen.


Doch dieser gedankliche Aufstand blieb ein stiller. Den VP wurde nicht klar, daß subjektive Gedanken völlig irrelevant für ein Experiment dieser tragweite waren, solange sie nicht in Aktionen umgewandelt werden. Und somit diente diese menschlich korrekte Darstellung dieser Experimente doch nur zur Beruhigung des eigenen Gewissens.     2. Methodik der Untersuchung   Um nun untersuchen zu können, unter welchen Bedingungen der Mensch dem Befehl eines anderen Folge leistet und wann nicht, schaffte Milgram eine Situation, bei der er glaubte den Schnittpunkt transparent machen zu können und zu bewerten. Wichtig war es ein einfaches Experiment durchzuführen, um den Einfluß von Fremdfaktoren, die nicht mit dem psychologischen Mechanismus des Gehorsams und des Widerstands gegen eine Autorität zusammenhängen, auszuschließen und dadurch eine Fehlinterpretation der gewonnen Ergebnisse zu vermeiden.

  Der Grundgedanke war folgender:   Eine Person kommt in ein Labaratorium und wird im Rahmen eines wissenschaftlichen Experiments dazu aufgefordert, Handlungen auszuführen, die sie im wachsenden Maße in einen Gewissenskonflikt stürtzen sollen.Wie und wann wird sich diese Person den Anordungen widersetzten?   2.a. Selektive Suche der Versuchspersonen   Um Personen aus einem breitgefächertem Spektrum zu finden, wurde in einer Lokalzeitung über eine Anzeige geworben. Es werden Leute jeder Berufsgruppe aufgefordert, gegen ein Entgeld von 4.50 $ an einer Untersuchung über Gedächtnisvermögen teilzunehmen.

Es meldeten sich 296 Menschen, da diese Anzahl aber zu gering war, wurde das Werbeverfahren noch durch eine örtliche briefliche Aufforderung anhand des örtlichen Telefonbuches ergänzt, wobei sich erneut 12% der Angeschriebenen meldeten.   2.b Örtlichkeit, Personal und Einführung in das Experiment   Die Legitimität des Veranstaltungsortes spielte eine große Rolle. Somit wurden die Vpn in das elegante Labaratorium für zwischenmenschliche Beziehungen der Yale University eingeladen, wo sie der der Vl empfang. Ein 31 jähriger Biologielehrer der sich leidenschaftslos und etwas streng, in seinem grauen Technikerkittel wirkte, manifestierte den Vl. Das Opfer spielte ein 47 jähriger Buchhalter, der als freundlcih und liebenswürdig galt und extra für diese Rolle eingeschult wurde.

Die uneingeweihte Vp und das Opfer, das ebenfalls als uneingeweithe Vp auftrat, wurden nun dem Vl mit folgenden Worten über das Experiment aufgeklärt, welche zugleich die Behandlung des Opfers rechtfertigen:   Die Psychologen haben mehrere Theorien entwickelt, die eine Erklärung für die Tatsache bieten, wie Menschen unterschiedliche Arten von Lernstoffen lernen. Einige der bekannteren Theorien werden in diesem Buch abgehandelt. (Der Versuchsperson wird ein Buch über den Lehr-/Lernprozeß vorgelegt.) Eine Theorie lautet, daß der Mensch etwas exakt lernt, wenn er für einen Fehler jedesmal bestraft wird. Eine allgemeine Anwendung dieser Theorie ist etwa, daß Eltern ein Kind schlagen, wenn es etwas angestellt hat. Die Erwartung geht dahin, daß Prügel als Bestrafung das Kind lehren werden, sich besser zu erinnern, daß sie es lehren werden, erfolgreicher zu lernen.

Wir wissen jedoch noch sehr wenig über den Einfluß von Strafe auf den Lernprozeß, weil es fast keine wirklich wissenschaftlichen Untersuchungen am Menschen darüber gibt. Wir wissen um Beispiel nicht, wieviel Strafe sich am günstigsten auf das Lernen auswirkt, und wir wissen nicht, welchen Unterschied die Person des Strafenden ausmacht - ob ein erwachsener Mensch am besten von einer jüngeren oder älteren Person als er selbst lernt - usw., usw. Deshalb versammeln wir für unser Experiment eine Anzahl von Erwachsenen mit verschiedenen Berufen und von unterschiedlichem Alter und bitten einen Teil von ihnen, Lehrer zu sein, einen anderen Teil, Schüler zu spielen. Wir wollen herausfinden, welche Auswirkungen verschiedene Menschen füreinander als Lehrer und als Schüler haben, und wir wollen auch herausfinden, welche Auswirkung Bestrafung in dieser Situation hat. Deshalb werde ich jetzt einen von ihnen beiden bitten, hier heute abend den Lehrer darzustellen, den anderen, die Rolle des Schülers zu übernehmen.

zieht einer von Ihnen die eine oder andere Rolle vor? (Versuchsperson und eingeweihte Opfer können ihre Vorliebe äußern.)   Also, ich glaube, es ist am fairsten, wenn ich auf zwei Zettel die Wörter "Lehrer" und "Schüler" schreibe und Sie beide losen lasse. (Die Versuchsperson zieht zuerst, dann der Gehilfe des Versuchsleiters.) Nun, er von Ihnen ist was? Gut. Und jetzt müssen wir zuerst einmal den Schüler in eine Lage bringen, in der er irgendwie bestraft werden kann. Kommen Sie doch bitte beide mit ins Nebenzimmer.

(BS 35f)   Damit sichergestellt werden konnte, daß immer die uneingeweihte Person Lehrer war, stand bei der Verlosung auf beiden Zetteln "Lehrer". Sogleich wurde dann der Schuler an eine , dem elektrischen Stuhl ähnelnde, Apparatur gefesselt. Der Vl erklärte, die Fesseln dienten dazu heftige Bewegungen zu verhindern, wenn der Schüler Schocks erhalte. Beabsichtigt war der Eindruck, daß es ihm unmöglich sein werde, sich aus diese Situation zu befreien. Am Handgelenk des Schülers wurde eine Elektrode befestigt, Elektrodensalbe wurde aufgetragen, "um Blasen und Verbrennungen zu vermeiden". Der Versuchsperson wurde klargemacht, daß die Elektrode mit dem Schockgenerator im nächsten Raum verbunden sei.

Um die Glaubwürdigkeit zu steigern, erklärte der Versuchsleiter auf eine Frage des Schülers: "Obwohl die Schocks äußerst schmerzhaft sein können, verursachen sie keine bleibenden Gewebeschädigungen." Der Versuchsperson wurde nun noch ein Probeschock von 45 Volt durch das Drücken des dritten Schalters am Generator gegeben, um sie von der Echtheit der Apparatur zu überzeugen.   2.c. Das Experiment   Lehrer und Schüler mußten nun ein Entlastungsformular unterzeichnen, das die Universität von Yale aus der juristischen Haftung, die sich aus den Folgen ihrer Teilnahme ergeben könnte entließ. Danach wurde sie in ihre Tätigkeit als Lehrer eingeführt.

Die Versuchsperson sollte dem Schüler eine Reihe von Wortpaaren vorlesen und dann den ersten Begriff der Wortpaare zusammen mit vier anderen Begriffen. Die Aufgabe des Schülers war, unter den vier neuen Begriffen denjenigen zu nennen, der ursprünglich zu dem ersten Begriff gehörte.   Also z.B.:   Blau Schachtel Schön Tag Wild Vogel   Und darauf : Blau: Himmel Tinte Schachtel Lampe   Die Antwort wurde dem Lehrer durch das Aufleuchten eines von vier Feldern am Schockgenerator übermittelt. Der Generator verfügte außerdem noch über 30 waagrecht angeordnete Kippschalter, die mit Voltzahlen von 15 bis 450 Volt beschriftet waren.

Zusätzlich waren zu je vier Schaltern die Aufschriften "Leichter Schock", "Mäßiger Schock", "Mittlerer Schock", "Kräftiger Schock, "Schwerer Schock", "Sehr schwerer Schock" sowie "Gefahr: Bedrohlicher Schock" angebracht, die letzten beiden Schalter trugen die Aufschrift "XXX" . "Wenn ein Kippschalter betätigt wurde, leuchtete über ihm eine rote Kontrollampe auf; ein elektrisches Summen wurde vernehmbar, ein elektrisches Blaulicht mit der Bezeichnung "Spannungsverstärker" blitzte auf; der Zeiger auf dem Voltmeter schlug nach rechts aus; verschiedene klickende Relais waren zu hören. Die Vp sollte dem Schüler bei jeder falschen Antwort eine Schock verpassen, wobei ihr gesagt wurde, daß sie bei 15 Volt beginnen und bei jeder weiteren falschen Antwort die nächst höhere Stufe wählen solle. Außerdem sollte sie vor Verabreichung eines Schocks die Voltzahl laut ankündigen, damit ihr die wachsende Intensität des Schocks im Bewußtsein blieb. Wenn die Vp bei der Höchststufe von 450 Volt angelangt war, sollte sie unter Beibehaltung der Höchststufe mit der Lernaufgabe fortfahren. Nach zwei weiteren Versuchen wurde dann abgebrochen.

In den ersten Versuchen war der Lehrer vom Schüler räumlich getrennt, optisch wie akustisch, da Milgram davon ausging, das die Aufschriften auf dem Schockgenerator die Vp dazu bringen würden zu einem gewissen Zeitpunkt, sich zu weigern fortzufahren. Das war allerdings nicht der Fall. Praktisch alle Vpn in dieser Versuchsanordnung gingen bis zum Ende der Skala. Die Versuchsanordnung mußte nun in einer Weise modifiziert werden, daß der Anteil gehorsamer und ungehorsamer Vpn einigermaßen ausgewogen und eine nicht zu kleine Variationsbreite im Verhalten der Vp vorhanden ist, da ansonsten Veränderungen der Variablen, etwa die Nähe des Opfers zum Lehrer kaum einzuschätzen wären.   2.d.

Rückkoppelung zum Versuchsleiter   Im Verlauf des Experiments wendeten sich die Vp gelegentlich dem Versuchsleiter zu, um zu erfahren, ob sie weitermachen solle oder auch, um ihre Zweifel am Experiment auszudrücken. Der Vl reagierte darauf mit Bemerkungen nach dem Schema:   - Bitte fahren sie fort! Oder: Bitte machen sie weiter!   - Das Experiment erfordert, daß sie weitermachen!   - Sie müssen unbedingt weitermachen!   - Sie haben keine Wahl, Sie müssen weitermachen   Nur wenn die erste Bemerkung nicht genügte, um die Vp zum weitermachen zu bewegen, sprach der Vl die zweite Bemerkung aus. Wenn sich die Vp nach dem vierten Ansporn noch weigerte, war das Experiment beendet, d.h. die Vp war ungehorsam. Wurde nach einer Bemerkung mit der Verabreichung der Elektroschocks fortgefahren, so wurde beim nächsten Zögern der VP wieder mit der ersten Bemerkung begonnen.

"Der Vl sprach stets mit Bestimmtheit, aber nicht unhöflich". Außerdem erwiderte der Vl auf die Frage nach einer möglichen Gesundheitsschädigung des Schülers mit: "Die Schocks mögen schmerzhaft sein, sie hinterlassen aber keine bleibenden Gewebeschädigungen. Machen sie also weiter!"   Wenn die Vp sagte, der Schüler weigere sich weiterzumachen, antwortete der Vl : "Ob es dem Schüler paßt oder nicht, Sie müssen weitermachen, bis er alle Wortpaare exakt gelernt hat. Fahren Sie also fort!"   2.e. Rückkoppelung zum Opfer   Die Äußerungen des Schülers wurden streng systematisiert und in den Varianten des Experiments, in denen die Vp das Opfer nur hörte aber nicht sah, kamen die Äußerungen von Band.

Alle vom Opfer geäußerten Laute und Worte waren einer besonderen Voltstufe auf dem Schockgenerator zugeordnet. Allgemein jedoch gab das Opfer keinerlei Äußerung von Unbehagen von sich, erst als der bis der 75-Volt-Schock angewendet wurde, auf den das Opfer mit einem leichten Knurren antwortete. Ähnliche Reaktionen folgten auf den 90- und 105-Volt-Schock. Bei 120 Volt rief das Opfer dem Versuchsleiter zu, daß die Schocks jetzt schmerzhaft würden. Schmerzliches Stöhnen wurde bei Anwendung des 135-Volt-Schocks vernehmbar, und bei 150 Volt schrie das Opfer auf: "Versuchsleiter, holen sie mich hier raus! Ich will bei diesem Experiment nicht länger mitmachen! Ich weigere mich weiterzumachen!" Schreie dieser Art setzten sich mit ständig wachsender Intensität fort, bis zum Beispiel bei 180 Volt das Opfer schrie: "Ich kann den Schmerz nicht aushalten!" Bei 270 Volt war die Antwort eindeutig ein qualvolles Brüllen. Kontinuierlich von 150 Volt aufwärts bestand das Opfer darauf, aus dem Experiment entlassen zu werden.

Bei 300 Volt brüllte es verzweifelt, daß es keine Antworten auf den Gedächtnistest mehr geben werde.Woraufhin sich die meisten Vpn an den Versuchsleiter wendeten um eine Anweisung zu erhalten, wie fortzufahren sei, welcher sie dazu anhielt die nichtgegebenen Antwort nach einer Toleranzzeit von 5 bis 10 Sekunden als eine Falsche zu behandeln. Bei 315 Volt bestand das Opfer nach einem lauten Schrei verzweifelt und erneut darauf, daß es nicht länger mitmachen werde. Es gab keine Antworten mehr, schrie jedoch qualvoll auf, wann immer ein Schock zugefügt wurde. Nach 330 Volt hörte man nichts mehr von ihm, auf der vierteiligen Signalbox erschienen keine Antworten mehr.     .

3.a. Erwartetes Verhalten   Allzuoft zieht man die Erwartungen von Menschen, in Bezug auf ihr Verhalten in einer bestimmten Situation, dem Resultat eines sozialwissenschaftlichen Experiments vor. Der Mensch ist stets bestrebt, die von ihm begangenen Handlungen in ein günstiges Licht zu rücken. Man stellt ein Konzept des Wünschenswerten auf und begründet dieses, mit angebliche elementaren menschlichen Grundzügen wie Einfühlungsvermögen, Mitgefühl und Grechtigkeitssinn. Um differenzierte Erwartungshaltungen gegenüber Milgram's Experiment kennenzulernen, befragte man 3 verschiedene Gruppen, nach dem man ihnen eine detaillierte Beschreibung des Experiments zukommen lies, die sich aus Psychologen, Uni Studenten und erwachsenen Zuhörern eines Vortrags über Gehorsamsbereitschaft.

Man wollte herausfinden wann es zu dem Abbruchpunkt kommen würde und wie weit der Befragte mit der Folter des Schülers vorangehen würde. Jeder einzelne der 110 Befragten behauptete er würde an einem bestimmten Punkt, entweder aus Mitgefühl für das Opfer oder deshalb weil der Befragte selbst auch nicht mit körperlicher Gewalt dazu gezwungen wird, sich den Befehlen der Autorität zu entziehen. Alle 3 Gruppen wieses überraschende Übereinstimmungen in der Auswertung der Befragungsergebnisse auf.Weiters wurden die Befragten aufgefordert ihre Vermutungen, wie andere Mitmenschen in einer solchen Situation bereit waren zu handeln, preiszugeben. Auch hier kam es zu Ähnlichkeiten in der Auswertung. Alle Teilnehmer sagten zuerst aus, daß praktisch alle Versuchsteilnehmer dem Vl den Gehorsam verweigern würden.

Sie gingen davon aus, daß lediglich 1 bis 2 Prozent bis ans Ende der Schockskala gehen würden. Psychologen antworteten nicht anders als als Zuhörer der Mittelschicht mit unterschiedlichen Berufen, welches sicherlich ein weiteres interessantes Ergebnis darstellt. Milgram nimmt an, daß die Befragten sich zusehr auf die Eigenschaften des Individuums, die grundlegend als "gut" angenommen werden, konzentrierten und somit die eigentliche Situation in der sich das Subjekt befindet an Relevanz verliert.     5.a. Variationen und Ergebnisse   Milgram führte einige Variationen in der Versuchsanordnung an, anhand derer er die Bedingungen der Gehorsamsbereitschaft gegenüber einer Autorität genauer zu erforschen versuchte.

Insgesamt wurden 18 verschiedene Experimente durchgeführt, wobei sich die Einführung einer neuen Variation oft aus den unerwarteten Ergebnissen der vorangegangenen Experimente ergaben, die neue Fragen aufwarfen. Betrachten wir die einzelnen Experimente:   Experiment 1: Fernrückkopplung   Bei diesem Versuch waren von dem Schüler keine Beschwerden zu vernehmen, außer daß er nach Verabreichung des 300 Volt Schocks als Zeichen des Protestes gegen die Laborwände hämmerte, was nach dem 315 Volt Schock wieder ausblieb, da auch keine Antworten mehr angezeigt wurden. Hierbei waren 26 von 40 Vpn gehorsam, d.h. sie verabreichten die Höchststufe, 450 Volt, dreimal bevor der Versuchsleiter das Experiment abbrach. Bei den meisten Personen war zu beobachten, daß sie sich in einem Zustand der Anspannung befanden und viele äußerten bei 300 Volt Zweifel am Experiment.

Andere führten die Schocks ruhig bis zum Ende aus. Möglicherweise war das Klopfen aber kein deutliches Zeichen für die Not und die Schmerzen des Opfers und die hohe Gehorsamsbereitschaft dadurch zu erklären. Der Lehrer war also nicht genügend mit den Folgen seines Handelns für das Opfer konfrontiert. Somit müßte die Anzahl der ungehorsamen Personen zunehmen, würde die Vp das Opfer und seine Reaktionen deutlicher wahrnehmen. Um das zu überprüfen wurden drei Variationen eingeführt.   Experiment 2: Akustische Rückkopplung  Hier kamen nun die Tonbandaufzeichungen zum Einsatz die ich unter Punkt 2.

e beschrieben habe. Das Opfer war weiterhin nicht sichtbar. Bei dieser Anordnung war nur eine Personen mehr als bei Experiment 1 ungehorsam, jedoch nahm die durchschnittliche Höhe des gegebenen Maximalschocks stark ab.   Experiment 3: Raumnähe   Das Opfer war zusätzlich im selben Raum, wenige Meter von der Vp entfernt. Ansonsten entsprach es der zweiten Versuchsanordnung. Hierbei nahm die Anzahl der gehorsamen Vpn signifikant ab: nur noch 16 von 40 Personen gingen bis ans Ende der Skala gegenüber 24, die sich irgendwann verweigerten.

  Experiment 4: Berührungsnähe   Gegenüber Experiment 3 gab es die Änderung, daß das Opfer nur einen Schock erhielt, wenn es seine Hand auf die Schockplatte legte, ab 150 Volt weigerte es sich die Hand darauf zu legen und der Vl befahl daraufhin der Vp die Hand des Opfers notfalls mit Gewalt auf die Schockplatte zu pressen. Die Folge war, daß sich bereits bei 150 Volt 40% weigerten dem Schüler weitere Schocks zu geben oder seine Hand auf die Schockplatte zu legen. Nur noch 12 Personen gaben dreimal 450 Volt bevor der Vl abbrach.   Experiment 5: Neuanordnung der Operationslinie   Dieses Experiment fand in einem weniger luxuriösem Labor im Keller desselben Gebäudes statt. Der Versuch folgte der Anordnung des zweiten Experiments, zusätzlich erwähnte das Opfer jedoch einen Herzfehler zu dem Zeitpunkt an dem er auf dem Stuhl festgeschnallt wird und zusätzlich zu dem bereits beschriebenen Protest nach der Verabreichung von 150, 195 und 330 Volt. Diese neue Serie der Protestäußerung bildete den Standard für jede weitere Variante.

Milgram wollte herausfinden, ob diese neuen Bedingungen zusätzlich Gründe für eine Gehorsamsverweigerung liefern würden, was jedoch nicht der Fall.   Experiment 6: Wechsel des Personals   Der Vl wirkte bisher ein wenig streng und technisch, der Schüler dagegen sanft und unaggressiv. Um zu erfahren inwieweit die Persönlichkeit des Opfers und die der Autorität, das Verhalten der Vpn beeinflußt, wurden für die sechste Variation die Charaktere mehr oder weniger vertauscht. Der VL war nun eine sanfte, unaggressive Person, der Schüler dagegen "wurde von einem Mann mit hartem knochigen Gesicht und vorstehendem Kiefer gespielt, der aussah, als würde er bei einer Prügelei seinen Mann stehen" (BS.77). Hierbei waren noch 20 Personen gehorsam.

Die Persönlichkeit des Opfers oder der Autorität hatten als durchaus Einfluß auf das Verhalten der VPn, wenn auch in geringem Maße.   Experiment 7: Abwesenheit des Versuchsleiters   Bei dieser Variante verließ der VL nachdem er die anfänglichen Instruktionen gegeben hatte, unter einem Vorwand das Labor und gab seine Anweisungen über Telefon. Die Zahl der gehorsamen Personen (9) nahm ihm Gegensatz zur fünften Versuchsanordnung (26) entscheidend ab, was daraufhin deutete, daß die körperliche Anwesenheit des Leiters ein bedeutender Faktor in der Gehorsamsbereitschaft ist. Darüber hinaus gab es bei diesem Versuch bei einigen VPn eine interessante Verhaltensform zu beobachten: mehrere VPn gaben dem Schüler niedrigere Schocks als vorgeschrieben gewesen wäre und versicherten überdies dem VL über Telefon ordnungsgemäß zuverfahren. Die Versuchsreihe wurde noch erweitert, indem der VL ins Labor zurückkehrte, wenn sich die VPn weigerten mit dem Experiment fortzufahren. Mit ihrer körperlichen Gegenwart konnte die Autorität dann häufig wieder Gehorsam erwirken.

  Experiment 8: Frauen als Versuchspersonen   Die bisherigen Versuchspersonen waren ausschließlich männliche Erwachsene. Milgram hoffte durch Versuche mit Frauen geschlechtsspezifische Unterschiede ermitteln zu können, die Unterschiede in den Resultaten beider Geschlechter ging jedoch gegen Null. Jedoch fiel auf, daß der erlebte Konflikt bei den Frauen größer war.   Experiment 9: Vorbedingungen des Opfers   Die VPn erklärten ihren Gehorsam häufig mit einem Vertrag, den sie selbst und der Schüler mit dem Versuchsleiter geschlossen hatten und zu erfüllen hätten. Der Schüler habe sich freiwillig und ohne Vorbedingungen diesen Verpflichtungen ergeben und habe nun auch die Konsequenzen zu tragen. Diese Argumentation war so häufig zu hören, daß Milgram und seine Mitarbeiter die Art und Weise, wie das Opfer in das Experiment eintrat derart modifizieren wollten, daß dem Opfer keine Verpflichtungen, die es freiwillig übernommen hatte, unterstellt werden konnten, wenn es gegen die Schocks protestierte.

Die Abänderung bestand darin, daß der Schüler bei der Unterzeichnung des Entlastungsformulares, das normalerwiese routinemäßig vor sich ging,zögerte, auf seinen Herzfehler hinwies und es nur unter der Bedingung unterzeichnete, daß das Experiment auf seinen Wunsch hin abgebrochen würde.Natürlich mißachtete der Vl auch in dieser Versuchsanordnung die Proteste des Schülers. Gegenüber einem Viertel der Vpn, die das Vertragsargument vorbrachten verringerte sich der Prozentsatz der gehorsamen Personen im Vergleich zu Experiment 6 um nur 10 %.   Experiment 10: Institutioneller Zusammenhang   Mehrere Vpn sagten in den Nachbesprechungen, der spezielle Ort der Untersuchungen habe in ihnen Vertrauen in die guten Absichten des Experiments und seinen nutzbringenden Zweck geweckt und deuteten an, das sie nicht gehorsam gewesen wären, hätte das Experiment an einem Ort stattgefunden, für den sie weniger Respekt haben. Um zu erforschen welchen Einfluß auf die Gehorsamsbereitschaft, die Gefühle der Vpn für die Institution haben, innerhalb derer die Versuche stattfinden, wurde das Experiment 10 in ein etwas verwahrlostes Bürohaus in Bridgeport versetzt und von einer unbekannten Institution namens "Research Associates of Bridgeport" durchgeführt. Wenn die Vpn weitere Informationen über das Institut oder den Zweck des Experiments verlangten, wurde ihnen geantwortet, daß es sich hier um eine Privatfirma handle, die einen Forschungsauftrag für die Industrie durchführe.

Das Gehorsamsniveau war nicht viel geringer als das in Yale, jedoch traten hier die beiden einzigen Fälle auf, wo sich die Vpn weigerten auch nur den geringsten Schock zu geben. Scheinbar ist die Tatsache, daß der Versuch innerhalb einer Institution gemacht wird wichtiger als die Frage in welchem Institut es geschieht.   Experiment 11: Die Vp wählt die Schockhöhe selbst   Um überhaupt sagen zu können, ob die Vpn tatsächlich Befehlen gehorchen und nicht nur tun, was sie ohnehin tun würden, etwa aus Sadismus, war es nötig zu überprüfen, was passiert, wenn der Befehl, das Opfer zu quälen ausbleibt.   Das Verfahren war das des fünften Experiment, außer daß dem Lehrer gesagt wurde, er könne die Schockhöhe bei jeder falschen Antwort selbst wählen. Die Mehrzahl der Vpn wählte hier die niedrigsten Schockstufen, wobei, abgesehen von zwei Ausnahmen, niemand über den Punkt hinausging, an dem das Opfer heftig protestierte (150 Volt). Woraus hervorgeht, daß die Gehorsamkeit innerhalb des Milgram-Experiments keinesfalls durch einen Aggressionstrieb oder ähnliches erklärbar ist, was dem inneren Antrieb der Vpn entspringt würde, sondern mit der Unterordnung unter Autorität zusammenhängt.

  Bisher hielten sich die Experimente an eng definierte Grundbedingungen innerhalb derer kleinere Abänderungen gewisse psychologische Auswirkungen zeigten. Jedoch gab es immer eine Autorität, die dem Lehrer befahl dem Schüler Schocks zuversetzen, wogegen dieser protestierte. Milgram führt hier drei Elemente ein, deren Veränderung grundsätzlicheren Aufschluß über das soziale Phänomen des Gehorsams geben sollte. Das sind die Elemente Position, Status und Aktion, wobei Position beinhaltet, ob die jeweilige Person den Schock anordnet, verabreicht oder erhält. Status meint, ob die Person eine Autorität darstellt oder einen gewöhnlichen Menschen und Aktion bezieht sich auf das Verhalten der Personen innerhalb des Experiments.   Experiment 12: Der Schüler bittet um Schocks   Um herauszufinden, ob die Vpn hauptsächlich dem Inhalt der Befehle oder dem Status der befehlenden Person gehorcht, wurde folgende Änderung im Ablauf des Versuchs eingeführt:   Nach dem 150 Volt Schock sagte der Vl, die Reaktionen des Schülers seien ungewöhnlich heftig und angesichts seines Herzfehlers sei es besser das Experiment abzubrechen.

Daraufhin sagte der Schüler, er wolle fortfahren, mit der Begründung, es sei eine Kränkung seiner Männlichkeit, das Experiment vorzeitig zu beenden. Sowohl der Schüler als auch der Vl beharrten auf ihrer Position. Keine einzige Vp war bereit, auf die Bitte des Schülers einzugehen, woraus hervorgeht, daß nicht der Inhalt des Befehls ausschlaggebend ist, sondern der Status der Person, die ihn gibt.   Damit aber genauere Aussagen über die Basis auf der die Befehlsgewalt der Autorität beruht gemacht werden können sind noch andere Änderungen in der Verteilung der drei Elemente notwendig.   Experiment 13: Ein gewöhnlicher Mensch erteilt Befehle   Bei dieser Versuchsanordnung kamen drei Vpn (darunter zwei eingeweihte) zusammen in das Labor. Der Vl führte sie in das Experiment ein, ohne zu erwähnen welche Schockstufe zu verabreichen sei.

Der dritten Person wurde die Aufgabe übertragen, mit einer Uhr auf dem Tisch des Vl die Zeit zu stoppen. Das Telefon klingelte und der Vl erklärte daraufhin, er müsse das Labor kurz verlassen, das E könne jedoch durchgeführt werden, da die Lerninformationen automatisch aufgezeichnet würden. Er verläßt das Labor auch hier ohne zu erwähnen welche Schockstufen zu verabreichen seien. Daraufhin erklärt die neue Vp sie habe ein System entdeckt, wie das Opfer zu bestrafen sei, nämlich indem man die Schockhöhe bei jeder falschen Antwort um eine Stufe erhöhe, worauf sie während des ganzen E besteht.   Obwohl die Befehle nicht vollständig von der Autorität befreit waren, die ja die Situation definiert und Verabreichung der Schocks legitimiert hatte,verweigerten hier immerhin 80% dem gewöhnlichen Menschen den Gehorsam.   Experiment 13a: Die Vp als Zuschauer  Wenn die Vp sich weigerte weitere Schocks zu verabreichen, erklärte die eingeweihte Vp, dann werde sie eben die Schocks selbst verabreichen und setzte sich an den Schockgenerator.

Alle Vpn, nun Zeuge einer Quälerei, protestierten gegen das Verhalten ihrer Mit-Vp, fünf von 16 gingen gar mit Gewalt gegen sie oder den Generator vor. Dieses Verhalten steht in krassem Gegensatz zu der Höflichkeit, die sie dem Vl entgegenbrachten.   Experiment 14: Die Autorität als Opfer   Ein gewöhnlicher Mensch befiehlt   Bisher wurde noch nicht untersucht, was geschieht, wenn sich der Status des Opfers ändert. Um Aufschluß hierüber zu erhalten, wurde ein Situation geschaffen, in der dem Vl Schocks gegeben wurden, die ein gewöhnlicher Mensch befahl. Das geschah, indem der Schüler bei der Beschreibung der Strafe Angst vor den Schocks äußert und sich nur unter der Bedingung bereiterklärt, am Experiment teilzunehmen, wenn er einen anderen sehen könne, wie dieser an dem Experiment teilnimmt, wie er daran teilnehmen solle. Der Vl erklärt sich daraufhin bereit, die Rolle des Schülers zu spielen.

Bei 150 Volt bittet nun der Vl darum freigelassen zu werden wogegen der eigentliche Schüler darauf besteht, der Absprache folgend weiterzumachen. Bei dem ersten Protest der Autorität brachen ausnahmslos alle Vpn das E ab und befreiten den Vl. Aus den zuletzt geschilderten Versuchen geht eindeutig hervor, daß der Status der Autorität selbst den Gehorsam bewirkt, unabhängig von den Inhalten der Befehle oder der Position der Autorität.   Experiment 15: Zwei Autoritäten erteilen widersprüchliche Befehle   Bei dieser Variation waren zwei Vl im Labor anwesend, die sich bis zum ersten Protest des Schülers (150 Volt) einig waren. Ab diesem Punkt jedoch, befahl die eine Autorität der Vl fortzufahren, die andere aufzuhören. Manche Vpn versuchten nun die größere Autorität unter den beiden auszumachen, was ihnen jedoch nicht gelang.

90% hörten ab dem Zeitpunkt auf, an dem widersprüchliche Befehle kamen, 5% davor und 5% einen Schritt nach diesem Punkt.   Hieraus geht hervor, daß gegensätzliche Befehle, die von Personen erteilt werden, die sie sowohl den selben Status als auch die gleiche Position haben, sich gegensätzlich aufheben. Was passiert, wenn der Status derselbe ist und die Position verschieden ? Konkreter ausgedrückt, hat die Position innerhalb dieses Experiments Einfluß auf die Größe der Autorität, die ihr die Vp zumißt ? Aufschluß über diese Frage soll uns das folgende Experiment geben:   Experiment 16: Zwei Autoritätspersonen, eine als Opfer   Der Vp wird erklärt, daß die zweite Vp kurzfristig abgesagt hat, da es für die Vl jedoch sehr wichtig sei, diese Versuchsreihe noch an diesem Abend zu beenden, schlägt ein Vl vor, als Vp einzuspringen. Die Vl losen unter sich die Vp aus, danach folgt die übliche Prodzedur, der eine Vl spielt die Rolle des gewöhnlichen Opfers. Bei 150 Volt also bittet er freigelassen zu werden, der zweite Vl besteht auf der Fortführung des Experimentes.   Die Ergebnisse dieser Variante sind höchst interessant und aufschlußreich.

Entweder brachen die Vpn an dieser Stelle das E ab oder sie kümmerten sich nicht um die Proteste des Opfers und gingen bis zum Schluß. Was folgende Vermutung nahelegt: entweder verliert der Vl in der Position des Schülers auch den Status der Autorität (was wesentlich häufiger vorkam), oder aber er behält diesen Status und aufgrund widersprüchlicher Befehle kann seitens des Lehrers nicht weiter verfahren werden (was wesentlich seltener vorkam). Aus diesen Versuchsanordnung wird sichtbar, daß stets der Status einer Person deren Befehlsgewalt bestimmt, wobei die Position und die Aktion oder der Inhalt des Befehls nur darüber entscheiden können, welcher Autorität, beanspruchen mehr als eine diesen Status, Folge zu leisten ist. Die Vp versucht immer ein hierarchisches Gefüge zu erkennen, indem die höchste Autorität eindeutige Befehle gibt. Ansonsten folgt keine Aktion der Vp.   Möglicherweise erleichtert es den Ungehorsam, wenn man nicht alleine aufständisch ist und umgekehrt erschwert es vielleicht die Rebellion gegen eine Autorität, wenn Gleichgestellte sich fügen.

In den folgenden Versuchsanordnungen soll untersucht werden, inwieweit eine Gruppe gleichrangiger, also gewöhnlicher Menschen, sich gruppenkonform verhalten. Konformität ist in diesem Zusammmenhang definiert, als der Zwang der Anpassung hierarchisch gleichgestellter und steht somit im Gegensatz zum Gehorsam, der sich auf höhergestellte Personen bezieht. Beide haben eine große Wirkungen auf das Verhalten der Personen im sozialen Kontext. Es sollen nun die Wirkungen im Experiment untersucht werden.   Experiment 17: Zwei Gleichrangige lehnen sich auf   Das Grundexperiment wird in der Form abgeändert, das die Vp nun zwischen zwei weiteren eingeweihten Vpn am Generator sitzt und Schocks verabreichen soll. Der erste weitere Lehrer weigert sich nach den ersten Protesten des Opfers weiterzumachen und verläßt das Labor.

Der Vl befiehlt den beiden zurückgebliebenen Lehrern weiterzumachen. Nach der Verabreichung von 210 Volt weigert sich auch der zweite Lehrer, dem Opfer weitere Schocks zu geben, bleibt jedoch im Labor. Nun sitzt die richtige Vp alleine am Generator und wird aufgefordert fortzufahren. Keine Variation beschnitt die Macht der Autorität wirksamer: nur noch 10% waren dazu bereit, die höchste Schockstufe zu geben. Mehrere Gründe sind hierfür denkbar:   1. Die Vp wäre sonst gar nicht auf die Idee gekommen aufzuhören.

  2. Die gezeigte Gehorsamsverweigerung bestärkte die Vp in ihrer Ablehnung.   3. Die weitere Bestrafung des Opfers wurde gewissermaßen als verwerflich definiert.   4. Die Vp beobachtet, daß der Ungehorsam keine unangenehmen Konsequenzen hat.

  5. Die Autorität des Vl wird möglicherweise dadurch geschwächt, daß es ihm nicht gelingt seine Befehle durchuzsetzten.   Doch wird hier möglicherweise nur eine Autorität durch eine andere ersetzt, bilden sich doch schon in den kleinsten sozialen Einheiten Hierarchien in dem Sinn heraus, daß jemand auf einem bestimmten Gebiet als besonders kompetent erachtet wird. So wurden die sich widersetzenden Lehrer von den sich ebenfalls widersetzenden Vpn durchweg gelobt, als "Männer von gutem Charakter" oder "äußerst sympathische Leute" (BS.140).   Experiment 18: Ein Gleichrangiger gibt Schocks   In der letzten Variation, die Milgram in seinem Buch beschreibt, führt nun die Vp nicht mehr selbst die Schocks aus, sondern ist nur noch an Hilfstätigkeiten beteiligt, die Milgram nicht näher erläutert.

Wenn nun eine andere gewöhnliche Person die Schocks verabreicht, sind nur noch die wenigsten bereit, den Gehorsam zu verweigern (3 von 40). Sie sehen sich nicht mehr selbst als diejenigen, die das Opfer quälen, obwohl sie doch daran beteiligt sind, denn der verwerfliche Akt wird von ihnen nicht ausgeführt. Offenbar ist es recht einfach einen Zusammenhang zwischen der eigenen Tätigkeit und den späteren Folgen daraus zu leugnen. Man ist lediglich ein Rädchen in der Maschine, doch was die Maschine produziert sieht man nicht.     3.a.

Bewertungsmaßstäbe, Interview und Nachbesprechung   Die jeweiligen Vpn und die Handlungen die sie in diesem Experiment ausführten wurden taktvoll und mit Respekt behandelt. Nach Beendigung des Experiments fand mit jeder Vp ein aufklärendes Gespräch statt, indem ihr zumindest gesagt wurde, daß das Opfer keine Elektroschocks erhalten hatte. Jede Vp hatte Gelegenheit zur Aussöhnung mit dem Opfer und zu einem ausführlichen Gespräch mit dem Versuchsleiter.Den ungehorsamen Vpn wurde das Experiment in einer Weise erklärt, die ihren Ungehorsam positiv bewertete. Bei den gehorsamen Vpn wurde unterstrichen, daß ihr Verhalten und ihre Reaktionen normal gewesen seien. Nach Abschluß der Versuchsreihe erhielten die Teilnehmer einen ausführlichen Bericht, sowie einen Fragebogen, indem sie erneut ihre Gedanken und Gefühle bezüglich ihrer Teilnahme des Experiments ausdrücken konnten.

Als Hauptbewertungsmaßstab wurde nun der Höchstschock herangezogen, den jede Vp ihrem Opfer zufügte. Die Skala reichte also von 0 (eine VP, die sich grundsätzlich weigert dem Schüler Schocks zugeben) bis 30 (eine VP, die die höchste Schockstufe gibt). Wobei Milgram jedoch nicht nur das statistisch erfaßbare Verhalten zur Beurteilung der Experimente diente, sondern auch das Verhalten, das er unmittelbar an den Versuchspersonen beobachtete, wie z.B. ihren zunehmenden inneren Konflikt oder das Phänomen, daß viele VP begannen zu lachen, sowie die Ergebnisse der Nachbesprechung und Nachuntersuchung     6.a.

Die Analyse der Ergebnisse   Die Ergebnisse dieser Untersuchungen waren für alle Beteiligten überraschend und beunruhigend. In einem Vortrag über Gehorsamsbereitschaft wurden die Besucher befragt, wie sie sich in dem akustischen Rückkopplungsexperiment (Nr.2) verhalten würden und wie sich andere Menschen verhalten würden. Die Einschätzungen des eigenen Verhaltens, wie auch des Verhaltens Anderer, stehen im krassen Widerspruch zu den tatsächlichen Verhalten. Alle befragten Personen sagten voraus, das sie das Experiment zu unterschiedlichen Zeitpunkten abbrechen würden, nur von einer Randgruppe von zwei bis drei Prozent wurde erwartet, daß sie die höchste Schockstufe gaben. Der Großteil der Befragten gab an, spätestens nach Schockstufe 10 (der Schüler bittet um Abbruch) aufzuhören.

Offenbar glaubten die Befragten, daß die Handlungen eines Menschen allein aus ihm selbst entspringen und keine andere Ursachen haben als die eigene Entscheidung, etwas zu tun oder nicht zu tun. Das Verhalten im Experiment wurde vorhergesagt, ohne die Situation zu bedenken, in der sich diese Menschen befinden, und die größeren Einfluß auf das Verhalten hatte, als die Überzeugungen der Vpn. Inwiefern hat nun aber die vom Vl geschaffene Situation, das Verhalten der Vpn beeinflußt? Und wo liegen die Ursachen dafür, daß Menschen die Verantwortung für ihr Handeln abgeben können und es ihnen so schwer fällt diese wieder zurückzugewinnen? Milgram versucht auch auf diese Fragen eine Antwort zu geben.    6.b. Milgrams Gehorsamstheorie   Die Bildung von Hierarchien bietet den darin Organisierten wesentliche Vorteile in ihrem Überlebenskampf.

Eine angegriffene Gruppe ist straff organisiert viel schlagkräftiger als ein chaotischer Haufen. Es ist kein Zufall, daß die strengste und hierarchieste Ordnung beim Militär zu finden ist. In so fern ist die Entwicklung des Gehorsams eine evolutionäre, da sie das Überleben fördert. Was natürlich nur der Fall ist, wenn jeder der Beteiligten seinen Status innerhalb dieser Hierarchie auch akzeptiert. Da Gesellschaften auf eine solche Weise eine größere Chance zu überleben hatten und sich besser fortpflanzen konnten, hat sich im Laufe der Zeit, diese Bereitschaft zur Unterordnung in unseren Gehirnstrukturen festgesetzt. Milgram verweist hier auf die kybernetische2 Theorie der Automata, die besagt, daß ein Automaton, das als offenes System charakerisiert ist, das Inputs (z.

B. Nahrung) aus der Außenwelt benötigt um seine inneren Zustände aufrecht zu erhalten. Dazu steht ein Suchsystem, ein Einverleibungssystem sowie ein System zur Umwandlung der Inputs in brauchbare Formen zur Verfügung. Sobald diese Automata nicht nur als isolierte Systeme funktionieren sollen, sondern auch miteinander in einer primitiven Organisation, muß ihr Mechanismus modifiziert werden. Es muß ein Hemmfaktor hinzugefügt werden, der bewirkt, daß sie sich gegenseitig erkennen und sich nicht als Teil ihrer potentiellen Nahrung betrachten. Wenn jetzt die Automata auch noch gemeinsam wirken sollen, denn bisher handeln sie immer noch individuell, ist es nötig eine koordinierende Komponente einzuführen, der die Kontrolle überlassen wird.

Um das zu bewerkstelligen muß zwangsläufig wieder die Innenstruktur des Automatons verändert werden, was zur Folge hat, daß eine gewisse Unterdrückung der lokalen (individuellen) Herrschaft im Interesse des übergeordneten Systems eintritt. Und das ist nun genau der Zustand in dem sich ein Mensch befindet, wenn er bereit ist, einer Autorität zu gehorchen. Milgram nennt das den Agenszustand. Der Gegenstand seiner weiteren theoretischen Untersuchung sind die Voraussetzungen, die es möglich machen in den Agenszustand überzutreten, die Faktoren, die einen Menschen im Agenszustand bleiben lassen und die Konsequenzen, die sich für den psychischen Zustand des Menschen, der sich im Agenszustand befindet ergeben..     7.

a. Voraussetzungen für den Agenszustand   Die Voraussetzungen für den Wechsel in den Agenszustand, werden dem Menschen in unserer Gesellschaft praktisch schon in den ersten Lebensjahren geschaffen. Denn das Kind wächst von Anfang an in Autoritätsstrukturen auf, denen es sich unterordnen muß. Zuerst sind es die Eltern denen es gehorcht, später die Lehrer in der Schule und schließlich im Berufsleben ihr Boß. Der Mensch lehrt hierbei, den Befehlen der Autoritäten völlig unabhängig von ihrem Inhalt zugehorchen, da das einzige unveränderliche Elemente in den autoritären Befehlen, der stets unausgesprochene Befehl ist: Gehorche mir! Gehorchen wird stets belohnt. Anfangs etwa mit Süßigkeiten, später auf viel raffiniertere Art, nämlich dadurch, daß man selbst innerhalb der Hierarchie aufsteigt.

Dadurch verinnerlicht der Mensch also von Kindesbeinen an diese autoritäre Gesellschaftsordnung. Der Mensch befindet sich aber immer in konkreten Situationen, in denen er erkenne muß, ob eine Autorität vorhanden ist, oder ob er zu selbstbestimmtem Handeln berechtigt ist. Im Fall des Experiments begibt sich die Vp nun in eine Situation, die dadurch definiert ist, daß es einen Leiter gibt, das erwartet sie und danach sucht sie. Der Vl füllt also nur diese Lücke aus und aufgrund seines sicheren Auftretens und seinem grauen Technikerkittel, der die Funktion einer Uniform innehat, wird der Vl sofort als die Person identifiziert, die in dieser speziellen Situation mit Machtbefugnissen ausgestattet ist. Die Vp versucht auch gar nicht die Autorität des Vl zu verifizieren, höchstens gegenteilige Informationen oder Anomalien, beispielsweise im Verhalten des Vl, wenn er sich nicht verhält wie man es von einem Vl erwarten würden, könnten zur Infragestellung der Autorität führen. Dazu gehört auch, daß die Autoritätsperson nur Befehle erläßt, die sich auf das Gebiet erstrecken, über das die Autorität verfügt.

So könnte der Vl den Vpn nicht befehlen etwas zu tun, was nichts mit dem wissenschaftlichen Experiment zu tun hat. Zusätzlich muß ein Mensch, der in den Agenszustand eintritt auch sich selbst als innerhalb dieses Autoritätssystems stehend begreifen. So hätte der Vl außerhalb des Experiments keinen Einfluß auf die Handlungen der Vpn mehr. Einen bedeutenden Faktor spielt in diesem Zusammenhang auch der übergeordnete ideologische Rahmen, d.h. der Begriff "Wissenschaft" ist eindeutig positiv besetzt, und die Zielsetzung dieser Unternehmung ist von der Gesellschaft aktzeptiert und gewollt, was sicherlich bei den untersuchten Personen ein wichtiger Bindungsfaktor war, zumal sie sich freiwillig gemeldet haben, was noch zusätzlich unterstreicht, daß sie die Wissenschaft bejahen oder ihr zumindest einiges Interesse entgegenbringen.

Die Macht der Autorität, Verhalten zu beeinflußen wird ihr also auch zu einem großen Teil von denen ihr untergeordneten Personen zugestanden, was es für diese um so schwerer macht, ihr diese Macht auch wieder zu entziehen.   7.b. Innerhalb des Agenszustandes   Auffällig am Verhalten der Vpn war, daß sie häufig versucht haben, ihr Opfer so wenig wie möglich wahrzunehmen, ihre Aufmerksamkeit versuchten sie auf den Versuchsleiter zu richten. Das geschah einerseits um die inneren Spannungen, die durch die wahrgenommenen Schmerzen des Opfers hervorgerufen wurden zu mildern. Andererseits ist es ein geschicktes Anpassungsverhalten sich peinlich genau nach der Autorität zu richten, um ihr Genüge zu tun.

Dieses Phänomen bezeichnete Milgram als "Einstimmung" auf die Autorität. Der Agenszustand hat auch zur Folge, daß man sich vor der Autorität verantwortlich fühlt, jedoch nicht verantwortlich für seine Handlungen. Ziel ist es, die Autorität zu befriedigen und nicht eigene Ziele zu verfolgen. Damit sieht diese Person den Ursprung seiner Handlungen nicht mehr in sich selbst, sondern in der Autorität oder in der Hierarchie begründet, er kann somit auch nicht für diese Handlungen verantwortlich sein; es sind nicht seine.     8.a.

Bindungsfaktoren   Viele Versuchspersonen waren der Überzeugung, sie sollten dem Schüler keine weiteren Schocks versetzten, konnten dies aber nicht in die Tat umsetzen. Obwohl sie zu einer intellektuellen Entscheidung gekommen waren hielten sie noch anderweitige Kräfte im Agenszustand fest. Eine Analyse dieser Faktoren würde uns auch Aufschluß über die Frage geben, was eine Person schließlich dazu bringt, das Experiment abzubrechen und sich wieder in einen autonomen Zustand zurückzuversetzen. Da die Vp stets die selbe Handlung ausführen soll, müßte sie sich im Falle eines Abruchs eingestehen, daß ihr vorheriges Verhalten falsch gewesen war. Allein dadurch, daß sie weitermacht, rechtfertigt sie ihre vorherige Handlungsweise. Somit ist dieser Wiederholungscharakter bereits ein Bindungsfaktor, der es der Person erschwert ungehorsam zu sein.

Zusätzlich gab sie anfangs das Versprechen, am Experiment mitzuwirken. Ein Abruch des Experiments hat also den Charakter eines Vertragsbruchs, der nicht leichtfertig begangen wird. Milgram weist an dieser Stelle noch auf eine Arbeit Goffmans (1959) hin, laut der eine soziale Situation auch über die Selbsteinschätzung der Beteiligten definiert ist, die von den anderen Beteiligten respektiert werden muß. Das bedeutet, daß die Gehorsamsverweigerung auch aus dieser Perspektive ein soziales Mißverhalten darstellt, da es nicht möglich ist, die Schockverabreichung zu verweigern, ohne die Selbstdefinition des Vl in Frage zu stellen. Das Zusammenwirken in einer sozialen Situation wird also durch bestimmte Etikette ermöglicht, welche die Struktur der Beziehungen unter den Personen bestimmt. Ein Verstoß gegen diese definierten Strukturen erweckt negative Gefühle wie etwa Angst oder ein vermindertes Selbstwertgefühl, die diesen oft verhindern.

    9.a. Spannungszustände und Ungehorsam   Der Agenszustand ist nie total, das zeigt sich schon darin, daß die meisten Vpn sich früher oder später zumindest überlegten, das Experiment abzubrechen, was in ihnen auch negative Gefühle hervorrief, die sich etwa in Lachen, Zittern oder dem Äußern von Verwirrung zeigten. Im Experiment lassen sich fünf Ursachen ausmachen, die Spannungen verursachen und somit den Agenszustand angreifen:   1. Die Schmerzensschreie des Schülers, die unmittelbar auf die Vpn wirken und Aversionen in ihr hervorrufen.   2.

Die Tatsache, daß einem Unschuldigem Schmerzen zugefügt werden widerspricht allgemeinen Verhaltensnormen führt somit ebenfalls zu Spannungen.   3. Die Angst vor Rache des Schülers oder davor selbst in seine Lage zu geraten, kann zu Spannungen führen.   4. Die Vp erhält von Vl und Schüler widersprüchliche Anweisungen.   5.

Ein unschuldiges Opfer zu quälen ist mit dem Selbstbild der Vp nicht vereinbar.   Diese Spannungen werden durch die konkreten Versuchsbedingungen, sowie durch unwillkürliche Reaktionen des Lehrers gemindert. So bringt jedes Merkmal, das den Abstand zwischen der Tat der Vp und den Auswirkungen auf den Schüler mindert, eine Spannungsminderung mit sich. Wie bereits erwähnt war bei den Vpn auch das Phänomen zu beobachten, daß sie sich von ihrem Opfer abwandten und sich allein auf den Vl konzentrierten, um das Leiden, das ihre Tat hervorrief nicht zu sehen. Dazu gehört auch, daß sie die Äußerungen des Schülers überhaupt nicht mehr beachteten; eine unbewußte Strategie um die Distanz zum Opfer und damit die eigenen inneren Spannungen zu vermindern. Die auftretenden Spannungen konnten sich auch in physischen Reaktion äußern und dadurch lösen, z.

B. in Lachen, Schwitzen, nervösem Zittern. Eine weitere Möglichkeit Spannungen zu vermindern besteht in der Leugnung. Einige Vpn bestritten, daß das Opfer tatsächlich schmerzhafte Schocks erhielt und die meisten leugneten einfach ihre Verantwortlichkeit. Manche Vpn verlangten zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt des Experiments zusätzlich eine Versicherung, daß sie für ihre Handlungen nicht haftbar gemacht werden können. Oder die Verantwortung wird gar auf das Opfer übertragen etwa mit der Begründung, daß es sich ja freiwillig gemeldet habe.

Einige Vpn versuchten Spannungen zu reduzieren, indem sie zwar gehorchten, jedoch versuchten, die Schmerzen für das Opfer so gering wie möglich zu halten, indem sie den Schockgenerator nur kurz antippten oder indem sie dem Schüler die richtige Antwort durch überdeutliches Sprechen, zu verraten suchten.   p>Der Schockgenerator trennt bereits den Handelnden vom Opfer, es besteht ein großer Unterschied darin einen Hebel umzulegen und jemanden beispielsweise zu schlagen. Die Variationen der Versuchsbedingungen zeigen eindeutig, daß mit abnehmender Distanz zwischen Lehrer und Schüler auch die Bereitschaft zu Gehorsamsverweigerung zunimmt.   p>Es besteht also ein Zusammenhang zwischen Gehorsamsverweigerung und inneren Spannungszuständen in der Art, daß hohe Spannungen, wie sie bei fast allen Vpn auftraten, sofern sie nicht durch die oben beschriebenen Möglichkeiten gemindert werden zu Ungehorsam führen. Das heißt auch, daß die Gehorsamsverweigerung das äußerste Mittel darstellt, die Spannungen zu lösen. Wenn die Spannung also nun genügend stark ist, bewirkt sie Ungehorsam.

Milgram hat diesen Sachverhalt in zwei kurzen Formeln ausgedrückt (BS 180):   G; B>(s-a)   U; B<(s-a)   G steht für Gehorsam, U für Ungehorsam, B für die Bindungsfaktoren, s für Spannung und a für die spannungslösenden Mechanismen. Gehorcht wird also, wenn die Kraft der Bindungsfaktoren größer ist, als die Nettospannung (Spannung minus Verminderungsmechanismen). Ungehorsam dagegen ergibt sich, wenn die Nettospannung größer ist als die Kraft der Bindungsfaktoren. Genügend große Spannung führt jedoch nicht direkt zu Ungehorsam, sondern über einige Etappen. Die erste ist der innere Zweifel an dem Experiment, der dann auch sprachlich zum Ausdruck kommt. Nach dem der Vl jedoch auf seiner Position beharrt, geht die Äußerung des Zweifels in den sogenannten Dissens über, bei dem die Vp den Vl zum Abbruch des Experiments zu überreden versucht.

Der Dissens hat hier zwei gegensätzliche Funktionen, zum einen stellt er den ersten Schritt in Richtung Ungehorsam dar, zum anderen ist er selbst ein spannungslösender Mechanismus, der damit gerade den Ungehorsam unwahrscheinlicher macht. Steigert sich die Spannung dennoch weiter folgt darauf die Drohung, daß sich die Vp weigern werde, die Befehle auszuführen. Erst hierauf folgt dann der tatsächliche Ungehorsam, nachdem alle Mittel ausgeschöpft wurden, die auf einen Abbruch des Experiments aber nicht auf einen Bruch mit der Autorität abzielten.   10.a. Methadologische Probleme und Kritiken   Milgram wurde für dieses Experiment heftig kritisiert.

Man warf ihm vor, dass er die Regeln der Ethik in der psychologischen Forschung aufs schwerste verletzt habe. Er habe den Versuchspersonen geschadet, indem er ihnen ein Stück Selbsterkenntnis aufzwang, das bei einigen der Probanden ein Trauma hinterlassen haben könnte. Einmal ganz davon abgesehen, dass die Versuchspersonen schlichtweg getäuscht worden sind. "Milgram stellte dem entgegen, dass in Nachbefragungen 83,5 Prozent der gehorsamen Versuchspersonen und 83,3 Prozent der Ungehorsamen angaben, sie seien froh, an dem Experiment teilgenommen zu haben." Milgram ging in der Methodik seiner Versuchsreihe mit großer Sorgfalt vor, da es ein altes Problem in der Experimentalforschung ist, inwieweit sich die Laborbedingungen auf das wirkliche Leben übertragen lassen und ob die Beobachtungen im Experiment auch tatsächlich das wiederspiegeln, was man glaubt zu beobachten. Obwohl nun dieses Experiment vorbildlich in der sorgfältigen Konstruktion der Versuchsanordnungen ist, gibt es auch einige Kritik daran.

Die bedeutenste Frage ist wohl, ob die Beobachtungen im Labor tatsächlich auf die Wirklichkeit außerhalb des Labors übertragbar sind. Dagegen gibt es verschiedene Einwände. Zum einen wird behauptet, daß die im Labor untersuchten Personen nicht repräsentativ für die Bevölkerung waren. Dazu gibt es zu sagen, daß die untersuchten Personen aus allen sozialen Schichten der Bevölkerung New Havens stammten, von Arbeitslosen über Industriearbeiter bis zu Freiberuflichen und Akademikern. Genauso reichte auch das Bildungsniveau von Leuten, die keinen Schulabschluß hatten, bis zu ausgebildeten Wissenschaftlern. Die Experimente wurden auch in anderen Ländern wiederholt, wo die Ergebnisse stets etwas höher waren als in den USA, was sicher auch darauf zurückzuführen ist, das beispielsweise in München weniger strenge Anforderungen an die Methodik gestellt wurden und die Vpn unter erheblich höherem Druck seitens des Vl standen, das Experiment fortzuführen.

Es gibt jedoch zwei Punkte, die darauf hinweisen, daß die Ergebnisse nicht gänzlich repräsentativ sind:   Erstens waren alle Teilnehmer an den Experimenten Freiwillige, da man niemanden zwingen kann an einer psychologischen Untersuchung teilzunehmen. Das heißt aber auch, daß die Teilnehmer, sich in dem Punkt von der übrigen Bevölkerung unterscheiden, daß sie ein überdurchschnittliches Interesse an wissenschaftlichen und besonders psychologischen Untersuchungen haben, was die Annahme nahelegt, daß diese Personen auch überdurchschnittlich wissenschaftsgläubig waren und die Unternehmung "Wissenschaft" positiver bewerteten als der Durchschnitt der Bevölkerung. Das dies das Gehorsamkeitsniveau in gewissem Maße in die Höhe treiben muß scheint mir eindeutig.   Ein zweiter problematischer Faktor ist die Bezahlung des Experiments. Da einige Vpn sich durch die Rückgabe des erhaltenen Geldes versuchten, aus der Affaire zu ziehen, ist klar, daß die Bezahlung der Teilnahme -obwohl Milgram versicherte, daß das Geld allein für das Erscheinen bezahlt werde, unabhängig davon, was im Experiment passiere- ein weitere Bindungsfaktor darstellte, der in der Analyse der Ergebnisse vernachlässigt wurde. Natürlich wird auch außerhalb des Labors versucht durch Geld Menschen an eine Institution zu binden, so kann etwa schon eine Angestellter davon abgehalten werden, Anweisungen seines Chefs in Frage zu stellen, da er befürchtet, daß dies Einfluß auf seine nächste Lohnerhöhung habe.

Milgram versuchte jedoch Erkenntnisse über den Gehorsamsmechanismus in Fällen zu gewinnen, in denen keine Strafen oder Sanktionsmaßnahmen bei Ungehorsam zu befürchten sind. Aber es könnte sein, daß manche gehorsame Vpn vor Ungehorsam zurückschreckte, weil sie fürchete ihr Geld zu verlieren. Das könnte besonders bei finanziell schwachen Personen der Fall gewesen sein, denn in einer späteren Befragung gaben immerhin 8,9% der Personen an, ihr Hauptgrund für die Teilnahme sei das Geld gewesen.            

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