Geschlechtsunterschiede im räumlichen vorstellungsvermögen
Geschlechtsunterschiede im räumlichen Vorstellungsvermögen?
Historische Entwicklung der Unterschiede von Mann und Frau in bezug auf Intelligenz - Die Wandlung von “Biologismen”:
Bis zum 17. Jahrhundert galt die Ansicht, daß der Mann der aktive, lebensspendende Teil und die Frau der passive, leidenschaftslose und notwendige Teil bei der Fortpflanzung sei.
Die Potenz wurde gleichgesetzt mit Macht und Leistungsfähigkeit, Frauen waren mit diesen Begriffen nicht in Verbindung zu bringen, da sie nach damaliger Auffassung “samenlos” oder “samenarm” bzw. impotent waren.
Im Laufe des 17. und 18.
Jahrhunderts stieg in der Sicht der Zeit das Nervensystem zum dominanten und übergeordneten System auf, und im 19. Jahrhundert “etablierte” sich schließlich das Gehirn als das höchste Organ des Körpers.
Es entwickelte sich eine neue Situation der Darstellung der Frau und der des Mannes, vor allem auf die bürgerliche Familie bezogen.
Der Mann wird nun als derjenige gesehen, der Werte schafft, Neues entdeckt und weiterentwickelt, und die Frau als diejenige, die sich anzupassen hat, und eher häusliche Arbeit verrichtet und sich um die Familie kümmert. Die sexuelle Potenz wurde somit vollständig auf die geistige Potenz übertragen, dadurch änderte sich an der Stellung nahezu nichts.
Diese Einstellung bzw.
ihre Auswirkungen war bis vor wenigen Jahrzehnten noch zu beobachten.
In den letzten 15 Jahren beschäftigte man sich nun mit Interesse der Aufklärung noch vorhandener “Biologismen”.
Es ist z.B. ein beliebtes Thema in unzähligen Witzen über Frauen am Steuer und die Erfahrung scheint es zu bestätigen: Männer finden sich in räumlichen Zusammenhängen besser zurecht als Frauen. Jedoch bestehen in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen weltweit über dieses Thema beträchtliche Irritationen und Mißverständnisse, oft können sie sich auch widersprechen.
Dies beruht auf der unterschiedlichen Ausdrucksweise der Autoren für die selben Begriffe.
Aus diesen einzelnen Untersuchungen hat sich Peter Herbert Maier die vier wesentlichsten Bausteine der räumlichen Intelligenz herausgesucht:
Die vier wesentlichen Komponenten:
Räumliche Wahrnehmung:
Hierbei muß die Identifizierung der Horizontalen und der Vertikalen anhand eines Wasserglases in verschiedenen Positionen erbracht werden.
Wichtiger Punkt bei dieser Wahrnehmung ist die Orientierung des eigenes Körpers in bezug auf die Umgebung.
Ergebnis:
Es ergab sich bei dieser Komponente die Überlegenheit des männlichen Geschlechts ab einem Alter von 10 Jahren.
Bei unserer Testreihe, die wir bei unserer Freundschaft und bei den Kommilitonen durchgeführt haben, ergab sich interessanterweise eine leichte Überlegenheit bei den Frauen.
Räumliche Veranschaulichung:
Ein Objekt wird in mehrere Teile zerlegt dargestellt, in Gedanken soll nun das Objekt mit seiner Zerlegung in Beziehung zum Ausgangsobjekt gesetzt werden.
Ergebnis:
Es zeigten bei diesem Versuch keine oder nur geringe Unterschiede zwischen den Geschlechtern, da hier speziell nur zweidimensional gedacht werden muß.
Auch bei unserer Versuchsreihe zeigten sich keine Unterschiede.
Gedankliche Rotation:
Die Fähigkeit, eine Rotation zwei- oder dreidimensionaler Objekte vorzustellen und gedanklich die Objekte im Raum so zu drehen, daß sie dem Ausgangsobjekt entsprechen, wird als sehr anspruchsvolle Aufgabe eingestuft.
Ergebnis:
Stark ausgeprägte Vorstellungskraft von Rotationen tritt bei Männern mit dem Eintritt in das Pubertätsalter ein.
Außerdem ist hier - zugunsten des Mannes - die größte Diskrepanz zwischen den Geschlechtern zu verzeichnen.
Bei unbegrenzter Bearbeitungszeit gleichen sich jedoch die Leistungen der Geschlechter an
Unsere Testreihe ergab ebenfalls eine leichte Überlegenheit der Männer.
Räumliche Orientierung:
Hier geht es darum, sich selbst in eine räumliche Situation einordnen zu können und sich real oder gedanklich im Raum zurechtzufinden. Als Beispiel sei hier die Situation eines Verkehrsteilnehmers genannt.
Diese räumliche Orientierung ist für viele Menschen die praktisch bedeutendste, welche aber auch als anspruchsvolle Aufgabe eingestuft wird.
Ergebnis:
Männer sind im Durchschnitt ab einem Lebensalter von rund 12 Jahren den Frauen deutlich überlegen, sie können besser Entfernungen einschätzen und sich beispielsweise im Labyrinth zurechtfinden.
Des weiteren ist ein Teilaspekt der räumlichen Orientierung der Umgang mit den Begriffen “rechts” und “links”, auch hier schneiden Männer durchschnittlich besser ab als Frauen.
Auch bei dieser Komponente gleichen sich bei unbegrenzter Bearbeitungszeit die Leistungen der Geschlechter an.
Hierbei lag bei unseren befragten Personen nur ein leichter Unterschied vor. Es könnte auf die Befragung von überwiegend technisch und praktisch orientierten Frauen (Kommilitonen) zurückzuführen sein.
Erklärung der Unterschiede:
Die Fähigkeiten für das räumliche Vorstellungsvermögen werde schon in frühen Lebensjahren erworben.
Studien ergaben, daß Jungen sich schon als Kleinkinder beim Spiel häufiger von ihren Müttern entfernen, sie nehmen also im allgemeinen deutlich mehr Raum ein als Mädchen.
Außerdem sammeln die Jungen auch durch Spielen mit Bauklötzen und Baukästen Erfahrung im räumlichen Denken.
Naturvölker untermauern diese Sichtweise: Studien bei Eskimos ergaben z.
B., daß keine nennenswerten geschlechtsspezifischen Unterschiede vorhanden sind, vermutlich weil auch Frauen auf die Jagd gehen. Um sich in der Arktis orientieren zu können, muß man über eine gut ausgebildete räumliche Kompetenz verfügen.
Die Hypothese, daß ein rezessives Gen, das auf dem X-Chromosom vorhanden sei und mit dem räumlichen Vorstellungsvermögen verknüpft ist, ist widerlegt.
Hormonelle Einflüsse lassen sich dagegen nachweisen:
Je höher der Anteil an männlichen Hormonen (Androgenen) bei Frauen im Blut ist, desto besser schneiden sie bei den Tests ab. Bei einem niedrigen Östrogenspiegel - während der Phase der Menstruation bis kurz vor dem Eisprung - können sie sich Rotationen besser vorstellen.
Neuropsychologische Untersuchungen vermuten, daß die funktionelle Asymmetrie im männlichen Gehirn stärker ausgeprägt sei als im weiblichen. Räumliche und visuelle Fähigkeiten sind eher in der rechten, verbale hingegen in der linken Hemisphäre lokalisiert.
Wenn sich bei Frauen die verbale Funktion gleichmäßiger auf die beiden Hirnhälften verteilt als bei Männern, bleibt möglicherweise für die räumliche Fähigkeit weniger Platz in der rechten Hemisphäre.
Wie man auch darüber denken mag, so spiegelt der Befund der Biopsychologin Jerre Levy von der Universität Chicago die steinzeitliche Arbeitsteilung wieder: Männer jagen, während Frauen die Kinder hüten.
Da die Selektion ein Gesetz der Evolution ist, war es für den Mann lebenswichtig, eine gute räumliche Orientierung zu besitzen und für die Frau gute kommunikative Fähigkeiten. Die so in hunderttausenden von Jahren entwickelten Fähigkeiten sind durch die Aufweichung der Rollenverteilung in der jüngeren Menschheitsgeschichte noch nicht wieder völlig verwischt worden.
Andere Versuche zur Raumorientierung:
Bei anderen Raumorientierungsversuchen aus den 60er Jahren fand man heraus, daß Frauen bei diesen Tests signifikant schlechter abgeschnitten haben als Männer.
Im einzelnen ergab sich daraus folgendes Bild:
Frauen…
Männer…
richten sich in erster Linie nach dem visuellen Feld, können jedoch mit geschlossenen Augen ebenfalls Körperempfindungen benutzen
richten sich nach den Körperempfindungen
zeigen ein passiv-akzeptierendes Verhalten bei Versuchen, in denen die Berücksichtigung des Körpers nicht ausdrücklich gefordert ist
zeigen ein aktiv-analytisches Verhalten bei diesen Versuchen
gehen nur wenn erforderlich analytisch vor
gehen bei allen Tests analytisch vor
bemerken den Körper nicht als abgetrennte Einheit, unabhängig von der Umgebung
bemerken den Körper als abgetrennte Einheit
Die einzelnen Versuche:
TVD (Testverhaltensdifferenzial): Die Versuchspersonen geben selbst Auskunft über ihre Vorgehensweise. Beispiel: Habe jetzt phantasievoll gedacht bzw. habe jetzt nüchtern gedacht.
RFT (Rod-and-frame-test): Bei diesem “Stab-und-Rahmen-Versuch” sitzen die Versuchspersonen auf einem Kippstuhl (um 28° geneigt) in einem dunkeln Raum. Sie müssen vor sich die Lage eines Stabes beurteilen, der in einem Rahmen beweglich befestigt ist.
RRT (Rotating-room-test): Die Versuchsperson sitzt auf einem Kippstuhl innerhalb eines kippbaren Raumes. Der Raum mit Stuhl und Versuchsperson konnte in eine kreisförmige Bewegung versetzt werden.
Aufgabe war es, einen Stab, den Raum und sich selbst senkrecht einzustellen.
TRTCh (Tilting-room-tilting-chair-test): Die Versuchsperson sitzt auf einem Kippstuhl innerhalb eines kippbaren Raumes. Der Versuch besteht aus drei Teilen:
1. Der Raum soll senkrecht eingestellt werden.
Dabei ist der Raum um 56° und der Stuhl um 22° geneigt.
2. Der Raum ist um 35° geneigt, Aufgabe der Versuchsperson ist es, den anfangs um 22° geneigten Stuhl bzw. Körper senkrecht einzustellen.
3. Die Versuchsperson muß den Stuhl bei geschlossenen Augen senkrecht einstellen.
Nur bei diesem Versuch haben die Frauen im Durchschnitt besser abgeschnitten.
EFT (Eingebettete-Figuren-Test): Es müssen 24 Aufgaben gelöst werden, wobei man für jede einzelne Aufgabe 5 Minuten Zeit hat. Bei dieser Aufgabe muß man eine einfache Figur in einem komplexen Muster wiederfinden. Die Lage und Proportion dieser einfachen Figur ist im komplexen Muster identisch.
Beispiel:
einfache Figur komplexes Muster
Fazit:
Ohne Zweifel sind geschlechtsspezifische Domänen menschlicher Intelligenz vorhanden. Allerdings ist daraus keine generelle geistige Überlegenheit des Mannes bzw.
der angebliche “physiologische Schwachsinn des Weibes” (Paul Julius Möbius) zu erkennen.
Mag das räumliche Vorstellungsvermögen von Frauen in Teilaspekten auch geringer sein, so zeigt eine Vielzahl von Studien, daß das “schwache” dem “starken” Geschlecht auf anderen Gebieten - wie eben in den verbalen Fähigkeiten - klar überlegen ist.
Literaturnachweis:
Buhatko, D.; Dachler, M. W. (1995): Child Development - A thematic approach.
2. Aufl., Houghton Mifflin Company, S. 363ff.
Maier, P. H.
(1997): Geschlechtsunterschiede im räumlichen Vorstellungsvermögen?. Spektrum der Wissenschaft, Oktober 10/1997, S. 23-29.
Schulte, D. (1974): Feldabhängigkeit in der Wahrnehmung. 1.
Aufl., Verlag Anton Hain KG, Meisenheim am Glan, S. 6ff., S. 31ff., S.
202ff.
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