Psychologie und philosophie - spezialgebiet
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Sokrates
1.Lebenslauf
1.1. Die Geburt: Sokrates wurde um das Jahr 470 vor Christus im Demos Alopeke, einem Vorort in der Nähe Athens, geboren. Sein Vater, Sophróniskos, war ein angesehener Bildhauer oder Steinmetz, seine Mutter Phainarete Hebamme - somit wurde Sokrates in die gehobene Mittelschicht Athens hineingeboren, genauer gesagt in die Klasse der Zeugitai, der dritten und untersten Klasse derjenigen, die in Athen etwas galten.
1.
2. Das Jugendalter: Der junge Sokrates war sehr begeistert von den Berufen, die seine Eltern ausübten, besonders die Tätigkeit seiner Mutter hatte es ihm angetan, und später wird er sich noch oft auf sie berufen, um Gleichnisse am Beruf der Hebamme anzusetzen.
Über seine Kindheit ist so gut wie gar nichts bekannt, es läßt sich aber vermuten, daß er die normale Schulbildung aller Jungen Athens genossen hat und mit achtzehn den Militärdienst leistete. Nebenbei half er wahrscheinlich in der Bildhauerwerkstätte seines Vaters, wo ihn eines Tages Kriton entdeckte und ihn "entzückt von seinen geistigen Reizen"1 in die Stadt mitnahm, um ihn in die Liebe zur Erkenntnis einzuführen.
Der erwachsene Sokrates: Vom Beruf her scheint er Bildhauer gewesen zu sein, das wird jedoch nur bei Diogenes Laertios erwähnt.
Sein Aussehen war, wie sich nach diversen Bildern und Statuetten sowie auch nach einer Passage aus dem Gastmahl des Xenophon heute noch feststellen läßt, nicht besonders vorzüglich und ähnelte so ganz und gar nicht dem griechischen Schönheitsideal.
Seine Heimatstadt verließ Sokrates nur zur Teilnahme an Feldzügen, bei denen er sich durch enorme Tapferkeit und die außerordentliche Fähigkeit, große Strapazen zu ertragen, auszeichnete. Mit ziemlicher Sicherheit kann man sagen, das er an den Kämpfen von Potidaia (431-429 v.Chr.), Delion (424) und Amphipolis (422) teilgenommen hat. Bei einer dieser Feldzüge, nämlich in Potidaia, rettete er dem Alkibiades tapfer das Leben, indem er ihn durch ein Gewühl von Feinden sicher vom Schlachtfeld trägt.
Einen weiteren Beweis dieser Fähigkeit liefert die Tatsache, daß er 404/403 v.
Chr. unter Lebensgefahr einen Befehl verweigert, nur um sich nicht bei einem politischen Mord mitschuldig zu machen, und zwar befahl ihm Kritias, der damals die Spitze der Regierung der dreißig Tyrannen darstellte, gemeinsam mit vier weiteren Athenern den Demokraten Leon in Salamis festzunehmen, um ihn nach Athen zu bringen, wo ihn sein Todesurteil erwartete. Sokrates ging nach Hause, als habe er nichts gehört, und konnte nur dank dem glücklichen Umstand, daß Kritias kurz darauf verstarb, am leben bleiben.
Zeit seines Lebens eignete sich Sokrates keine größeren Besitztümer an sondern führte ein Leben der Einfachheit. Am besten hat diese Eigenschaft wohl Diogenes Laertios festgehalten, als er erzählt, daß Sokrates immer wieder den folgenden Vers wiederholt haben soll:
“Die silbernen Gefäße und das Purpurkleid
sind fürs Theater gut, fürs Leben nicht.”
Daheim bewegte er sich Tag für Tag auf den Straßen Athens, gefolgt von einer Schar von Jünglingen, die seinen Gesprächen lauschten, bei denen er sich mit einem Frage-und-Antwort-Spiel nicht nur an sie, sondern auch an andere Bürger der Stadt wandte und zu ergründen versuchte, was zum Beispiel Tugend oder die beste Staatsform sei .
Jedesmal gelang es ihm, seinen Gesprächspartner in die Enge zu treiben, bis dieser sein Nichtwissen zugab.
Äußerlich war Sokrates wohl keine Augenweide, was aus Platons Gastmahl hervorgeht, während dessen er sich mit dem schönen Kritobulos streitet. Innerhalb kürzester Zeit schafft er es, den dem griechischen Schönheitsideal vollkommen entsprechenden Jüngling davon zu überzeugen, daß er der Schönere der beiden ist. Als Kritobulos vorschlägt, abzustimmen, fällt für Sokrates kein einziger Stimmstein, doch dieser nimmt dies nur mit einem Lächeln zur Kenntnis.
Mit fünfzig Jahren heiratet er Xanthippe, heute das Urbild des zänkischen Weibes schlechthin. Drei Söhne zeugte er mit ihr, der jüngste war wohl an seinem Todestag noch ein kleines Kind.
Im Februar des Jahres 399 vor Christus wird Sokrates nach einer Anklage des Meletos, des Anytos und des Lykon wegen Gottesfrevlerei (genauer gesagt heißt es da: "Sokrates handelt rechtswidrig, indem er die jungen Leute verdirbt und die vom Staate anerkannten Götter nicht anerkennt, wohl aber andere, dämonische Wesen."2) vor Gericht gerufen und mit einer Stimmenverteilung von 280 zu 220 zum Tode verurteilt.
2.Sokrates - einer der bedeutendsten Pilosophen der Antike
2.1. Die Quellen
So gut wie nichts ist über diesen weisen Mann bekannt, der in seinem ganzen Leben keine einzige Zeile niedergeschrieben hat und der seiner Nachwelt nur dank Schriften zeitgenössischer Philosophen und Dichter bekannt wurde.
Im “Phaidros”, den Platon schrieb, ist folgender Mythos dazu erhalten, den Sokrates angeblich erfand, um seinem Gesprächspartner von der Unsinnigkeit der geschriebenen Worte zu überzeugen. Er berichtet von einem ägyptischen König namens Theuth, der neben der Mathematik, der Sternkunde und dem Brett- und Würfelspiel auch die Buchstaben erfand. Theuth zeigte seine Erfindung dem ägyptischen König Thamus mit den Worten: “Diese Kunst, oh König, wird die Ägypter weiser machen und ihr Gedächtnis erhöhen, denn zur Arznei für Gedächtnis und Weisheit wurde sie erfunden.” Thamus aber soll geantwortet haben: “Oh kunstreicher Theuth [...
], wer dies lernt, dem pflanzt es durch Vernachlässigung des Gedächtnisses Vergeßlichkeit in die Seele, weil er im Vertrauen auf die Schrift von außen her durch fremde Zeichen, nicht von innen her aus sich selbst die Erinnerung schöpft. Nicht also für das Gedächtnis, sondern für das Erinnern erfandest du ein Mittel.”7
Die wohl bekanntesten und wichtigsten der Schriftsteller, die für die Nachwelt Sokrates Worte festhielten sind -vor allem- Platon, Xenophon, Aristoteles und Aristophanes. Wieweit man das glauben kann, was diese vier Schriftsteller niedergeschrieben haben, ist fragwürdig.
2.1.
1. Aristoteles kannte Sokrates nur noch vom "Hörensagen". Er trat 367 vor Christus in die Platonische Akademie ein und sprach mit vielen Menschen, die Sokrates noch persönlich kannten, in erster Linie natürlich mit Platon selbst. Sein wichtigstes Werk in diesem Zusammenhang ist die “Geschichte der griechischen Philosophie”, in der er Sokrates und seine philosophische Bedeutung, so wie er sie sieht, darstellt.
Xenophon war ohne jeden Zweifel kein geborener Philosoph und verfolgte Sokrates höchstwahrscheinlich nur aus dem Grund, um ein Stückchen von seinem Ruhm abzubekommen. Seine Darstellungen von Sokrates sind aufgrund seines fehlenden schriftstellerischen Talentes nüchtern und sachlich.
Aristophanes verfaßte im Jahr 423 v. Chr. eine Komödie mit dem Titel “Die Wolken”, in deren Mittelpunkt Sokrates steht. Platon läßt Sokrates dieses Theaterstück in seiner Apologie aufs Heftigste kritisieren; wieweit Sokrates selbst damit einverstanden war, läßt sich heute nicht mehr eroieren.
Platon, ein weiterer großer Denker der Antike, wahrscheinlich der größte Bewunderer Sokrates`, hatte als Berufswunsch eigentlich Dichter vorgesehen und verstand sich hervorragend darauf, zu übertreiben und zu dramatisieren. Außerdem sah er im Niederschreiben von Dialogen und Reden seines Lehrers zurecht eine einmalige Gelegenheit, auch seine Ideen (im wahrsten Sinne des Wortes) publik zu manchen.
Zweifelsohne sind Platons vier Dialoge (die jedoch meist fast einen Monolog des Sokrates darstellen), die sich unmittelbar mit dem Tod Sokrates beschäftigen, jedoch die bekanntesten dieser Werke.
2.1.4.1.Euthyphron: Sokrates hat gerade seine Anklage vernommen und begibt sich zum Gericht, um sie entgegenzunehmen.
Er trifft den Priester Euthyphron und erörtert mit ihm den Begriff Frömmigkeit.
Die Apologie: Hier schreibt Platon die Verteidigungsrede seines Lehrers vor Gericht nieder - er soll sich dem Vergehen “Frevel wider die Religion” schuldig gemacht haben. Platon selbst ist anwesend, und gemeinsam mit anderen erklärt er sich bereit, für Sokrates mit Geld zu bürgen. Er nimmt das Angebot nicht an.
Kriton: Der gleichaltrige Freund des großen Philosophen, der den Titel gab, versucht ihn zur Flucht zu überreden, um so dem Urteil zu entgehen, jedoch ohne großen Erfolg.
Phaidon: Platon beschreibt den Tag der Urteilsvollstreckung.
Als Sokrates bei Sonnenuntergang den Schierlingsbecher leert, ist er nicht anwesend. Es ging wohl über die Kraft Platons, seinen über alles geliebten Meister sterben zu sehen.
Über diese vier Dialoge hinaus spielt Sokrates in fast jedem Dialog Platons eine tragende Rolle. Erst in seinen späteren Werken widmet er sich allein seinen eigenen philosophischen Gedanken.
Außer diesen Werken sind auch noch eine Reihe nicht so bedeutender Niederschriften erhalten geblieben, unter anderem von Diogenes Laertios, der eine Sammlung von Sokrates` Aussprüchen anlegte: Oft soll Sokrates zum Beispiel beim Anblick der vielen Verkaufsartikel ausgerufen haben: “Wie zahlreich sind doch die Dinge, derer ich nicht bedarf!”, ein anderes Mal soll er auf die Frage, ob man heiraten solle oder nicht geantwortet haben: “Was Du auch tust, Du wirst es bereuen.”4
Jeder von diesen Schriftstellern entwirft also ein völlig anderes Bild von Sokrates, die einzigen Übereinstimmungen bestehen dort, wo einer von dem anderen abgeschrieben hat.
Wer aber war er nun wirklich? Diese Frage bezeichnet man als das “sokratische Problem”, welches bis heute noch nicht gelöst werden konnte und es wahrscheinlich auch nie wird. Manche denken, daß es sich bei Sokrates um eine dichterische Figur handelt, wie etwa Dr. Faustus eine war, manche halten ihn für einen ganz einfachen griechischen Philosophen, der ohne großen Erfolg versuchte, gegen die sophistische Gesellschaft der damaligen Zeit anzukämpfen, und der sich noch dazu selbst widersprach, indem er in seinen zahlreichen Gesprächen mit den Menschen auf der Straße sophistische Dialektik anwandte, manche sehen in ihm denjenigen, der es geschafft hat, der Naturphilosophie ein Ende zu setzen und sich endlich dem Menschen zuzuwenden. Wieder andere glauben, daß er von einem göttlichen Schlag war und setzen ihn auf eine Liste mit Jesus, Buddha, Lao - tse und Franz von Assisi - zu dieser Anschauung hat höchstwahrscheinlich der Mythos von seinem Schutzengel das seine beigetragen, der Sokrates angeblich in Form eines Niesers erschien und ihm mitteilte, wenn er etwas besser nicht tun sollte. Noch viele andere Anekdoten über den Schutzgeist sind erhalten geblieben3, trotzdem liegt die Vermutung nahe, daß Sokrates ihn nur darum erfand, um sich nicht für jede seiner Handlungen rechtfertigen zu müssen.
Diese Liste von Meinungen ließe sich wohl unendlich fortsetzen, fest steht jedenfalls, daß er, wer immer er auch war, die Menschen durch seine großen Gedanken seit jeher begeistert, und schließlich und endlich bleibt es jedem selbst überlassen, ihn so zu sehen, wie es einem selbst für richtig erscheint.
Wie aber kam er dazu, seinen philosophischen Gedanken ausgerechnet in Gesprächen mit bestimmten Gesellschaftsgruppen Ausdruck zu geben?
Das Orakel von Delphi
Delphi war zur Zeit der alten Griechen das Nationalheiligtum ihres Landes und der Orakelspruch die höchste Instanz in allen Religionsangelegenheiten, die niemand anzuzweifeln wagte.
Kein Wunder also, daß der Apollontempel auch für Sokrates eine große Bedeutung hatte, und das gleich in zweifacher Hinsicht.
Die Inschriften: Über dem Eingangsportal des Tempels stand in Stein gemeißelt der Spruch: “Erkenne Dich selbst”. Gemeint ist hier wohl, sein Maß, seine Grenze gegenüber den Göttern zu erkennen. Zeit seines Lebens hat diese Inschrift Sokrates zu denken gegeben, wahrscheinlich war sie sogar der Anstoß für ihn, sich auf die Suche nach dem wahren moralischen Leben zu machen und ist für ihn zum Leitspruch seines Pilosophierens geworden. Diese Tatsache ist auch der zarte Hinweis darauf, daß Sokrates kein Sophist war, auch wenn es von seinen Kritikern oft behauptet wird (wie zum Beispiel bei Aristophanes: “Die Wolken”).
Im “Phaidros” sagt Sokrates zu dem Jungen, der dem Stück den Titel gab: “Ich vermag noch nicht gemäß dem delphischen Spruche mich selbst zu erkennen.”
In der Eingangshalle des Tempels stand geschrieben: “Nichts zuviel”. Auch diese Aussage ist für Sokrates ein wichtiger Punkt, schließlich und endlich führte er ein Leben der Einfachheit. Am ehesten beschreibt das der von Diogenes Laertios niedergeschriebene Ausspruch, den Sokrates tätigt, als er an den Geschäften Athens vorbeigeht (siehe 2.1.5.
), aber auch zahlreiche andere Schriftsteller berichten vom besonnenen und mäßigen Leben des Sokrates (z.B. Platon: Das Gastmahl, Phaidros).
Der Orakelspruch: In der Apologie läßt Platon Sokrates dazu folgende Geschichte erzählen: “ Ihr kennt ja wohl den Chairephon. [..
.] Ja, und als er einmal nach Delphi kam, da scheute er sich nicht, das Orakel zu befragen, ob ( werdet bitte über meine Worte nicht ungehalten, ihr Männer (von Athen)) - er fragte also, ob wohl jemand weiser sei als ich. Da gab ihm die Pythia5 den Bescheid, niemand sei weiser.”6
Fragen über Fragen wirft dieser kleine Absatz auf, auf den Platon Sokrates Verteidigungsrede aufbaut. Die erste, die man sich zwangsweise stellen muß, ist zweifelsfrei diejenige, wieweit diese Geschichte aus Sokrates Mund beziehungsweise aus Platons Feder stammt. Natürlich ist dies wieder ein Punkt, in dem man mehr auf Glauben als auf Wissen bauen kann, aber da dieser Mythos wohl kaum etwas mit Platons Gedanken zu tun hat, drängt sich die Vermutung auf, daß er es wohl eher als Bericht gemeint hat.
Obwohl Xenophon in seiner Apologie den Orakelspruch mit keinem Wort erwähnt, kann man also getrost davon ausgehen, daß dieser gewisse Chairephon wirklich vom Orakel in Delphi wissen wollte, wer denn der weiseste Mann von Athen sei.
Diese paar Zeilen beschreiben also einen der wichtigsten Wendepunkte in Sokrates Leben. Einerseits wird klar, daß Sokrates zu diesem Zeitpunkt schon ein wichtiger Mann in Athen gewesen sein muß, sonst hätte sich wohl niemand die Mühe gemacht, seinetwegen das Orakel von Delphi zu befragen. Andererseits war das Urteil, das der delphische Gott über ihn aussprach, auf jeden Fall ein Grund für ihn, seine philosophischen Gespräche von Grund auf zu verändern.
Wie es für Sokrates und seine philosophische Einstellung typisch war, verschwendete er keine Zeit damit, der Sache auf den Grund zu gehen.
Platon-Sokrates zeigt sich in seiner Verteidigungsrede eindeutig verwirrt über den Bescheid, den er da erfährt: “Was mag der Gott wohl meinen, und was gibt er mir da für ein Rätsel auf? Ich weiß nämlich ganz genau, daß ich nicht weise bin, weder viel noch wenig.
Was meint er also, wenn er sagt, ich sei der Weiseste? Denn ganz gewiß lügt er ja nicht, das ist nicht seine Art.” Und lange genug war mir gänzlich unklar, was er wohl damit meinte; dann erst, mit großem Widerstreben, machte ich mich daran, die Frage auf folgende Weise zu untersuchen. Ich ging zu einem von denen, die in dem Rufe standen, weise zu sein, um so, wenn überhaupt, den Spruch zu widerlegen und dem Orakel zu zeigen: “Dieser Mann ist weiser als ich; du aber hast gesagt, ich sei der weiseste.”8
Er beginnt also mit einem Vertreter einer ganz bestimmten Bürgergruppe zu sprechen: einem Staatsmann, dessen Namen er vor den Richtern natürlich nicht nennen will. Schon bald bemerkt er, daß dieser Mann sehr wohl weise zu sein scheint (und selbst auch daran glaubt), es aber in Wirklichkeit gar nicht ist.
Er stößt, wie zu erwarten, auf keine große Begeisterung, als er eben jenem Politiker klarzumachen versucht, daß er in Wirklichkeit nicht so weise ist, als er zu sein glaubt.
Jetzt entdeckt Sokrates den Grundstein seiner Philosophie, und kaum jemand kann das besser beschreiben, als es Platon tat: “So kam es, daß ich mich bei ihm und bei vielen der Anwesenden verhaßt machte; bei mir selbst aber bedachte ich, als ich wegging: “Im Vergleich zu diesem Menschen bin ich der Weisere. Denn wahrscheinlich weiß ja keiner von uns beiden etwas Ordentliches und Rechtes; er aber bildet sich ein, etwas zu wissen, obwohl er nichts weiß, während ich, der ich nichts weiß, mir auch nichts zu wissen einbilde. Offenbar bin ich im Vergleich zu diesem Mann um eine Kleinigkeit weiser, eben darum, daß ich, was ich nicht weiß, auch nicht zu wissen glaube.”9
Um absolut sicher zu gehen, spricht Sokrates auch noch mit anderen Politikern, dann mit Dichtern und schließlich auch noch mit den Handwerkern. Leider ist kein einziger dieser Dialoge je niedergeschrieben worden, aber es steht fest, daß Sokrates jedesmal zu demselben Schluß kam, und genau so sicher ist auch, daß er bei keinem dieser Gespräche auf mehr Begeisterung stoß als beim ersten Mal. Keiner dieser Menschen, die ja angeblich so weise waren, konnte einsehen, daß er es nicht war, so wie es auch heute wahrscheinlich keiner könnte.
Es war natürlich für jeden von ihnen leichter, Sokrates anzuprangern, als über sich selbst nachzudenken.
Das hindert ihn freilich nicht daran, mit dem, was er als seine Bestimmung erkannt hat, weiterzumachen. Auch die nächsten zwanzig Jahre verbringt er damit, mit seinen Mitbürgern zu sprechen, jedoch ohne ihnen sein Wissen aufzwängen zu wollen.
Die Bestandteile des sokratischen Gespräches
2.3.1.
Die Maieutik, auch genannt die Hebammenkunst: Wie erwähnt versuchte Sokrates nicht, andere Menschen von seinen Einstellungen zu überzeugen, sondern er sah sich selbst als einer, der ihnen half, ihr Wissen auf die Welt zu bringen, also ihnen geistige Geburtshilfe leistete.
Er will in denen, die mit ihm sprechen, das Bedürfnis erwecken, selbst nach der Wahrheit zu suchen. Die Ratlosigkeit bei der Klärung ethischer Begriffe wird nicht durch nacherzählbares Vorsagen einer fertig ausgearbeiteten Sittenlehre überwunden, sondern die Antwort bleibt letztlich als unabschließbares, kritisches Selberdenken in der Schwebe.
Das Universale: Oft zielt Sokrates in seinen Gesprächen auf Begriffsbestimmungen. Er geht induktiv vom besonderen Fall aus und führt zum Allgemeinen hin, das heißt er strebt auf eine Definition des jeweils diskutierten Begriffes hin. So sucht er Tapferkeit, Wahrheit, Frömmigkeit, Gerechtigkeit, die Tugend und vor allem das Schöne und das Gute zu ergründen.
Habe man nämlich einmal das wirklich Gute gefunden, wäre man nicht mehr imstande, Böses oder Ungerechtes zu tun, denn niemand, so behauptete der ewig optimistische Sokrates, könne gegen etwas handeln, von dem er in seinem tiefsten Inneren genau wüßte, daß es schlecht sei. Er hielt es für unmöglich, glücklich zu werden, wenn man gegen seine eigene Überzeugung vorgehe, und jeder, der weiß, wie man glücklich werden kann, wird auch versuchen, es zu werden.
Das Universale bildet aber zugleich den Grundstock für Platons Ideenlehre, was bedeutet, daß man sich nicht sicher sein kann, inwieweit dieses wirklich ein Bestandteil der sokratischen Gesprächskunst ist.
Die sokratische Ironie: Sie ist ein weiteres Hilfsmittel, dessen sich Sokrates gern bedient. Er verstellt sich absichtlich und benimmt sich so, als ob er nicht verstünde, was seine Gesprächspartner ihm zu erklären versuchen. Damit bringt er sie jedesmal soweit, daß sie sich selbst widersprechen und am Ende wieder einmal zugeben müssen, daß ihre herkömmliche Ansicht die falsche beziehungsweise nicht die vollständig richtige war.
Das Daimonion: Wie bereits erwähnt, hatte Sokrates eine innere Stimme, die ihm von ungünstigen Handlungen abriet (siehe 2.1.5.) Sie wird oft als eine göttliche Stimme oder zumindest als sein Gewissen verstanden. So vorteilhaft dies auch klingen mag, so trägt auch diese innere Stimme schließlich und endlich mitschuld an seiner Verurteilung, denn sie kommt bei der Suche nach einer Ausrede, die gebraucht wird, um Sokrates anzuklagen, sehr gelegen. (“.
.. und die vom Staate anerkannten Götter nicht anerkennt, wohl aber andere, dämonische Wesen” - was sonst außer seinem “Schutzengel” könnte hier gemeint sein?) Bei seiner Verteidigungsrede erzählt er, daß er zu seiner Verwunderung feststellen mußte, daß ihm ebendiese Stimme nicht davon abriet, zur Verhandlung zu gehen. Genausowenig bemerkte er, daß sie ihn bei einer seiner Ausführungen aufhielt, was er als unmißverständlichen Grund dafür ansieht, daß das, was er zu seinen Richtern sagt, das Richtige ist. Außerdem folgert er daraus, daß man keinesfalls recht haben könne, wenn man behaupte, der Tod sei ein großes Übel. Trotzdem fällt auf, daß sich das Daimonion meist nicht bei ethisch relevanten Fragen, sondern nur bei irrelevanten Kleinigkeiten meldet.
Das hängt aber durchaus mit Sokrates` Überzeugung zusammen, denn in den wirklich relevanten Fragen dürfte nur die eigene wahre Einsicht gelten.
Also ist es auch kaum verwunderlich , daß sich sein “Schutzengel” nicht meldet, als sein engster Freund Kriton versucht, ihn nach gefallenem Urteil zur Flucht aus Athen zu überreden, es könnte aber auch ein Zeichen dafür sein, das Sokrates auch bei dieser Entscheidung wieder einwandfrei und unanzweifelbar das Richtige getan hat.
Noch eine andere Gabe hatte dieser Mann, nämlich die Fähigkeit, in eine absolute Starre zu verfallen. Oft stand er nächtelang nachdenkend da ohne sich ein einziges Mal zu bewegen.
Der Logos: Der Logos ist es, der Sokrates in seinem Wesen bestimmt. Es ist ein Wort aus dem Griechischen, das mehrere Bedeutungen hat.
Es steht sowohl für “Satz” als auch für die Sprache als Ganzes, aber auch für das Denken in seinen zwei Bedeutungen, nämlich ist der Gedanke an sich und das Denken als Vorgang gemeint.
Dieses Wort kann aber auch als der “Sinn” an sich bezeichnet werden, das heißt, das für Sokrates ein Logos hinter allem steckte, und derjenige Logos, der aus einem Gespräch als vernünftige Einsicht herauskommt, gilt als Maßstab für die Moral.
Sokrates tat also alles, um seinen Mitbürgern auf die geistigen Sprünge zu helfen beziehungsweise sie auf die richtigen Wege zu leiten, und das unerläßlich. In der platonischen Apologie bezeichnet er sich selbst als eine Bremse, die das Pferd Athen wachstechen will.
What do we do with gladflies, Sophie?
399 vor Christus kam es durch Anytos, einem angesehenen Mann in Athen, Lykon und Meletos (der Hauptankläger) zur Anklage gegen Sokrates.
2.
4.1. In der attischen Ordnung gab es zwei Arten von Klagen, nämlich unterschied man zwischen privaten und öffentlichen Anklagen. Die erstere konnte nur direkt von dem Verletzten oder dessen Vertreter erhoben werden, die zweite hingegen von jedem unbescholtenen Bürger. Sokrates hatte sich also gegen eine öffentliche Klage zu verantworten
Der Gerichtshof, gegen den sich Sokrates zu verantworten hatte, bestand aus der Anzahl von Geschworenen, die bei größeren Prozessen üblich war, nämlich aus 501.
Der Wortlaut der Anklage ist unbestritten derjenige, der schon bei 1.
4. erwähnt wird, kommt er doch bei Diogenes Laertios, Xenophon und Platon vor:
“Zur Niederschrift gegeben hat dies Meletos, der Sohn des Meletos aus Pitthos, gegen Sokrates, den Sohn des Sophroniskos aus Alopeke: Sokrates handelt rechtswidrig, indem er die Götter, die der Staat anerkennt, nicht anerkennt und andere, neuartige göttliche (dämonische) Wesen einzuführen sucht; er handelt außerdem rechtswidrig, indem er die jungen Leute verdirbt.
Strafantrag: der Tod.”
Der Teil der Anklageschrift, der sich auf den angeblichen Verstoß des Sokrates gegen das staatliche Recht beruft, indem er nicht an deren Götter glaube, spielt höchstwahrscheinlich nicht auf seine innere Einstellung, sondern auf sein äußeres Verhalten an. Wie bereits erwähnt, (siehe 2.3.
4.) wird wahrscheinlich auf die “göttliche Stimme” des Sokrates angespielt.
In Wirklichkeit kümmerte sich in Athen niemand um die Religiosität eines anderen, aber natürlich kam jeder Vorwand gelegen, einen politischen Gegner oder einen Mann wie Sokrates aus dem Weg zu räumen.
Der korrumpierende Einfluß auf die Jugend, dessen Sokrates bezichtigt wird, war, wie es scheint, ein Tatbestand, der aufgrund eines Gesetzes als kriminell galt.
Sokrates verteidigte sich vor Gericht selbst, was durchaus der attischen Prozeßordnung entsprach. Zwar bestand die Möglichkeit, eine vorgefertigte Rede eines Schreibers anzunehmen, doch Sokrates lehnt bestimmt ein Angebot des Lysias ab.
Seine Verteidigungsrede setzt sich aus drei Teilen zusammen.
2.4.1.1.Im ersten Teil spricht er direkt die Vorwürfe an, die gegen ihn getätigt worden sind.
Daraufhin wird von den Richtern über schuldig oder nicht schuldig entschieden; die Entscheidung fällt wie erwähnt 220 (nicht schuldig) zu 280 (schuldig) aus. Diese Stimmenverteilung ist kaum verwunderlich.
Im zweiten Stadium des Prozesses macht Sokrates von seinem Recht Gebrauch, selbst einen anderen Strafantrag zu stellen. Sein Vorschlag ist jedoch kaum eine Bestrafung in dem Sinne, sondern eher eine hohe Belohnung, nämlich schlägt er eine Ausspeisung im Prytaneum vor. Kriton und andere Freunde des Sokrates verpflichten sich jedoch dafür, für Sokrates dreißig Silberminen zu bezahlen, falls das Gericht für diesen Strafantrag entscheiden würde. Jedoch hat er mit seinem ersten Antrag die Richter sosehr verärgert, daß viele von ihnen ins andere Lager überwechseln: Die neue Stimmenverteilung beträgt nun 360 zu 140.
Der dritte Teil seiner Rede sind schließlich die Schlußworte an die Richter.
Der Vorschlag zur Flucht: Sokrates verbrachte eine ungewöhnlich lange Zeit zwischen Todesurteil und Tod im Gefängnis. Dies “verdankte” er einem Schiff, das von Athen alle neun Jahre losfuhr, um dem Gott Minotaurus auf Kreta ein Opfer von sieben Mädchen und sieben Jungen zu bringen. Das Gesetz schrieb vor, daß während der Zeit, die dieses Schiff unterwegs war, keine Todesurteile durchgeführt werden durften
Während dieser Zeit wurde er jeden Tag von seinen engsten Freunden besucht. Eines Tages versucht ihn Kriton während einem dieser Besuche zur Flucht aus Athen zu überreden. Genau überlegt Sokrates mit ihm, was das Beste sei, das man tun könne.
Natürlich stellt sich heraus, das das Richtige für ihn auf jeden Fall sei, dem Tod ins Auge zu sehen, statt sein Leben, hinter das er sich bei seiner Verteidigungsrede so vehement gestellt hatte, zu verändern.
Der Todestag: Diesen Tag verbringt Sokrates wiederum mit seinen engsten Vertrauten. Seine weinende Frau Xanthippe läßt er wegschicken, ein durchaus übliches Verhalten für einen Mann Athens. Übrig bleiben Apollodoros, Kritobulos, mit seinem Vater und dem zugleich engsten Freund des Sokrates Kriton, Hermogenes, Epigenes, Aischines, Antistehnes, Ktesippos und Menexenos, außerdem Simmias, Kebes und Phaidondes aus Theben und Eukleides und Terpsion aus Megara.
Bis tief in die Nacht diskutieren diese Männer über die Unsterblichkeit der Seele, bis Sokrates den Schierlingsbecher leert, so ruhig und besonnen wie er sein ganzes Leben davor schon war.
Noch kurz davor erzählt er seinen Freunden, daß er der fixen Überzeugung ist, daß die Erde keine Scheibe, sondern vielmehr kugelrund sei.
Auch soll er behauptet haben, daß der Regen nicht von Zeus, sondern von den Wolken käme.
Der Diener der Elfmänner (die für den Vollzug der Strafen verantwortlich waren) sagt über ihn: “Sokrates, über dich werde ich mich nicht zu beklagen haben wie über andere, daß sie mir böse werden und mir fluchen, wenn ich ihnen ansage, sie müßten das Gift trinken auf Befehl der Behörde. Dich aber habe ich auch sonst in dieser Zeit erkannt als den Edelsten, Sanftmütigsten und Trefflichsten von allen, die sich jemals hier befunden haben [...]”
Mit seinen letzten Worten kehrt Sokrates wieder zu dem Gott Apollon zurück, denn er erinnert Kriton daran, dem Sohn seines für sein Leben so bestimmenden Gott, Asklepios, einen Hahn zu opfern.
Diesem Gott der Heilkunst opferte üblicherweise nach seiner Krankheit - der Genesene.
Gern möchte ich zu Ende die Worte niederschreiben, die Platon als letzte Worte der Verteidigungsrede aufschrieb...:
“Doch jetzt ist`s Zeit fortzugehen: Für mich, um zu sterben, für euch, um zu leben. Wer von uns dem besseren Los entgegengeht, ist uns allen unbekannt - das weiß nur Gott.
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