Nsdap-geschichte
Wie man Mitglied der NSDAP wurde
Kurt Pätzold
Für diejenigen, die den 8. Mai 1945 als deutsche Zivilisten oder als Soldaten in Kriegsgefangenschaft erlebten, ergab sich in Besatzungsgebieten und Lagern der Zwang, sich zu fragen, was sie in jenem Regime getan oder unterlassen hatten, dessen Verbrechen nun zu Tage kamen. Dieser Zwang rührte zum wenigsten aus dem Bewußtsein von Verantwortung und Schuld her, sondern zumeist aus bevorstehenden Befragungen oder entstand im Vis-à-vis mit einem Fragebogen, der für eine Gutachter- oder Bewerbungskommission ausgefüllt werden mußte. Entschieden wurde: Was war unumgänglich einzugestehen, was ließ sich verschweigen? Nach Kriegsende in Weimar hörte ich dort den Witz: »Waren Sie Mitglied der NSDAP?« Antwort: »Nein, ich komme aus Schlesien.«
Was von der papiernen Hinterlassenschaft der Nazibürokratie sich erhalten hatte, war weithin unbekannt. Wer seine alte Umgebung verlassen hatte und in eine fremde geraten war, war nie in einer Uniform oder mit dem Hakenkreuzzeichen gesehen worden.
Das ließ Lügen lange Beine wachsen. Als sich Möglichkeiten der Prüfung ergaben, wurden Mitglieder der SED in Parteiverfahren wegen Fragebogenfälschens belangt - ein ostdeutsche Besonderheit.
Nach Jahrzehnten ist das Thema wieder in die Öffentlichkeit geraten. Von Personen aus der geistigen Prominenz der Bundesrepublik, Toten und Lebenden, wurde festgestellt, daß sie Mitglieder der NSDAP waren, dem Regime Konzessionen gemacht und diese oder jene gefälligen Dienste geleistet hatten, was wiederum Rückschlüsse auf ihre frühe geistige und mentale politische Verfassung zuließ. Über Verwunderung und Enttäuschung auf Seiten derer, die jene Personen bisher für »unbescholten« gehalten hatten, weit hinaus führten die Entdeckungen zu der Frage, wie jemand damals Parteimitglied werden konnte, insbesondere ob das ohne die Unterschrift unter einen von ihm gestellten Antrag möglich gewesen sei. Die im Gesamtzusammenhang eher marginale Frage kam auf, weil erwogen wurde, ob die als Parteigenossen Ermittelten überhaupt von ihrer Mitgliedschaft gewußt hatten, und weil in einem Falle diese Unwissenheit ausdrücklich beteuert wurde.
Dahinter trat das tatsächliche Verhalten in der Nazizeit zurück. Dieses Herangehen an Biographien war eben im großen Stil eingeübt an Tausenden »Informeller Mitarbeiter« des Staatssicherheitsdienstes der DDR, bei denen auch nicht ergründet wurde, was sie getan, geschweige denn, unter welchen Umständen sie sich so verhalten hatten und anders hätten verhalten sollen.
Dabei gäben die präsentierten Fälle von Martin Broszat bis Walter Jens Anlaß zu eben diesen Fragen. Warum haben sich junge Intellektuelle aus bürgerlichen Kreisen - denn die Benannten stehen dafür und für viele - so anfällig gezeigt gegenüber Ideologie und Werbung der Machthaber? Was davon geht auf ihr Konto, was auf das ihrer Elternhäuser und Lehrer, die Angehörigen einer Generation und Großgruppe, die unbelehrt, uneinsichtig bis zur Verstocktheit aus dem Ersten Weltkrieg gekommen war? Das würde von Biographien zu Zuständen weiterführen und womöglich zur Frage, wie es mit den Entscheidungsspielräumen heute hierzulande steht und ob und wie sie von der heute heranwachsenden oder etablierten Intelligenz genutzt werden. Geschrieben wird über Gruppendruck, als wäre der heute unvorstellbar und gehörte in eine weit entfernte Vergangenheit.
Apropos Zustände.
Ahnungslos kam ich im vorletzten Kriegswinter mit einer Gruppe junger Burschen auf den Kamm des Isergebirges, um, wie man uns gesagt hatte, das Schilaufen zu erlernen. Empfangen wurden wir von einem frontdienstuntauglichen Scharführer der Waffen-SS, einem »Ostmärker«. Der hatte sich, ob auf Befehl oder aus Eigenem ist mir unentscheidbar, in den Kopf gesetzt, daß jeder der ihm dort Ausgelieferten vor der Abreise ein Papier unterschrieb, auf dem er versprach, sich später freiwillig zur Waffen-SS zu melden. Einen nach dem anderen nahm er in die Mangel, worauf er sich verstand. Wie das insgesamt ausging, weiß ich nicht zu berichten. Daß ich seiner Aufforderung nicht folgte, verdanke ich dem Einfluß meiner linkssozialdemokratisch eingestellten Eltern.
Mich zog nichts in den Krieg, aber ich dachte mir vor allem, selbst wenn es angesichts der Kriegslage nicht mehr zur Einlösung solcher Unterschrift kommen werde, ich könnte sie ihnen nicht antun.
Das geistige Leben der Bundesrepublik macht auf den ersten Blick den Eindruck einer fortgesetzten ernsthaften Durcharbeitung der Geschichte. Dabei hat deren Steuerung einen Punkt erreicht, wo nahezu jede historisch relevante Diskussion, die ins Aktuelle weist, auf Nebenfragen abgelenkt wird.
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