Ende einer dienstfahrt
Thema:
Möglichkeiten der politischen Einflussnahme durch Kunst
Rezension von Stefan Born
Deutsch LK
Jahrgang 12
Frau Wagner-Bona
Inhaltsangabe
Lebenslauf Heinrich Bölls - Seite 1
Zur Person Heinrich Bölls/Geschichtliche Hintergründe – Seite 2 bis 5
Inhaltswiedergabe von „Ende einer Dienstfahrt“ - Seite 6 bis 11
Kurze Charakterisierung der Hauptpersonen - Seite 11 bis 13
Interpretation von „Ende einer Dienstfahrt“ – Seite 13 bis 15
Persönliche Stellungnahme – Seite 16
Quellenangabe – Seite 16
Foto von Heinrich Böll
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Kurzbiographie Heinrich Bölls
1917 Heinrich Böll wird am 21. Dezember als Sohn von Maria Böll und Schreinermeister Viktor Böll geboren.
1928-1937 Heinrich Böll besucht ein Gymnasium
1937-1938 Heinrich Böll wagt erste schriftstellerische Versuche und absolviert eine Buchhändlerlehre
1938-1939 Reichsarbeiterdienst
1939 Studium der Germanistik und klassischen Philologie in Köln
Einberufung zur Wehrmacht
1939-1945 Einsatz als Infanterist im 2. Weltkrieg
1942 Heirat mit Annemarie Cech, einer aus Pilsen stammenden, langjährigen Freundin Bölls
1944 Tod der Mutter Maria Böll
1945 Geburt und Tod seines ersten Sohnes Christoph
1947 Veröffentlichung erster Erzählungen und Geburt des Sohnes Raimund
Beitritt der Gruppe 47
1948 Geburt des Sohnes René
„Der Zug war pünktlich“
1950 Geburt des Sohnes Vincent
1959 „Billard um halbzehn“
1960 Tod des Vaters
1963 „Ansichten eines Clowns“
1966 „Ende einer Dienstfahrt“
1970-1972 Präsident des PEN Deutschlands (PEN ist eine Vereinigung von Schriftstellern)
1971-1974 Präsident des internationalen PEN
1971 „Gruppenbild mit Dame“
1972 Nobelpreis für Literatur
1974 „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“
1979 „Fürsorgliche Belagerung“
1985 Am 16. Juli stirbt Heinrich Böll an den Folgen einer Gefäßerkrankung
Im August erscheint „Frauen vor Flußlandschaft“
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Zur Person Böll
- Zum Leben in der Weimarer Republik und im dritten Reich
Böll wird 1917 in Köln geboren; er wächst in recht gepflegten, bürgerlichen Verhältissen auf. In seiner Kindheit verbringt er allerdings einen großen Teil seiner Zeit mit den "roten Kindern", also Kindern von Arbeitern.
Er selbst wächst aber in einem politisch neutralem Umfeld auf: seine an und für sich bürgerliche Familie rechnet sich selbst keiner politischen Richtung wie "rechts" oder "links" zu, verbietet es ihrem Sohn aber auch nicht, seine Zeit mit "roten Kindern" zu verbringen, wie es andere bürgerliche Familien wohl getan haben. Ende der 20er- und Beginn der dreißiger Jahre machen sich bei Bölls zu Hause die Folgen der Weltwirtschaftskrise bemerkbar - Böll muss schon im Alter von 14 Jahren erkennen, dass seine Eltern "[...] völlig hilflos waren gegenüber diesen Umständen" (Heinrich Böll, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Klaus Schröter, im rororo-Verlag erschienen 1982, Seite 35, Ende erster Absatz). Böll selbst erinnert sich, dass dieses, aus den finanziellen Mängeln erwachsende Gefühl der "Deklassiertheit" in seiner Familie oft mit einem Hochmut allem etablierten gegenüber verbunden ist, einer anti-gesellschaftlichen Haltung: "Es war eine Art Anarchismus, Nihilismus, Anti-Bürgerlichkeit, auch Hysterie, die mich bis heute geprägt haben.
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Februar erfolgt der Reichstagsbrand, am 10. Mai die Bücherverbrennung. Im Juli unterschreibt der Kardinalssekretär Eugenio Pacelli das Konkordat, also die Erklärung der Übereinkunft zwischen dem heiligen Stuhl und dem deutschen Reich. Das Reichskonkordat hat zur Folge, dass Böll, mitsamt seiner Familie, den Austritt aus der Kirche erwägen. Erst 1976 macht Böll seine Absicht wahr - dem praktizierten Katholizismus immerhin verweigert sich Böll noch jahrelang. Der Zweifel, und die Kritik an der römischen Kriche als Institution blieben allerdings immer.
1935 werden die Nürnberger Gesetze erlassen. Böll selbst ist nie in der Hitlerjugend, eine allzu krasse Konfrontation mit der rassistischen Doktrin bleibt ihm also erspart. Das Kaiser-Wilhelm Gymnasium beschreibt Böll selbst als "extrem katholisch, als nicht nazi-verseucht" (Heinrich Böll, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Klaus Schröter, im rororo-Verlag erschienen 1982, Seite 42, Beginn des dritten Absatzes): Die Lehrer an dieser Schule verbreiten im Untergrund humanistisches Gedankengut. Dieser Erfahrung der Schule als einen Ort des Schutzes ist es zuzuschreiben, dass Böll nicht, wie einige seiner Kollegen (Heinrich Mann, Hermann Hesse), Kritik an dem extremen Schuldrill zu dieser Zeit übt..
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In den Jahren nach seinem Abitur (1937) beginnt Böll zunächst eine Buchhandelslehre, die er aber schnell abbricht, weil er sich gegen jede erzwungene Organisiertheit im faschistischen Staat wendet.
Diese Reaktion mag auch darauf zurückzuführen sein, dass Böll seiner Buchhändlerlehre unter einem extrem konservativen Chef zu absolvieren hatte. Im Herbst des Jahres 1938 bis zum Frühjahr des folgenden Jahres ist Böll schließlich im Reichsarbeitsdienst aktiv. Anschließend beginnt er in Köln ein Studium der klassischen Philologie und der Germanistik. Im Juli des Jahres wird er zur Wehrmacht einberufen - zwei Monate vor Kriegsbeginn. Als Soldat ist Böll sowohl in Frankreich, als auch in Polen hinter den Fronten aktiv - auch wenn er "aus jugendlicher Neugier" im Verlaufe des Krieges einmal die Front begutachtete. Letztendlich endet sein Einsatz als Soldat aber in einem Lazarett in Frankreich und schließlich in einem englischen Kriegsgefangenenlager.
Böll selbst sagte über diese Erfahrung: "Der Krieg hat mich gelehrt, wie lächerlich die Männlichkeit ist," und außerdem "die Hilflosigkeit des Mannes" (Heinrich Böll, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Klaus Schröter, im rororo-Verlag erschienen 1982, Seite 53, Zeile 7 ff). Vor allem die letzte Aussage wird in seinen Werken immer wieder verarbeitet. Noch während des Krieges, 1942, heiratet Böll die aus Pilsen stammende Annemarie Cech. Als er nach dem Kriegsende 1945 aus einem englischen Kriegsgefangenlager entlassen wird, sucht er seine Frau und seinen Sohn Christoph in einem Evakuierungslager auf. Sein im Juli geborener Sohn stirbt schon im Oktober des gleichen Jahres. Im November kehrt Böll mit seiner Frau in seine Heimatstadt, in das völlig zerstörte Köln zurück.
- Böll im Nachkriegsdeutschland
Im folgenden Jahr immatrikuliert Böll abermals an der Universität in Köln, um Lebensmittelkarten zu erhalten. Der Lebensunterhalt wird vor allem durch seine Frau Annemarie, einer Lehrerin, gestellt. Zusätzlich kommen noch die damals üblichen Diebstähle und Aktivitäten am Schwarzmarkt hinzu. All diese Erfahrungen veranlassen Böll schließlich, den Krieg in seinen Werken als völlig entheroisiert darzustellen. Böll entnimmt den Stoff für seine schriftstellerischen Aktivitäten dem anarchischen Zustand seines Umfeldes.
Die der Bevölkerung entgegenschlagende Verachtung der Besatzermächte, beschert Böll schließlich den Stolz auf seine Muttersprache: "Wenn Sie so monatelang als fucking German Nazi behandelt werden und in den Hintern getreten, dann denken Sie .
.. ich bin trotzdem Deutscher, und ich werde schreiben." (Heinrich Böll, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Klaus Schröter, im rororo-Verlag erschienen 1982, Seite 66, Ende des ersten Absatzes). 1947 tritt Böll in die Gruppe 47 ein. Diese Gruppe wurde von antifaschistischen Schriftstellern wie Hans Werner Richter und Alfred Andersch gegründet.
Den Stil und die Gesamttendez dieser Gruppierung beschreibt Böll später als eine Art "kritischen Realismus", der auch Bölls Schreibweise deutlich prägt. Entgegen der Auffassung, dass die Trümmerliteratur auf einem kulturellen Nullpunkt begonnen habe - was man in einem Vergleich des früheren Landes der Dichter und Denker, und Deutschland unter Hitler, auch zu denken geneigt ist - vermutet Böll später, dass dieser "kulturelle Nullpunkt" schon im Jahre 1933 anzusetzen sei. Dies wird für ihn den Ausstieg aus der Gruppe 47 bedeuten.
Im gleichen Jahr erscheint Bölls erster Kurzroman: Der Zug war pünktlich. Die Kriegserlebnisse verarbeitend, bemerkt Böll die besondere "Sinnlosigkeit" des Krieges - ein Begriff, den er auch später noch auf den Militärapparat der BRD anzuwenden gewusst hatte, so wie zum Beispiel in seiner Erzählung "Ende einer Dienstfahrt" (dtv, Seite -4-
Januar 1967 in München erschienen, Seite 129, Zeile 20 ff), als Pfarrer Kolb erzählt, "die Langeweile, diese unausprechliche Langeweile", das habe einen eigentlich gesunden Jungen "böse, ja fast bösartig gemacht". In seiner Erzählung "Die Kirche im Dorf", die zwei Jahre vor "Ende einer Dienstfahrt" erschien, weitete Böll dieses Gefühl der Sinnlosigkeit sogar auf das bürgerliche Recht und die gesamte Volkswirtschaft aus - womit auch seine anti-bürgerliche Haltung, die er noch aus der Zeit der wirtschaftlichen Misere in der Weimarer Republik inne hatte, wieder offenbar wurde.
- Zu Heinrich Böll in der Bundesrepublik Deutschland
Im späteren Nachkriegsdeutschland beschäftigt Böll sich vor allem mit den von ihm so genannten "Büffeln". Unter diesen versteht Böll Personen, denen seiner Meinung nach etwas faschistoides anhaftet. Er sieht den Büffel in Bankiers, Industriellen, auch in Deutschnationalen und Politikern, die bei der Entnazifizierung nicht bedacht wurden - einige von ihnen waren Berater Konrad Adenauers. All diese Menschen, meint Böll, seien für den Krieg mitverantwortlich gewesen und immer noch aktiv. Das "Büffel-Motiv" zieht sich von nun an wie ein roter Faden durch Bölls Werke. "Billard um halbzehn" ist nur ein Beispiel von vielen.
Neben der immer lauter vorgetragenen Kritik am deutschen Katholizismus sollte dieses Motiv eines der bedeutendsten für Böll sein.
Im Jahr 1951 wird Böll von der Gruppe 47 für seine Erzählung "Die schwarzen Schafe" ausgezeichnet, was der Beginn einer langen Erfolgsserie war. In den folgenden Jahren erhält Böll zahlreiche Literaturpreise. 1963, nach dem Erscheinen seines bedeutenden Romans "Ansichten eines Clowns" werden Bölls schriftstellerische Tätigkeiten spürbar weniger. 1971 erscheint "Gruppenbild mit Dame", was für Böll den Friedensnobelpreis und das Wiedereinsetzen der Produktivität bedeutet.
1976 tritt Böll, wie schon erwähnt, aus der katholischen Kirche aus.
Er macht hiermit einem langjährigen Ärger Luft (Heinrich Böll, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Klaus Schröter, im rororo-Verlag erschienen 1982, Seite 111, erste bis fünfte Zeile): "Da ich mich nicht mehr Christ nennen möchte und auch nicht so genannt werden möchte angesichts der Tatsache, daß alle institutionellen Verwendungen des Wortes <<christlich>> (bei der CDU/CSU etwa, in der sogenannten Amstkirche) es mehr und mehr zu einem Schimpfwort machen ..." Zu dem Unmut über die zunehmende Identität der katholischen Kirche mit den Christdemokraten Deutschlands kommt noch die von Böll empfundene mangelnde Solidarität der katholischen Kirche mit armen und hungernden Mitmenschen. Seinen Ausdruck fand dieser Malus an Solidarität für Böll zum Beispiel in der Kirchensteuer - die Böll schon seit 1972 nicht mehr bezahlt.
- Zu den anti-böll'schen Hetzkampagnen in der Bundesrepublik
In der Mitte der 50er-Jahre setzt in ganz Deutschland eine zunächst kleine und schwache - am Ende aber unglaublich massive und unmenschliche Hetzkampagne gegen Heinrich Böll ein.
Der Anlass hierfür ist zunächst unscheinbar, und die ganze Sache eigentlich gar nicht wert: Der Nordwestdeutsche Rundfunk sendete Bölls Erzählung "Nicht nur zur Weihnachtszeit" - prompt erfolgt die an Böll gerichtete bittere Kritik des Leiters der kirchlichen Rundfunkzentrale, Hans Werner von Meyenn: Die Geschichte sei "lieblos, unbarmherzig, und unmenschlich", außerdem eine "Kritik ohne Verantwortung". (Heinrich Böll, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten Seite -5-
dargestellt, Klaus Schröter, im rororo-Verlag erschienen 1982, Seite 96, Zeile 20 und 21). Böll antwortete (gleiche Stelle, gleiches Buch): "Angesichts der teilweise widerwärtigen Prosperität in der Bundesrepublik glaube er nicht, dass es etwas schaden kann, unserem westdeutschen restaurativen Selbstbewusstsein einen Schock zu versetzen." Er spielt damit auf die Verwandtschaft von Sentimentalität und Brutalität an, möchte angesichts des wirtschaftlichen Fortschritts und der Restauration des deutschen Bewusstseins nach dem dritten Weltkrieg auch einmal Kritik üben - und er reißt damit riesige Fronten auf. Die Konsequenzen, die sich aus der nun beginnenden Medienhetze ergeben, sollten ihm später Stoff für seine Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" geben. Böll wird im Laufe der Jahre von Christdemokraten mit Nazis verglichen und von der Presse des Springer-Verlages diffamiert.
Dass diese Kritik gegenstandslos war beweist Bölls großes soziales und antifaschistisches Engagement in vielen Vereinen, auch als Präsident des PEN Deutschlands und des internationalen PEN.
Noch 1969 kann Böll in Deutschland Verhältnisse feststellen, die denen ähneln, die Heinrich Mann in seinem berühmten, eigentlich als historisch geltenden Roman "Der Untertan" beschrieb. (Heinrich Böll, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Klaus Schröter, im rororo-Verlag erschienen 1982, Seite 102, erste bis sechste Zeile): "Es bedarf nur weniger Veränderungen, um aus diesem scheinbar historischen Roman einen aktuellen zu machen: den Mißbrauch alles <<Nationalen>>, des <<Kirchlichen>>, der Schein-Ideale für eine handfest-irdisch-materielle bürgerliche Interessengemeinschaft, der alles Humanitäre, sozialer Fortschritt, Befreiung jeglicher Art verdächtig ist, deren Moral heuchlerisch ist, die kritiklos untertan ist [...]" Der Konflikt zwischen Heinrich Böll und dem konservativen Bügertum und der Axel-Springer Presse verschärft sich in den Jahren, in denen das Thema Terrorismus in Deutschland aktuell wird: Böll reagiert auf die unverschämte Behauptung der BILD-Zeitung, Teile der RAF seien an einem Bankraub beteiligt gewesen - obwohl es keine Indizien hierfür gab - indem er im SPIEGEL des 10.
01. 1972 einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er diese Form der Berichterstattung als "Aufforderung zur Lynchjustiz", als "nackten Faschismus", als "Verhetzung, Lüge, Dreck" beschreibt. Die BILD-Zeitung kontert am Tag darauf, indem sie Böll mit einem Nazi und einem "SED-Chefideologen" vergleicht. Als Andreas Baader am 1. Juni des selben Jahres gestellt wird, wird auch Bölls Haus umstellt, und die Polizei fahndet nach Terroristen. Am 7.
Juni bezeichnet der CDU-Bundestagsabgeordnete Friedrich Vogel die Bölls als Helfershelfer der Terroristen, als übere innere Sicherheit debattiert wird.
1974 erscheint dann, mit Sicherheit als eine Reaktion auf die Verleumdnungen der Axel-Springer-Presse und der CDU/CSU sowie auf die vorhergegangenen Hetzkampagnen gedacht, "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". In der Zeit, in der diese Erzählung ein Verkaufsschlager ist, werden die Bestseller-Listen in der WELT und der BILD nicht abgedruckt.
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Inhaltsangabe
1. Kapitel
Am Anfang der Erzählung steht zunächst ein kurzer Bericht, der über das, was bis dato - also im Jahre 1966 - geschehen war, Bescheid gibt. Der Schauplatz des Geschehens ist der Ort Birglar, der im Rheinland liegt.
Im Frühling des vorherigen Jahres wäre vor dem Amstgericht des Ortes ein Fall behandelt worden, über den die Öffentlichkeit nur wenig erfahren habe. Alle lokalen Zeitungen hätten über den Fall nur eine überraschend kleine Notiz gebracht, in der es hieß, dass Vater und Sohn Gruhl einen milden Richter gefunden hätten. Der zuständige Richter Dr. Stollfuss beschloss, die beiden zu jeweils 6 Wochen Haft und vollem Schadensersatz zu verurteilt - was ein mildes Urteil war, wenn man bedenkt, dass die beiden erst einen Jeep der Bundeswehr abbrannten und der Sohn anschließend desertierte. Die Redaktionen des "Duhrtalboten" und des "Rheinischen Tagblatts" beschlossen beide den Fall nicht übermäßig publik zu machen.
Die beiden Gruhls werden im kleinsten Gerichtssaal vernommen, der zur Verfügung steht.
Als erster hatte der Vater auszusagen: Johann Gruhl gibt an, nach der Volkshochschule in die Lehre gegangen zu sein, Kurse an der Kunstgewerbeschule belegt zu haben, wo er dann die Meisterprüfung abgelegt habe. Von 1940 bis zum Kriegsende sei Gruhl sen. Soldat gewesen, aber niemals an den Kampfhandlungen beteiligt - er habe lediglich gestohlene Möbel aus dem besetzten Frankreich restauriert. In diesem Zusammenhang protestiert der Staatsanwalt gegen den Begriff "gestohlen", weil er seiner Meinung nach "[...
] angetan sei, >>überholte Kollektivvorstellungen von deutscher Barbarei<< zu bekräftigen oder wiederzuerwecken; im übrigen sei der Abtransport >>französischen Eigentums aus dem besetzten Frankreich<< verboten gewesen, ja habe unter hoher Strafe gestanden." (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 18, Zeile 7 - 12). Gruhl sen. erklärt, dass er sich noch nie sonderlich für Politik interessiert habe, dass es ihm außerdem "schnurz und schnuppe" sei, ob er mit dem Terminus "gestohlen" ein Kollektivurteil ausspreche oder nicht - er sei sich sicher, dass das Möbiliar gestohlen gewesen sei. Gruhl sen. deutet im weiteren Verlauf der Gerichtsverhandluung, als er nach seinem Einkommen gefragt wird, an, dass er die Beurteilung seiner Einkommensverhältnisse lieber einem Fachmann überlassen möchte.
Die Befragung des Gruhl jun. ergab, dass er schon als Kind mit seinem Vater in der Tischlerwerkstatt garbeitet habe, deshalb nach dem Realschulsabschluss eine Prüfung als Tischlergehilfe abgelegt habe, und sodann 3 Jahre mit seinem Vater zusammen gearbeitet habe und schließlich zur Bundeswehr eingezogen worden sei.
Nach der Vernehmung der beiden Gruhls wird die Anklage verlesen: Die Gruhls sind angeklagt im Juni des Jahres 1965 einen Jeep der Bundeswehr in Brand gesteckt zu haben. Sie hätten den Tank des Wagens durchlöchert und das ganze Fahrzeug mit Brennstoff durchtränkt. Ohne etwas gegen den Brand unternommen zu haben, hätten die beiden das brennende Fahrzeug mit offensichtlicher Genugtuung betrachtet.
Die beiden Gruhls gestehen ihre Tat und bekennen sich im Sinne der Anklage für schuldig, auch wenn sie ihre Tat nicht bereuen.
Der junge Gruhl gibt an, während des Vorfalls auf einer Dienstfahrt gewesen zu sein.
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Bald hiernach wird der Kreisverkehrsbevollmächtigte Heuser vernommen, der die Tat der beiden Gruhls zum Anlass nimmt, auf die ungleiche Nutzung der Straßen in Birglar aufmerksam zu machen: Da mehr Fahrzeuge von Norden nach Süden fahren würden als umgekehrt, käme es auch zu einer ungleichen Abnutzung der Fahrbahnoberfläche ... Weiterhin gibt Heuser an, dass es am Tatort zu zwei kleineren Unfällen gekommen sei.
Nach Heuser wird der Polizeimeister Kirffel vernommen, der prägnant angibt, dass die Gruhls auf seine Frage, was passiert sei, geantwortet hätten, dass sie das „Ding in Brand gesetzt“ hätten, dass sie außerdem ein bisschen gefroren hätten und sich „durch ein Häppening aufwärmen“ wollten (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 32, Zeile 21 - 24).
Weiterhin sagt Kirffel auf Anfrage des Verteidigers aus, er habe das Wort Happening als „Habe keinen Pfennig“, also als ein Zeugnis von reichlich seltsamen Humor des Gruhl sen. verstanden. Weiterhin gibt er an erkannt zu haben, dass die beiden Gruhls während der Tat ihre Pfeifen im Takt der Allerheiligenlitanei aneinandergeschlagen haben.
Während dieser Vernehmung steckt sich Gruhl sen., ohne sich etwas besonderes dabei zu denken, die Pfeife an - es kommt zu einen Tumult im Gerichtssaal, weil Funken auf die Kleider zweier Damen überspringen, die den Vernehmungen als Besucherinnen beiwohnen. Agnes Hall, die Cousine des Gerichtsvorsitzenden Stollfuss, hat ihren ersten Auftritt, als sie ihren Cousin duzt und Alois nennt, um zu erfahren wer für den Schaden aufkommen müsse.
Nach einer kurzen Auseinandersetzung verlässt sie gekränkt den Gerichtssaal.
Auf Antrag des Verteidigers der beiden Gruhls, des jungen, ortsansässigen Rechtsanwalts Hermes, wird die Rechtslage der beiden Gruhls erläutert: Gruhl junior war zum Zeit der Anklage aufgrund eines Buchführungsfehlers nicht mehr Mitglied der Bundeswehr, die zur Beurteilung stehende Tat werde also nicht als Sabotageakt gehandhabt, sondern die Bundswehr trete nur als sachgeschädigte Nebenklägerin auf und sei mit einem Zeugen bei den Verhandlungen vertreten.
Auf den Protest des jungen Gruhls – er wolle nichts geschenkt bekommen – reagiert der Staatsanwalt wie allergisch und schreit, der junge Gruhl „sei ein undankbarer Lümmel“ (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 40, letzte Zeile). Den „Lümmel“ muss der Staatsanwalt gleich darauf zurücknehmen.
Die Vernehmung des Reisevertreters Albert Erbel bringt nicht viel Neues. Er sagt aus, die Knallgeräusche, die er am Tatort gehört habe, seien ihm “<<fast schön>>, eher wie Trommeln oder auch wie ein Rasseln” vorgekommen (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 41, viertletzte Zeile).
Hiernach wird die Prostituierte Sanni Seifert geladen, der Staatsanwalt Kugl-Egger glaubt den Charakter des Gruhl sen. hiermit in ein schlechtes Licht rücken zu können. Sanni Seifert antwortet auf die Frage, ob sie von Gruhl sen. belästigt worden sei “Gruhl sen. habe nie versucht, sie zu belästigen, schon gar nicht, ihr Gewalt anzutun; er habe lediglich für sie gearbeitet, ihre Bar im Fin-de-siècle-Stil [..
.] eingerichtet [...]” (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 45, vorletzte Zeile bis zweite Zeile der darauffolgenden Seite).
Hierauf wurden zwei Psychiater nach ihrem Gutachten über die beiden Gruhls befragt - beide konnten ein äußerst positives Gutachten ablegen: Die beiden Gruhls seien überdurchschnittlich intelligent, von anständigem Charakter und künstlerisch begabt.
Ein weiteres Gutachten, dass den beiden Angeklagten vielleicht Straffreiheit aufgrund von Unzurechnungsfähigkeit beschert hätte, wurde von den Gruhls und Hermes nicht gewünscht.
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Die Vernehmung des Obermeisters der Tischlerinnung, Erwin Horn, brachte eine weitere, äußerst positive Einschätzung der beiden Angeklagten mit sich – der Gruhl sei ein Tischler, der seinesgleichen suche. Erwin Horn erläutert außerdem die wirtschaftliche Lage des Gruhl sen.: Aufgrund seiner etwas eigenen Auslegung des Steuerrechts, bzw. der Nichtbeachtung des Steuerrechts zugunsten eigener Werte und Vorstellungen hatte der alte Gruhl schon bald einen beachtlichen Rückstand aufzuweisen, was die Steuerzahlungen anbelangt. Zwangspfändungen seien gefolgt, und zum Schluss hätte der alte Gruhl nur noch gegen Naturalien gearbeitet, weil sich diese nicht einfach pfänden ließen.
Während dieser Vernehmungen wird mehrmals die Steuerpolitik der Regierung und das Gericht beleidigt – weshalb Erwin Horn letztendlich zu einer Ordnungsstrafe von 125 Mark verurteilt wird.
Stollfuss beraumt die Mittagspause an.
2. Kapitel
Bergnolte, ein schlanker, “unauffällig, jedoch gediegen gekleideter Herr mittleren Alters, der als stiller Beobachter im Saal saß” (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 58, Beginn d. 2. Kapitels) verlässt den Gerichtssaal und sucht eine Telefonzelle auf, um einen gewissen Grellber über den Verlauf der Verhandlung zu informieren.
Grellber zeigt sich zufrieden - nachdem Bergnolte versichert, dass ein Eingreifen in den Gerichtsprozess nicht nötig sein wird.
Im Zeugenzimmer finden während der Verhandlungen verschiedene Personen zusammen: Ein Feldwebel und ein Gefreiter der Bundeswehr bemühen sich um eine Konversation mit Sanni Seifert, auch wenn diese sich nicht bereit zeigt, eine Unterhaltung zu beginnen.
Der Pfarrer Kolb unterhält sich mit seinen Pfarrkindern zunächst nur über belanglose Dorfgeschichten; als das Gespräch auf eine junge Frau kommt, die in einer Großstadt als Stripperin arbeitet, und zu deren Rettung Kolb Kirchengelder entwendet hatte, wendet sich der Pfarrer an den anwesenden Oberleutnant und erzählt, dass „die Schurz, deren moralische Zukunft ihm sehr naheginge, dieser verwerflichen Beschäftigung in einem Lokal nachginge in dem es >>von Bundeswehrmenschen und CDU/CSU-Abgeordneten wimmele<<, die sich nicht entblödeten, >>anderswo sich als Hüter der christlichen Moral aufzuspielen<<“ (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 75, Zeile 10 bis 13).
Während der Mittagspause suchen alle Anwesenden Birglarer Gaststätten auf – der sonst ausgezeichneten Wirtin der „Duhr-Terrassen“ gelingt das Essen heute nicht - ihre Tochter Eva offenbarte ihr, dass sie vom jungen Gruhl geschwängert wurde. Sie war diejenige die den, in U-Haft sitzenden Gruhls das Essen vorbeibrachte.
3.
Kapitel
Zu Beginn des dritten Kapitels wird von Kugl-Egger dargelegt, dass der alte Gruhl keineswegs straffrei sei, wie er bislang angegeben hatte, sondern dass er während seinem Militärdienstes degradiert worden wäre. Gruhl erläutert, dass dies geschehen sei, weil er Flugblätter der Widerstandsbewegung befördert habe - wie schon zu Beginn der Gerichtsverhandlung fällt Gruhls „... aber das verstehen sie ja doch nicht“, worauf der Staatsanwalt wieder empört reagiert.
Als nächstes wird Pfarrer Kolb vernommen - er gibt an, Gruhl sen.
sei einer der wenigen Christen in seiner Gemeinde, auch wenn ihm der Glaube fehle – sein Sohn sei ähnlich veranlagt wie sein Vater. Die Konfrontation mit der Bundeswehr habe ihn Seite -9-
„böse, ja fast bösartig gemacht“ (Seite 129, Mitte). Hiernach hätte er begonnen sich abfällig über die Kirche zu äußern – vor allem was einen seiner Vorgesetzten anbelange, der offenbar „etwas zu katholisch sei“ (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 130, Zeile 21). Einer kurzen Diskussion mit Kugl-Egger über den Begriff „zu katholisch“ folgt schließlich die Erklärung Kolbs „was er, der Staatsanwalt, als die Lehrmeinung der Kirche bezeichne, sei der Notwendigkeit entsprungen, sich mit den Mächten der Welt zu arrangieren, das sei nicht Theologie; sondern Anpassung.“ (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 131, Zeile 18-21).
Der nächste Zeuge, der Diplom-Volkswirt Dr.
habil. Grähn ist durch eine Diskussion mit dem Oberleutnant gereizt und ermüdet – er gibt an, die Gruhls seien Opfer eines wirtschaftlichen Prozesses: die Wirtschaft sei nicht dazu in der Lage alte Betriebe wie die Schreinerei der Gruhls weiter zu unterhalten, und dass die wirtschaftliche Lage der Gruhls demnach nur schlecht sein könne.
Gleich nach Dr. Grähn wird der Gerichtsvollzieher Hubert Hall vernommen, der sich, wie so viele vor ihm, blendend mit den Gruhls zu verstehen scheint, und angibt, dass Säumniszuschläge größere Steuerschulden schnell ins Enorme treiben würden. Bei den Gruhls wären aus 10.000 Mark schnell 22.
000 Mark geworden, Zwangspfändungen seien hinzu gekommen. Um den ständigen Pfändungen zu entgehen, habe Gruhl zuletzt nur noch gegen Naturalien gearbeitet – diese seien nicht pfändbar. Für die hochwertige Neuausstattung der Duhrtal-Terrassen seien beispielsweise eine zweijährige Tagesköstigung für ihn und seinen Sohn vereinbart worden.
Die Vernehmung des auch „guter Hans“ genannten Finanzoberinspektors Kirffel beginnt mit einem Eklat - als er seine Rede mit „Wir tun ja nur unsere Pflicht.“ (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 146, Zeile 24) beginnt. Der Staatsanwalt schreit ihn an, die Pflicht würden hier alle tun, er wolle sachliche Angaben und keine Deklamationen.
Kirffel wird ohnmächtig - und protokollwidrig in die Schroer‘sche Küche gebracht, worauf er nach kurzer Absprache der Staatsanwaltschaft und des Vorsitzenden aus der Zeugenreihe entlassen wird.
Es war 17.30 Uhr, als der erste Vertreter der deutschen Bundeswehr – der Gefreite Kuttke als Zeuge aufgerufen wurde. Kuttke sei in der Schirrmeisterei auch für die Dienstbereitschaft der Fahrzeuge zuständig gewesen - was auch beinhaltete, die Fahrzeuge dann inspektionsbereit zu haben, wenn eine Inspektion anstand. Um den notwendigen Kilometerstand auf dem Tacho erscheinen zu lassen, sei Gruhl mit den Maschinen oft zum „Kilometerfressen“ auf die Straße geschickt worden, da er ein guter Autofahrer sei. Außerdem erkannte Kuttke, dass Gruhl jun.
unter einer enormen Sinnlosigkeit gelitten hat, während er seinen Wehrdienst absolviert hatte. Eben diese Sinnlosigkeit empfand Kuttke selbst als das Schöne an der Bundeswehr. Der Vorgesetzte beraumt hiernach eine halbstündige Pause an, in der auf einigen Seiten erläutert wird, dass Agnes Hall in ihrem Testament ihr gesamtes Vermögen, auch an Immobilien, dem alten Gruhl vermacht hatte – an die Bedingung geknüpft, dass er jedes Jahr am „Küppers Baum“, also an der Stelle, an der er auch schon im selben Jahr einen Jeep brennen ließ, einen Jeep der Bundeswehr verbrennen müsse - zum Gedenken an einen unbekannten Soldaten des zweiten Weltkrieges, der für nur zwei Tage ihr Geliebter war.
Nach der Pause wird Feldwebel Behlau vernommen, der Gruhl als einen wenig begeisterten Soldaten, aber auch als nicht renitent, eher als mürrisch und als gleichgültig beschreibt.
Oberleutnant Heimüller wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen, da, wie der Staatsanwalt erklärt, das, was der Verteidiger die „Absurdität einer Seite -10-
leerlaufenden Verwaltung nenne, eben das sei nicht öffentlichkeitsreif“ (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 164 f., letzte Zeile bis erste Zeile d.
darauffolgenden Seite). Der Oberleutnant gibt ungefragt an, dass er römisch-katholischer Konfession sei. Weiterhin gibt er bekannt, dass Gruhl ihm des öfteren beim Zeichnen von Einsatzplänen geholfen habe, was von Gruhl, ebenfalls ungefragt, als „abstrakte Spielereien, in denen sogar ein gewisser künstlerischer Reiz liege“ bezeichnet wurde (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 166, oben). Des weiteren kann Heimüller bestätigen, dass Gruhl zur Tatzeit schon Zivilist, also nicht mehr Angehöriger der Bundeswehr war. Der von Gruhl schließlich durch einen Trick (Aufbocken des Dienstwagens auf ein Holzgestell und Laufenlassen desselben) erreichte Kilometerstand 4992 wird vom Verteidiger als „kompositorisches Element“ bezeichnet.
Nach Heimüller wird als letzter Zeuge der Kunstprofessor Büren zur Sache vernommen.
Dieser kann dem jungen Gruhl auch nach dem Hinweis des Gerichts – alle Anwesenden unterlägen der Geheimhaltungspflicht – nicht entlocken, wie er die am Tatort vernommenen Knallgeräusche erzielt habe. Erst nach der Garantie, die Aussage des Gruhls protokollieren zu lassen, womit eine Art Copyrightvermerk geschaffen wird, verrät Gruhl jun., dass er Malz- und Sahnebonbons in den durchlöcherten Benzinkanister gefüllt habe. Auf Anfrage des Verteidigers definiert Büren ein „Happening“ als eine Art von Anti-Kunst, in der versucht würde, durch „heilbringende Unordnung“, Entstaltung und Entstellung neue Gestalt zu schaffen - diese Definition weise das brennende Auto der Gruhls eindeutig als Kunstwerk aus, sogar als ein ganz besonders wertvolles, da es Elemente der Architektur, der Plastik, der Literatur, der Musik und des Tanzes in sich vereine.
4. Kapitel
Der Staatsanwalt brüllt nach dem Abgang des Kunstprofessors; er fühle sich hineingelegt und er würde hiermit sein Amt niederlegen.
Nachdem sich der Tumult im Gerichtssaal legt, nimmt der Staatsanwalt das eben Gesagte zurück und sprich sein Abschlussplädoyer, in dem er „zwei Jahre Gefängnis für Johann Heinrich Georg Gruhl, zweieinhalb Jahre für Georg Gruhl, vollen Schadensersatz, keine Anrechnung der Untersuchungshaft“ (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 188 unten bis Seite 189 oben) fordert.
Der Verteidiger Hermes beruft sich auf die Ausagen des Herrn Dr. Grähn, vermutet, dass die beiden Angeklagten in ihrem Kunstwerk genau das zum Ausdruck bringen wollten, was Grähn erläuterte und kommt schließlich zu dem Schluss, dass Freispruch und Übernahme der Kosten durch den Staat ein angemessenes Urteil wären - außerdem macht er darauf aufmerksam, dass die Bundeswehr zur Herausgabe des „Kunstwerks“ verpflichtet wäre, würde sie den Schadenseratz annehmen.
Der Gerichtsvorsitzende Stollfuss spricht zunächst in eigener Sache und erklärt, dass dies seine letzte Gerichtsverhandlung sei, bevor er in Pension ginge, dass es außerdem die Gerichtsverhandlung mit den nettesten Menschen sei, dass es ihm leid tue gegen diese netten Menschen ein Urteil zu sprechen, dass es sogar eigentlich die Kompetenz der allerhöchsten Gerichte überschreite in einem solchen Fall ein Urteil zu sprechen.
Nachdem er das Barett aufgesetzt hat, verkündet Stollfuss, dass ihn sowohl Hermes, als auch Kugl-Egger überzeugt hätten, dass ihm dieser Fall die „Hilflosigkeit der menschlichen Rechtsprechung“ (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 196, sechste Zeile von unten) vor Augen führe, dass er aber eben das als „das schönste Abschiedsgeschenk jener Göttin mit verbundenen Augen“ Seite -11-
erachte. In der Urteilsverkündung werden die beiden Gruhls zu 6 Wochen Haft verurteilt, die sie mit der U-Haft schon abgesessen hatten, zur Herausgabe des Kunstinstruments sowie zur Entschädigung der Bundeswehr.
Sein Rat an die beiden Gruhls lautete dem Staat gegenüber schlau wie die Füchse zu sein, denn einer „erbarmungslosen Gesellschaft dürfe man nicht ungewappnet entgegentreten.“ (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 197, 7. Zeile von unten).
Die beiden Gruhls nehmen das Urteil nach einem kurzen Blickwechsel mit Hermes an.
5. Kapitel
Im 5.
Kapitel wird in aller Kürze beschrieben, wie die beiden Gruhls für die Nacht bei Agnes Hall unTerkommen, die sich anscheinend für den Gedanken eines neuen Happenings erwärmen konnte und bereit ist, an dem nächsten musikalisch mitzuwirken.
Bergnolte trifft sich mit Grellber, um zu berichten; dieser zeigt sich über den Verlauf der Verhandlung zufrieden.
Kurze Charakterisierung der Hauptfiguren
Johann Gruhl
Johann Gruhl ist schon in Birglar geboren, hat dort auch die Volksschule besucht, nach deren Abschluss eine Tischlerlehre absolviert und sich schließlich selbstständig gemacht. Im Jahre 1937 hat Johann Gruhl geheiratet, 1939 machte er seine Meisterprüfung – im darauffolgenden Jahre wurde er zum Wehrdienst eingezogen.
Der “alte Gruhl”, wie er in “Ende einer Dienstfahrt” oft bezeichnet wird, wurde als Soldat im zweiten Weltkrieg aufgrund von verbotenen Aktivitäten für eine Widerstandsbewegung degradiert, gleichzeitig aber auch für das kunstfertige Renovieren gestohlener französischer Möbelstücke befördert.
Nach Ende des Kriegs übte er den Beruf eines Tischlermeisters aus und stellte stilvolle Inneinrichtungen her - da er in der Bundesrepublik Deutschland schon schnell mit dem Steuerrecht in Konflikt kam, kamen auch schnell finanzielle Probleme auf ihn zu.
Hinzu kam der wirtschaftliche Prozess der Modernisierung (von Volkswirt Grähn in Ende einer Dienstfahrt, dtv, 1967 in München erschienen, ab Seite 134 näher erläutert), der dem relativ altmodischen Schreinerbetrieb Johann Gruhls schwer zusetzte. Auf seine finanzielle Notlage folgten schon schnell Zwangspfändungen, die neu erworbenes Geld schnell verschwinden ließen. Um den ständigen Pfändungen zu entgehen, ließ sich Johann Gruhl später nur mit Naturalien bezahlen, da diese sich der Pfändbarkeit entzogen.
Mit seinem Sohn Georg Gruhl steckte er im Jahre 1965 einen Dienstwagen der Bundeswehr an.
Johann Gruhl ist offensichtlich mit allen Bewohnern des rheinischen Ortes Birglar gutgestellt, er befindet sich nicht im Konflikt mit den Personen, sondern mit den Institutionen - beispielsweise mit dem Steuerrecht. Die Gerichtsverhandlung bestreitet Johann Gruhl mit einer großen Gelassenheit und guter Laune, die von der Staatsanwaltschaft oft als provozierende Fröhlichkeit empfunden wird.
Indiz hierfür ist
zum Beispiel der kleine Tumult, der entstand, als Johann Gruhl sich die Pfeife währendSeite -12-
der Verhandlungen anzündete.
Georg Gruhl Georg Gruhl, der Sohn Johann Gruhls, wird als “einen Kopf größer als der Vater, schwerer auch als dieser, fast dicklich, blond” beschrieben - er gleicht seinem Vater nicht, dafür aber seiner Mutter, deren “Blondheit und Blässe so sprichwörtlich gewesen waren wie ihre Frömmigkeit und heitere Sanftmut” (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 19 unten bis Seite 20 oben).
Er besuchte in Birglar bis zur vierten Klasse die Volksschule und danach die Realschule im gleichen Ort. Schon in dieser Zeit half er seinem Vater in der Schreinerei. Schon bald nach seinem Realschulabschluss legte er seine Prüfung als Tischlerlehrgehilfe ab und wurde im Alter von 20 Jahren in die Bundeswehr eingezogen. Sein Vorgesetzter Feldwebel Behlau beschreibt ihn während der Gerichtsverhandlung zwar als nicht-renitent, aber als mürrisch und gleichgültig.
Oberleutnant Heimüller war Georg Gruhl des öfterern beim Zeichnen von Einsatzplänen behilflich – diese Arbeiten wurden vom “jungen Gruhl” als „abstrakte Spielereien, in denen sogar ein gewisser künstlerischer Reiz liege“ bezeichnet (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 166, oben). Beide vom Gericht geladene Psychologen können sowohl ihm, als auch seinem Vater künstlerische Begabung bescheinigen. Pfarrer Kolb weiß zu berichten, dass Georg Gruhl sich nach dem Kontakt mit der Bundeswehr abfällig über die Kirche und den Glauben zu äußern begann, was, wie Pfarrer Kolb es ausdrückte, an einem etwas zu katholischen Vorgesetzten lag. Der junge Gruhl wurde in der Bundeswehr des öfteren mit Einsatzfahrzeugen zum „Kilometerfressen“ auf die Straße geschickt, da für bevorstehende Inspektionen von Fahrzeugen ein gewisser Tachostand erforderlich war. Gruhl kam als guter Autofahrer für das „Erfahren“ dieser fehlenden Kilometer in Frage. Auf der letzten seiner „Dienstfahrten“ steckte der junge Gruhl mit seinem Vater den Dienstwagen an, den er eigentlich inspektionsreif fahren sollte.
Ebenso wie sein Vater scheint sich Georg Gruhl in Birglar allgemeiner Beliebtheit zu erfreuen, und er bestreitet die Gerichtsverhandlung mit jener “provozierenden” Gelassenheit, die auch sein Vater inne hat. Die Sympathie, die den beiden Gruhls in Birglar entgegenschlägt, nimmt der Staatsanwalt letztendlich zum Anlass, seinen Strafantrag möglichst hoch ausfallen zu lassen, um an Johann Gruhl und seinem Sohn ein Exempel zu statuieren.
Der Staatsanwalt Kugl-Egger
Der Staatsanwalt wirkt in Birglar so gut wie immer wie ein Fremdkörper. Mit seiner orthodoxen Auffassung von Rechtsprechung und seiner Härte bildet er einen Kontrast zu dem Großteil der Birglarer, die der Straftat der beiden Gruhls ohne großen Ärger und mit Milde begegnen. Im Laufe der Verhandlungen wird des öfteren der stark konservative Charakter des Staatsanwalts Kugl-Egger deutlich: So zum Beispiel als er sich dagegen verwahrt, dass “>>hier in einem deutschen Gerichtssaal ohne Widerspruch von der Sowjetzone als einem Staat<< gesprochen werden dürfe; kein deutsches Gericht dürfe das dulden [..
.]” (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 52, Zeile 24).
Seite -13-
Der Gerichtsvorsitzende Stollfuss
Richter Stollfuss übt mit dem Prozess um den brennenden Dienstwagen der Bundeswehr das letzte Mal seinen Beruf aus – er steht die ganze Erzählung über repräsentativ für die Milde und das Verständnis der Birglarer den beiden Gruhls gegenüber. Am Ende des Gerichtsverfahrens erkennt er die Unmöglichkeit einer objektiven, gerechten, menschlichen Rechtsprechung.
Interpretation
Die ganze Erzählung ist im konjunktivischen, im Gerichtsstil gehalten. Der Erzähler erscheint als ein allwissender Berichter, der dem Leser in einem manchmal schon übertrieben erscheinendem Gerichtsdeutsch auf dem Laufenden hält – gerade dieser Sprachstil lässt einen gewissen Kontrast zwischen der Handlung und der die Handlung umschreibenden Sprache enstehen; denn die Handlung kann noch so banal sein, sie wird rigoros in einem bürokratisch anmutenden, konjunktivischen Gerichtsstil wiedergegeben - was der gesamten Erzählung letztendlich eine gewisse Komik verleiht.
Diese Komik empfinde ich als charakteristisch für viele Werke Bölls, und ich entdecke immer wieder, dass Böll es schafft, auch wenn er über etwas Todernstes berichtet, dem Ganzen seinen Humor beizufügen. Über diesen komödialen Effekt hinaus hat Böll mit seinem Sprachstil natürlich noch anderes im Sinne: Der Prozess, den Böll umschreibt, kann am besten nachempfunden und miterlebt werden, indem er in der ihm eigenen Sprache verfasst ist. Zudem ist dieses Gerichtsdeutsch noch ganz bezeichnend für den „kritischen Realismus“ wie Böll seinen Stil selbst nannte. Unter kritischem Realismus verstehe ich einen klassischen Realismus, der sich nicht auf eine bloße Schilderung der tatsächlichen Gegebenheiten beschränkt, sondern auch wörtlich Kritik übt.
Ein Thema , das beim Lesen von “Ende einer Dienstfahrt” recht schnell auffällt, ist die Böll-typische Kritik an der Anpassungsfähigkeit der katholischen Kirche. Böll übt nicht zum ersten Mal Kritik an dem Arrangement zwischen Kirche und Staat – 1963 beispielsweise beschreibt Heinrich Böll in “Ansichten eines Clowns” die Erfahrungen, die der Clown Hans Schnier mit Katholiken macht, und die Kritik an dem institutionalisierten Katholizismus und der Fast-Identität zwischen CDU/CSU und der katholischen Kirche ähnelt der aus “Ende einer Dienstfahrt”: “Es müssen, wenn man vom deutschen Katholizismus spricht, vier Kategorien voneinader unterschieden werden: der Verbandskatholizismus, [.
..] die Amtskirche, die deutschen Katholiken und
die katholische Theologie [...]” (Nachwort aus Ansichten eines Clowns, 1963 in Kiepenheuer & Witsch in Köln erschienen, Seite 282).
In „Ende einer Dienstfahrt“ lässt Böll den katholischen Pfarrer Kolb in einer Verhandlungspause sagen, dass es in einem zwielichtigen Lokal „>>von Bundeswehrmenschen und CDU/CSU Abgeordneten wimmele<<, die sich nicht entblödeten, >>anderswo sich als Hüter der christlichen Moral aufzuspielen<<“ (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 75, Zeile 10 bis 13). Hierin steckt schon die Kritik an dem Arrangement zwischen der katholischen Kirche und den staatlichen Institutionen - Kolb erläutert noch, auf was er genau anspricht, als er vom Staatsanwalt Kugl-Egger gefragt wird, was er mit dem zuvor gefallenen Begriff „zu katholisch“ meine: „was er, der Staatsanwalt, als die Lehrmeinung der Kirche bezeichne, sei der Notwendigkeit Seite -14-
entsprungen, sich mit den Mächten der Welt zu arrangieren, das sei nicht Theologie, sondern Anpassung.“ (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 130, Zeile 18 bis 20).
Böll versteht es also, die schon seit dem Reichskonkordat von 1933 in ihm verwurzelte Ablehnung gegenüber dem praktizierten Katholizismus auch in einem Prozess wie dem in „Ende einer Dienstfahrt“ zum Ausdruck zu bringen.
Ein weiteres, recht offensichtliches Anliegen Heinrich Bölls in “Ende einer Dienstfahrt” war die Frage nach dem Sinn der deutschen Armee. Heinrich Böll lässt den Gefreiten Kuttke auf Seite 152 sagen, er halte die “>>Quaternität des Absurden<<; Sinnlosigkeit, Unproduktivität, Langeweile, Faulheit [.
..] geradezu für den einzigen Sinn der Armee". Mit den zweifelsohne sinnlosen und unproduktiven Dienstfahrten, die Georg Gruhl regelmäßig durchführen musste, veranschaulicht Heinrich Böll die Sinnlosigkeit dieser Organisation. Gerade diese Sinnlosigkeit, welche der Rechtsanwalt auch “die Absurdität einer leerlaufenden Verwaltung” (Seite 164, die letzten Zeilen) nennt, beschert dem ganzen Prozess letztendlich auch seinen konspirativen Charakter - im Interesse des Staates, welcher hier durch den Kontaktmann Bergnoltes, Grellber repräsentiert wird, wird der Prozess vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Die Brisanz, die Grellber in dem Prozess liegen sieht, veranlasst ihn offensichtlich, die lokale Presse davon abzuhalten über den Prozess zu berichten.
Auch die bemerkenswerte Milde der Staatsgewalt gegenüber den beiden Gruhls und die Tatsache, dass die Bundeswehr nur als Sachgeschädigte Nebenklägerin auftritt, macht deutlich, dass Böll den gesamten Staatsapparat der Frage nach dem Sinn der deutschen Armee eine enorme Brisanz innewohnen sehen lässt.
Zusätzlich ist noch erwähnenswert, dass Böll als Kriegsgegner einer Institution wie der Bundeswehr natürlich kritisch gegenüberstehen muss. Deutlich wird seine Abneigung gegenüber militaristischem Gehabe in seiner Darstellung des Oberleutnant Heimüller, der während der Verhandlung ohne gefragt zu sein, seine Konfession als römisch-katholisch angibt und der von Böll so verbittert betrachteten Anpassung der katholischen Kirche an die Verhältnisse unbedingt zustimmt.
Ein zentrales Thema dieser Erzählung ist die Frage nach der Möglichkeit einer objektiven Rechtsprechung - da Entscheidungen immer sehr stark an das entscheidende Subjekt gekoppelt sind, also abhängig von seiner Philosophie, seinen ethischen Grundsätzen, seiner aktuellen Stimmung, seiner Lebenslage und anderen
Faktoren erscheint der Begriff “objektive Rechtsprechung” wie eine Utopie. Kugl-Egger beispielsweise ist ein Anwalt mit ausgeprägtem Staatssinn und einem damit verbundenen Idealismus – der Idee davon, dass es möglich ist, objektiv Recht zu sprechen, so wie es das Gesetz von ihm verlangt. Da das Recht aber an sich schon
Auslegungssache ist und der ganze Prozess aufgrund des strippenziehenden Grellber im Hintergrund stark verschwörerischen Charakter hat, ist eben jene objektive Rechtsprechung die sich Kugl-Egger wünscht, nicht möglich, was sich auch in seinem kläglichen Scheitern auf diesem Gebiet äußert.
Stollfuss erkennt dies am Ende der Verhandlung, als er zugibt, einer “solchen Sache” nicht “gerecht werden” zu können (Seite 196, Zeile 15 ff.). Er führt weiter aus, “dass ihm als letzter Fall ein Fall gegeben worden sei, der die Hilflosigkeit der menschlichen Rechtsprechung [...] zum Ausdruck bringe” (Seite 196, Zeile 24).
Mit seiner Erzählung “Ende einer Dienstfahrt” wirft Böll die Frage nach der Objektivität, nach der Legitimation menschlicher Rechtsprechung auf.
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Neben dieser Frage taucht in “Ende einer Dienstfahrt” auch wieder das alte Büffel-Motiv Heinrich Bölls auf: Ein Büffel, also eine ranghohe Person, der etwas Faschistoides anhaftet - für Böll etwa ein rechtslastiger, evt. demokratiefeindlicher Parteimensch oder ein Leistungsversessene Bankier - taucht nämlich auch in dieser Erzählung auf. Auch wenn Grellber nie “Büffel” genannt wird, erinnert er doch an eine solche Person.
Wie auch schon Siegfried Lenz in seiner “Deutschstunde” beschäftigt sich Heinrich Böll in dieser Erzählung mit dem Verhältnis zwischen dem Staat, der Gesellschaft und der Kunst. Böll schreibt in seinem Nachwort “Einführung in >Dienstfahrt< (in Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 210, Zeile 1 bis 3), „dass die komplette Nettigkeit der Gesellschaft der Kunst gegenüber ja nichts anderes als eine Art Gummizelle ist.
“ Böll nimmt damit Stellung zu jener, alles tolerierenden - Kunst vielleicht gutmütig belächelnden, aber nicht verstehenden - Haltung der Nachkriegsgesellschaft in Deutschland. In „Ende einer Dienstfahrt“ wird der Typus Mensch, der Kunst gutmütig toleriert und damit wahrscheinlich für Gleichgültigkeit und Trägheit, aber nicht für eine Bewusstseinserweiterung sorgt, durch die Birglarer Bevölkerung repräsentiert. Ebenso wie sie den beiden Gruhls und ihrem Happening mit Milde begegnet, und auch der provozierenden Gelassenheit der beiden Gruhls während der Verhandlung wesentlich gefasster begegnet als die Staatsgewalt, zeigt sie sich von den Bildern des Künstlers Tervel wenig beeindruckt. Die bei dem Finanzoberinspektor Kirffel stattfindende Kunstausstellung mit Werken des Tervel, die von der lokalen Presse als „Genital-Schmierereien“ und als „Kühne Sexualaussagen“ (Ende einer Dienstfahrt, dtv, im Januar 1967 in München erschienen, Seite 92, Zeile 20 und 22) bezeichnet werden, erzielt bei der Bevölkerung nicht die vom Künstler erwünschte Wirkung: „Der junge Tervel war gekränkt, weil es keinen Skandal gab“ (Seite 93, 7. Zeile v. unten).
Die Gummizelle, die der Kunst also die ihr eigentlich zugedachte Wirkung nimmt, ist die Nettigkeit, und die Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber solchen Versuchen wie Tervel und die Gruhls sie übernehmen, um auf etwas hinzuweisen, vielleicht auch um das Bewusstsein der Gesellschaft zu erweitern.
In dem von den Gruhls veranstalteten Happening sieht Böll die vielleicht einzige Möglichkeit diese „Gummizelle“ zu überwinden, „durch eine Zeitzünderbombe zu sprengen“ - wie Böll es in Zeile 9 der selben Seite formuliert), was durch das Interesse Grellbers den Fall nicht publik werden zu lassen klar wird.
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Persönliche Stellungnahme
Bislang habe ich alle Erzählungen von Böll, mit Ausnahme von Billard um halbzehn vielleicht, weil ich diese Erzählung als relativ schwer lesbar empfand, sehr gerne und gut lesen können. Dies lag mit daran, dass Böll es in all seinen Erzählungen fertigbringt einen Beisatz von Humor zu erhalten, der seine Schilderungen lebendig erscheinen lässt, ihnen aber doch nicht ihren Ernst, ihre Bitterkeit – oder was immer sie ausdrücken mögen – nimmt. Zudem bewundere ich Böll für seinen Schreib- und auch für seinen Sprachstil – auch wenn ihm Kritiker oft unterstellen, er sei wenig wortgewandt und manchmal tölpelhaft – weil seine Werke durch seine Art zu beschreiben realistisch und lebensnah erscheinen wie nur wenige andere Werke, die ich bislang gelesen habe.
Auf die Idee, „Ende einer Dienstfahrt“ in meiner Rezension vorzustellen kam ich, weil ich ich diesen Beisatz von Humor als ganz besonders gut eingebracht empfand und mich die Frage nach den Möglichkeiten der Kunst im gesellschaftlichen Rahmen interessierte.
Auch durch die Lektüre des Buches „Kunst als Widerstand“ von Bernd Langer (1997 im Pahl-Rugenstsein Verlag Nachfolger GmbH in Bonn erschienen), welches eine antifaschistische Initiative, die auch mit Kunst (allerdings weniger mit Happenings als mit Plakaten und Ölbildern) arbeitet, empfand ich die Rezension dieser Erzählung als passend..
Zudem trifft etwas auf „Ende einer Dienstfahrt“ zu, das auf alle guten Bücher zutreffen sollte: Es liest sich nicht aus, lässt sich also ständig neu lesen - das mag mit an der Fülle von Zeugen liegen, die man beim ersten Durchlesen gar nicht alle voll erfassen kann, aber eben auch an der Qualität des Buches – zum Beispiel ist mir das volle Verständnis des Begriffs „Gummizelle“ im Zusammenhang mit Happenings erst beim zweiten Lesen gekommen - als mir der enttäuschte Tervel besonders auffiel. Bis dahin hatte ich diese Erzählung unter anderem als eine Art Persiflage auf staatsgläubige Anwälte und weltfremde Bundeswehrsoldaten verstanden.
In seiner Kritik gegenüber dem Kunstverständnis und dem grundlegenden Habitus der Gesellschaft Kunst gegnüber, finde ich „Ende einer Dienstfahrt“ auch heute noch aktuell.
Quellenangabe
Ende einer Dienstfahrt, Heinrich Böll, dtv, 24.
Aulage 1997 in München erschienen.
Ansichten eines Clowns, 1963 in Kirpenheuer & Witsch in Köln erschienen
Heinrich Böll, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Klaus Schröter,
Rohwolt Taschenbuch Verlag GmbH, November 1982 in Hamburg erschienen.
Internet: https://www.netcologne.de/~nc-haackma/Autoren/Boell/Dienstfa.htm
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