Günter khatchikian
Referat
zum Thema
Wer verantwortet eigentlich die Technik ?
im Rahmen des
Diskussionskreis für Senioren
Vorbereitende Lektüre:
Wer verantwortet eigentlich die Technik ?
Wie würde unser Leben wohl verlaufen sein, wenn es die Errungenschaften der Technik, welche wir so selbstverständlich nutzen, nicht gegeben hätte ! –
Unter Technik versteht man ganz allgemein die Fähigkeiten und Mittel, mit denen
der Mensch sich die Natur dienstbar macht, indem er ihre Eigenschaften und Gesetze
erkennt und ausnutzt. Technik gehört in diesem Sinne zum Wesen des menschlichen
Daseins dazu.
Die Technik hat Märchenwünsche erfüllt, aber auch Alpträume wahrgemacht.
Das Schlaraffenland als Automatenparadies oder die Horrorvision des atomaren Infernos -
beide Zukunftsversionen können Wirklichkeit werden.
Kühn waren die technischen Phantasien , die unsere Ahnen in Mythen, Fabeln und
Utopien ausgemalt haben:
Der Flug des Ikarus bis in die Nähe der Sonne, Peterchens Mondfahrt, die Wundertaten
des Herkules, die Unterwasserexpeditionen des Jules Verne;
doch nur weniges davon blieb unerreicht.
Im Gegenteil: Oft genug wurde die Phantasie von der technischen Wirklichkeit überboten.
-
Wir fliegen in wenigen Stunden von Kontinent zu Kontinent; Astronauten umrunden
die Erde in der gleichen Zeit viermal.
Kleinkameras lichten Magen und Blutadern von innen ab, rechnergestützte Diagnosesysteme Prüfen den Körper scheibchenweise auf Herz und Nieren.
Schon kann man das Erbgut bei Lebewesen vervielfältigen und kopieren.
Künstliche, überschwere Elemente werden technisch-physikalisch hervorgebracht
und in ihrem Zerfall gelenkt: Unerschöpfliche Energiequelle und Bedrohung durch
unermessliche Zerstörungsmacht zugleich.
Atomstrom und Atombombe -
Endpunkte des biblischen Auftrags “Macht euch die Erde untertan“ ? -
Die Menschen haben beträchtliche Teile der Erde in eine technische Landschaft verwandelt.
Und seit der Landung auf dem Mond schicken sich die Menschen an, ihre Herrschaft
über die Erde auch in den Weltenraum auszudehnen.
All dies ist das Ergebnis technischer Handlungsmacht.
Wohl sind es immer Individuen, die ihre Beiträge zur Herstellung technischer Gegenstände leisten, und Individuen sind es, die aus ihrem Gebrauch ihren Nutzen ziehen.
Aber während man die handwerkliche Technik noch als die Leistung einzelner Menschen
auffassen konnte, welche die Produktidee und die Produktherstellung in sich vereinten,
ist die moderne industrielle Technik auf Arbeitsteilung angewiesen und mehr als
soziotechnisches Handeln zu sehen.
In Planung, Entwicklung, Konstruktion und Produktion arbeiten Dutzende oder sogar
Hunderte von Fachleuten gemeinsam an der gleichen Aufgabe. Arbeitsteilig steuert jeder
einzelne sein besonders Wissen und Können bei, ohne jedoch damit alle Aspekte der Aufgabe
überblicken zu können.
So geht aus den Teilbeiträgen und ihren wechselseitigen Einflüssen etwas hervor,
was in dieser Form keine der beteiligten Personen alleine hätte bewirken können.
Da stellt einer die richtige Frage, ohne die Antwort zu wissen;
dem zweiten fällt eine Lösungsmöglichkeit ein, auf die er nie gekommen wäre,
wenn nicht der eine die richtige Frage gestellt hätte;
und beide kämen dennoch nicht viel weiter, wenn nicht der dritte sich erinnern würde,
wie er in einem ähnlichen Fall eine Lösung erfolgreich ausgeführt hat.
Die Technisierung hat die Möglichkeit des soziotechnischen Handelns ins Unermessliche ausgewiesen.
Die Menschen haben sich - als sich die Möglichkeit einstellte - nicht einmal gescheut,
Bomben herzustellen, die den ganzen Planeten, ihre eigene Gattung und alles andere Leben zerstören können.
Und spätestens hier stellt sich die Frage nach der Verantwortung.
Aber “wer“ soll “was“ gegenüber “wem“ verantworten ? –
Als Kain seinen Bruder Abel erschlagen hatte, musste er sich vor Gott
- der höchsten Instanz - verantworten.
Aber wo findet sich eine ähnliche Instanz heute ?
Ursprünglich stammt das Wort “Verantwortung“ aus der Gerichtsbarkeit und geht bis ins römische Reich zurück.
Ein Mensch hat etwas zu verantworten, indem er vor einem Richter auf die Frage
antworten muss, was er getan hat; denn eine bestimmte Tat und deren Folgen
werden ihm zugerechnet.
Bei der Ingenieurverantwortung haben wir es aber mit einer übergeordneten,
höherstufigen moralischen Verantwortung zu tun, für den der formale Verantwortungsbegriff nicht ausreichend ist.
Durch die Moralphilosophie (Ethik) hat der Begriff der Verantwortung eine beträchtliche Erweiterung erfahren und eine zentrale Rolle in der ethischen Diskussion eingenommen.
Dass, ganz allgemein gesprochen, Technik ethischen Erwägungen unterliegt, folgt aus der
einfachen Tatsache, dass die Technik eine Ausübung menschlicher Macht ist, d.h. eine Form des Handelns, und alles menschliche Handeln moralischer Prüfung ausgesetzt ist.
Und es ist auch bekannt, dass ein und dieselbe Macht sich zum Guten wie zum Bösen
benutzen lässt und man bei ihrer Ausübung ethische Normen beachten oder verletzen kann.
Der Ingenieur wird seiner (ethischen) Verantwortung gerecht, wenn er seine Arbeit und die Produkte, die daraus hervorgehen, bewusst auf den Nutzen für die Allgemeinheit kritisch überprüft. Er soll alle denkbaren Folgen seiner Projekte in Erwägung ziehen und prüfen,
ob alle diese Folgen mit den maßgeblichen Wertvorstellungen der Gesellschaft vereinbar sind.
(Ingenieur steht auch für alle anderen Berufsgruppen, die aktiv an der technischen Entwicklung mitwirken, wie z.B. Naturwissenschaftler in technischen Tätigkeiten,
Entwicklungs- und Produktmanager, Techniker in engerem Sinne und andere technische Fachkräfte.
)
Identifiziert der Ingenieur mögliche Folgen, die allgemein als unannehmbar gelten, soll er
das betreffende Vorhaben derart modifizieren, dass die negativen Folgen vermieden werden.
Falls Verbesserungen nicht denkbar oder nicht machbar sind, soll er das heikle Projekt
völlig aufgeben.
Er soll auch bereit und in der Lage sein, für seine Sicht des Problems und seine Handlungsweisen jederzeit gegenüber anderen einzustehen. –
Es muss aber gesehen werden, dass technisches Handeln in einer Gruppe
(kollektives Handeln) anders ablaufen wird als das Handeln einzelner Personen,
das individuelle Handeln.
In der Technik überwiegt aber das kollektive Handeln, das Handeln im Team.
Die persönliche Ingenieurverantwortung ist in dieser Handlungsform nicht gegeben,
da sich die herkömmliche Moralphilosophie auf das individuelle Handeln, das Handeln
einzelner Personen , konzentriert.
Ein großer Teil des technischen Handelns wird längst durch Gesetze und Verordnungen
sowie durch technische Normen und Richtlinien reguliert.
So tragen Ingenieure ihrer Verantwortung auch dadurch Rechnung, dass sie sich um genaue
Kenntnis der einschlägigen Regelungen bemühen und darauf achten, dass diese Regelungen
innerhalb ihres Einflussbereichs auch wirklich eingehalten werden.
Diese Verantwortung für die Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften fällt in den Bereich
der rechtlichen Verantwortung. Bei Verstoß gegen geltende Gesetze wird man vor Gericht
zur Verantwortung gezogen.
Es gibt einen Täter (der Ingenieur),
es gibt eine Tat (Missachtung des Gesetzes),
es gibt eine Instanz (das Gericht).
Die Ingenieurverantwortung jedoch ist eine moralische Verantwortung und liegt auf einer
anderen Ebene.
Ingenieure und Ingenieurwissenschaftler können heute nicht mehr die Augen davor verschließen, in welchem Maße ihre Schöpfungen die Welt nicht nur verändert,
sondern auch mit neuen Risiken belastet haben.
Der Ingenieur ist aufgefordert, die Folgen seines technischen Handelns abzuwägen,
ja sogar die Folgen der Technikfolgen einzuschätzen.
Hierzu ein Beispiel:
Wenn die Fluorchlorkohlenwassestoffe das Ozonloch vergrößern, strahlt die Sonne
mit größerer Intensität auf die Erde;
wenn die intensiveren Sonnenstrahlen die Bildung von Hautkrebs fördern, werden die
Menschen aus Rücksicht auf ihre Gesundheit das bislang so beliebte Sonnenbaden einschränken;
wenn Sonnenbäder aus der Mode kommen, entfällt ein wichtiger Grund, Urlaubsreisen
an südliche Strände zu unternehmen;
wenn der Tourismus in den Badeorten spürbar zurück geht, kommt es zu Arbeitslosigkeit
und Wirtschaftskrisen in den heutigen Urlaubsregionen;
und so weiter, und so weiter.
Moralische Verantwortung setzt Sachkompetenz und Wertkompetenz voraus, im technischen
Handeln also Kompetenz für alle denkbaren Technikfolgen und alle davon berührten Werte.
Nun ist allerdings völlig unmöglich, dass der einzelne Ingenieur alle diese Kompetenzen
in sich vereinigt.
Er muss aber über technikbezogenes Orientierungswissen verfügen, damit sich Ingenieure
mit Ökologen, Psychologen, Soziologen oder Juristen überhaupt verständigen können und
um urteilsfähig zu sein, wenn andere Experten zur Klärung möglicher Technikfolgen um Rat
gefragt werden müssen.
Ingenieurverantwortung erfordert neben der Einsicht in die eigenen Kompetenzgrenzen
ein entwickeltes Fingerspitzengefühl nach fremder Kompetenz.
Der Physiker Max Born hat in einem Brief an Albert Einstein im Jahre 1944 (vor dem Abwurf der Atombomben in Japan) die Anregung geäußert, dass die Wissenschaftler
“einen internationalen Verhaltenskodex zur Ethik“ brauchten. Darauf hin wurden in den berufsständischen Verhaltensregeln der Ingenieure Verpflichtung auf “das Wohl der Menschheit“ und die “Sicherheit des Lebens und der Gesundheit“ aufgenommen.
Vorher hatten sich solche Verhaltensregeln auf die fachliche und kollegiale Korrektheit der Berufsausübung beschränkt.
Vor allem in den USA schossen seit 1970 die Ethik-Kodizes der verschiedensten
Ingenieurorganisationen wie Pilze aus dem Boden.
Anfang der 50er Jahre legt auch der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) ein
>Bekenntnis des Ingenieurs< vor, in dem es unter anderem heißt:
“Der Ingenieur stelle seine Berufsarbeit in den Dienst der Menschheit (.
...),
arbeite in der Achtung vor der Würde des Menschen (...
.), beuge sich nicht denen, die das
Recht eines Menschen gering achten und das Wesen der Technik missbrauchen“.
Der Verhaltenskodex richtet sich an die Ingenieure als Individuen; der ethische Appell
an die Ingenieure wird durchweg als Appell an ihre besondere Verantwortung vorgetragen.
Als entscheidende Instanz für Verantwortung kann in erster Näherung das Gewissen
angesehen werden.
(Das Gewissen als die Fähigkeit des menschlichen Geistes, das eigene geplante oder
vollzogene Handeln und dessen Folgen zum Gegenstand eigener Beurteilung zu machen
und mit den von der sozialen Umwelt gelernten, relativ stabilen Vorstellungen
vom Richtigen und Falschen zu messen.
ODER:
Das Gewissen als die Art und Weise, in der das Wertgefühl im Menschen sich Geltung verschafft, als das Gefühl für das, was richtig und falsch ist.
)
Auch internationale Organisationen wie die UNESCO sorgen sich in einer Erklärung
vom November 1977 um die (ethische) Verantwortung der heutigen Generationen gegenüber
den künftigen Generationen.
(auszugsweise Kopie als Anhang)
Zusammenfassung.
Es wurde ein ganz kleiner Teilbereich der Probleme aufgezeigt, welche die
Technikfolgen-Abschätzung, die Technikbewertung und die Ingenieurverantwortung
mit sich bringen.
Der Themenbereich ist hochaktuell, wie die in Gesellschaft und Politik geführten
Diskussionen um die Gentechnik zeigen.
Heinz Riesenhuber, der frühere Bundes-Forschungsminister, hat die ethische Grundfrage
treffend formuliert:
“Wo sind die Grenzen des was-wir-dürfen zu ziehen im Reich dessen, was wir können ?“
Günter Ropohl kommt in seinem Buch zu dem Schluss:
a) Nicht jede technische Neuerung bedeutet auch sozialen Fortschritt.
b) Technische Neuerungen werden eingeführt, ohne dass ihre Nebenfolgen
von Anfang an bedacht und berücksichtigt werden.
c) Dass bestimmte Nebenfolgen unannehmbar sind, wird meistens erst dann erkannt,
wenn die Neuerung bereits verbreitet ist.
d) Weil an einer technischen Neuerung in der Regel sehr viele Personen beteiligt sind,
kann man keinem einzelnen die alleinige Schuld zuschreiben;
wer überhaupt Verantwortungsbewusstsein empfindet, muss sehr schnell begreifen,
wie gering seine individuellen Einflussmöglichkeiten sind.
e) Politik und Recht sind bislang nicht darauf angelegt, unannehmbare Nebenfolgen
technischer Neuerungen gar nicht erst aufkommen zu lassen;
Politik und Recht haben lediglich als Reparaturbetrieb der Technisierung fungiert.
Mit einem Wort:
Die Technisierung mit ihren wachsenden Ambivalenzen (Doppelwirksamkeit nach sich
widersprechenden Richtungen) schreitet fort, doch niemand verantwortet sie. (Zitat Ende)
Wenn das so ist, dann gilt m.E.
auch der Umkehrschluss: Wir alle verantworten sie !
Wir – die wir zu den 25% der Weltbevölkerung zählen, die 75% der Energie verbrauchen,
wir – die wir auch im Sommer frieren und im Winter schwitzen wollen und energiefressende
Klimaanlagen betreiben,
wir – die wir in immer komfortableren Autos über breite Asphaltstrassen fahren wollen,
wir – die wir glauben, mit der Getrenntsammlung von Müll sei unser Beitrag zur
Bewahrung der Umwelt erbracht,
und so weiter, und so weiter ......
----- Ende -----___________________________________________________________________________
Begriffe. (* in Anlehnung an Schischkoff, Philosophisches Wörterbuch)
Technik*, allg. die menschliche Tätigkeit, das Vorgefundene, das Gegebene menschlichen
Wünschen entsprechend zu ändern. Naturkenntnis und Wissen sind die Voraussetzungen der Technik, Sicherung und Veredlung des menschlichen Daseins war ihr Ziel.
Früher handwerksmäßig empirisch, im 19.Jh.
wurde sie (durch die Erfindung von Kraftmaschinen) zur Maschinentechnik. Problem “Technik und Kultur“.
Weitreichende Folgen durch die Umgestaltung der Arbeitsweise, der Gesellschaft und der
menschlichen Lebensführung (industrialisierte Gesellschaft); Mechanisierung der Gemeinschaft; ungeheuerer Raubbau an Rohstoffen; Steigerung der Bedürfnisse.
Wendung von ganzheitlicher, den ganzen Menschen erfordernder Arbeitsweise zum
einseitig durchrationalisierten und mechanisierten Spezialistentum.
Bewertung der Kulturhöhe eines Volkes (zu Unrecht) allein nach dem Maß des
technischen Fortschritts.
Besonders nach dem 2.
Weltkrieg wird die Technik von Kulturkritikern zunehmend
mit Misstrauen und Angst betrachtet. Die Atombombe lässt sie als lebensfeindliche
Macht erscheinen.
Moral*, derjenige Ausschnitt aus dem Bereich der ethischen Werte, dessen Anerkennung
bei jedem erwachsenen Menschen zunächst angenommen wird.
Umfang und Inhalt dieses Ausschnittes ändern sich im Laufe der Zeit und sind bei den
verschiedenen Bevölkerungsschichten verschieden.
Bei der Moral handelt es sich um das, was “gute Sitte“ ist, was sich “schickt“.
Ein Konsens der Menschen darüber, welche Werte aus den vielen möglichen Werten
(wenigstens) verstandesmäßig für richtig gehalten werden und deren Verwirklichung
angestrebt werden sollte (z.
B. Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Zuverlässigkeit, Treue).
Die Moral ist mitbestimmend für das persönliche Weltbild eines Menschen (da auch die
von der Religion als wertvoll bezeichneten Verhaltensweisen eingehen).
Ethik*, ist die Sittenlehre; sucht nach einer Antwort auf die Frage: Was sollen wir tun ?
Die Ethik lehrt, die jeweilige Situation zu beurteilen, um das sittlich richtige
Handeln zu ermöglichen.
Ethik untersucht, was im Leben und in der Welt wertvoll ist, denn das ethische Verhalten
besteht in der Verwirklichung ethischer Werte.
Diese Werte sind sowohl in der jeweiligen Situation als auch in der Person zu finden.
Ethik dient der Erweckung des Wertebewusstseins.
Die Anforderungen des menschlichen Daseins bewirken, dass ständig neue Werte über
die Schwelle des Wertebewusstseins treten, andere aus ihm ausscheiden.
Was vor hundert Jahren gute Sitte war, kann heute sittenwidrig sein.
soziotechnisches Handeln, technisches Handeln, was nicht als Individuum ausgeführt wird,
sondern arbeitsteilig im Kollektiv erbracht wird.
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